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Marina Weisbands Kolumne | Neue Ideen für den Wahlkampf
Liebe Leser:innen,
Politik in der Corona-Zeit ist schwierig, weil unser gesamter politischer Prozess darauf ausgelegt ist, dass wir anwesend sind. Das war schon vorher schwer, aber es ist noch schwerer geworden. Inzwischen können wir uns zwar wieder versammeln. Doch in Gruppen an Infoständen zu stehen, mit Menschen zu diskutieren, das ist noch immer kaum möglich. Und wenn die Corona-Fallzahlen weiter steigen, wird es bald noch schwerer.
Vor den Kommunalwahlen stellt uns das vor ein großes Problem, denn all diese Rituale sind auch dazu da, die Menschen auf eine Wahl einzustimmen, sie zu politisieren. Wir reichern die Bevölkerung mit politischer Energie an. Aber wie soll das nun gelingen?
In meiner Zeit in der Piraten-Partei hielt ich nicht viel von Plakaten. Ich war der Meinung, sie seien überflüssig. Warum verschwendeten wir so viele Ressourcen und kleistern die Städte mit dem Papierabfall zu, wenn die Plakate doch gar nichts aussagen? Man sieht Gesichter und inhaltsleere Wahlsprüche. Das ist alles.
Inzwischen verstehe ich die Funktion von Plakaten etwas besser. Sie weisen darauf hin: Es ist Wahl. Sie signalisieren: Es ist eine besondere Zeit – eine Zeit, in der Menschen, die sonst gar nichts mit Politik zu tun haben, sich mit politischen Angeboten beschäftigen. Im Moment stehen wir vor der Herausforderung, das auch ohne große Versammlungen hinzubekommen.
Das Schrillste dringt durch
Plakate sind sehr wichtig. Sie bringen uns kontaktlos mit der Wahl in Verbindung. Wir lernen Kandidat:innen kennen, indem wir sie sehen. In der Politik entscheiden wir Menschen viel aus dem Bauchgefühl. Wir schauen auf ein Porträt und entscheiden: Finden wir diesen Menschen sympathisch oder nicht? Halten wir ihn für vertrauenswürdig? Passt er zu uns und unseren Einstellungen?
Doch das reicht nicht aus, um eine gute Entscheidung zu treffen. Dazu müssen Politiker:innen dorthin, wo die Menschen sich aufhalten.
Einer dieser Orte, an dem viele von uns sich sehr oft aufhalten, ist das Netz. Und das ist hochgradig problematisch, weil Wahlwerbung dort sehr gezielt abläuft, weil die Algorithmen von Facebook und Twitter darauf ausgerichtet sind, möglichst viel Aufmerksamkeit zu binden. Das Schrillste, das Radikalste und das Krasseste dringt durch. Für Wahlen ist das nicht gut, denn dieser Mechanismus vergiftet den politischen Diskurs. Er radikalisiert Menschen. Und er entzweit sie bei Themen, über die sie sich vielleicht sogar vollkommen einig wären. Gute Wahlwerbung auf Social Media ist kaum möglich, weil eine aggressive Attacke immer mehr Aufmerksamkeit generiert als ein klug durchdachtes Bildungskonzept. Für dieses Problem brauchen wir eine Lösung.
Ich bin nun schon eine Weile bei den Grünen. Ohne Amt,einfach als reguläres Mitglied. In der Partei habe ich einige gute Ansätze dafür gesehen, wie das funktionieren kann. Vielleicht läuft es auch in anderen Parteien so, das weiß ich nicht konkret. Wichtig für die Grünen war, dass die Partei in der Corona-Zeit sofort auf Online-Partizipation umgeschaltet hat. Ich habe an sehr vielen Online-Seminaren teilgenommen. In so einem Seminar ist auch das kommunale Wahlprogramm für Münster beschlossen worden. Ich konnte dort an Gesprächen teilnehmen, meine Einwände einbringen. Manches wurde mir erklärt. Dann habe ich meinen Einwand zurückgenommen. Andere Einwände waren berechtigt. Und dann hieß es: Stell doch einen Änderungsantrag.
Konkret bedeutete das: Ich musste in einer Online-Plattform im Wahlprogramm die Stelle markieren, um die es mir ging. Dort tippte ich meinen Vorschlag ein. Die Software erstellte den Änderungsantrag automatisch.
Die Parteien können mehr
Ich konnte mir auch die anderen Änderungswünsche anschauen. Und ich konnte entscheiden, welche ich unterstütze. Auf diese Weise entsteht in der Zusammenarbeit von sehr vielen Menschen ein sehr umfassendes Programm. Ich konnte mich als ganz normales Mitglied sehr leicht daran beteiligen.
