Kirchenstreit 2.0

In Müns­ters katho­li­scher Welt bro­delt es: Ein Pfar­rer soll ver­setzt wer­den. Die Gemein­de wehrt sich. Ohne Erfolg. Auf den ers­ten Blick ist die Geschich­te hier zu Ende. Aber es gibt noch eine Geschich­te dahin­ter. Über sie ist in der Öffent­lich­keit wenig bekannt. Es geht um die Struk­tu­ren und das Sys­tem der katho­li­schen Kir­che und um ihr Ver­hält­nis zur geist­li­chen Gemein­schaft Emma­nu­el. Eine Annäherung.

Text: CONSTANZE BUSCH
Mit­ar­beit: JOHANNE BURKHARDT, ANTONIA STROTMANN
Titel­fo­to: NIKOLAUS URBAN


Ende Novem­ber berich­te­ten die West­fä­li­schen Nach­rich­ten über eine Geschich­te, die vie­le katho­li­sche Men­schen in Müns­ter seit­dem immer wie­der beschäf­tigt und ver­mut­lich auch noch wei­ter beschäf­ti­gen wird. Auf den ers­ten Blick geht es nur dar­um, dass ein Pfar­rer in eine ande­re Gemein­de ver­setzt wur­de. Aber dahin­ter steckt sehr viel mehr. Man kann in Müns­ter sozu­sa­gen unter der Lupe ein gro­ßes The­ma beob­ach­ten: die Struk­tu­ren und das Sys­tem der katho­li­schen Kir­che. Und dazu kommt eine geist­li­che Gemein­schaft, die in Müns­ter aktiv, aber kaum bekannt ist.

Die Geschich­te in der Kurz­fas­sung: Tho­mas Laufmöl­ler, seit 17 Jah­ren Pfar­rer in der Gemein­de St. Ste­pha­nus in der Aasee­stadt, hat vor fünf Wochen auf Anwei­sung des Bis­tums Müns­ter eine neue Stel­le ange­tre­ten. Gegen den Wil­len vie­ler Gemein­de­mit­glie­der, die den Pfar­rer sehr schätz­ten, und auch er selbst wäre Berich­ten zufol­ge ger­ne geblie­ben. In der Gemein­de St. Ste­pha­nus for­mier­te sich Wider­stand, als Bischof Felix Genn die Ent­schei­dung im Novem­ber bekannt gab. Es gab Demons­tra­tio­nen, eini­ge Mit­glie­der grün­de­ten die Initia­ti­ve „Nicht mit uns“. Doch das Bis­tum blieb bei der Entscheidung.

Der Vorwurf: Eine geistliche Gemeinschaft hat den Bischof beeinflusst

Neben dem Pfar­rer, der Kir­chen­ge­mein­de und dem Bis­tum taucht in der Geschich­te noch eine vier­te Par­tei auf: die Gemein­schaft Emma­nu­el. Pries­ter und ande­re Mit­glie­der die­ser geist­li­chen Gemein­schaft (zu dem Begriff spä­ter mehr) arbei­ten in den drei ande­ren Kir­chen­ge­mein­den, die zur Groß­pfar­rei St. Liud­ger gehö­ren. Die Pas­to­ren Cor­ne­li­us Hap­pel und Cyrus van Vught etwa sind Pries­ter der Gemein­schaft Emmanuel.

Aus Sicht der Grup­pe „Nicht mit uns“ ist das ein Pro­blem. Sie wirft dem Bis­tum unter ande­rem vor, bei der Per­so­na­lie Tho­mas Laufmöl­ler den Wün­schen der Gemein­schaft Emma­nu­el gefolgt zu sein, die als sehr kon­ser­va­tiv gilt. Sie habe das Leben der Pfar­rei nach ihren Vor­stel­lun­gen gestal­ten wol­len, so der Vor­wurf. Der eher libe­ral ein­ge­stell­te Pas­tor Laufmöl­ler habe da nicht hin­ein­ge­passt, daher habe die Gemein­schaft Emma­nu­el das Bis­tum beein­flusst und die Ver­set­zung erwirkt.

