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Kirchenstreit 2.0
In Münsters katholischer Welt brodelt es: Ein Pfarrer soll versetzt werden. Die Gemeinde wehrt sich. Ohne Erfolg. Auf den ersten Blick ist die Geschichte hier zu Ende. Aber es gibt noch eine Geschichte dahinter. Über sie ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Es geht um die Strukturen und das System der katholischen Kirche und um ihr Verhältnis zur geistlichen Gemeinschaft Emmanuel. Eine Annäherung.
Ende November berichteten die Westfälischen Nachrichten über eine Geschichte, die viele katholische Menschen in Münster seitdem immer wieder beschäftigt und vermutlich auch noch weiter beschäftigen wird. Auf den ersten Blick geht es nur darum, dass ein Pfarrer in eine andere Gemeinde versetzt wurde. Aber dahinter steckt sehr viel mehr. Man kann in Münster sozusagen unter der Lupe ein großes Thema beobachten: die Strukturen und das System der katholischen Kirche. Und dazu kommt eine geistliche Gemeinschaft, die in Münster aktiv, aber kaum bekannt ist.
Die Geschichte in der Kurzfassung: Thomas Laufmöller, seit 17 Jahren Pfarrer in der Gemeinde St. Stephanus in der Aaseestadt, hat vor fünf Wochen auf Anweisung des Bistums Münster eine neue Stelle angetreten. Gegen den Willen vieler Gemeindemitglieder, die den Pfarrer sehr schätzten, und auch er selbst wäre Berichten zufolge gerne geblieben. In der Gemeinde St. Stephanus formierte sich Widerstand, als Bischof Felix Genn die Entscheidung im November bekannt gab. Es gab Demonstrationen, einige Mitglieder gründeten die Initiative „Nicht mit uns“. Doch das Bistum blieb bei der Entscheidung.
Der Vorwurf: Eine geistliche Gemeinschaft hat den Bischof beeinflusst
Neben dem Pfarrer, der Kirchengemeinde und dem Bistum taucht in der Geschichte noch eine vierte Partei auf: die Gemeinschaft Emmanuel. Priester und andere Mitglieder dieser geistlichen Gemeinschaft (zu dem Begriff später mehr) arbeiten in den drei anderen Kirchengemeinden, die zur Großpfarrei St. Liudger gehören. Die Pastoren Cornelius Happel und Cyrus van Vught etwa sind Priester der Gemeinschaft Emmanuel.
Aus Sicht der Gruppe „Nicht mit uns“ ist das ein Problem. Sie wirft dem Bistum unter anderem vor, bei der Personalie Thomas Laufmöller den Wünschen der Gemeinschaft Emmanuel gefolgt zu sein, die als sehr konservativ gilt. Sie habe das Leben der Pfarrei nach ihren Vorstellungen gestalten wollen, so der Vorwurf. Der eher liberal eingestellte Pastor Laufmöller habe da nicht hineingepasst, daher habe die Gemeinschaft Emmanuel das Bistum beeinflusst und die Versetzung erwirkt.
Karl Render, der Personaldezernent des Bistums Münster, sagte im Interview mit den Westfälischen Nachrichten sinngemäß: Es ist Zeit für etwas Neues, sowohl für Pastor Laufmöller als auch für die Gemeinde St. Stephanus. In vielen Bistümern würden Pfarrer deshalb nach spätestens zwölf Jahren versetzt.
Es ist eine verfahrene Situation und sie ist schwierig einzuschätzen. Vielleicht stimmen beide Begründungen. Vielleicht ging es ab einem gewissen Punkt auch um Macht. Die Versetzung als solche und vor allem die Tatsache, dass sie vom 1. Juni auf den 19. März vorgezogen wurde, wirkten auf viele in der Gemeinde jedenfalls wie eine Machtdemonstration. Das Bistum sagte zu der vorzeitigen Versetzung: Es brauche jetzt einen „personellen Schnitt“, um nach den Auseinandersetzungen wieder Ruhe in die Gemeinde zu bringen. Und es wirft umgekehrt der Gruppe „Nicht mit uns“ vor, den Konflikt anzuheizen.
Wer oder was ist denn diese Gemeinschaft – außer „konservativ“?
