Musik-Campus auf der Kippe | Thomas Robbers gegen die Stadt | Neues vom Flyover


Münster, 18. März 2022
Guten Tag,
in knapp drei Wochen soll der Rat in Münster über den Musik-Campus entscheiden. Aber noch ist überhaupt nicht klar, wie es ausgehen wird. Zur Erinnerung: Die Stadtverwaltung hatte einen Vorschlag gemacht, der vor allem darin bestand, den Standort endlich festzulegen (an der Hittorfstraße). In der Rathauskoalition aus Grünen, SPD und Volt kam der Vorschlag aber nicht so gut an. Der Tenor war: zu viele Fragen offen, vor allem zur Finanzierung.
Eigentlich hatten sich die drei Parteien darauf geeinigt, das Projekt weiter zu unterstützen, die SPD ein bisschen zähneknirschend. Das Bekenntnis steht im Koalitionsvertrag. Aber jetzt hakt es.
Die Partei Volt schrieb gestern in einer Pressemitteilung, sie lehne den Musik-Campus ab. Zu teuer, und die Kosten des Projektes stünden in einem „gewaltigen Missverhältnis“ zum Nutzen. Das ist nur ein Meinungsbild. Die zweiköpfige Ratsgruppe könnte trotzdem für das Projekt stimmen. Sie sitzt ein bisschen zwischen den Stühlen. Bei einem Nein könnte es Ärger in der Koalition geben, wenn die anderen sich auf ein Ja einigen, bei einem Nein Ärger mit der Partei.
Im Zweifel bräuchten SPD und Grüne die Stimmen von Volt gar nicht, denn die CDU ist in jedem Fall dafür. Ob die Grünen sich auf ein Ja einigen können, ist allerdings gar nicht so sicher.
Bei einer digitalen Mitgliederversammlung gestern Abend sagte Christoph Kattentidt, Sprecher der Ratsfraktion, in diesem Fall diskutiere man in der Fraktion nicht wie sonst über Details, sondern über Grundsätzliches. Im Wesentlichen gibt es drei Positionen: den Musik-Campus „weiter kritisch begleiten“ (das wäre ein Ja), den Campus in einer abgespeckten Version umsetzen (am gleichen Ort, aber ohne Konzertsaal) oder das Projekt Musik-Campus beenden. An diesem Montag habe ein Stimmungsbild in der Fraktion gezeigt, dass es dort eine zarte Mehrheit für den Campus gebe.
Doch in einer Abstimmung unter den Mitgliedern gestern Abend ergab sich ein anderes Bild. Zwei Drittel der etwa hundert Anwesenden stimmten gegen den Campus, ein Drittel für ein Ja mit leichten Bauchschmerzen (kritische Begleitung). Der Vorschlag einer abgespeckten Version schied vorher aus.
Die Frage ist, ob die Fraktion sich nun danach richtet. Einerseits könnte man sagen: Das Meinungsbild in der Partei ist doch recht deutlich. Man kann es aber auch anders sehen: Abgestimmt haben nur etwa hundert von deutlich über tausend Mitgliedern des Kreisverbands. Eine Entscheidung könnte am Montag in der Fraktionssitzung fallen.
Die Westfälischen Nachrichten haben in ihrer heutigen Ausgabe das Ergebnis des Münster-Barometers veröffentlicht – einer repräsentativen Umfrage, die kurz vor der Abstimmung über die Musikhalle vor 14 Jahren zeigte: Die Mehrheit der Menschen möchte die Halle nicht.
Jetzt ergibt sich eine deutliche Mehrheit für den Musik-Campus. „Mehrheit steht hinter dem Musikcampus“, schreibt die Zeitung, die unserem Eindruck nach selbst sehr hinter dem Campus steht. Nach der Umfrage halten 73 Prozent das Projekt für sinnvoll, 31,9 Prozent lehnen es ab. Und offenbar hängt der Grad der Zustimmung auch ab von der Fragestellung. Lautet sie: „Sollte man das Geld nicht besser für andere kulturelle Projekte ausgeben?“, stehen nur noch 54 Prozent in dem Projekt. Auch interessant: Menschen über 65 Jahren wünschen sich den Campus laut der Umfrage stärker als jüngere. Menschen, die SPD wählen, sind nicht so sehr dafür.
Und dann gibt es noch die, die sich etwas ganz anderes vorstellen, am liebsten auch an einem anderen Ort. Das könnte zum Beispiel so aussehen wie ein sehr eckiges Gebäude in Groningen, das sich Het Forum nennt. Darin sind Veranstaltungs- und Kinosäle, eine Bibliothek, Cafés und ein Restaurant. Unwahrscheinlich, dass es kommen wird, aber wenn Sie eine Vorstellung davon bekommen möchten, wie so etwas aussieht, hier ist ein Imagefilm.
Thomas Robbers vs. Stadt Münster
Es ist schwer, eine falsche Nachricht wieder aus der Welt zu bekommen. Dirk Oellers, Vorsitzender Richter am Landgericht Münster, probierte es am frühen Donnerstagnachmittag, indem er eine Aussage gleich mehrfach wiederholte. Sie lautet: Thomas Robbers ist unschuldig.