Karl Ren­der, der Per­so­nal­de­zer­nent des Bis­tums Müns­ter, sag­te im Inter­view mit den West­fä­li­schen Nach­rich­ten sinn­ge­mäß: Es ist Zeit für etwas Neu­es, sowohl für Pas­tor Laufmöl­ler als auch für die Gemein­de St. Ste­pha­nus. In vie­len Bis­tü­mern wür­den Pfar­rer des­halb nach spä­tes­tens zwölf Jah­ren versetzt.

Es ist eine ver­fah­re­ne Situa­ti­on und sie ist schwie­rig ein­zu­schät­zen. Viel­leicht stim­men bei­de Begrün­dun­gen. Viel­leicht ging es ab einem gewis­sen Punkt auch um Macht. Die Ver­set­zung als sol­che und vor allem die Tat­sa­che, dass sie vom 1. Juni auf den 19. März vor­ge­zo­gen wur­de, wirk­ten auf vie­le in der Gemein­de jeden­falls wie eine Macht­de­mons­tra­ti­on. Das Bis­tum sag­te zu der vor­zei­ti­gen Ver­set­zung: Es brau­che jetzt einen „per­so­nel­len Schnitt“, um nach den Aus­ein­an­der­set­zun­gen wie­der Ruhe in die Gemein­de zu brin­gen. Und es wirft umge­kehrt der Grup­pe „Nicht mit uns“ vor, den Kon­flikt anzuheizen.

Wer oder was ist denn diese Gemeinschaft – außer „konservativ“?

Über die Gemein­schaft Emma­nu­el ist in den vie­len Medi­en­be­rich­ten kaum etwas zu erfah­ren. Das katho­li­sche Online-Por­tal Kir­che und Leben zitiert in einem Bericht vom 28. März einen Spre­cher der Gemein­de St. Ste­pha­nus, der sagt, es gehe um ein „Rin­gen zwi­schen den libe­ra­len und kon­ser­va­ti­ven Kräf­ten“. Die Gemein­schaft Emma­nu­el leh­re streng nach dem Kate­chis­mus und habe eine „ana­chro­nis­ti­sche“ Hal­tung, unter ande­rem zur Rol­le der Frau in der Kir­che und zum The­ma Sexu­al­mo­ral. Eine Stel­lung­nah­me der Gemein­schaft selbst steht nicht in dem Bei­trag, eben­so wenig in den Berich­ten der West­fä­li­schen Nach­rich­ten. Dar­in wird die Gemein­schaft Emma­nu­el aus­schließ­lich als „kon­ser­va­tiv“ beschrie­ben, zum Bei­spiel hier und hier.

Vie­le Fra­gen blei­ben offen. Wer ist die Gemein­schaft Emma­nu­el? Was sind ihre Zie­le, wen möch­ten sie anspre­chen? In wel­chem Ver­hält­nis steht sie zum Bis­tum? Und natür­lich auch: Was ist dran an den oben genann­ten Vorwürfen?

Wir haben des­halb ent­schie­den: Wir ver­las­sen ein­mal das Gesche­hen in der Pfar­rei St. Liud­ger, auch wenn es dort sicher noch eini­ges nach­zu­fra­gen und zu klä­ren gäbe, und gehen die­sen Fra­gen nach. Wir haben bei unse­rer Recher­che unter ande­rem einen Blick nach Frank­reich gewor­fen, wo die Gemein­schaft Emma­nu­el gegrün­det wur­de und viel grö­ßer ist als in Deutsch­land. Und wir haben mit zwei Kri­ti­kern, aber auch mit der Gemein­schaft selbst gespro­chen und dem Bis­tum eini­ge Fra­gen gestellt.

Eine Organisation zwischen Verein und kirchlichem Orden

Die Gemein­schaft Emma­nu­el ist eine von vie­len soge­nann­ten Neu­en Geist­li­chen Gemein­schaf­ten, die auf dem Online-Por­tal der katho­li­schen Kir­che in Deutsch­land so beschrie­ben wer­den: „Sie haben meist ein inten­si­ves Glau­bens­le­ben und wol­len ande­re mit ihrer christ­li­chen Über­zeu­gung anste­cken.“ Sie wur­de in Frank­reich gegrün­det, welt­weit gehö­ren ihr eige­nen Anga­ben zufol­ge 11.500 Mit­glie­der an. Die meis­ten von ihnen sind Lai­en. Welt­weit gibt es nur 270 Pries­ter, sagt Mar­tin Sinn­hu­ber, der Mit­glied der Regio­nal­lei­tung der Gemein­schaft Emma­nu­el für Müns­ter und Umge­bung ist und als Seel­sor­ger in der Pfar­rei St. Liud­ger arbei­tet. 21 Men­schen aus Müns­ter sind Mit­glied, zehn wei­te­re leben in der Umge­bung, etwa in Ahaus, Waren­dorf und Osnabrück.