Über die Gemeinschaft Emmanuel ist in den vielen Medienberichten kaum etwas zu erfahren. Das katholische Online-Portal Kirche und Leben zitiert in einem Bericht vom 28. März einen Sprecher der Gemeinde St. Stephanus, der sagt, es gehe um ein „Ringen zwischen den liberalen und konservativen Kräften“. Die Gemeinschaft Emmanuel lehre streng nach dem Katechismus und habe eine „anachronistische“ Haltung, unter anderem zur Rolle der Frau in der Kirche und zum Thema Sexualmoral. Eine Stellungnahme der Gemeinschaft selbst steht nicht in dem Beitrag, ebenso wenig in den Berichten der Westfälischen Nachrichten. Darin wird die Gemeinschaft Emmanuel ausschließlich als „konservativ“ beschrieben, zum Beispiel hier und hier.
Viele Fragen bleiben offen. Wer ist die Gemeinschaft Emmanuel? Was sind ihre Ziele, wen möchten sie ansprechen? In welchem Verhältnis steht sie zum Bistum? Und natürlich auch: Was ist dran an den oben genannten Vorwürfen?
Wir haben deshalb entschieden: Wir verlassen einmal das Geschehen in der Pfarrei St. Liudger, auch wenn es dort sicher noch einiges nachzufragen und zu klären gäbe, und gehen diesen Fragen nach. Wir haben bei unserer Recherche unter anderem einen Blick nach Frankreich geworfen, wo die Gemeinschaft Emmanuel gegründet wurde und viel größer ist als in Deutschland. Und wir haben mit zwei Kritikern, aber auch mit der Gemeinschaft selbst gesprochen und dem Bistum einige Fragen gestellt.
Eine Organisation zwischen Verein und kirchlichem Orden
Die Gemeinschaft Emmanuel ist eine von vielen sogenannten Neuen Geistlichen Gemeinschaften, die auf dem Online-Portal der katholischen Kirche in Deutschland so beschrieben werden: „Sie haben meist ein intensives Glaubensleben und wollen andere mit ihrer christlichen Überzeugung anstecken.“ Sie wurde in Frankreich gegründet, weltweit gehören ihr eigenen Angaben zufolge 11.500 Mitglieder an. Die meisten von ihnen sind Laien. Weltweit gibt es nur 270 Priester, sagt Martin Sinnhuber, der Mitglied der Regionalleitung der Gemeinschaft Emmanuel für Münster und Umgebung ist und als Seelsorger in der Pfarrei St. Liudger arbeitet. 21 Menschen aus Münster sind Mitglied, zehn weitere leben in der Umgebung, etwa in Ahaus, Warendorf und Osnabrück.
Formal ist die Gemeinschaft Emmanuel in Deutschland ein eingetragener Verein. Tatsächlich liegt sie organisatorisch aber zwischen einem Verein und einem kirchlichen Orden. Die Mitglieder müssen nicht Mönch oder Nonne werden. Aber man kann auch nicht einfach so beitreten. „Jede und jeder prüft für sich: Ist das der richtige Weg für mich, ist das meine Berufung?“, so beschreibt Martin Sinnhuber es. „Wenn ja, ist es ein verbindliches Engagement, das aber jährlich erneuert wird. Man hat jedes Jahr die Möglichkeit, zu sagen: Es ist nichts mehr für mich.“ Wer dabei bleibt, trifft sich regelmäßig mit anderen Mitgliedern, betet täglich und engagiert sich sozial, etwa bei der Tafel und beim Obdachlosentreffpunkt an der Clemenskirche.
Emmanuel House, Meetings, alles ganz locker?
