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Die Kolumne von Michael Tillmann | Wirtschaften neu denken
Guten Tag,
ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass Münsters Litfaßsäulen voll sind mit Plakaten zu dem Großprojekt „Unser Klima 2030“? Ich habe mir in den letzten Tagen einmal vorgestellt, dass auf einem dieser Plakate die folgende Botschaft steht: „Natürlich müssen wir uns auf Einschränkungen einstellen. Aber es wird auch neue Lebensweisen mit einer hohen Lebensqualität geben. Höher, weiter, schneller, besser, teurer – das sind nicht die Attribute, die ein glückliches Leben ausmachen. Uns stehen Ressourcen zur Verfügung, die eben nicht klimaschädlich sind, wie Kultur, Natur, wie frische Luft und viele andere Dinge auch.“
Gesagt hat dies – sprachlich leicht geglättet – unser Oberbürgermeister Markus Lewe in einer Videobotschaft anlässlich einer Klimakonferenz der Stadtverwaltung am 9. Mai dieses Jahres. Passt das nicht auch bestens in die Vorweihnachtszeit?
Ich stelle mir vor, welche „Begeisterung“ solche Philosophie bei Münsters Kaufleuten, bei der Gastronomie und beim Chef des Flughafens Münster/Osnabrück auslösen würde. Abkehr von immer mehr materiellen Gütern, Abkehr von lang gepflegten Konsum-, Ernährungs- und Urlaubsgewohnheiten, so etwas hören wir ab und zu von den Kirchen.
Von unserem Stadtoberhaupt würden wir das wohl eher nicht erwarten. Als vor zwei Jahren die hiesige Greenpeace-Gruppe einen Appell zu mehr Konsumzurückhaltung startete, reagierte der damalige CDU-Kreisvorsitzende mit heller Empörung, das könne man dem durch Corona ohnehin gebeutelten Einzelhandel doch nicht antun.
Kein Mangel an Appellen
Dabei ist es keine Frage: Unser ganz normales Konsum-, Ernährungs- und Mobilitätsverhalten stellt eine enorme Klimabelastung dar. Allein die Bereiche Konsum und Ernährung machen annähernd die Hälfte des sogenannten CO2-Fußabdrucks aus, den jeder Deutsche im Durchschnitt verursacht. Wer also in seinem Alltag klimaschonender unterwegs sein will, findet hier mit weniger Klamotten, weniger Elektrogeräten, weniger Fleisch und möglichst überhaupt keinen Urlaubsflügen den entscheidenden Hebel.
Viele werden jetzt sagen, das passe jetzt aber so gar nicht in die konjunkturelle Landschaft. Ein Gespenst geht nämlich um in deutschen Landen, das Gespenst der Rezession, der Insolvenzen und nachfolgender Arbeitslosigkeit, ausgelöst durch Konsumzurückhaltung, Kaufstreik und eine unzureichende Binnennachfrage.
Und so mangelt es nicht an Appellen, man möge doch nicht so viel Geld zurücklegen, sondern dieses dem Wirtschaftskreislauf zuführen. Natürlich gibt es einen Teil der Bevölkerung, für den sich diese Frage so gar nicht stellt. Dieser Teil hat Mühe, mit dem monatlichen Budget überhaupt über die Runden zu kommen. Dieser Bevölkerungsanteil dürfte in Münster aber wohl eher unter dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen.
Für eine Haltung, die sich an dem orientiert, was Einzelne für ein gutes Leben als ausreichend betrachten, gibt es einen Begriff: Suffizienz. Das Wort ist abgeleitet vom lateinischen „sufficere“, es bedeutet „genügen“ oder „ausreichen“. Hinter dem Begriff steckt häufig die Erfahrung, dass die im Laufe der Jahre angesammelten Klamotten, Einrichtungsgegenstände oder Elektrogeräte die Wohnung eher verstopfen und das Leben mehr belasten als bereichern.
Als Münster vor einigen Jahren mit dem Masterplan 100% Klimaschutz seine klimapolitischen Ambitionen deutlich erhöhte, hat man gleichzeitig eine „Suffizienzstrategie“ erarbeitet. Ein wenig Stolz war dabei auch im Spiel, weil Münster damit als erste Stadt in Deutschland ein solches Projekt anging. Aber bald zeigte sich auch, dass man sich schwer damit tat, die Suffizienzidee offensiv zu vertreten. Man sprach und spricht von der „Strategie für klimaschonende Entscheidungen“.