Mit kleinem Kind und Vollzeitjob ist das für mich normalerweise kaum möglich. Ich kann nicht abends an Bürgerversammlungen, Runden Tischen oder Stammtischen teilnehmen. Es war für mich, seit ich Mutter bin, das erste Mal, dass ich vollwertig an einem politischen Diskurs teilnehmen konnte.
Parteiarbeit hat gerade also die Chance, inklusiver zu werden. Corona macht es möglich, dass Parteien ihre Mitglieder auf eine neue Art beteiligen können. Und das gilt auch für den Wahlkampf.
Parteien können mehr als Gesichter und Sprüche tapezieren. Und Parteien können mehr, als 40 Seiten lange Wahlprogramme als pdf-Datei zur Verfügung zu stellen. Es wird Zeit für kreative Lösungen, Wahlprogramme auch den Menschen nahezubringen, die nicht bereit sind, Hefte mit langen Texten zu lesen.
Parteien müssen ihre Ziele und Vorhaben zugänglicher gestalten. Das ist die eine Seite. Aber es gibt auch noch eine andere. Eine Demokratie ist immer nur so gut wie ihre Demokrat:innen. Das engagierte Aufsuchen von Infos zu Parteiprogrammen und vergangenen Abstimmungen ist Bestandteil einer informierten Wahl.
Die Menschen können mit den Kandidat:innen Kontakt aufnehmen. Sie können ihnen schreiben. Sie können sie anrufen. Die Politiker:innen wünschen sich das. Sie wollen, dass man sie erreicht.
Neue Ideen für den Wahlkampf
Ich habe oft das Gefühl, wir unterschätzen das. Wir denken, Politiker:innen seien irgendwo da oben, unerreichbar. Aber das ist nicht so. Sie sind verfügbar und sie freuen sich, wenn Menschen sich an sie wenden. Man hatden Luxus, sich das Wahlprogramm in konkreten Bereichen dann ganz persönlich erklären zu lassen.
Auch bei Bürgerbeteiligungen gibt es dieses Missverständnis. Viele Menschen haben das Gefühl, diese Art von Beteiligung soll unterdrückt werden. Auf der anderen Seite sehe ich Politiker:innen, die sich wünschen, dass Beteiligungsangebote rege in Anspruch genommen werden. Das Interesse bleibt oft aus – aber auch nicht zuletzt, weil Bürger:innen sich keine verbindlichen Konsequenzen aus ihrer Beteiligung erwarten. Dabei könnte man gerade internetbasiert so wundervoll und unkompliziert gemeinsam Ideen für die Stadt erarbeiten und sie in einem vorher vereinbarten Rahmen verbindlich umsetzen.
Es ist natürlich nicht damit getan, dass Parteien ihre Wahlprogramme interaktiv vorbereiten und präsentieren. Aber die Parteien, denen das gelingt, kommen mit den Menschen in einen engeren Austausch als durch Wahlplakate. Und sie haben auch zwischen den Wahlen bessere Chancen, mit den Menschen im Austausch zu bleiben.
Und dann müssen die Wahlkämpfer:innen während Corona noch die Extraportion Kreativität an den Tag legen. Lautsprecher mit vorgelesenen Wahlprogrammen als Installation am Prinzipalmarkt? Wahlbezogene Poetry Slams? Rats-Planspiele?
Mich würde interessieren: Wie stellen Sie sich einen kreativen Wahlkampf vor? Was wünschen Sie sich? Haben Sie Ideen?
Schreiben Sie uns. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Idee im nächsten RUMS-Brief.
Viele liebe Grüße
Marina Weisband
Kommunalwahl-Check
Sie wissen noch nicht, welcher Partei Sie bei der Kommunalwahl am 13. September Ihre Stimme geben werden? Dann machen Sie den Kommunal-Wahlcheck des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Münster, der mit Unterstützung von RUMS entstanden ist: rums.kommunalwahlcheck.de.
Marina Weisband
Marina Weisband ist Diplom-Psychologin und in der politischen Bildung aktiv. Beim Verein „politik-digital“ leitet sie ein Projekt zur politischen Bildung und zur Beteiligung von Schülern und Schülerinnen an den Regeln und Angelegenheiten ihrer Schulen („aula“). Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Von Mai 2011 bis April 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Heute ist sie Mitglied der Grünen. Sie lebt in Münster.
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