Und wie hängen nun die Gemeinschaft und das Bistum zusammen? Das Bistum hat unsere Fragen zu den Hintergründen schriftlich und sehr ausführlich beantwortet. Pressesprecher Stephan Kronenburg schreibt uns unter anderem: „Die Gemeinschaft Emmanuel ist eine von vielen geistlichen Gemeinschaften, die es im Bistum Münster gibt. (…) Mitglieder von Emmanuel wie auch anderer Gemeinschaften und Orden wirken als Laien aktiv mit in Pfarreien, Pfarreiräten, stehen als Pastoralreferenten/-innen oder Priester im pastoralen Dienst oder üben andere kirchliche sowie nichtkirchliche Berufe aus. Es ist in vielen Bistümern üblich, nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Ordensgemeinschaften oder geistliche Gemeinschaften wie Emmanuel mit einer pastoralen Aufgabe oder der Mitwirkung in einem Aufgabenfeld zu betrauen, sei es die Obdachlosenpastoral, die Leitung eines Exerzitienhauses oder auch die Leitung einer Pfarrei.“
In Münster ist die Gemeinschaft Emmanuel nicht nur in der Pfarrei St. Liudger aktiv, sondern auch mitten in der Altstadt, ihre Einrichtung heißt Emmanuel House. Die Gemeinschaft bietet dort Glaubens-, Missions- und Ehevorbereitungskurse an. Einmal pro Woche findet außerdem das sogenannte Emmanuel Meeting statt, ein Gebetsabend in der Überwasserkirche. Auf dem Youtube-Kanal der Gemeinschaft sind einige dieser Abende zu sehen. Laut Martin Sinnhuber kommen jede Woche zwischen 40 und 100 vorwiegend junge Menschen, singen und hören Impulsvorträge.
Also alles ganz locker, modern und jugendlich? Nein, sagt der katholische Pfarrer und Kirchenkritiker Stefan Jürgens. „Neue Geistliche Gemeinschaften wie die Gemeinschaft Emmanuel stellen sich nach außen sehr modern dar. In Gottesdiensten und bei Veranstaltungen gibt es viel Musik, alles wirkt sehr locker-flockig. Tatsächlich sind diese Gemeinschaften aber restriktiv und autoritär“, sagt er. „Alles scheint mir auf Gehorsam aufgebaut zu sein, auch wenn die Mitglieder das sicher bestreiten würden. Ich selbst würde mich niemals einer solchen Gemeinschaft anschließen, weil mir dort meine Freiheit fehlen würde. Ich würde mich beinahe wie in einer Sekte fühlen. Die Gedanken werden immer in eine bestimmte Richtung gelenkt. Man darf dort nicht denken und fühlen, was man denken und fühlen möchte.“
Junge Menschen sind die Zielgruppe
So etwas ist natürlich ebenso schwer zu belegen wie zu widerlegen. Vor Gericht würde man sagen: Es steht Aussage gegen Aussage.
Dasselbe Bild ergibt sich bei der Frage nach der Zielgruppe. Martin Sinnhuber sagt: „Wir versuchen, mit unseren Emmanuel Meetings vor allem 20- bis 35-Jährige anzusprechen, etwa durch die musikalische Gestaltung. Grundsätzlich möchten wir aber alle Menschen erreichen, die noch nichts mit der Kirche zu tun hatten, und ihnen eine Heimat bieten.“
Stefan Jürgens sagt, die Zielgruppe seien „junge Erwachsene, die aus der Jugendphase heraus sind, in der man sich klassischerweise von der Kirche abwendet“. In Münster sind das natürlich vor allem Studierende, die neu in der Stadt sind, Halt und eine starke Anbindung suchen. „Auf dem gleichen Weg kommen Menschen übrigens auch zu Sekten, die in Lebenskrisen und Umbruchsituationen oft allzu einfache Lösungen anbieten, zum Preis der Unfreiheit“, so Jürgens.
„Ohne diese Priester kann die Kirche ihr System nicht erhalten“
Es ist also kompliziert, die Gemeinschaften sind umstritten. Aber warum werden ihre Mitglieder als Pfarrer eingesetzt? Weil die Neuen Geistlichen Gemeinschaften selten etwas in Frage stellen, sagt Stefan Jürgens: „Ihre Mitglieder sind der Kirchenleitung gegenüber gehorsam, sie kritisieren sie nicht und sind leicht zu händeln. Deshalb werden wichtige Ämter gerne mit Priestern solcher Gemeinschaften besetzt.“
Der Theologe und Journalist Christian Modehn, der schon seit vielen Jahren zu theologischen Themen arbeitet, hat noch eine andere Antwort: Die Kirche hat wegen des Priestermangels gar keine andere Wahl. Jedenfalls nicht, solange sie am Zölibat und am klerikalen System festhält. „Die katholische Kirche baut nach wie vor darauf, dass eine Gemeinde nur durch einen Priester geleitet werden kann“, sagt er. „Es gibt hunderte Laientheologinnen und -theologen, die gerne eine Gemeinde leiten würden. Frauen und Männer, die – wie die Priester auch – Theologie studiert haben und die Aufgabe gerne übernehmen würden. Aber sie dürfen nicht.“
In Deutschland wollen aber zu wenig junge Männer Priester werden, um alle Ämter besetzen zu können. Die Lösung sind Mitglieder der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Priester, die zum Beispiel aus Indien, Polen oder von den Philippinen nach Deutschland kommen. „Ohne diese Priester kann die Kirche ihr System nicht erhalten“, sagt Christian Modehn. Die Laientheolog:innen blieben in diesem System weiterhin „Theolog:innen zweiter Klasse“. Ein Punkt, den auch die Frauen der Bewegung Maria 2.0 kritisieren.