Das entsprechende Papier wurde nur in Auszügen öffentlich zugänglich gemacht. Und geradezu mantraartig wird immer wieder betont, die Stadt könne ihren Bürgern „keine Vorgaben für klimaschonende Lebensentwürfe und Lebensziele“ machen.
Natürlich handelt es sich hier wirklich um ein sensibles Thema, weil Bürger:innen leicht den Eindruck gewinnen können, hier solle in ihre Freiheitsrechte eingegriffen werden. So ist es verständlich, dass Politik und Verwaltung eher auf Anreize zu einem suffizienten Verhalten setzen, als ordnungspolitische Maßnahmen in Erwägung zu ziehen.
Etwas forscher packt eine Arbeitsgruppe des Klimabeirats das Thema in einem kürzlich veröffentlichten Papier an. Weniger das gute Leben der Einzelnen steht im Mittelpunkt, sondern eher das gute Leben für alle auf unserer Erde. Ausgangspunkt ist dabei der Blick auf die sogenannten planetarischen Leitplanken, die dem Produzieren und Konsumieren absolute Grenzen setzen (müssten).
Zu erinnern ist daran, dass unser Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise in Deutschland eigentlich die Ressourcen von drei Erden benötigten, wollten alle Menschen so leben wir wir. Damit begründen die Autor:innen die Notwendigkeit einer „Suffizienzpolitik“.
Darunter verstehen sie einen politischen Rahmen, der sich nicht auf Anreize für ein suffizientes Verhalten beschränkt, sondern selbstverständlich auch ordnungspolitische Maßnahmen – sprich „Verbote“ – miteinschließt. Ich denke, ansatzweise ist davon in der städtischen Verkehrspolitik etwas zu erahnen.
Keine Frage: Es ist ein Dilemma, in dem sich politische und wirtschaftliche Akteure befinden. Wie bringen sie elementare betriebs- und volkswirtschaftliche Interessen in Einklang mit den zumeist durchaus anerkannten klimapolitischen Notwendigkeiten? Wie kann ein Oberbürgermeister seine Vorstellungen von einem besseren, vom Überfluss befreiten Leben verkünden, ohne den Einzelhandel zu vergraulen, ausbleibende Steuereinnahmen in Kauf zu nehmen und den Eindruck moralisierender Botschaften zu erwecken?
Abkehr vom Wachstumszwang
In den letzten Monaten hat die Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ auf diesen Widerspruch zwischen unserem Wirtschaftssystem mit seinem Wachstumszwang und einer am Pariser Klimaabkommen orientierten Politik hingewiesen. Ohne Abkehr von diesem Wachstumszwang sieht sie keine Möglichkeit, den Planeten vor unvorstellbaren Klimakatastrophen zu bewahren.
Das Beunruhigende ist: Den Widerspruch zwischen einem konsumgetriebenen Wachstum und der Begrenzung der Erderhitzung bemerken viele; er wird aber nicht annähernd angemessen bearbeitet. Er gehört in die Mitte des gesellschaftlichen und politischen Diskurses, auch hier in Münster.
Und was machen wir jetzt in der Vorweihnachtszeit, in der viele Einzelhändler:innen sonst bis zu einem Drittel ihres Jahresumsatzes erzielen? Sollen wir also aus volkswirtschaftlicher Verantwortung über unseren konsumkritischen Schatten springen und unser Geld zur Verhinderung von Rezession und Arbeitslosigkeit ausgeben? Nein, das kann’s nicht sein!
Wenn unser Wirtschaftssystem nur so funktioniert, dass Menschen Güter kaufen müssen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, für deren Nutzung sie auch keine Zeit haben, wenn Kommunen, Länder und Bund mit ihren Steuereinnahmen nur dann ihre Aufgaben erfüllen können, wenn ihre Bürger:innen weiter auf Kosten der Zukunft konsumieren, dann müssen wir die Grundlagen unseres Lebens und Wirtschaftens überdenken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Adventszeit.
Michael Tillmann
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Michael Tillmann
… hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den 90er-Jahren gehörte er dem Lenkungskreis an, der für Münster eine Lokale Agenda erarbeitet hat – ein Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Zusammen mit Münsters späterem Oberbürgermeister Berthold Tillmann (mit dem er nicht verwandt ist) hat er im Jahr 1998 den Diskussionsband Über unsere Verhältnisse zur nachhaltigen Stadtentwicklung Münsters herausgegeben. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt“ und ist Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“. Michael Tillmann ist 74 Jahre alt, seit 2020 Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkel:innen.
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