For­mal ist die Gemein­schaft Emma­nu­el in Deutsch­land ein ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein. Tat­säch­lich liegt sie orga­ni­sa­to­risch aber zwi­schen einem Ver­ein und einem kirch­li­chen Orden. Die Mit­glie­der müs­sen nicht Mönch oder Non­ne wer­den. Aber man kann auch nicht ein­fach so bei­tre­ten. „Jede und jeder prüft für sich: Ist das der rich­ti­ge Weg für mich, ist das mei­ne Beru­fung?“, so beschreibt Mar­tin Sinn­hu­ber es. „Wenn ja, ist es ein ver­bind­li­ches Enga­ge­ment, das aber jähr­lich erneu­ert wird. Man hat jedes Jahr die Mög­lich­keit, zu sagen: Es ist nichts mehr für mich.“ Wer dabei bleibt, trifft sich regel­mä­ßig mit ande­ren Mit­glie­dern, betet täg­lich und enga­giert sich sozi­al, etwa bei der Tafel und beim Obdach­lo­sen­treff­punkt an der Clemenskirche.

Emmanuel House, Meetings, alles ganz locker?

Und wie hän­gen nun die Gemein­schaft und das Bis­tum zusam­men? Das Bis­tum hat unse­re Fra­gen zu den Hin­ter­grün­den schrift­lich und sehr aus­führ­lich beant­wor­tet. Pres­se­spre­cher Ste­phan Kro­nen­burg schreibt uns unter ande­rem: „Die Gemein­schaft Emma­nu­el ist eine von vie­len geist­li­chen Gemein­schaf­ten, die es im Bis­tum Müns­ter gibt. (…) Mit­glie­der von Emma­nu­el wie auch ande­rer Gemein­schaf­ten und Orden wir­ken als Lai­en aktiv mit in Pfar­rei­en, Pfar­rei­rä­ten, ste­hen als Pas­to­ral­re­fe­ren­ten/-innen oder Pries­ter im pas­to­ra­len Dienst oder üben ande­re kirch­li­che sowie nicht­kirch­li­che Beru­fe aus. Es ist in vie­len Bis­tü­mern üblich, nicht nur Ein­zel­per­so­nen, son­dern auch Ordens­ge­mein­schaf­ten oder geist­li­che Gemein­schaf­ten wie Emma­nu­el mit einer pas­to­ra­len Auf­ga­be oder der Mit­wir­kung in einem Auf­ga­ben­feld zu betrau­en, sei es die Obdach­lo­sen­pas­to­ral, die Lei­tung eines Exer­zi­ti­en­hau­ses oder auch die Lei­tung einer Pfarrei.“

In Müns­ter ist die Gemein­schaft Emma­nu­el nicht nur in der Pfar­rei St. Liud­ger aktiv, son­dern auch mit­ten in der Alt­stadt, ihre Ein­rich­tung heißt Emma­nu­el House. Die Gemein­schaft bie­tet dort Glau­bens-, Mis­si­ons- und Ehe­vor­be­rei­tungs­kur­se an. Ein­mal pro Woche fin­det außer­dem das soge­nann­te Emma­nu­el Mee­ting statt, ein Gebets­abend in der Über­was­ser­kir­che. Auf dem You­tube-Kanal der Gemein­schaft sind eini­ge die­ser Aben­de zu sehen. Laut Mar­tin Sinn­hu­ber kom­men jede Woche zwi­schen 40 und 100 vor­wie­gend jun­ge Men­schen, sin­gen und hören Impulsvorträge.