Ganz zu Beginn sagte er: „Keiner in diesem Gerichtssaal behauptet, dass Herr Dr. Robbers in irgendeiner Weise in diese Sachen verwickelt worden ist. Er ist unschuldig. Er hat damit überhaupt nichts zu tun. Das ist eindeutig. Nichts anderes ist festgestellt worden. Auch die Stadt Münster wird da nichts anderes zu sagen. Man kann eigentlich nur sagen, dass Herr Robbers Pech gehabt hat, den falschen Menschen kennengelernt zu haben.“
Diese Sache, von der Dirk Oellers spricht, das ist der Missbrauchsfall, der im Sommer 2020 nicht nur Münster erschütterte, sondern das ganze Land.
Ein inzwischen verurteilter junger Mann hatte mit vielen Komplizen immer wieder auf grausamste Art und Weise Kinder missbraucht, unter anderem in einer Kleingartenanlage in Münster. Und dann hatte sich irgendwann die Nachricht verbreitet: Dr. Thomas Robbers, Chef der städtischen Wirtschaftsförderung, kennt diesen Mann persönlich.
Daraus ergaben sich Fragen: Wie kommt so eine Verbindung zustande? Welches Interesse kann diese beiden so unterschiedlichen Menschen verbinden? Der eine ein junger, auf Fotos eher nachlässig gekleideter IT-Nerd – der andere ein smarter Manager, stets im adretten Anzug, unterwegs in den besten Kreisen der Stadt und sehr viel älter. So eine Verbindung lässt viel Raum für Gedanken. In diesem Fall für ganz abscheuliche Gedanken.
Klage auf Schadensersatz
In dieser Situation rief Oberbürgermeister Markus Lewe am 15. Juni 2020 die Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien im Rathaus zusammen, um Thomas Robbers in einer Dringlichkeitsentscheidung von seinem Posten als Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Münster zu entfernen.
Nun, knapp zwei Jahre später, trafen sich beide Seiten vor Gericht, weil Thomas Robbers von der Stadt gerne Schadensersatz hätte. Es ging nicht um die Kündigung selbst. Um einen Geschäftsführer abzuberufen, braucht es keine Gründe. Man sitze praktisch auf einem Schleudersitz, sagte Dirk Oellers. Die Frage war eine andere. Es ging darum, ob die Stadt Münster den Ruf von Thomas Robbers unnötig beschädigt hat.
Sein Gehalt bezieht Robbers seit der Abberufung weiter, noch bis zum Jahr 2024. Er hat inzwischen eine Beratungsgesellschaft gegründet. Aber die falsche Verbindung zum Missbrauchsfall stehe ihm noch immer beruflich im Weg, sagte sein Anwalt Wienhold Schulte. Die Stadt hatte in ihrer ersten Pressemitteilung zum Fall am 15. Juni 2020 geschrieben, man wolle die Gründe für die Abberufung „zum jetzigen Zeitpunkt und zum Schutz der Privatsphäre Dritter“ nicht öffentlich machen. Danach kam nichts mehr. Offiziell ist Robbers weiterhin abberufen aus Gründen, deren Veröffentlichung die Privatsphäre Dritter schädigen könnte. Doch das ist falsch.
Zwischenzeitlich waren Thomas Robbers und die Stadt einer Einigung offenbar schon sehr nahe gekommen. Die Anwälte beider Seiten hatten sich auf eine Erklärung geeinigt, so erzählte Wienhold Schulte es gestern. Die Stadt hätte sie nur noch veröffentlichen müssen. Doch das passierte nicht. Nach der Absprache habe man vier Monate lang nichts mehr gehört, sagte Schulte. Tilman Coenen, der Anwalt der Stadt Münster, sagte dazu nichts. Auch sonst schwieg er. Man habe eine schriftliche Stellungnahme abgegeben, sagte er.
Teilweise falsche Informationen
Die Verhandlung hatte am Ende zwei Ergebnisse, ein juristisches, das zwar noch nicht ausgesprochen ist, aber sich abzeichnet, und ein politisch interessantes. Das juristische Ergebnis ist: Wenn es zu einem Urteil kommt, wird Thomas Robbers wohl keinen Schadensersatz sehen, jedenfalls nicht in erster Instanz.
Das politisch interessante Ergebnis ist: Der Oberbürgermeister hat die Fraktionsvorsitzenden mit teilweise falschen Informationen davon überzeugt, Robbers von seinem Geschäftsführer-Posten abzuberufen. Das ist schon insofern bemerkenswert, als die Begründung für die Abberufung von Robbers laut Lewe „unprofessionelle Kommunikation“ gegenüber der Stadt war. So steht es in Markus Lewes Schreiben an die Fraktionsspitzen aus dem Juni 2020.
Wie es zu dieser Situation kam, zeichnete Dirk Oellers in der Gerichtsverhandlung sehr gründlich nach. Danach begann alles am 6. Juni 2020, einem Samstag – dem Tag, an dem der Missbrauchsfall bekannt wurde. Der Name des inzwischen verurteilten Haupttäters machte sehr schnell die Runde. Thomas Robbers und seine Frau verstanden sofort: Das war der Adrian V., den auch sie kannten.
Der junge Mann hatte Jahre zuvor mit der Frau von Thomas Robbers bei einem IT-Unternehmen in Nienberge zusammengearbeitet. Er war technisch und handwerklich begabt, dazu hilfsbereit. Jemand, den man anrufen konnte, wenn es irgendwo ein Problem gab. Vier Mal hatten sie ihm ihre Ferienwohnung in Belgien überlassen. Der letzte Kontakt lag laut Wienhold Schulte nun schon ein Jahr zurück. Aber entscheidend war: Es hatte diesen Kontakt gegeben.
