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Team High Fidelity bei der Quizliga

„Meine Eltern wissen das safe“

Wenn Quizliga ist, wird’s eng in Münsters Kneipen. Offiziell geht es um nichts. Aber um was geht es dann? Ein Besuch beim Kneipenquiz im Hotel Galactica.

von Franziska Wessel • Redaktion: Ralf Heimann • Lektorat: Susanne Bauer • Fotos: Rosa Tägtmeyer

„Oah Junge, das muss man doch wissen“, sagt jemand aus dem Team Baggerbier, stöhnt es eher. Kann es denn sein, dass niemandem eine Antwort einfällt? Es ist ein normaler Montagabend in Münster, wir sind beim Kneipenquiz der Quizliga im Hotel Galactica. Selbst wenn keiner auf eine Lösung kommt, passiert nichts Schlimmes. Hier, in der Kneipe, die so studentisch aussieht, als hätte sie ein Requisiteur von RTL eingerichtet, schrabbeliges Parkett und schwere Samtvorhänge. Es geht allen gut.

Trotzdem ist da dieser kleine Ärger, dass einem jetzt nicht einfällt, wie der Fußballspieler heißt, der 2006 mit seiner Mannschaft Weltmeister wurde und irgendwann auch mal bei Bayern München gespielt hat. Jemand am Tisch, vermutlich man selbst, murmelt „Trapattoni“, und die Stimme geht am Ende hoch, weil man sich wirklich nicht sicher ist, aber man hat den Namen schon mal gehört, und man kann jetzt auch nicht nichts sagen.

Jemand anderes sagt Podolski, ach Mist, Deutschland hat ja gar nicht gewonnen damals, war’s doch Italien vielleicht? Arjen Robben?

Das hier ist Wettbewerb. Trotzdem geht es um nichts. Sagen die Leute an den Tischen selber. Junge Männer mit Schnauzer und Ohrring sitzen neben älteren Männern im Karohemd, Mütter mit Hornbrillen neben Töchtern im Hoodie. Sie wollen, ergibt eine stichprobenhafte Befragung, einen schönen Abend haben. Aber warum sind sie hier? Sie könnten die Antwort auf jede noch so nischige Quizfrage einfach online nachschauen. Doch bei der Quizliga bleiben die Handys in der Hosentasche. Den Gästen geht es um etwas anderes: Den antiquierten Kick, selbst drauf zu kommen.

Bei der Quizliga im Hotel Galactica verlesen die Quizmaster die Ergebnisse der ersten Runde. Wer Quizmaster ist, wird reihum durchgewechselt.

Quizhochburg Münster

Team Baggerbier ist zum ersten Mal dabei, normalerweise spielen sie zusammen Volleyball beim Hochschulsport. Dass das heutige Quiz im Rahmen einer Liga veranstaltet wird, wussten sie gar nicht, sagen sie. Auf dem Tisch vor ihnen stehen Cocktailgläser mit Fruchtdeko am Rand, und der einzige Mann in ihrer Runde sagt den schönen und irgendwie beschwichtigenden Satz: „Besser abschneiden als man denkt, das ist das Ziel.“

Aber zurück zum Anfang des Abends. Es ist kurz vor 19 Uhr und Uli, 57, Team High Fidelity, sagt: Münster ist Quizhochburg. Warum weiß er auch nicht, vielleicht wegen der vielen Student:innen hier, andererseits ist er selbst ja auch keiner mehr. Die Kneipen in Münster laden monatlich zu etwa 25 Kneipenquizzen. Es gibt Spezialquizze zu Harry Potter, welche, in denen es um alles außer Sport geht, „Nerd“-Quizze zu Computerspielen und Fantasy-Franchises, und die meisten zum Allgemeinwissen, allein dreimal im Monat Quizliga. Und trotzdem ist heute jeder Tisch besetzt, 122 Gäste aus 25 Teams sind da.