Also alles ganz locker, modern und jugend­lich? Nein, sagt der katho­li­sche Pfar­rer und Kir­chen­kri­ti­ker Ste­fan Jür­gens. „Neue Geist­li­che Gemein­schaf­ten wie die Gemein­schaft Emma­nu­el stel­len sich nach außen sehr modern dar. In Got­tes­diens­ten und bei Ver­an­stal­tun­gen gibt es viel Musik, alles wirkt sehr locker-flo­ckig. Tat­säch­lich sind die­se Gemein­schaf­ten aber restrik­tiv und auto­ri­tär“, sagt er. „Alles scheint mir auf Gehor­sam auf­ge­baut zu sein, auch wenn die Mit­glie­der das sicher bestrei­ten wür­den. Ich selbst wür­de mich nie­mals einer sol­chen Gemein­schaft anschlie­ßen, weil mir dort mei­ne Frei­heit feh­len wür­de. Ich wür­de mich bei­na­he wie in einer Sek­te füh­len. Die Gedan­ken wer­den immer in eine bestimm­te Rich­tung gelenkt. Man darf dort nicht den­ken und füh­len, was man den­ken und füh­len möchte.“

Junge Menschen sind die Zielgruppe

So etwas ist natür­lich eben­so schwer zu bele­gen wie zu wider­le­gen. Vor Gericht wür­de man sagen: Es steht Aus­sa­ge gegen Aussage.

Das­sel­be Bild ergibt sich bei der Fra­ge nach der Ziel­grup­pe. Mar­tin Sinn­hu­ber sagt: „Wir ver­su­chen, mit unse­ren Emma­nu­el Mee­tings vor allem 20- bis 35-Jäh­ri­ge anzu­spre­chen, etwa durch die musi­ka­li­sche Gestal­tung. Grund­sätz­lich möch­ten wir aber alle Men­schen errei­chen, die noch nichts mit der Kir­che zu tun hat­ten, und ihnen eine Hei­mat bieten.“

Ste­fan Jür­gens sagt, die Ziel­grup­pe sei­en „jun­ge Erwach­se­ne, die aus der Jugend­pha­se her­aus sind, in der man sich klas­si­scher­wei­se von der Kir­che abwen­det“. In Müns­ter sind das natür­lich vor allem Stu­die­ren­de, die neu in der Stadt sind, Halt und eine star­ke Anbin­dung suchen. „Auf dem glei­chen Weg kom­men Men­schen übri­gens auch zu Sek­ten, die in Lebens­kri­sen und Umbruch­si­tua­tio­nen oft all­zu ein­fa­che Lösun­gen anbie­ten, zum Preis der Unfrei­heit“, so Jürgens.

„Ohne diese Priester kann die Kirche ihr System nicht erhalten“

Es ist also kom­pli­ziert, die Gemein­schaf­ten sind umstrit­ten. Aber war­um wer­den ihre Mit­glie­der als Pfar­rer ein­ge­setzt? Weil die Neu­en Geist­li­chen Gemein­schaf­ten sel­ten etwas in Fra­ge stel­len, sagt Ste­fan Jür­gens: „Ihre Mit­glie­der sind der Kir­chen­lei­tung gegen­über gehor­sam, sie kri­ti­sie­ren sie nicht und sind leicht zu hän­deln. Des­halb wer­den wich­ti­ge Ämter ger­ne mit Pries­tern sol­cher Gemein­schaf­ten besetzt.“

Der Theo­lo­ge und Jour­na­list Chris­ti­an Modehn, der schon seit vie­len Jah­ren zu theo­lo­gi­schen The­men arbei­tet, hat noch eine ande­re Ant­wort: Die Kir­che hat wegen des Pries­ter­man­gels gar kei­ne ande­re Wahl. Jeden­falls nicht, solan­ge sie am Zöli­bat und am kle­ri­ka­len Sys­tem fest­hält. „Die katho­li­sche Kir­che baut nach wie vor dar­auf, dass eine Gemein­de nur durch einen Pries­ter gelei­tet wer­den kann“, sagt er. „Es gibt hun­der­te Lai­en­theo­lo­gin­nen und -theo­lo­gen, die ger­ne eine Gemein­de lei­ten wür­den. Frau­en und Män­ner, die – wie die Pries­ter auch – Theo­lo­gie stu­diert haben und die Auf­ga­be ger­ne über­neh­men wür­den. Aber sie dür­fen nicht.“