Die Frau von Thomas Robbers meldete sich noch am gleichen Tag bei ihrem Arbeitgeber, der Polizeihochschule in Münster. Robbers selbst informierte am Montag die Staatsanwaltschaft und Mathias Kersting, den damaligen Aufsichtsratschef der Wirtschaftsförderung.
„Proaktiv an die Presse gehen“
Am 8. Juni, dem Dienstag darauf, telefonierte Thomas Robbers mit Markus Lewe. Das Gespräch war geplant, aber eigentlich sollte es um etwas anderes gehen. Über den Verlauf des Gesprächs gehen die Darstellungen auseinander. Laut Lewes Schreiben an die Fraktionsspitzen erwähnte Robbers „beiläufig“, eingeleitet mit dem Satz „Was ich noch sagen wollte“, dass er den damaligen Hauptverdächtigen auch privat kannte. Robbers bestreitet, dass dies beiläufig geschehen sei. Das ist eine der Aussagen, gegen die er nun gerichtlich vorgeht. Nach seiner Darstellung sprach er es deutlich an. Doch das, stellte der Richter gleich klar, sei eine Bewertungsfrage – wie auch der Vorwurf, Robbers habe unprofessionell kommuniziert.
In dem Gespräch forderte Markus Lewe Thomas Robbers auf, mit der ganzen Sache, so Dirk Oellers, „proaktiv an die Presse zu gehen“. Robbers lehnte das ab. Er hatte vorher mit der Staatsanwaltschaft gesprochen, später auch mit der Polizei. Man habe ihm nach eigener Aussage davon abgeraten, die Öffentlichkeit zu informieren – „aus ermittlungstaktischen Gründen“, sagte der Richter.
Noch am Tag des Telefonats ging bei Robbers ein Schreiben ein. Absender: Markus Lewe. Robbers sollte sechs Fragen beantworten.
1. Seit wann kennen Sie Adrian V.?
2. Seit wann haben Sie ihm Ihre Ferienwohnung in Belgien zur Verfügung gestellt?
3. Welchen Anlass gab es dazu?
4. Wie lange und wie oft hat Adrian V. diese Wohnung genutzt?
5. Haben Sie Geld oder geldwerte Vorteile erhalten?
6. Hat Adrian V. diese Wohnung mit IT-Technik ausgestattet?
Antworten auf diese Fragen gab Robbers nicht, jedenfalls nicht in der gewünschten Form. Laut Dirk Oellers überreichte Robbers dem Oberbürgermeister am Tag darauf ein Schreiben, in dem er zwar Stellung nahm. Auf die Fragen antwortete Robbers nach eigener Aussage mündlich, Lewe bestreitet das.
Streng vertrauliche Erklärung
Drei Tage später, am 12. Juni, meldete sich der Oberbürgermeister dann noch einmal telefonisch. Wieder forderte er Robbers auf, an die Öffentlichkeit zu gehen, wieder kam Robbers dem nicht nach. In den Tagen darauf schrieb Robbers mehrere SMS an Lewe, bekam aber keine Antwort. In dieser Zeit muss die Entscheidung gefallen sein, sich von Robbers zu trennen.
Am Montag, dem 15. Juni, kam es zu dem Treffen im Rathaus. Markus Lewe hatte die Fraktionsspitzen kurzfristig zusammengerufen. Er verlas die als streng vertraulich gekennzeichnete Erklärung. Danach fiel die Entscheidung.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass Adrian V. in der Kleingartensiedlung eine IT-Anlage installiert und die Taten gefilmt hatte. Es hatte sich herumgesprochen, dass seine Mutter offenbar von alledem wusste. Vor diesem Hintergrund hörten die Fraktionsspitzen die folgenden Passagen aus Lewes Erklärung:
„Konkret erwähnte er (Robbers, Anm. RUMS) die Übernachtung des Beschuldigten in seinem belgischen Ferienhaus und den Einbau einer IT-Anlage.“
Etwas später hieß es:
„Am Mittwoch, 10. Juni 2020, übergibt Herr Dr. Robbers Herrn Lewe einen Brief als Antwort auf dessen Aufforderung zur Stellungnahme. In dem Schreiben beantwortet Herrn (sic!) Robbers keine der Fragen und ergänzt mündlich, dass er dem Hauptbeschuldigten die belgische Wohnung viermal zur Verfügung gestellt habe und sich auch dessen ebenfalls inhaftierte Mutter in dem Haus aufgehalten habe.“
„Missglückte und fragwürdige Kommunikation“
Adrian V. soll also danach nicht nur in der Kleingartensiedlung eine IT-Anlage eingebaut haben, sondern auch in der Ferienwohnung. Laut Lewe war auch die Mutter in Belgien. Die Muster scheinen sich zu ähneln. Auf Grundlage dieser Informationen berief der Rat Thomas Robbers ab.
Das Problem dabei ist: Weder baute Adrian V. in der Ferienwohnung eine IT-Anlage ein, noch war seine Mutter mit ihm in Belgien. Was Lewe sagte, war falsch.
