Die Kolumne von Michael Tillmann | Klimaschutz: Wo bleibt die Prämie?

Porträt von Michael Tillmann
Mit Michael Tillmann 

Guten Tag,

nun ist es wieder passiert: Starkregen hat in Süddeutschland weite Landstriche unter Wasser gesetzt und in vielen Städten und Dörfern Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen. Jahrhundertereignisse sollen es eigentlich sein, aber die Jahrhunderte werden anscheinend immer kürzer.

Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Bei vielen, die nicht unmittelbar betroffen sind, setzt schnell eine Verdrängung ein, so eine Art „Hochwasserdemenz“. Andere verlegen sich jetzt ganz auf den Katastrophenschutz und Maßnahmen zur Klimaanpassung und wollen dabei die Fixierung auf die Treibhausgas-Emissionen und die Klimaneutralität hinter sich lassen, wie ein Kommentator der FAZ schreibt

Wieder andere fordern jetzt angesichts der Wassermassen, dass die Politik, aber auch wir alle endlich den Klimaschutz nach ganz oben auf die Prioritätenliste setzen müssen. Und appellieren im Ton höchster Dringlichkeit: „Wir müssen endlich energischer handeln, damit sich solche Ereignisse wie die Ahrtalkatastrophe, die Waldbrände in Brandenburg, das Fischsterben im Aasee und die Überschwemmungen dieses Jahres sich nicht wiederholen.“ 

Mag sein, dass einige tatsächlich aus Naivität oder Unkenntnis über die Wirkungsmechanismen der Klimakrise so reden; viele andere reden so aus argumentativer Not heraus und nehmen in Kauf, dass sie hier irrige Vorstellungen über die Wirksamkeit von präventiven Klimaschutzmaßnahmen wecken. Tatsache ist, dass auch noch so drastische Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen nicht geeignet sind, uns in den nächsten 20 bis 30 Jahren vor Jahrhundertfluten, Waldbränden und Hitzetoten wirksam zu schützen. 

Reden darf keine Illusion erzeugen

Alle Emissionen und Emissionsvermeidungen wirken nur global, haben keine regionalen oder nationalen Effekte. Zudem setzt die volle Wirksamkeit von Maßnahmen erst mit einer zeitlichen Verzögerung von circa 30 Jahren ein. Das bedeutet, dass alle Klimakatastrophen der Gegenwart überwiegend auf die Emissionen aus dem vergangenen Jahrhundert zurückzuführen sind und wir das Klimageschehen bis zur Jahrhundertmitte nur noch unwesentlich beeinflussen können. Und selbst ab da gibt es allenfalls die Chance, auf dem Wege einer erfolgreichen Klimaneutralitätsstrategie die Erderwärmung auf dem dann erreichten Niveau einigermaßen zu stabilisieren und zu verhindern, dass nicht alles noch schlimmer wird. 

Politiker der AfD, zuweilen auch anderer Parteien machen regelmäßig von diesen intellektuell und gefühlsmäßig schwer verdaubaren Tatsachen argumentativen Gebrauch, indem sie – die Klimaleugnung für einen Augenblick hintanstellend – auf die kaum messbare Wirkung selbst einschneidender Maßnahmen verweisen.

Verantwortliches Reden in der Klimakrise darf keine Illusionen erzeugen, muss aber die Hoffnung auf eine menschengerechte Klimazukunft stützen. Eine intellektuell redliche Begründung für ein deutliches Mehr an Klimaschutzmaßnahmen und Klimaverantwortung könnte dann etwa so lauten: 

„Wir wissen, dass wir mit individuellen Verhaltensumstellungen, lokaler Ordnungspolitik und nationaler Struktur- und Wirtschaftspolitik das Klimageschehen nur zu einem ganz geringen Bruchteil und die Erderwärmung allenfalls um ein hundertstel Grad beeinflussen können. Wir können aber die Wahrscheinlichkeit, dass andere Mitmenschen, andere Kommunen, andere Staaten ihre Verantwortung für das Weltklima wahrnehmen, auch dadurch erhöhen, dass wir ebenfalls diese Verantwortung in die Praxis umsetzen. Tun wir es nicht, können wir kaum darauf hoffen, dass andere ihre Verpflichtungen – zum Beispiel aus dem Pariser Klimaabkommen – ernster nehmen.“

Das klingt etwas moralisch aufgeladen, vielleicht ein wenig nach dem Kantischen kategorischen Imperativ. Von einem „illiberalen Moralismus“ sprechen in diesem Zusammenhang einige Mitglieder des deutschen Ethikrates in einem abweichenden Sondervotum zu einer Stellungnahme des Ethikrates zur Klimagerechtigkeit aus dem Frühjahr. Speziell zum Umgang mit den Treibhausgasemissionen heißt es da, „dass selbst umfangreiche nationale Anstrengungen zur Verbesserung der eigenen CO2-Bilanz einen sehr geringen Einfluss auf den globalen CO2-Ausstoß haben“. 