In Deutsch­land wol­len aber zu wenig jun­ge Män­ner Pries­ter wer­den, um alle Ämter beset­zen zu kön­nen. Die Lösung sind Mit­glie­der der Neu­en Geist­li­chen Gemein­schaf­ten und Pries­ter, die zum Bei­spiel aus Indi­en, Polen oder von den Phil­ip­pi­nen nach Deutsch­land kom­men. „Ohne die­se Pries­ter kann die Kir­che ihr Sys­tem nicht erhal­ten“, sagt Chris­ti­an Modehn. Die Laientheolog:innen blie­ben in die­sem Sys­tem wei­ter­hin „Theolog:innen zwei­ter Klas­se“. Ein Punkt, den auch die Frau­en der Bewe­gung Maria 2.0 kritisieren.

Gott hat entschieden: Keine geweihten Ämter für Frauen

Apro­pos Sys­tem. Lehrt die Gemein­schaft Emma­nu­el denn nun streng nach dem Kate­chis­mus? Die­se Fra­ge beant­wor­tet Mar­tin Sinn­hu­ber im Inter­view mit einer Gegen­fra­ge: Ob wir wüss­ten, wie vie­le Para­gra­phen der Kate­chis­mus hat? Klar: 2865 (das haben wir natür­lich nach dem Gespräch nach­ge­schaut, und zwar hier). Auf Nach­fra­ge sagt Sinn­hu­ber: „Der Kate­chis­mus ist die Zusam­men­fas­sung der kirch­li­chen Leh­re. Wenn etwas aus Rom kommt, haben wir dazu erst ein­mal eine wohl­wol­len­de Hal­tung. Aber es ist erlaubt, kri­ti­sche Fra­gen zu stel­len und sich eige­ne Gedan­ken zu machen, wie wir damit umgehen.“

Gut, wir ver­su­chen es anders. Wie fort­schritt­lich oder eben wie kon­ser­va­tiv eine Kir­che, ihre Vertreter:innen oder eine geist­li­che Gemein­schaft ist, wird übli­cher­wei­se an ihrer Hal­tung gegen­über Frau­en und gegen­über gleich­ge­schlecht­li­chen Bezie­hun­gen gemessen.

Also: Wie sieht es aus mit den Frauen?

Soweit wir recher­chie­ren konn­ten, ist die Gemein­schaft Emma­nu­el da nicht kon­ser­va­ti­ver, als es die Amts­kir­che offi­zi­ell ist (falls Sie etwas ande­res wis­sen, schrei­ben Sie uns). Frau­en kön­nen und sol­len mit­ma­chen, in Müns­ter etwa sei­en auch Frau­en im Lei­tungs­team und spre­chen bei den Mee­tings, sagt Mar­tin Sinn­hu­ber. Aber das Pries­ter­amt ist natür­lich Män­nern vor­be­hal­ten. Das könn­te die Gemein­schaft auch nicht anders ent­schei­den, selbst wenn sie woll­te. Die Regeln kom­men aus Rom.

„Die hei­li­ge Wei­he emp­fängt gül­tig nur ein getauf­ter Mann. Jesus, der Herr, hat Män­ner gewählt, um das Kol­le­gi­um der zwölf Apos­tel zu bil­den, und die Apos­tel taten das glei­che, als sie Mit­ar­bei­ter wähl­ten, die ihnen in ihrer Auf­ga­be nach­fol­gen soll­ten. (…) Die Kir­che weiß sich durch die­se Wahl, die der Herr selbst getrof­fen hat, gebun­den. Dar­um ist es nicht mög­lich, Frau­en zu wei­hen“, so steht es im Kate­chis­mus. Die Kir­che sagt also: Sie darf das gar nicht ent­schei­den, denn Gott hat es entschieden.

So argu­men­tiert auch ein Pries­ter der Gemein­schaft Emma­nu­el, der bis vor Kur­zem in Müns­ter tätig war und für ein Blog-Pro­jekt ein Jahr lang immer wie­der mit einer femi­nis­ti­schen Jour­na­lis­tin gespro­chen hat. Hier geht es zum Text über „das Frau­en­the­ma“. Der Blog ist sehr emp­feh­lens­wert. Was man beim Lesen aber im Kopf behal­ten soll­te: Die Kir­che hat das Pro­jekt bezahlt.