Nicht nur die Münsteraner:innen quizzen gern: Das Kneipenquiz ist aus Großbritannien nach Deutschland gekommen. Ende der 1930er Jahre sendete die BBC in Großbritannien erste Quizze übers Radio, schreibt der britische Buchautor Alan Connor in seinem Buch The Joy of Quiz. Für einen Artikel des US-amerikanischen Magazins The Atlantic beschreibt Connor, dass in den 1940er Jahren erste Allgemeinwissens-Quizze in britischen Gemeindezentren und Rathäusern organisiert wurden.

Von dort, sagt Connor, habe man die Quizze Schritt für Schritt in die örtlichen Pubs verlegt, die Quasi-Wohnzimmer der Brit:innen. In den 1990er Jahren seien diese Pub-Quizzes zum Mainstream geworden, sagt Marcus Berkmann, Autor des Buchs „A Matter Of Facts”, dem Magazin „The Atlantic“. Kneipenquizze wurden auch in Deutschland sehr beliebt: Seit 2011 gibt es gar den Deutschen Quizverein, nach eigenen Angaben mit rund 1.280 Mitgliedern.

Mancher, der heute in Münster dabei ist, quizzt sogar noch länger. Als die Quizliga 2006 gegründet wurde, saß Uli schon mit am Tisch. Team High Fidelity ist Urgestein. Woher der Name kommt? Das wissen die Mitglieder heute selbst nicht mehr.

Für Botanik haben sie niemanden

Das Beste am Kneipenquiz ist das gemeinsame Knobeln, sagt Uli. Jede:r im Team hat ein Spezialgebiet. Uli ist der Mann für Geschichte und Mythologie, also Bildungsbürgertum, sagt Risna, die ihm gegenüber sitzt. Risna macht Popkultur, Stefan Naturwissenschaften („Ich hab’ Chemie studiert, deshalb ist der Druck da immer so hoch“). Nur bei Bäumen, sagt Uli, sind wir mal richtig eingebrochen. Für Botanik haben sie niemanden. Stefan und Sandra (Musik, Promis, Medizin) bestellen zwei große Flaschen Wasser. Vor ihnen liegt ein langer Abend.

Geht es hier wirklich nicht darum, besser zu sein als die anderen? Warum sonst sortiert die Quizliga ihre 89 Teams in einer Excel-Tabelle? Woher weiß der ganze Tisch, wird man sich später fragen, dass Pilates im Ersten Weltkrieg erfunden wurde? Wieso trinkt hier keiner Bier? Das riecht nach Taktik. In Wahrheit ist es so, dass Sandra und Stefan morgen einfach früh raus müssen. Uli bestellt dann doch ziemlich bald ein Weizen. Und überhaupt: Wenn Handballer, Kugelstoßerinnen und Dartwerfer aufschreiben dürfen, wer von ihnen der Beste ist, dürfen Schlaumeier das auch.

Bei der Quizliga rätseln Helen und David über den Fragen im Hotel Galactica.

Um kurz vor halb acht eilt ein junger Mann zum Tresen. Kaum noch Platz jetzt in der Kneipe. Der Mann fragt nach Kugelschreibern. Er hat nicht daran gedacht, dass man Stifte mitbringen muss, um die Antworten zu notieren. Auch für sein Team ist es das erste Mal bei der Quizliga. Er heißt David und ist mit seiner Freundin Helen und den Schwiegereltern hier, Doppeldate mit Anette und Willi. Teamname: Allwissend durch Halbwissen. Sie sind alle Mathelehrer und wahnsinnig nett. Damit die Reporterin an den Tisch passt, rücken sie zusammen.

Kategorie 3: das Bilderrätsel

Hier: Pils, Weißwein, für David eine Maracujaschorle. Dort, am Nachbartisch: eigene Kugelschreiber, Karopapier, mitgebrachte Tischlampe. Schon schlau, sagt Willi, ist ja auch echt dunkel hier.