In der Politik sorgte auch die weitere Kommunikation des Oberbürgermeisters für Irritationen. Als der Rat der Stadt eine Woche später die Dringlichkeitsentscheidung in einer nicht-öffentlichen Sitzung bestätigte, merkte Mathias Kersting für die SPD in einer bislang nicht veröffentlichten Protokollnotiz an, die uns vorliegt:
„Die am gleichen Abend erfolgte Pressemitteilung der Stadt Münster steht aus Sicht der SPD-Fraktion im Widerspruch zu dem vereinbarten weiteren Vorgehen. Die SPD-Fraktion stellt klar, dass die Veröffentlichung nicht mit dem in der Pressemitteilung genannten SPD-Vertreter abgestimmt wurde. Wir kritisieren insbesondere die Wortwahl der Pressemitteilung, da diese zu Spekulationen geradezu einlud.“
Auch damit, wie der Oberbürgermeister sich noch am Abend der Dringlichkeitsentscheidung in der Zeitung hatte zitieren lassen, war die SPD unzufrieden. Lewe hatte gesagt:
„Münsters Ansehen und das Vertrauen in die städtischen Institutionen standen auf dem Spiel und sind durch diese Dringlichkeitsentscheidung des Rates vor Schaden bewahrt worden.“
Der Satz habe „dazu beigetragen, Spekulationen zu befeuern und gibt aus Sicht der SPD-Fraktion nicht korrekt den Anlass für die Entscheidung der Fraktionsvorsitzenden zur Dringlichkeitsentscheidung wieder“, so steht es in der Notiz.
Kersting schließt mit dem Satz: „Die missglückte und aus unserer Sicht fragwürdige Kommunikation des Oberbürgermeisters und der Stadt hat großen Schaden angerichtet.“
„Mischung aus Unwahrheiten und Halbwahrheiten“
Wienhold Schulte, der Anwalt von Thomas Robbers, sagte gestern: Jemand, der eine Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht zu erfüllen hatte, also der Oberbürgermeister, habe „aus unserer Sicht leichtfertig einen Verdacht in die Welt gesetzt“, sodass ein unbefangener Mensch habe denken müssen: „Na ja, irgendwas wird da schon dran sein.“
Dass man sich für die Radikallösung entschieden habe, das habe auch mit der politischen Situation zu tun gehabt. Wenige Monate später waren Kommunalwahlen. „Hier ist völlig überzogen reagiert worden – und dann noch mit einer Mischung aus Unwahrheiten und Halbwahrheiten und daraus abgeleiteten Einschätzungen“, sagte Schulte.
Dirk Oellers, der Richter, schätzt die Situation anders ein. Dass es in Lewes Schreiben um den Einbau einer IT-Anlage gehe, sei „eine kleine Unkorrektheit“. Es habe tatsächlich Umbauarbeiten gegeben. Das habe Lewe wohl so verstanden, dass auch eine IT-Anlage eingebaut worden sei. Er denke aber nicht, dass der Oberbürgermeister hier bewusst eine Unwahrheit verbreitet habe. Einen Anspruch auf Schadensersatz sehe er nicht.
Sein Vorschlag lautet: Die Stadt veröffentlicht eine „Ehrenerklärung“, um die Reputation von Thomas Robbers wieder herzustellen. Gelingt es den Parteien nicht, sich darauf zu einigen, wird Oellers Mitte Mai ein Urteil fällen. Sollte das passieren, werden sich vermutlich in nächster Instanz das Oberlandesgericht Hamm mit der Sache beschäftigen.
Das ist der juristische Teil. Bleibt noch der andere. Und hier lautet die Frage: Warum hat die Stadt nicht längst von sich aus eine Erklärung abgegeben, in der sie deutlich macht, dass die weiter unkorrigierte erste Pressemitteilung irreführend war? Die Stadt müsste auf die Details gar nicht eingehen. Aber sie müsste klarstellen, dass die Gründe für die Abberufung von Thomas Robbers die Privatsphäre Dritter in keiner Weise betreffen, weil Thomas Robbers mit dem Missbrauchsfall nichts zu tun hatte.
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In aller Kürze
+++ Die Mitglieder des Rats haben diese Woche Post von der Partei die Basis bekommen. Einige Passagen der E-Mails könne man laut den Westfälischen Nachrichten als Drohung verstehen. In den E-Mails ist die Rede davon, dass gerade ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorbereitet würde und dass auch die Ratsmitglieder Gefahr liefen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Zudem findet sich in den E-Mails auch Kritik an den Coronamaßnahmen der Bundesregierung. Wenn Sie sich ein eigenes Bild machen wollen, können Sie Auszüge aus dem Schreiben bei den WN oder hier lesen. Unterzeichnet hat die E-Mails Peter Balint, der als Direktkandidat für die Basis bei der Bundestagswahl angetreten war.
Diese Droh-E-Mails sind kein Phänomen, das es nur in Münster gibt. Auch die Stadtratsmitglieder in Osnabrück haben Post von der Basis bekommen, den Wortlaut finden Sie hier. Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter hat Strafanzeige erstattet. In Münster hat der grüne Ratsherr Carsten Peters die Drohungen zur Anzeige gebracht.
+++ Und die Stadt hat ein Papier veröffentlicht, in dem steht, wie es mit dem „Masterplan Mobilität Münster 2035+“ weitergehen soll, der sozusagen die große Idee für die Mobilität in der Stadt umreißen soll – und eigentlich längst fertig sein sollte. Das haben wir uns noch nicht angesehen, weil es erst seit heute Nachmittag öffentlich ist, machen wir aber noch.