Über das Argu­ment, Jesus habe nur Män­ner aus­ge­sucht, könn­te man sehr lan­ge strei­ten. Um es abzu­kür­zen, ver­lin­ken wir statt­des­sen einen Text mit einer span­nen­den Gegen­po­si­ti­on. Kurz zusam­men­ge­fasst lau­tet sie: Die Kir­che hat da etwas falsch ver­stan­den. In der Bibel steht zwar nicht Apostel:innen, son­dern Apos­tel. Aber so wie heu­te bei rein männ­li­chen For­men, etwa „Minis­ter­prä­si­den­ten“, ist es auch im Bibel­text: Frau­en sind mitgemeint.

Fai­rer­wei­se muss man sagen, dass inzwi­schen nicht nur femi­nis­ti­sche Theo­lo­gin­nen die Grün­de anzwei­feln, die gegen die Frau­en­wei­he vor­ge­bracht wer­den. Auch Amts­trä­ger der katho­li­schen Kir­che tun das, etwa Bischof Georg Bät­zing, der Vor­sit­zen­de der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Er argu­men­tiert theo­lo­gisch, aber auch ganz prak­tisch: Die Hal­tung sei den Men­schen heut­zu­ta­ge ein­fach nicht mehr zu vermitteln.

Reizthema Homosexualität

Die Grup­pe „Nicht mit uns“ hat auf ihrer Web­site inzwi­schen eine Art Dos­sier über die Gemein­schaft Emma­nu­el ver­öf­fent­licht, in dem sie ihre Vor­wür­fe auf­führt. Einer davon ist, die Gemein­schaft äuße­re sich „in einer für vie­le Men­schen schwie­ri­gen Art und Wei­se über Homo­se­xua­li­tät“, zum Bei­spiel hier. Vertreter:innen der Initia­ti­ve, aber auch eine ande­re Gesprächs­part­ne­rin schick­ten uns außer­dem den Link zu einer Doku­men­ta­ti­on des Fern­seh­sen­ders Arte. Der Film heißt „Homo-Hei­lung. Wie krank ist Kon­ver­si­ons­the­ra­pie“ (dazu ein Warn­hin­weis: In dem Film sind Lobo­to­mie-Ein­grif­fe und ein Exor­zis­mus zu sehen bezie­hungs­wei­se zu hören). Neben vie­len ande­ren christ­li­chen und welt­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen taucht dar­in auch die Gemein­schaft Emma­nu­el auf (ab Minu­te 35). Es wird berich­tet, dass sie meh­re­re Jah­re lang Vertreter:innen der Orga­ni­sa­ti­on Cou­ra­ge Inter­na­tio­nal zu gro­ßen Ver­an­stal­tun­gen ein­ge­la­den habe. Die­se will homo­se­xu­el­le Men­schen dabei unter­stüt­zen, keusch oder hete­ro­se­xu­ell zu leben, und soll bei den Tref­fen der Gemein­schaft Emma­nu­el Men­schen ent­spre­chend bera­ten haben.

Der Film zeigt außer­dem, wie sich ein Jour­na­list als rat­su­chen­der Homo­se­xu­el­ler aus­ge­ge­ben und (mit ver­steck­ter Kame­ra) mit einem Pries­ter gespro­chen hat. Der rät ihm, mit psy­cho­lo­gi­scher Hil­fe sei­ne hete­ro­se­xu­el­le Sei­te zu stär­ken, denn es gebe auch „vor­über­ge­hen­de Homo­se­xua­li­tät“. An die­ser Stel­le hat das Film­team unsau­ber gear­bei­tet: Es wird nicht klar, ob der Pries­ter der Gemein­schaft Emma­nu­el oder der Orga­ni­sa­ti­on Cou­ra­ge Inter­na­tio­nal ange­hört. Den­noch ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Hal­tung der Betei­lig­ten zumin­dest zu die­sem Zeit­punkt die­sel­be war.

