Der Gastbeitrag von Yannic Werremeier | Mehr Pakete, weniger Verkehr?

Porträt von Yannik Werremeier
Mit Yannic Werremeier

Guten Tag,

in den letzten Wochen habe ich wieder zu viel im Internet bestellt. Zuletzt neue Schuhe für den Sommer. Mehrere Versuche, in der Innenstadt ein passendes Paar zu finden, waren gescheitert. Da ich dem Größenrechner auf der Website nicht traute, bestellte ich gleich mehrere Größen in verschiedenen Farben.

Ich bin damit nicht allein. Das Bundesverkehrsministerium geht in einer Verkehrsprognose aus dem vergangenen Jahr davon aus, dass die Zahl der Postsendungen in den nächsten 25 Jahren um 200 Prozent zunehmen wird. Und das bedeutet: mehr Lieferwagen, die durch die engen Wohnviertel kurven, mit Warnblinklicht auf den Gehwegen oder vor Einfahrten parken. Kurz: mehr Lieferverkehr auf den Straßen. Zu der steigenden Menge an Sendungen kommt eine wachsende Zahl an Unternehmen, die Pakete ausliefern.

Dass es mal wieder anders wird, ist eher unwahrscheinlich. Einkaufen im Internet ist einfach und bequem. Große Auswahl, günstige Preise und nur ein paar Klicks später kommt der neue Pullover, das Feierabendbier, der Wochenendeinkauf oder die Lieblingspizza direkt nach Hause. Und der Onlinehandel wird zunehmend auch zum Problem für die Innenstädte. Kaufhäuser schließen, das Angebot wird kleiner und noch mehr Menschen bestellen im Internet. Eine sich selbst verstärkende Entwicklung.

Ein Verteilzentrum fürs Viertel

Es wird also höchste Zeit, nach Lösungen für das Problem mit dem Lieferverkehr zu suchen. Eine mögliche Lösung wäre: weniger Wettbewerb bei der Zustellung. Früher kam einmal am Tag die Post. Heute klingeln täglich gleich mehrere Paketzusteller. Teilweise liefern die Online-Händler auch selbst.

Wäre es nicht besser, die Pakete wieder zu sammeln und nur von einem Unternehmen zustellen zu lassen? So könnten viele Fahrten gespart werden. Wie so etwas funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus England. In Bristol werden die Pakete für das Einkaufsviertel in einem Verteilzentrum außerhalb der Stadt gesammelt und dann mit Elektrofahrzeugen in die Innenstadt geliefert. 

Die Kunden können ein flexibles Zeitfenster für die Lieferung wählen und erhalten die Lieferung auf Wunsch in Mehrwegverpackungen. Gleichzeitig gibt es Zufahrtsbeschränkungen und -kontrollen für die Innenstadt, um die Straßen zu entlasten. Dieses und weitere Beispiele zum Thema Innenstadtlogistik stehen in einem Bericht des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2020. 

Überlegen wir, wie man das Beispiel Bristol auf Münster übertragen könnte. Statt die Pakete für die ganze Stadt an einem Ort zu sammeln, wäre es sinnvoll, kleinräumiger zu denken. So könnten in den Stadtteilen an verkehrsgünstigen Stellen Sammel- und Verteilzentren entstehen. Stichwort Logistikhub. 

An diese Adresse liefern alle Paketzusteller, Onlinehändler und andere Unternehmen ihre Sendungen für den Stadtteil. Von dort aus geht es dann einmal am Tag gemeinsam in einem Fahrzeug weiter oder die Menschen aus dem Viertel holen ihre Sendungen wie bei einer Paketstation direkt an der Sammelstelle ab.

Entscheidend für die Umsetzung wäre eine gute Partnerschaft zwischen Stadt und Privatwirtschaft. So wäre es denkbar, dass die Stadt das Sammeln, Zusammenstellen und Verteilen  der Pakete für einen bestimmten Zeitraum ausschreibt, eventuell sogar Flächen und Gebäude als Verteilzentrum zur Verfügung stellt und gleichzeitig Zufahrtsbeschränkungen für das Quartier einrichtet.