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Eingriffe in die individuelle Freiheit der Bürger ließen sich auf dieser Basis kaum legitimieren; sie seien in Ermangelung einer Eignung zur Erreichung des Ziels Klimaschutz schlicht nicht verhältnismäßig. Mit anderen Worten: Weil die Erfolgsaussichten so gering sind, darf man einen so hoch ambitionierten Klimaschutz mit entsprechenden ordnungspolitischen Maßnahmen nicht als moralisch geboten darstellen. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen wären, dazu schweigt sich das Minderheitenvotum allerdings aus.

Muss man also ehrlicherweise bei allen Appellen und Anstrengungen zu mehr Klimaschutz auf das Versprechen einer Prämie verzichten? Ohne Aussicht auf irgendeine eine Art der Belohnung – zum Beispiel das Ausbleiben von Schäden und Katastrophen – lassen sich weder einzelne Menschen noch Unternehmen noch politische Institutionen zu besonderen Anstrengungen motivieren.

Kein Problem mit einer Prämie haben diejenigen, deren Vorstellung von einem guten Leben ohnehin eng verknüpft ist mit einem ressourcenarmen und klimaschonenden Lebensstil. Die Befreiung von Konsumzwängen erleben sie als Steigerung ihrer Lebensqualität und Lebenszufriedenheit.

Eine Mehrheit unserer Gesellschaft dürfte diese Haltung wohl nicht teilen. Auch das immer wieder diskutierte Klimageld mit einer Größenordnung von circa 130 Euro pro Person und Jahr dürfte als Anreiz für klimaschonendes Verhalten eher eine sehr begrenzte Wirkung entfalten. 

Die Stadt Münster, deren Klima- und Energiebilanz nur sehr bescheidene Erfolge ausweist, lässt sich hilfsweise mit Zertifizierungen, Auszeichnungen und Preisen für ihre ohne Zweifel erheblichen Anstrengungen belohnen. 

Politik und Wirtschaft versuchen, mit der Aussicht auf technologische Innovationen und anschließenden wirtschaftlichen Erfolgen auf den Weltmärkten für mehr klimapolitische Akzeptanz zu werben. Wie gering das Akzeptanzniveau allerdings derzeit in unserer Gesellschaft ist, mussten die Grünen bei der Europawahl vom letzten Sonntag schmerzhaft erfahren. 

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Ihr Höhenflug bei der Europawahl vor fünf Jahren, beflügelt von den „Fridays for future“-Demonstrationen, ist Geschichte. Andere Parteien halten den Klimaball eher flach, wohl wissend, dass das Thema beim Wahlvolk keine Gewinnerwartungen weckt. Eher ruft es Assoziationen von Zumutungen, Verzicht und Verboten hervor.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Der einzig hinreichende Grund für unser Klimaengagement liegt in der Verantwortlichkeit für eine gute Zukunft unserer Kinder und Enkel. Und die ist nicht zu haben ohne unser Interesse und unsere Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft der gesamten Menschheitsfamilie auf einem gesunden, das heißt unserer Gesundheit zuträglichen Planeten. 

Es braucht die konkrete Fantasie und Erzählung, auf welche Lebensbedingungen wir in der zweiten Jahrhunderthälfte zusteuern. Und auch eine Vorstellung davon, mit welchen Fragen der dann jüngeren Generation wir zur Jahrhundertmitte konfrontiert sein werden. Wir müssen von uns, vor allem aber von den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft den Mut einfordern, die Wahrheit über die künftigen Lebensbedingungen auf unserer Erde zu sagen. Über diese gibt es schließlich keinen nennenswerten wissenschaftlichen Streit.

Wir haben eigentlich keine andere Wahl, als an eine reale Chance für den Erfolg unserer Klimaschutzbemühungen zu glauben. Das Wissen dafür haben uns Wissenschaftler längst zur Verfügung gestellt, wir müssen nur energischer ins Handeln kommen. Es ist letztlich auch eine Frage der Selbstachtung und der Achtung, die spätere Generationen uns gegenüber hegen. Wenigstens diese Prämie sollten wir anstreben.

Herzliche Grüße
Ihr Michael Tillmann

Porträt von Michael Tillmann

Michael Tillmann

… hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den 90er-Jahren gehörte er dem Lenkungskreis an, der für Münster eine Lokale Agenda erarbeitet hat – ein Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Zusammen mit Münsters späterem Oberbürgermeister Berthold Tillmann (mit dem er nicht verwandt ist) hat er im Jahr 1998 den Diskussionsband Über unsere Verhältnisse zur nachhaltigen Stadtentwicklung Münsters herausgegeben. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt“ und ist Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“. Michael Tillmann ist 74 Jahre alt, seit 2020 Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkel:innen.

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