Mar­tin Sinn­hu­ber sagt in unse­rem Gespräch, die Gemein­schaft habe kei­ne Kon­ver­si­ons­the­ra­pien durch­ge­führt. Die Ver­an­stal­tung sei ein Som­mer­tref­fen gewe­sen, ähn­lich wie der Katho­li­ken­tag, und Cou­ra­ge Inter­na­tio­nal habe dort von sei­ner Arbeit berich­tet. Auf­grund der öffent­li­chen Kri­tik habe die Gemein­schaft Emma­nu­el die Zusam­men­ar­beit inzwi­schen aber beendet.

Eine gemein­sa­me Hal­tung der Gemein­schaft zum The­ma gleich­ge­schlecht­li­che Bezie­hun­gen gibt es Sinn­hu­ber zufol­ge nicht. Jedes Mit­glied habe sei­ne eige­ne Hal­tung dazu. „Ich habe schon mit einem homo­se­xu­el­len Paar um Segen für die Bezie­hung gebe­tet“, sagt er.

Die offi­zi­el­le Hal­tung der katho­li­schen Kir­che ist: Kein Mensch wird für sei­ne sexu­el­le Nei­gung ver­ur­teilt (denn sie oder er kann ja nichts dafür). Aber homo­se­xu­el­le Men­schen soll­ten ihre Nei­gung nicht aus­le­ben. Dazu sagt Mar­tin Sinn­hu­ber nach eini­gem Zögern: „Dar­an wür­de ich ein Fra­ge­zei­chen machen.“

Die Gemein­schaft Emma­nu­el in Frank­reich schreibt in einer Stel­lung­nah­me zu der Arte-Doku­men­ta­ti­on: Cou­ra­ge Inter­na­tio­nal wur­de auf Wunsch eini­ger Mit­glie­der ein­ge­la­den, die die Orga­ni­sa­ti­on schon kann­ten und die Unter­stüt­zung such­ten. Das bedeu­tet: Homo­se­xu­el­le Men­schen hat­ten offen­bar das Gefühl, dass ihre Sexua­li­tät und ihr Glau­be mit­ein­an­der kol­li­die­ren und dass mit ihnen etwas nicht rich­tig ist. Gläu­bi­ge Men­schen kann so etwas in eine tie­fe Kri­se stür­zen, schlimms­ten­falls kann es sie krank machen. Auch dar­um geht es in der Arte-Dokumentation.

Selbst wenn die Gemein­schaft in Müns­ter sich von all dem distan­ziert, der Ein­druck, sie leh­ne Homo­se­xua­li­tät ab, bleibt hän­gen. Eine Frau aus der Gemein­de St. Ste­pha­nus sagt: „Das sind Wer­te, die ich nicht ver­tre­ten kann.“ Sie sei „eigent­lich gar nicht so katho­lisch“ und gehe nicht jeden Sonn­tag in die Kir­che. Aber was sie über die Gemein­schaft Emma­nu­el und ihre Grund­ein­stel­lung erfah­ren habe, beha­ge ihr nicht. „Die Kir­chen­ge­mein­de soll­te doch offen und für alle da sein.“


Update 19. April 2021

Nach­dem wir die­sen Bei­trag ver­öf­fent­licht hat­ten, ist auf unse­rer Face­book-Sei­te eine leb­haf­te Dis­kus­si­on über das The­ma ent­stan­den. Einen Kom­men­tar möch­ten wir hier ger­ne auf­grei­fen: Ein Leser weist dar­auf hin, dass die Gemein­schaft Emma­nu­el in Frank­reich durch ihre Nähe zur rechts­extre­men Par­tei Ras­sem­blem­ent Natio­nal (frü­her Front Natio­nal) auf­ge­fal­len ist. Domi­ni­que Rey, der Bischof von Fré­jus-Tou­lon und in Frank­reich ein füh­ren­des Mit­glied der Gemein­schaft Emma­nu­el, hat die Poli­ti­ke­rin Mari­on Maré­chal Le Pen vor eini­gen Jah­ren zu einer Ver­an­stal­tung ein­ge­la­den. Sie ist die Enke­lin von Front-Natio­nal-Grün­der Jean-Marie Le Pen und die Nich­te der FN-Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tin Mari­ne Le Pen und war von 2012 bis 2017 Front-Natio­nal-Abge­ord­ne­te im fran­zö­si­schen Par­la­ment. Inzwi­schen hat sie sich aus der Poli­tik zurück­ge­zo­gen und den Nach­na­men Le Pen abgelegt.