Zustellung mit Lastenrädern

In anderen Bereichen der Ver- und Entsorgung funktioniert es ähnlich. Stellen Sie sich vor, Menschen könnten selbst entscheiden, welches Unternehmen seinen Hausmüll abholt. Das wäre ein schönes Chaos auf den Straßen. Überall wären Müllwagen unterwegs. Stattdessen ist zum Beispiel die Abholung der Wertstofftonne derzeit in Teilen des Stadtgebietes an das private Entsorgungsunternehmen Remondis vergeben.

Durch die Ausschreibung und regelmäßige Neuvergabe könnte man der Gefahr entgegenwirken, dass Firmen verdrängt würden oder sich Monopole bilden. 

Die Aufteilung in Stadtteile böte auch kleineren und lokalen Zustellern die Chance, sich zu beteiligen, ohne gleich eine Logistikkette für ganz Deutschland aufbauen zu müssen. Mit dem lokalen Lieferdienst Leezenheroes gibt es so etwas in Münster bereits. Dieses Unternehmen löst das Lieferproblem auf die einfachste Weise: mit dem Fahrrad. 

Denkbar wäre auch, über die Ausschreibung innovative Konzepte zu fördern – die Zustellung mit kleinen Elektrofahrzeugen oder eben mit Lastenrädern. Die Stadt gewänne durch Ausschreibung und Vergabe mehr Möglichkeiten, den Lieferverkehr aktiv zu steuern.

Wenn man die Idee weiterdenkt, Sendungen zu bündeln, liegt es nahe, die Maßstäbe zu vergrößern und das Prinzip auch auf Supermärkte und andere Geschäfte zu übertragen. Dazu müssten allerdings Unternehmen zusammenarbeiten, die eigentlich in Konkurrenz zueinander stehen. Und hier liegt die Schwierigkeit.

Nach wie vor gilt der Grundsatz: Konkurrenz ist gut für Verbraucherinnen und Verbraucher. Das spiegelt sich auch in der Stadtplanung wider. 

Anonymer Briefkasten

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Zum Beispiel am Hansaring. Hier liegen vier Supermärkte in unmittelbarer Nähe zueinander. Ginge es nur um den Verkehr, wäre das wahrscheinlich anders. Vielleicht ist es an der Zeit, grundsätzlich andere Ziele als Wachstum und Gewinnmaximierung zu verfolgen und lebenswerte Städte und nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns zu stellen.

Aber zurück zu den privaten Paketsendungen. Am besten ist es, wenn so wenige Pakete wie nötig ein Postauto von innen sehen. Das muss nicht bedeuten, dass Menschen weniger bestellen. Man könnte Angebote machen, um auf Wege zu verzichten. 

Im rheinland-pfälzischen Kirchheimbolanden hat man sich überlegt, wie man diese Möglichkeit für Menschen attraktiver machen kann. Dort können Menschen ihre Schuhe oder Hosen jetzt direkt bei der Post anprobieren. Alles, was nicht gefällt oder passt, können sie gleich wieder zurückschicken. Den Rest nehmen sie mit nach Hause. 

Inzwischen sind auch meine Schuhe angekommen. Ein Paar werde ich behalten. Bleibt die Frage: Was mache ich mit dem Rest? Wahrscheinlich einfach zurückschicken. 

Herzliche Grüße
Ihr Yannic Werremeier

PS

Haben Sie weitere Ideen dazu, wie man unnötigen Lieferverkehr vermeiden oder die Paketflut durch attraktive Konzepte des Einzelhandels eindämmen könnte? Dann schreiben Sie mir.

Porträt von Yannik Werremeier

Yannic Werremeier

Zum Studium kam Yannic Werremeier nach Münster und blieb. An der Fachhochschule studierte er Bauingenieurwesen, während des Studiums trug er für die Deutsche Post Pakete und Briefe aus. Nach dem Studium arbeitete er als Verkehrsplaner für die Stadt Münster, unter anderem an der Planung und Umsetzung der Velorouten. Aktuell ist er beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Westdeutsche Kanäle angestellt und als Teilprojektleiter für den Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals in Münster zuständig.

Die Kolumne

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