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Die Kolumne von Kolja Steinrötter | Von Kunst und Handwerk
Guten Tag,
kaum ein Gedanke drängt sich beim Betrachten von Kunst, vor allem von konzeptueller Kunst, so sehr auf wie: „Das hätte ich auch gekonnt.“
Ist bei einer künstlerischen Arbeit kein oder nur ein geringer handwerklicher Aufwand zu erkennen, ist es mit Ehrfurcht und möglicher Demut schnell vorbei. In einem fotorealistisch gemalten Ölbild oder einer anatomisch perfekten Skulptur vermuten wir einen Wert, in einem losen Bretterstapel, zwei Kieselsteinen oder einer monochromen Leinwand eher nicht.
Wie wichtig ist also das Handwerk in der Kunst? Einen Hinweis auf die Antwort gibt das Wort „Kunsthandwerk“. Mit der Kunst, über die wir hier reden, hat das wenig zu tun. Handwerk ist dort nur eines: Mittel zum Zweck.
Während beim bloßen Handwerk durchaus bewertet wird, wie lange jemand an einer Arbeit gesessen hat, wie aufwändig oder mühsam etwas gewesen ist – das alles fließt in den Stundenlohn ein –, interessiert am künstlerischen Wirken nur das Ergebnis und der Platz des Werks im Œuvre der Künstler:innen. Fleiß wird in der Kunst nicht belohnt. Wenn junge Menschen in meine Galerie kommen und Fragen zum Leben als Künstler:in haben, sage ich trotzdem: Je mehr handwerkliche Fähigkeiten man erlernt, desto größer sind später die Möglichkeiten, aus Ideen etwas zu machen. Mit anderen Worten: Wenn der künstlerische Weg an einen Punkt führt, an dem Zeichnen weiterführt, dann ist es hilfreich, zeichnen zu können. Doch es bleibt immer Mittel und ist nie Selbstzweck.
Ich habe für einen meiner Künstler einmal Fotografien nachmalen lassen, fotorealistisch. In China gibt es Malfabriken, die so etwas anbieten, für einen wirklich sehr kleinen Preis. Die Art von Malerei ist pures Handwerk, bis zu einem gewissen Grad können es alle lernen. Man muss eben nur lange üben. Zur Kunst wird Malerei erst durch einen mehr oder weniger kleinen Eingriff eines Künstlers oder einer Künstlerin.
Das bedeutet aber auch, dass ich beinahe jede Arbeit von einer Person, die das Handwerk beherrscht, kopieren lassen kann. Diese Kopie wäre auf den ersten Blick nicht vom Original zu unterscheiden, vielleicht auch auf den zweiten nicht. Trotzdem wäre sie keine Kunst. So wandelt man in der Kunst manchmal unweigerlich am Rande des Metaphysischen.
Es kann sein, dass jemand niemals im Laufe seines künstlerischen Schaffens handwerkliches Geschick braucht. Ideen, Motive, der eigene Charakter, das Leben, all das bildet die Grundlage eines künstlerischen Werks. Jede geschaffene Arbeit ist immer nur ein kleines Fragment des Gesamten. Deswegen kann im Einzelnen eben auch etwas scheinbar Belangloses große Kunst sein – eine Geste, ein Strich, ein Satz, ein Stein, ein Baum.
Manch künstlerisches Werk ist so mit der Person verbunden, die es geschaffen hat, dass man sich fragen kann, ob man dessen Bedeutung in Zukunft überhaupt noch versteht. Bei Joseph Beuys etwa könnte man sagen: Möglicherweise waren gar nicht die Objekte, die er hinterlassen hat, das Kunstwerk, sondern er selbst. Ein wenig so ist das sehr oft.
Manchmal spricht das Werk für sich, manchmal überhaupt nicht. Das sind zwei Extreme, zwischen denen sich Kunst abspielt. Gesamtwerk und Charakter sind wichtige Begriffe in der Kunst. Sie helfen, mögliche Bedeutungslosigkeit aufzuspüren, die sich überall verstecken kann. Gutes Handwerk gilt als eine gern genommene Methode, um künstlerischen Wert vorzutäuschen.
Laien beeindruckt so etwas, denn ihnen ist klar: Das kann ich nicht.
Man kann allerdings auch Banalität gut hinter kunstwissenschaftlichem Fachjargon verstecken – oder dem besagten konzeptuellen Bretterstapel. Dem Stapel gehen Fachleute eher auf den Leim, auch weil man sich auf diese Weise so prima vom Pöbel abgrenzen kann („Das versteht ihr nicht, das ist Kunst“).
Mit jungen Künstler:innen ist es noch etwas schwerer. Ihr Werk lässt sich kaum bewerten. Daher beschreibt man es gern mithilfe von Verweisen auf berühmte oder erfolgreiche Kolleg:innen. So gaukelt man etwas vor, das noch nicht vorhanden ist – und vielleicht auch nie sein wird.
Sicher sagen kann man: Ein Kunstwerk steht zuallererst immer unter Verdacht, bedeutungslos zu sein. Die Frage, ob man selbst etwas nicht auch kann, lässt sich in den meisten Fällen recht einfach beantworten: vermutlich nicht.
Herzliche Grüße
Ihr Kolja Steinrötter
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Kolja Steinrötter
Kolja Steinrötter, geboren 1974 in Münster, ist unter Künstler:innen und Kunst aufgewachsen, studierte Soziologe und Politikwissenschaft an der hiesigen Universität, trainiert die Fußballfrauen des SV Blau-Weiß Aasee und betreibt seit 2008 eine Programmgalerie am Germania Campus.
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