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Der Kultur-Brief von Christoph Tiemann | Cholera gegen die AfD

Guten Tag,
äußert sich die AfD zur Kulturpolitik, dann hat man in der Reaktion darauf die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sollte man die plakativen Parolen schlicht rechts liegen lassen und ihre Inhaltsleere mit einem dazu passenden (Hohl-)Maß an Aufmerksamkeit aufwiegen? Oder sollte man auf den Mumpitz reagieren und dem Gesagten durch das damit unweigerlich verbundene Wiederkäuen erneut eine Bühne bieten?
Für das oft bemühte und angeblich unentscheidbare Dilemma gibt es eine Lösung: Cholera! Denn wenn man wirklich die Wahl hätte zwischen Pest und Cholera, dann sollte man immer Cholera wählen. Cholera ist eine schlimme Magen-Darm-Infektion, gar keine Frage, aber die Pest ist viel schlimmer. Selbst mit modernen Behandlungsmethoden verlaufen bis zu 80 Prozent aller Pest-Fälle tödlich, gegen Cholera gibt’s Antibiotika und nur rund 1 Prozent der Fälle endet fatal.
Wenn man also meint, es gebe keine Wahl, so liegt in den meisten Fällen ein Mangel an Wissen und/oder Fantasie zugrunde – womit wir wieder bei der AfD-Kulturpolitik angekommen wären.
Ich habe mich entschieden, dass Nichtssagen in diesem Fall die Pest wäre. Denn wenn man schweigt, könnte vielleicht irgendwer auf die abstruse Idee kommen, das Geschrei von Rechts sei irgendwie mehrheitsfähig, klingt es auch noch so verrückt.
Wählen wir also die Cholera.
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Provokanter AfD-Antrag
Im Landeshaus in Münster – das ist das schmucke LWL-Gebäude am Ende der Eisenbahnstraße mit dem charakteristischen grün-patinierten Uhrenturm – da tagt die Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe, so eine Art „Westfalenparlament“. Hier werden zwar keine Gesetze verabschiedet, aber hier wird die Kohle verteilt, mit der in den Landesteilen Westfalen und Lippe viel Gutes unternommen wird – so das selbstgewählte Motto des LWL.
Ich hole hier nur deshalb so weit aus, weil ich bis zu einem Antrag der AfD-Fraktion an eben diese Landschaftsvertretung keine Ahnung hatte, wie dieses Gremium überhaupt arbeitet und wie es sich zusammensetzt, nämlich: aus Vertretern der Kommunen im gleichen Verhältnis wie deren Parteien in den Stadträten und Kreistagen vertreten sind – und so sitzen eben auch sechs Vertreter der AfD in dem schönen Haus mit dem patinierten Uhrenturm.
Die haben in diesem Monat einen Antrag in den Kulturausschuss eingebracht, der einen wieder mal vor die AfD-Urfrage stellt: Was sollte das?
Hier hat man nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera, sondern zwischen den nachfolgenden, kaskadenartig herabstürzenden Anschlussfragen:
Sind die so blöd?
Oder wollen die nur provozieren?
Oder wollen die ein demokratisches Gremium durch Unfug beschäftigen, sinnvolle Arbeit verhindern und so den ganzen Apparat der Lächerlichkeit preisgeben?
Oder aber testen die eine durchgeknallte Position, hinter der sie (in Ermangelung echter eigener Ansichten) selbst nicht stehen?
Wer weiß, vielleicht fällt sie irgendwie auf fruchtbaren Boden und dann kann man damit weiterarbeiten!
Jede dieser Fragen ist berechtigt, je nachdem wo auf der Demagoge-Dämlack-Skala die Abgeordneten einzuordnen sind, die die AfD auf die Sitze bugsiert hat.
Die AfD-Fraktion in der Landschaftsvertretung forderte ein Moratorium für die Skulptur Projekte 2027. Die Ausstellung sei „elitär“ und der finanzielle Aufwand stehe nicht im Verhältnis zum Nutzen der Allgemeinheit.
Viel Meinung, wenig Ahnung
Nochmal: Blöd? Provokant um der Provokation willen? Unfug, um die Arbeit des Gremiums lächerlich zu machen, oder durchgeknallter Testballon? Dämlack oder Demagoge?