+++ Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Wort Flyover. Das war kein Fahrgeschäft auf dem Send, sondern eine Fahrradbrücke, die von der Promenade über die Weseler Straße in die Bismarckallee führen sollte. Die Rathauskoalition war davon nicht zu überzeugen, weil das Ding zwar spektakulär aussieht, aber nur wenig dazu beiträgt, das komplexe Verkehrsproblem an dieser Stelle zu lösen. Daher hat man sich darauf geeinigt, ein paar Vorschläge zusammenzutragen, mit denen das besser gelingt. Diese Vorschläge sind nun erschienen. Es sind insgesamt acht. Bei den ersten sechs steht gleich dabei: Sie funktionieren nicht. Und der achte ist einfach der siebte mit Flyover. Das bedeutet: Man kann sich jetzt einfach auf den Vorschlag mit Flyover einigen – aber den Flyover dann weglassen. Auch das schauen wir uns vor der Ratssitzung noch mal etwas genauer an.
+++ Am Donnerstagmorgen hat die Polizei das Imam-Mahdi-Zentrum in Hiltrup durchsucht, berichtet der WDR. Wenige Stunden zuvor hatte das NRW-Innenministerium den Trägerverein des Imam-Mahdi-Zentrums, die „Fatime Versammlung“, verboten. Mit der Razzia sollte das Verbot durchgesetzt und Vereinsvermögen beschlagnahmt werden. Gefunden hat die Polizei neben mehreren tausend Euro Bargeld auch Datenträger.
Grund für das Verbot der „Fatime Versammlung“ sei ihre enge Verbindung zur libanesischen Partei und Terrormiliz Hisbollah, die seit 2020 in Deutschland verboten ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Das Vereinsheim in Hiltrup sei seit zwanzig Jahren die zentrale Begegnungsstätte der Hisbollah in Westdeutschland, schreiben dpa und AFP (hier zu lesen in der Neuen Westfälischen). Mit der Schließung habe man nun die finanzielle Unterstützung für die Organisation gekappt.
+++ In der Stadt Münster sind 2021 mehr Insolvenzen angemeldet worden. Insgesamt wurden 53,7 Prozent mehr Insolvenzverfahren beim Amtsgericht eröffnet als 2020. Über den sprunghaften Anstieg haben auch die Westfälischen Nachrichten berichtet. Auffallend dabei ist, dass immer mehr Menschen zahlungsunfähig sind, hier liegt das Plus bei 96 Prozent. Unternehmensinsolvenzen nehmen in Münster dagegen ab. Laut dem Statistischen Landesamt IT.NRW könnte der Rückgang an der ausgesetzten Meldepflicht für Unternehmensinsolvenzen seit Pandemiebeginn und an den staatlichen Konjunkturhilfen liegen. Die gegenläufige Entwicklung von Verbraucher:innen- und Unternehmensinsolvenzen in Münster lässt sich auch in ganz Nordrhein-Westfalen beobachten.
+++ Die Stadt hat ihre Idee für den Umbau des Bremer Platzes vorgestellt: Der Norden soll für das – Zitat – „bahnhofsnahe Milieu“ mit Sonnensegel, Sichtschutz und neuen Toiletten ausgestattet werden, im Süden soll ein grünes Klassenzimmer für die Montessori-Schule mit Spielgeräten und einer Boule-Fläche entstehen und in der Mitte sollen Bänke und ein Wasserspiel aufgestellt werden. Stimmt die Bezirksvertretung Münster-Mitte am 22. März zu, kann der Umbau laut Stadt im Herbst starten.
+++ Bei ihrer Sitzung nächste Woche diskutiert die Bezirksvertretung Münster-Mitte auch über ein anderes Bauprojekt: Die Stadt will die Promenade am Aegidiitor erweitern.
Corona-Update
+++ Heute meldet die Stadt 1.221 neue Infektionen mit dem Coronavirus, 8.737 Menschen gelten in Münster damit als infiziert. Die Wocheninzidenz bleibt damit auf hohem Niveau: 1.658 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen in den letzten sieben Tagen. 69 Covid-19-Infizierte werden im Krankenhaus behandelt, sieben liegen auf der Intensivstationen, drei davon müssen beatmet werden. Leider hat es einen neuen Todesfall gegeben: Ein 92-jähriger Mann ist mit Covid-19 verstorben.
+++ Diese Woche hat die Stadt außerdem einen Negativrekord mitgeteilt: Am Dienstag meldete sie mit 1.304 neuen Infektionen einen Höchstwert seit Pandemiebeginn. Aber das ist nicht alles: Binnen zwei Wochen habe sich die Positivrate bei Bürgertests verdoppelt und das Impfen komme nur noch langsam voran. Der Leiter des Gesundheitsamts in Münster, Norbert Schulze Kalthoff, sieht den Grund für die vielen Neuinfektionen vor allem in den Cluböffnungen und im Karneval. Die Stadt hoffe zwar, dass ab Sommer die Inzidenz wieder sinkt, aber derzeit seien Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflege überlastet. Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer sieht die diskutierten Lockerungen deshalb kritisch: Besser sei es, sie um zwei bis vier Wochen zu verschieben.