Gott hat entschieden: Keine geweihten Ämter für Frauen
Apropos System. Lehrt die Gemeinschaft Emmanuel denn nun streng nach dem Katechismus? Diese Frage beantwortet Martin Sinnhuber im Interview mit einer Gegenfrage: Ob wir wüssten, wie viele Paragraphen der Katechismus hat? Klar: 2865 (das haben wir natürlich nach dem Gespräch nachgeschaut, und zwar hier). Auf Nachfrage sagt Sinnhuber: „Der Katechismus ist die Zusammenfassung der kirchlichen Lehre. Wenn etwas aus Rom kommt, haben wir dazu erst einmal eine wohlwollende Haltung. Aber es ist erlaubt, kritische Fragen zu stellen und sich eigene Gedanken zu machen, wie wir damit umgehen.“
Gut, wir versuchen es anders. Wie fortschrittlich oder eben wie konservativ eine Kirche, ihre Vertreter:innen oder eine geistliche Gemeinschaft ist, wird üblicherweise an ihrer Haltung gegenüber Frauen und gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen gemessen.
Also: Wie sieht es aus mit den Frauen?
Soweit wir recherchieren konnten, ist die Gemeinschaft Emmanuel da nicht konservativer, als es die Amtskirche offiziell ist (falls Sie etwas anderes wissen, schreiben Sie uns). Frauen können und sollen mitmachen, in Münster etwa seien auch Frauen im Leitungsteam und sprechen bei den Meetings, sagt Martin Sinnhuber. Aber das Priesteramt ist natürlich Männern vorbehalten. Das könnte die Gemeinschaft auch nicht anders entscheiden, selbst wenn sie wollte. Die Regeln kommen aus Rom.
„Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann. Jesus, der Herr, hat Männer gewählt, um das Kollegium der zwölf Apostel zu bilden, und die Apostel taten das gleiche, als sie Mitarbeiter wählten, die ihnen in ihrer Aufgabe nachfolgen sollten. (…) Die Kirche weiß sich durch diese Wahl, die der Herr selbst getroffen hat, gebunden. Darum ist es nicht möglich, Frauen zu weihen“, so steht es im Katechismus. Die Kirche sagt also: Sie darf das gar nicht entscheiden, denn Gott hat es entschieden.
So argumentiert auch ein Priester der Gemeinschaft Emmanuel, der bis vor Kurzem in Münster tätig war und für ein Blog-Projekt ein Jahr lang immer wieder mit einer feministischen Journalistin gesprochen hat. Hier geht es zum Text über „das Frauenthema“. Der Blog ist sehr empfehlenswert. Was man beim Lesen aber im Kopf behalten sollte: Die Kirche hat das Projekt bezahlt.
Über das Argument, Jesus habe nur Männer ausgesucht, könnte man sehr lange streiten. Um es abzukürzen, verlinken wir stattdessen einen Text mit einer spannenden Gegenposition. Kurz zusammengefasst lautet sie: Die Kirche hat da etwas falsch verstanden. In der Bibel steht zwar nicht Apostel:innen, sondern Apostel. Aber so wie heute bei rein männlichen Formen, etwa „Ministerpräsidenten“, ist es auch im Bibeltext: Frauen sind mitgemeint.
Fairerweise muss man sagen, dass inzwischen nicht nur feministische Theologinnen die Gründe anzweifeln, die gegen die Frauenweihe vorgebracht werden. Auch Amtsträger der katholischen Kirche tun das, etwa Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Er argumentiert theologisch, aber auch ganz praktisch: Die Haltung sei den Menschen heutzutage einfach nicht mehr zu vermitteln.
