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Die RUMS-Kolumne von Michael Tillmann | Wer kann sich Klimaschutz leisten?

Guten Tag,
in der vergangenen Woche endete die Frist, innerhalb derer Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Initiativen, Unternehmen und Institutionen freiwillige Beiträge zum Klimaschutz bei der Stadt einreichen konnten, die in einen sogenannten „Klimastadtvertrag“ Eingang finden sollen. Münster möchte damit seine Vorbildfunktion für andere Kommunen unterstreichen. Die Stadt ist eine von 100 europäischen Städten, die ihre Ambition „Klimaneutralität 2030“ mit einem solchen Dokument bei der Europäischen Union darlegen wollen.
„Weil es uns alle braucht!“ – Mit diesem Slogan warb die Stadt Münster für eine möglichst breite Beteiligung an diesem Projekt in der gesamten Stadtgesellschaft. Nicht zuletzt tat dies Oberbürgermeister Markus Lewe auf dem Stadtforum „Münster wird Klimastadt“ im Juni letzten Jahres in der Merantihalle des Zoos.
In einem bemerkenswert süffisanten Kommentar zu diesem Stadtforum in den Westfälischen Nachrichten (leider nicht online) warf Klaus Baumeister die Frage auf, wer sich denn die wünschenswerten Klimaschutzinvestitionen überhaupt leisten könne und wer nicht.
Man kann sich aber auch fragen, wer sich in besonderem Maße eine Klimaschädigung leistet. Die Zahlen dazu sind ziemlich eindeutig: Das reichste Hunderstel der Deutschen stößt im Jahr 117,8 Tonnen an Klimagasen aus. Die obersten zehn Prozent kommen im Durchschnitt auf 34,1 Tonnen. Die „Mitte“ emittiert 12,2 Tonnen und Angehörige der untersten Schicht nur 5,9 Tonnen, so kann man es im „World Inequality Report 2022“ lesen.
Krasser sieht es noch im Weltmaßstab aus: Das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung verursacht mehr als doppelt so viele Treibhausgase wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Da kann einem das undifferenzierte „Weil es uns alle braucht“ schon mal im Halse stecken bleiben.
Im Laufe des letzten Jahres ist vor allem durch das Hin und Her beim Gebäudeenergiegesetz das Gespür dafür gewachsen, dass die Belastungen und Zumutungen einer ambitionierten Klimapolitik nicht gerecht verteilt sind.
Das hat den Stellenwert des Klimaproblems im öffentlichen Bewusstsein deutlich gesenkt. Klimaschutz als gemeinschaftlich akzeptiertes und getragenes Anliegen ist unübersehbar in die Defensive geraten. Der Abbau klimaschädlicher Subventionen weckt vehemente Widerstände, wie die Treckerdemonstrationen der Landwirte zeigen.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist in den letzten Wochen das sogenannte „Klimageld“ in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt. Die Einnahmen des Staates aus der stetig ansteigenden CO2-Bepreisung sollen wenigstens zum Teil an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden, und zwar so, dass für jede Person unabhängig vom Alter und Steuerpflicht der gleiche Betrag ausgezahlt wird.
Im Koalitionsvertrag der jetzigen Ampel-Regierung hatte man sich auf ein solches Projekt verständigt. Der soziale Charme des Klimageldes liegt darin, dass den ärmeren Bevölkerungsteilen die Chance gegeben wird, durch den sparsamen Umgang vor allem mit Strom und Heizenergie mehr Geld zu erhalten, als sie durch die CO2-Preise belastet werden.
Akzeptanz steht auf dem Spiel
Im Gegensatz zu vielen steuerlichen Entlastungsmaßnahmen, bei denen regelmäßig die Wohlhabenderen stärker profitieren, wird beim Klimageld der soziale Gleichheitsgrundsatz unterstrichen. Und indirekt kommt damit auch der Grundsatz zur Geltung, dass mit Reichtum keinesfalls das Recht einhergeht, Klima und Umwelt stärker als andere belasten zu dürfen, auch wenn die Tatsachen eine andere Sprache sprechen.
Nun soll das Projekt Klimageld unter anderem aufgrund der aktuellen Haushaltsprobleme der Bundesregierung in die nächste Legislaturperiode geschoben werden. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung seien im Klima- und Transformationsfonds schon für andere Maßnahmen verplant, unter anderem für die Förderung klimafreundlicher Heizungen.
Möglicherweise ist die kurzfristig messbare Treibhausgasreduktion hier tatsächlich größer. Aber Rückhalt und Akzeptanz des Klimaschutzes in der breiten Bevölkerung werden hier auf’s Spiel gesetzt, wenn das Klimageld einem Förderprogramm geopfert wird, das im Wesentlichen nur den Haus- und Wohnungseigentümern zugute kommt. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie die AfD sich dies als Steilvorlage zunutze machen könnte.
Soll man also das Motto „Weil es uns alle braucht“ über Bord werfen und sich ausschließlich auf die Zielgruppe mit dem überdurchschnittlichen CO2-Fußabdruck konzentrieren? Das sicherlich nicht. Mit Strom, Heizenergie und Auto-Nutzung sparsamer umzugehen, das wird auch vielen Beziehern von Mindestlohn oder Bürgergeld noch möglich sein, auch wenn von der ansteigenden CO2-Bepreisung bereits ein kräftiger Impuls zur Verhaltensänderung ausgeht.

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Aber die unterschiedslose Ansprache aller Bürgerinnen und Bürger erreicht vor allem Münsters gut situierte, zumeist akademisch gebildete gehobene Mittelschicht nicht. Sie wird in der städtischen Klimakommunikation intellektuell unterfordert, mit einer feuilletonistischen Sprache in Watte gepackt und mit Zumutungen nicht behelligt.
Der Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und unserer Klimakrise kommt zwar gelegentlich in den Reden unseres Oberbürgermeisters vor. Er tut es aber mit so wenig Klartext, dass weder die Pressestelle der Stadt noch die Lokalpresse entsprechende Redepassagen einer Erwähnung für würdig erachten.
Am 28. Februar soll nun der Klimastadtvertrag unterzeichnet werden. Vielleicht wird man da sehen, wer sich mehr Klimaschutz leisten will, und wer nicht.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag!
Michael Tillmann
PS
Und noch ein Veranstaltungstipp: Im Rahmen der „Münsteraner Klimagespräche“ wird am 22. Februar (Donnerstag) eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Klimaschutz muss man sich leisten (können)!“ – Wege in eine klimagerechte Zukunft stattfinden. Mit dabei sind Thomas Weber (Energieberater bei der Verbraucherzentrale NRW), Niklas Haarbusch (Institut für Soziologie der Uni Münster) und Bulut Surat (Umweltreferent beim DGB-NRW). Beginn ist um 19 Uhr im Forum der Volkshochschule (Aegidiimarkt 2).

Michael Tillmann
… hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den 90er-Jahren gehörte er dem Lenkungskreis an, der für Münster eine Lokale Agenda erarbeitet hat – ein Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Zusammen mit Münsters späterem Oberbürgermeister Berthold Tillmann (mit dem er nicht verwandt ist) hat er im Jahr 1998 den Diskussionsband Über unsere Verhältnisse zur nachhaltigen Stadtentwicklung Münsters herausgegeben. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt“ und ist Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“. Michael Tillmann ist 74 Jahre alt, seit 2020 Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkel:innen.
Die Kolumne
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