Wer die Skulptur Projekte elitär nennt, kennt entweder die Skulptur Projekte oder das Wort elitär nicht – beides wäre den Männern (und es sind nur Männer) der AfD-Fraktion in der Landschaftsvertretung zuzutrauen.
Ich lebe so lange in Münster, dass ich die Skulptur Projekte schon zweimal miterleben konnte. Kulturinteressierte Menschen aus der ganzen Welt laufen suchend durch die Stadt, den Faltplan der Skulptur Projekte in der Hand (ich denke, in zwei Jahren werden wir uns wohl vom Papier verabschiedet haben und auf eine App umgestiegen sein) und wenn sie Glück haben, hilft ihnen ein Westfale, den Weg zu finden (toi, toi, toi). Vielleicht stößt ja dieser temporäre Zuzug von Gästen den sechs Männern von der AfD so übel auf. Was der westfälische Bauer nicht kennt, das frisst er bekanntermaßen nicht – was die AfD nicht kennt, das will sie fressen.
Die künstlerische Leitung der Skulptur Projekte liegt 2027 in den Händen der kroatischen Kuratorinnen Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović – auch das sind womöglich mehr diakritische Zeichen, als die alternativen Abgeordneten auf nüchternes Hirn vertragen können. – Der Gag war abgehoben und elitär, nochmal: Die Skulptur Projekte sind es nicht.
Wie die Skulpturen Menschen verbinden
Tue Greenfort aus Dänemark stellte 2007 einen Gülletanker an die der Innenstadt zugewandten Seite des Aasees, der fortwährend Wasser in den See spritzte – eine Anspielung auf die viel zu große Menge an Düngemitteln, die an weniger prominenten Stellen tatsächlich in die Aa fließt. Wie sollte das elitär sein? Den Pier mit dem offenen Pavillon am Ende, der einige Meter weiter in den See ragt, baute der in Havanna geborene Jorge Pardo für die Skulptur Projekte 1997. Der Däne Per Kirkeby und der US-Amerikaner Dennis Adams konstruierten Bushaltestellen, Hans-Peter Feldmann verwischte die Grenzen zwischen Kunst und Notdurft bei der Neuerfindung der Toiletten unter dem Domplatz. Elitär?
Es gibt natürlich Einträge in der Chronik der Skulptur Projekte, die weniger praktisch sind, aber möchten Sie die Kirschsäule auf dem Harsewinkelplatz missen? Oder die 100 Arme der Guan-yin (der gigantische Flaschentrockner am Marienplatz)? Oder die Giant Pool Balls am Aasee?
Großartige, internationale Kunstwerke im öffentlichen Raum, für alle zugänglich, mal praktisch, mal ironisch, mal verspielt und auch mal sperrig, die aber allen, die vorbeigehen, etwas sagen. Allen? Ja. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und werfe im hohen Bogen eine steile These in die Diskussion: Gute Kunst sagt qua Definition jedem was, dem einen dies, der anderen das. Blöd ist halt, wenn man gar nicht erst hinhört.
Die Münsteraner:innen lieben ihre Skulptur Projekte, das Umland auch und die Welt sowieso. Also nochmal zur AfD-Urfrage: Sind die so blöd, den Skulptur Projekten an die Säule zu pinkeln? Nein. – Wollen die provozieren? Immer. – Wollen die die Arbeit der Landschaftsversammlung stören? Aber sicher.
Vor allem aber haben sie ihren Tanker mit Themen-Scheiße aufgebaut und spritzen, was ihnen gerade einfällt, durch die Gegend, vielleicht bleibt ja mal irgendwo was kleben. Aber bitte, bitte, bitte trinken Sie das Zeug bloß nicht, es könnte Cholera auslösen.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Tiemann
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Christoph Tiemann
ist Schauspieler, Kabarettist, Autor und Moderator. Aufgewachsen ist er in Selm. Zum Studium kam er 1998 nach Münster. Seit über 20 Jahren arbeitet er regelmäßig als Autor und Sprecher für den WDR. 2010 gründete er das Ensemble Theater „ex libris“, mit dem er Literaturklassiker wie „Die drei ???“, Sherlock Holmes und Dracula als multimediale Live-Hörspiele auf die Bühne bringt. Für seine Arbeit hat er viele Preise bekommen.
Der Donnerstags-Brief
Jeden zweiten Donnerstag schicken wir Ihnen im Wechsel den Preußen-Brief von Carsten Schulte und den Kultur-Brief von Christoph Tiemann.
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