Reizthema Homosexualität
Die Gruppe „Nicht mit uns“ hat auf ihrer Website inzwischen eine Art Dossier über die Gemeinschaft Emmanuel veröffentlicht, in dem sie ihre Vorwürfe aufführt. Einer davon ist, die Gemeinschaft äußere sich „in einer für viele Menschen schwierigen Art und Weise über Homosexualität“, zum Beispiel hier. Vertreter:innen der Initiative, aber auch eine andere Gesprächspartnerin schickten uns außerdem den Link zu einer Dokumentation des Fernsehsenders Arte. Der Film heißt „Homo-Heilung. Wie krank ist Konversionstherapie“ (dazu ein Warnhinweis: In dem Film sind Lobotomie-Eingriffe und ein Exorzismus zu sehen beziehungsweise zu hören). Neben vielen anderen christlichen und weltlichen Organisationen taucht darin auch die Gemeinschaft Emmanuel auf (ab Minute 35). Es wird berichtet, dass sie mehrere Jahre lang Vertreter:innen der Organisation Courage International zu großen Veranstaltungen eingeladen habe. Diese will homosexuelle Menschen dabei unterstützen, keusch oder heterosexuell zu leben, und soll bei den Treffen der Gemeinschaft Emmanuel Menschen entsprechend beraten haben.
Der Film zeigt außerdem, wie sich ein Journalist als ratsuchender Homosexueller ausgegeben und (mit versteckter Kamera) mit einem Priester gesprochen hat. Der rät ihm, mit psychologischer Hilfe seine heterosexuelle Seite zu stärken, denn es gebe auch „vorübergehende Homosexualität“. An dieser Stelle hat das Filmteam unsauber gearbeitet: Es wird nicht klar, ob der Priester der Gemeinschaft Emmanuel oder der Organisation Courage International angehört. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Haltung der Beteiligten zumindest zu diesem Zeitpunkt dieselbe war.
Martin Sinnhuber sagt in unserem Gespräch, die Gemeinschaft habe keine Konversionstherapien durchgeführt. Die Veranstaltung sei ein Sommertreffen gewesen, ähnlich wie der Katholikentag, und Courage International habe dort von seiner Arbeit berichtet. Aufgrund der öffentlichen Kritik habe die Gemeinschaft Emmanuel die Zusammenarbeit inzwischen aber beendet.
Eine gemeinsame Haltung der Gemeinschaft zum Thema gleichgeschlechtliche Beziehungen gibt es Sinnhuber zufolge nicht. Jedes Mitglied habe seine eigene Haltung dazu. „Ich habe schon mit einem homosexuellen Paar um Segen für die Beziehung gebetet“, sagt er.
Die offizielle Haltung der katholischen Kirche ist: Kein Mensch wird für seine sexuelle Neigung verurteilt (denn sie oder er kann ja nichts dafür). Aber homosexuelle Menschen sollten ihre Neigung nicht ausleben. Dazu sagt Martin Sinnhuber nach einigem Zögern: „Daran würde ich ein Fragezeichen machen.“
Die Gemeinschaft Emmanuel in Frankreich schreibt in einer Stellungnahme zu der Arte-Dokumentation: Courage International wurde auf Wunsch einiger Mitglieder eingeladen, die die Organisation schon kannten und die Unterstützung suchten. Das bedeutet: Homosexuelle Menschen hatten offenbar das Gefühl, dass ihre Sexualität und ihr Glaube miteinander kollidieren und dass mit ihnen etwas nicht richtig ist. Gläubige Menschen kann so etwas in eine tiefe Krise stürzen, schlimmstenfalls kann es sie krank machen. Auch darum geht es in der Arte-Dokumentation.