Die oben erwähn­te katho­li­sche Ver­an­stal­tung fand 2015 kurz vor den Regio­nal­wah­len statt, Mari­on Maré­chal mach­te dort Wahl­kampf für den Front Natio­nal. Durch die Ein­la­dung wur­de sie „unter Katho­li­ken in Süd­frank­reich erneut ‚als nor­ma­le Poli­ti­ke­rin‘ dar­ge­stellt“, wie unser Inter­view­part­ner Chris­ti­an Modehn in einem Text über die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Katholik:innen und der rechts­ra­di­ka­len Par­tei in Frank­reich schreibt. Im Inter­view sag­te er uns, der Front Natio­nal sei schon seit den Anfän­gen sehr stark im katho­li­schen Milieu ver­wur­zelt. Dar­um geht es auch in die­sem Text.


Update 7. Mai 2021

In den ver­gan­ge­nen Wochen haben wir wei­te­re Nach­rich­ten zu die­sem Bei­trag bekom­men. Die Gemein­schaft Emma­nu­el for­der­te uns auf, eine Kor­rek­tur­mel­dung zu ver­öf­fent­li­chen. Es sei fälsch­li­cher­wei­se ein Zusam­men­hang zwi­schen ihrer Gemein­schaft und Sek­ten her­ge­stellt wor­den. Das habe unser Inter­view­part­ner Ste­fan Jür­gens nicht so gesagt, wie die Gemein­schaft Emma­nu­el in einem Gespräch mit ihm erfah­ren habe.

Ste­fan Jür­gens hat die­sen Zusam­men­hang in unse­rem Inter­view aber tat­säch­lich her­ge­stellt. Alle sei­ne Zita­te waren im Wort­laut und im jewei­li­gen Kon­text, in dem sie jetzt in unse­rem Bei­trag ste­hen, schrift­lich mit Ste­fan Jür­gens abge­stimmt und von ihm frei­ge­ge­ben. Wir hat­ten ihm dazu ein Word-Doku­ment geschickt mit der Über­schrift „Ste­fan Jür­gens zur Gemein­schaft Emma­nu­el“, auch im Doku­ment tauch­te der Name der Gemein­schaft noch mehr­fach auf. Ein Miss­ver­ständ­nis ist aus­ge­schlos­sen.

Auch Ste­fan Jür­gens selbst hat sich bei uns gemel­det und uns eine aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me geschickt mit der Bit­te, die­se zu ver­öf­fent­li­chen. Dar­in schreibt er unter ande­rem, wir hät­ten im Inter­view zwar nach der Gemein­schaft Emma­nu­el gefragt, er habe jedoch „eher all­ge­mein“ geant­wor­tet und sich mit eini­gen Aus­sa­gen auf ande­re Gemein­schaf­ten bezo­gen.
Wir haben Ste­fan Jür­gens ange­bo­ten, sei­ne Stel­lung­nah­me zu ver­öf­fent­li­chen, aller­dings nur in Ver­bin­dung mit einer Ver­öf­fent­li­chung des Doku­ments, in dem wir die Zita­te abge­stimmt haben. Er hat das abge­lehnt, weil in dem Doku­ment noch wei­te­re Zita­te mit Bezug zur Gemein­schaft Emma­nu­el ste­hen, die wir im Text nicht ver­wen­det haben, die Herr Jür­gens aber nicht ver­öf­fent­licht sehen will.

Es geht uns hier nicht dar­um, einen Kon­flikt wei­ter anzu­hei­zen. Wir möch­ten uns aber aus­drück­lich gegen den Ver­dacht und das offen­bar kur­sie­ren­de Gerücht ver­weh­ren, wir hät­ten nicht sau­ber gear­bei­tet und Zita­te aus dem Zusam­men­hang geris­sen, um einen ten­den­ziö­sen Text zu ver­öf­fent­li­chen.

Wir sind wei­ter­hin ger­ne bereit, die Stel­lung­nah­me von Herrn Jür­gens zu ver­öf­fent­li­chen. Wie oben erläu­tert aber nur in Ver­bin­dung mit sei­nen Zita­ten, um unse­re Arbeits­wei­se und die Abstim­mung trans­pa­rent zu machen, die dem Bei­trag vorausging.

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