Und dann geht es los.

Welche Zeichentrickfigur ist in den Ampelsymbolen der Ortschaft Haddeby in Schleswig-Holstein zu sehen?

Werner, sagt Anette.

Ach, das habe ich gelesen, sagt Willi.

Wie nennt man eine Person, die Nachrichten von Engeln empfangen kann?

Idiotisch, sagt Anette.

Helen schreibt ‚Medium‘ auf.

Welcher Designer brachte in den Neunzigerjahren ein Parfum mit dem Namen Angel auf den Markt?

Jean-Paul Gaultier, sagt David. Ist aber nur geraten.

Die Fragen denken sich feste, von Abend zu Abend wechselnde Moderationsteams aus. Nach 18 Fragen die erste Pause, die erste Auswertung. Antwortzettel bitte zügig nach vorne bringen. Willi schaut sich um, gut, Team Tischlampe hat auch noch nicht abgegeben. Ich glaube, ich brauche doch Alkohol, sagt David.

Kategorie drei ist ein Bilderrätsel. Körnig bedruckte DIN-A-4-Blätter, darauf unter anderem ein Vogel, eine Ernährungspyramide, ein Edelstahltopf, eine Seekarte. Jetzt muss Team Allwissend durch Halbwissen erstmal die Köpfe zusammenstecken. Was soll denn das für ein Vogel sein? Man hört noch das Wort Bachstelze, dann wieder Kurs auf Team Baggerbier.

„Meine Eltern wissen das safe“, Ratlosigkeit beim Bilderrätsel. Jemand: Das da könnte ein Milchtopf sein. Einspruch: Seit wann kocht man Milch auf? Es geht kurz um Grundsätzliches, dann bringt der Kellner Nachos an den Tisch, es knackt und knuspert.

Welche Kategorie würde sich Team Baggerbier wünschen, wenn sie dürften? Musik, Rennsport, oder nein, Reality-TV! Damit die Älteren auch mal keine Chance haben.

Zwischenstand: Baggerbier auf Platz 24, geballte Siegerfäuste, sie sind nicht Letzte. Allwissend durch Halbwissen auf Platz 22, High Fidelity auf Platz zwei. Noch ist nichts entschieden.Etwas später schreibt Uli „Guillaume“ auf den Antwortzettel, wie Günter Guillaume, der Spion, der Willy Brandt zu Fall brachte. Wissen hier bei High Fidelity natürlich alle, müssen sie nicht diskutieren. Uli ist Schriftführer, wenn jemand eine Antwort vorschlagen möchte, schreibt er sie auf und zeigt sie in die Runde. Sonst müssten sie so über den Tisch brüllen. Streiten sie auch? Immer mal, sagt Risna, aber vor allem ärgern sie sich über sich selbst, wenn sie sich für die falsche Antwort entscheiden, obwohl sie die richtige kannten.

Wie heißt die Fitness-Übung, die im Liegestütz beginnt und im Strecksprung endet? Burpee? Oder doch Mountain Climber?

An welcher Straße liegt das Münsteraner Südbad? Diskussion, Risna und Stefan einigen sich, Uli schreibt irgendwas auf.

Bei der Quizliga haben einige Teams Equipment wie Lampen, Notizbücher, genügend Stifte dabei.

„Den kennt keine Sau“

Nächste Frage. Gesucht wird ein Mann, nach dem eine Münsteraner Sporthalle benannt ist. Die Moderation verliest sein Geburtsdatum, Erfolge. Risna guckt zu Uli, Uli zu Stefan, Stefan zu Carsten. Uli: „Das ist falsch.“

Sein Stuhl poltert, als er aufsteht. Das ist falsch, sagt Uli nochmal, bahnt sich den Weg zur Moderation. Sie habe versehentlich Fakten über den sehr berühmten Bruder des Gesuchten verlesen, verkündet diese wenig später per Mikrofon. Krise abgewendet.