+++ Daraus wird leider nichts, denn trotz hoher Inzidenzen hat der Bundestag heute ein neues Infektionsschutzgesetz beschlossen. Spätestens am 2. April fallen fast alle Maßnahmen. Wie die Tagesschau berichtet, müssen Bus- und Bahnreisende sowie Menschen, die Kliniken oder Altersheime besuchen, weiterhin Masken tragen. In Geschäften, öffentlichen Gebäuden oder Schulen ist die Maske aber dann keine Pflicht mehr. Sollten gefährliche Virusmutationen auftauchen oder das Gesundheitssystem zu kollabieren drohen, könnten die Landesparlamente allerdings den Infektionsschutz wieder verschärfen.
Auch die NRW-Landesregierung hat ihre geplanten Neuerungen für die Coronaschutzverordnung publik gemacht, wie der WDR meldet: Demnach sollen alle Kontaktbeschränkungen, auch für Ungeimpfte, fallen. Zugangsbeschränkungen und Maskenpflicht entfallen im Freien, bei Großveranstaltungen soll 3G gelten und in Innenräumen braucht man bei Veranstaltungen keine Maske mehr, es sei denn, es sind mehr als 1.000 Menschen anwesend. In den Schulen wird die Maskenpflicht ab dem 2. April abgeschafft und nach den Osterferien ist dort auch Schluss mit dem Testen.
+++ Die Omikronwelle sorgt für einen Personalengpass in der Pflege in Münster. Gestern Abend meldeten die Westfälischen Nachrichten, dass rund 850 Mitarbeitende in den sechs Krankenhäusern der Stadt zurzeit ausfallen. Die Uniklinik sei besonders schwer getroffen: 616 Beschäftigte seien krankgeschrieben oder in Quarantäne. Dadurch müssten Stationen geschlossen und Operationen verschoben werden. Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer äußerte sich schon am Mittwoch zur prekären Personallage in der Pflege. Er sagte dem WDR, dass die Situation im Moment so angespannt sei wie noch nie seit Pandemiebeginn. Durch die Umorganisierung in den Krankenhäusern sei die Versorgung aber sichergestellt.
+++ Gestern hat der Bundestag über die Impfpflicht diskutiert. Zeit Online hat die fünf debattierten Vorschläge zusammengefasst.
Unbezahlte Werbung
Im Unverpacktladen Einzelhandel – Zum Wohlfüllen am Rosenplatz gibt es schöne Sachen: Bienenwachstücher, mit denen Sie Angebrochenes haltbar aufbewahren können, Saatgut für den eigenen kleinen Kräutergarten und natürlich eine (relativ überschaubare) Auswahl unverpackter Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Den eigentlichen Grund, weshalb wir Ihnen einen Besuch der neuen Filiale am Rosenplatz empfehlen würden, finden Sie allerdings in der Backwarenabteilung: Dort bekommen Sie ganz hervorragende Nussecken.
Drinnen und Draußen
+++ Seit gestern läuft eine neue Serie auf dem Youtube-Kanal „Westfalen im Film“. Ihr Titel: „Rom in Westfalen“. Es geht um wissenschaftliche Fakten über die Zeit des Römischen Reichs in Westfalen, aber auch um Unterhaltung. Sie können zum Beispiel dem Moderator dabei zuschauen, wie er sich selbst an einer Legionärsausbildung versucht. Im Trailer der Webserie können Sie sich einen Eindruck verschaffen, die ganze erste Folge finden Sie hier.
+++ Morgen beginnt der Send. Dann haben Sie bis zum 27. März Gelegenheit, sich in den „Aeronauten“ zu setzen. Hä? Was ist das denn? Das ist im Prinzip ein Kettenkarussell – nur in 80 Metern Höhe. Auf der Seite der Stadt können Sie sich das Ding ansehen. Dort finden Sie auch Informationen über Öffnungszeiten, Aktionen und andere Fahrgeschäfte. Sonntag gilt noch die 2G-plus-Regel und Maskenpflicht. Die neuen Regeln stehen dann hoffentlich bald hier.
+++ Der Poetryslammer Andy Strauß liest am Montag im Cuba eine Auswahl seiner Texte, am Dienstag Jule Weber und am Mittwoch treten Tabea Farnbacher und Florian Wintels gemeinsam auf. Alle vier verbindet eines: Sie schreiben und sprechen offen über ihre psychischen Erkrankungen, Diagnosen und deren Einfluss auf ihr Leben und Werk. Und darum geht es in diesem und im nächsten Jahr im Projekt „outside | inside | outside“. Die Auftaktveranstaltung ist eigentlich erst am nächsten Wochenende (Anmeldung per E-Mail hier). Tickets für die Auftritte bekommen Sie für jeweils 10 Euro plus Vorverkaufsgebühren hier. Eine Übersicht des Programms finden Sie hier.
+++ Dann noch: Samstag, 11:30 Uhr, Friedenskundgebung auf dem Prinzipalmarkt vor dem Rathaus.
+++ Zum Schluss noch eine Verlosung: Am 29. Mai, also noch etwas hin, soll es wieder so etwas wie Live-Konzerte geben, hörten wir: Die Band „Das Lumpenpack“ hat für diesen Abend den Skaters Palace gebucht. Kennen Sie noch nicht? Dann hören Sie hier doch mal rein. Wir verlosen zwei Mal zwei Karten für das Konzert. Wie Sie an die Karten kommen? Schicken Sie uns den Namen der Tour per E-Mail, und wir schreiben am Dienstag in den RUMS-Brief, wer gewonnen hat.