Selbst wenn die Gemeinschaft in Münster sich von all dem distanziert, der Eindruck, sie lehne Homosexualität ab, bleibt hängen. Eine Frau aus der Gemeinde St. Stephanus sagt: „Das sind Werte, die ich nicht vertreten kann.“ Sie sei „eigentlich gar nicht so katholisch“ und gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche. Aber was sie über die Gemeinschaft Emmanuel und ihre Grundeinstellung erfahren habe, behage ihr nicht. „Die Kirchengemeinde sollte doch offen und für alle da sein.“
Update 19. April 2021
Nachdem wir diesen Beitrag veröffentlicht hatten, ist auf unserer Facebook-Seite eine lebhafte Diskussion über das Thema entstanden. Einen Kommentar möchten wir hier gerne aufgreifen: Ein Leser weist darauf hin, dass die Gemeinschaft Emmanuel in Frankreich durch ihre Nähe zur rechtsextremen Partei Rassemblement National (früher Front National) aufgefallen ist. Dominique Rey, der Bischof von Fréjus-Toulon und in Frankreich ein führendes Mitglied der Gemeinschaft Emmanuel, hat die Politikerin Marion Maréchal Le Pen vor einigen Jahren zu einer Veranstaltung eingeladen. Sie ist die Enkelin von Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen und die Nichte der FN-Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen und war von 2012 bis 2017 Front-National-Abgeordnete im französischen Parlament. Inzwischen hat sie sich aus der Politik zurückgezogen und den Nachnamen Le Pen abgelegt.
Die oben erwähnte katholische Veranstaltung fand 2015 kurz vor den Regionalwahlen statt, Marion Maréchal machte dort Wahlkampf für den Front National. Durch die Einladung wurde sie „unter Katholiken in Südfrankreich erneut ‚als normale Politikerin‘ dargestellt“, wie unser Interviewpartner Christian Modehn in einem Text über die Verbindungen zwischen Katholik:innen und der rechtsradikalen Partei in Frankreich schreibt. Im Interview sagte er uns, der Front National sei schon seit den Anfängen sehr stark im katholischen Milieu verwurzelt. Darum geht es auch in diesem Text.
Update 7. Mai 2021
In den vergangenen Wochen haben wir weitere Nachrichten zu diesem Beitrag bekommen. Die Gemeinschaft Emmanuel forderte uns auf, eine Korrekturmeldung zu veröffentlichen. Es sei fälschlicherweise ein Zusammenhang zwischen ihrer Gemeinschaft und Sekten hergestellt worden. Das habe unser Interviewpartner Stefan Jürgens nicht so gesagt, wie die Gemeinschaft Emmanuel in einem Gespräch mit ihm erfahren habe.
Stefan Jürgens hat diesen Zusammenhang in unserem Interview aber tatsächlich hergestellt. Alle seine Zitate waren im Wortlaut und im jeweiligen Kontext, in dem sie jetzt in unserem Beitrag stehen, schriftlich mit Stefan Jürgens abgestimmt und von ihm freigegeben. Wir hatten ihm dazu ein Word-Dokument geschickt mit der Überschrift „Stefan Jürgens zur Gemeinschaft Emmanuel“, auch im Dokument tauchte der Name der Gemeinschaft noch mehrfach auf. Ein Missverständnis ist ausgeschlossen.
Auch Stefan Jürgens selbst hat sich bei uns gemeldet und uns eine ausführliche Stellungnahme geschickt mit der Bitte, diese zu veröffentlichen. Darin schreibt er unter anderem, wir hätten im Interview zwar nach der Gemeinschaft Emmanuel gefragt, er habe jedoch „eher allgemein“ geantwortet und sich mit einigen Aussagen auf andere Gemeinschaften bezogen.
Wir haben Stefan Jürgens angeboten, seine Stellungnahme zu veröffentlichen, allerdings nur in Verbindung mit einer Veröffentlichung des Dokuments, in dem wir die Zitate abgestimmt haben. Er hat das abgelehnt, weil in dem Dokument noch weitere Zitate mit Bezug zur Gemeinschaft Emmanuel stehen, die wir im Text nicht verwendet haben, die Herr Jürgens aber nicht veröffentlicht sehen will.
Es geht uns hier nicht darum, einen Konflikt weiter anzuheizen. Wir möchten uns aber ausdrücklich gegen den Verdacht und das offenbar kursierende Gerücht verwehren, wir hätten nicht sauber gearbeitet und Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, um einen tendenziösen Text zu veröffentlichen.
Wir sind weiterhin gerne bereit, die Stellungnahme von Herrn Jürgens zu veröffentlichen. Wie oben erläutert aber nur in Verbindung mit seinen Zitaten, um unsere Arbeitsweise und die Abstimmung transparent zu machen, die dem Beitrag vorausging.
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