Allwissend durch Halbwissen hat derweil aufgerüstet. Auf dem Tisch liegt jetzt ein ansteckbares Fahrradlicht, Taschenlampenersatz, denn Willi hat nur seine Gleitsichtbrille dabei und kann sonst kaum etwas lesen. Michael Rummenigge war da vorhin gesucht, nicht Karl-Heinz, sagt Willi, das sei ihm auch aufgefallen. Ansonsten keine Zwischenfälle. Schade aber, dass noch keine Frage mit Mathe kam. Die Moderation leitet zur Musik-Kategorie über, Anette macht pscht.

Erster Song. „Den kennt keine Sau“, Urteil von Team Baggerbier. Hier herrscht noch Ärger, dass der Milchtopf von vorhin eine Kasserolle war. Danach kommt was von Michael Jackson. Später Havanna von Camila Cabello, und dann, bei Budapest von George Ezra, summt Baggerbier mit den anderen Teams in Eintracht den Refrain mit. Als die Runde schon vorbei ist, stimmt jemand in der Nähe “Ich liebe das Leben” an.

Ab und an Pause, Baggerbier liegt irgendwann immer noch auf dem vorletzten Platz, Allwissend durch Halbwissen hat sich auf Platz 17 gekämpft, High Fidelity quizzt mit Niveau auf Platz 2.

Noch eine Runde Fragen, dann ist Siegerehrung. Es ist inzwischen halb 11, die Luft in der Kneipe ist dick vom ganzen Denken und manche Augen blicken müde, morgen Seminar um neun, raunt jemand, aber jetzt will man auch bis zum Schluss bleiben.

Risna sitzt bei der Quizliga im Hotel Galactica am Tisch ihres Teams High Fidelity

Endlich Siegerehrung

Nach der letzten Frage packt Team High Fidelity Schokolade aus, Vollmilch-Butterkeks, ob die Reporterin auch ein Stück möchte? Hoffentlich bald Ergebnisverkündung. Stefan lässt die Schultern hängen, er hat sich bei der Frage nach der Adresse des Münsteraner Südbads für die falsche Straße eingesetzt. „Stefan, nicht ärgern“, sagt Uli. Er hat schon mal nachgerechnet, wie die Chancen auf den Sieg sind. Könnte knapp werden.

Endlich Siegerehrung. Für jedes Team wird geklatscht. Platz 25 belegen die Quizzionados, Team Baggerbier jubelt. Sie sind Vorletzte. Am Tresen holen sie eine Runde Süßigkeiten ab, alle sind zufrieden und wollen wiederkommen. Allwissend durch Halbwissen hält Platz 17. Das mit dem Applaus zieht sich, „ist super spannend heute“, sagt Risna bei High Fidelity. Ein Mann weiter hinten macht einen Burpee, alle lachen.

Ein letzter Kontrollblick auf den Antwortzettel vom Team High Fiedlity bei der Quizliga in der Kategorie Code

Und dann werden sie Erste. High Fidelity teilt sich den Platz mit Team Wu Wu Würstchen, man klatscht energisch in die Richtung des jeweils anderen Gewinnerteams. Der Siegerpreis ist ein 30-Euro-Verzehrgutschein für das Hotel Galactica, super, sagt Risna, für jeden ein Getränk beim nächsten Mal.

Dann geht alles sehr schnell, 23 Uhr, Mensch, wir müssen. Und alle gehen so unaufgeregt, wie sie gekommen sind. Risna verabschiedet sich mit Umarmung, Uli lädt zum nächsten Quiz ein. Beseelt von so viel Herzlichkeit tritt man in die Münsteraner Nachtluft und googelt „Trapattoni“. Vielleicht geht es doch ums Besserwissen, ein ganz kleines bisschen.

Bei der Quizliga im Hotel Galactica prüfen die Quizmaster die Antwortzettel der Quizteams. Wer Quizmaster ist, wird reihum durchgewechselt.

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