Sie haben es vielleicht gemerkt, eigentlich sollte Sebastian Fobbe heute schreiben. Aber wir haben getauscht, weil die Gerichtsverhandlung nicht so lange warten konnte. Dafür kommt jetzt am Dienstag Post von Sebastian. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Herzliche Grüße
Ralf Heimann
Mitarbeit: Sebastian Fobbe, Eva Strehlke
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PS
Fast 1.200 Menschen aus der Ukraine sind inzwischen nach Münster geflüchtet. Knapp 800 sind in städtischen Unterkünften untergekommen, knapp 200 in privat vermittelten Wohnungen. Die Stadt hat ein Formular veröffentlicht, das Sie ausfüllen können, wenn Sie auch ein Zimmer zur Verfügung stellen möchten. Und wenn Sie dann auch noch ein bisschen Ukrainisch lernen möchten, dann finden Sie hier etwas sehr Schönes: ein kostenloses Bildwörterbuch Ukrainisch-Deutsch. Ein bisschen Ukrainisch haben wir auch schon gelernt. Das ukrainische Wort für Radio zum Beispiel spricht man so aus: Radio.
HINWEIS: RUMS steht für kritischen, aber auch konstruktiven und wertschätzenden Journalismus. Genauso wünschen wir uns auch die Diskussion unter unseren Beiträgen und Briefen. Streiten Sie sich, schreiben Sie Ihre Meinung — aber bleiben Sie bitte sachlich und höflich. Wir vertrauen darauf, dass Sie sich daran halten. Daher prüfen wir Ihre Kommentare nicht, bevor sie hier veröffentlicht werden. Wir behalten uns jedoch vor, alle Äußerungen zu entfernen, die beispielsweise beleidigend, diffamierend, sexistisch oder rassistisch sind.
Zu Robbers:
1. Die Verbindung zwischen einem hochrangigen Stadtfunktionär und zugleich bestverdienenden Münsteraner aus dem Südviertel und einem wg. Kinderpornographie vorbestraften Freak aus Kinderhaus ist in der Tat, wie Ralf Heimann richtig bemerkt, alles andere als naheliegend. Sie ist vielmehr überaus erklärungsbedürftig. Die Notwendigkeit einer solchen Erklärung muss ein städtischer Spitzenmann unmittelbar begreifen, er muss sie umgehend liefern, auch, um sein Amt und die Stadt vor schädlichen Folgen zu bewahren. Das hat Robbers nicht getan, ein klarer und schwerer dienstlicher Fehler.
2. Dass der Richter heute feststellen kann, gegen Robbers liege in dieser Sache nichts vor, er sei unschuldig, liegt hauptsächlich und schlicht daran, dass in Sachen Robberssche Ferienwohnung nicht weiterermittelt worden ist. Nach einmaliger Inaugenscheinnahme in Belgien hat man die Sache im wesentlichen auf sich beruhen lassen, vor Ort ist ganz offenkundig nicht weiterrecherchiert worden (etwa nach benutzten Fahrzeugen, weiteren Personen u.ä.).
3. Adrian Vogel durfte Robbers‘ belgische Ferienwohnung innerhalb eines recht kurzen Zeitraums gleich mehrfach - offenbar unentgeltlich - nutzen. Warum? Eine halbwegs plausible Erklärung - die Nutzung von Vogels Expertise zur IT-Ausstattung der Wohnung - war bereits früh ausgeschlossen. Um so erklärungsbedürftiger erscheint dann allerdings die Motivation zur unentgeltlichen Überlassung der Wohnung.
4. Wenn es Thomas Robbers nicht bloß um monetären Ausgleich, sondern um Wiederherstellung seines Rufes geht, liegt der einzig wirkungsvolle Weg darin, dass er zu all diesen offenen Fragen und Ungereimtheiten von sich aus und offensiv eine plausible und überzeugende Erklärung abgibt. Dass es sie gibt, ist zu seinen Gunsten zunächst anzunehmen. Und ermittlungstaktische Gründe dürften ja nun keine Rolle mehr spielen.
Wenn die Verwaltung weiterhin Geld verschwendet, Robbers, Stein-Gymnasium, Preußenstadion, Verkehrsversuche bleibt nichts für einen Campus über.
Bei Sonja Völker hat das Posten nicht geklappt. Sie schickte ihren Kommentar noch einmal per E-Mail. Hier ist er:
Zur Abstimmung über den Musik-Campus in der Mitgliederversammlung der Grünen:
Sie schreiben: „Einerseits könnte man sagen: Das Meinungsbild in der Partei ist doch recht deutlich. Man kann es aber auch anders sehen: Abgestimmt haben nur etwa hundert von deutlich über tausend Mitgliedern des Kreisverbands.“
Die zweite Sichtweise finde ich schwierig, und ich möchte begründen, warum. Eine Info vorweg: Ich bin selbst Mitglied der Grünen und habe an der Mitgliederversammlung teilgenommen.
Mit dem Argument, dass es (viele) Menschen gibt, die an einer Abstimmung nicht teilgenommen haben, lässt sich fast jedes Abstimmungsergebnis in Frage stellen. Denkt man das weiter, dann wird es schwierig abzugrenzen, wann demokratische Entscheidungen gelten sollen und wann sie mit genau diesem Argument - es gibt auch Leute, die nicht abgestimmt haben - in Frage gestellt werden. Gilt ein Wahlergebnis, wenn die Wahlbeteiligung gering war? Gilt ein Bürger*innenentscheid, wenn nur ein Teil der Bevölkerung abgestimmt hat? Und eben auch: Wie viele Mitglieder müssen an einer Mitgliederversammlung teilnehmen, damit die dort getroffene Entscheidung für die Partei Gültigkeit hat? Man könnte auf die Idee kommen, Mindest-Beteiligungsquoren festzulegen; ich bin zum Beispiel Mitglied in einem Verein, in dem die Mitgliederversammlung erst dann beschlussfähig ist, wenn eine bestimmte Zahl von Mitgliedern teilnimmt. Das führt dann dazu, dass Abstimmungen gar nicht erst durchgeführt werden, wenn die Mindestzahl an Mitgliedern nicht da ist. Aber auch in diesem Verein könnte man noch einwenden: Es gibt Mitglieder, die bei der Abstimmung nicht dabei waren.
Wer soll aber wissen, wie diejenigen abgestimmt hätten, die nicht teilgenommen haben? Alle Seiten können behaupten: Die, die nicht abgestimmt haben, sind die schweigende Mehrheit, die unsere Meinung teilen. Das Problem ist: Niemand kann das beweisen oder widerlegen. Es führt nur dazu, ein demokratisches Verfahren insgesamt in Frage zu stellen.
Es kann ganz verschiedene Gründe geben, an einer Mitgliederversammlung nicht teilzunehmen: Jemand ist terminlich verhindert. Jemand interessiert sich nicht so sehr für das Thema Musik-Campus und/oder vertraut denen, die teilnehmen, dass sie schon zu einem guten Ergebnis kommen werden. Jemand hat seinen*ihren Schwerpunkt generell nicht bei kommunalpolitischen Themen, sondern ist mehr mit landes- oder bundespolitischen Themen befasst. Jemand ist unschlüssig und möchte deswegen nicht abstimmen. Jemand hat den Eindruck, dass die Stimmung in der Partei der eigenen Meinung entspricht, und meint, dass die eigene Teilnahme daher verzichtbar ist, weil „sowieso“ das gewünschte Ergebnis herauskommen wird. Jemand ist Parteimitglied, weil er*sie die politische Ausrichtung der Partei grundsätzlich unterstützt, kann oder möchte sich aber nicht intensiver mit einzelnen Entscheidungen befassen. Oder, oder, oder… Wer soll das interpretieren? Wer kann für sich in Anspruch nehmen zu wissen, wie die abgestimmt hätten, die nicht dabei waren?
Aus der Perspektive eines grünen Mitglieds kann ich sagen, dass kaum eine Entscheidung einer Mitgliederversammlung zu einem einzelnen Thema in den letzten Jahren so umfangreich vorbereitet worden ist wie diese. Es gab Diskussionen an verschiedenen Stellen in unserer Partei: in verschiedenen Arbeitsgruppen, in den mitgliederöffentlichen Ratsfraktionssitzungen, in der Fraktion der BV Mitte und vermutlich noch an anderen Orten, an die ich gerade nicht denke. Es gab vor ein paar Wochen eine Informationsveranstaltung zum Thema Musik-Campus, in der ausführlich verschiedene Sichtweisen und Aspekte diskutiert wurden, ohne am Ende darüber abzustimmen - so, dass alle danach noch einmal die Chance hatten, darüber nachzudenken und sich weiter und ggf. gezielter zu informieren. Es gab mehrere Erinnerungen per E-Mail und in Sitzungen, sich bitte zu dieser Mitgliederversammlung anzumelden.
Über 100 Teilnehmer*innen sind für eine Mitgliederversammlung eine Größenordnung, die ich als ziemlich gut bewerte. In der größten Mitgliederversammlung, an der ich teilgenommen habe, waren zur Spitzenzeit fast 200 Mitglieder anwesend: Das war die ganztägige Versammlung zur Aufstellung unserer Kandidat*innen für den Rat. Das ist größer als die Versammlung am Donnerstag; aber auch weit weg von den rund 1.200 Mitgliedern, die wir insgesamt sind. Deutlich mehr als 100 Mitglieder sind wir ansonsten (zumindest nach meiner Erinnerung) selten in einer Mitgliederversammlung. Und: Sich an einer Entscheidung nicht zu beteiligen, ist in unserer Demokratie legitim (und dann muss man mit der Entscheidung leben, die ohne die eigene Beteiligung zustande gekommen ist).
All das ändert nichts daran, dass unsere Ratsfraktion in ihrer Entscheidungsfindung frei ist. Worüber wir am Donnerstag abgestimmt haben, ist die Position der grünen Partei zum Musik-Campus. Das ist kein formal bindender Beschluss für unsere Ratsfraktion. Natürlich entsteht aus einer solchen Abstimmung (zumal bei einem recht deutlichen Ergebnis) eine Erwartungshaltung an die Ratsfraktion, sich daran zu orientieren. Aber letztlich sind unsere 20 Ratsmitglieder diejenigen, die sich einigen müssen - untereinander und in der Koalition - wie sie abstimmen werden. Es kann Gründe geben, sich anders zu entscheiden als die Mitgliederversammlung. Nur das Argument, dass „nur“ rund 100 Personen in der Mitgliederversammlung abgestimmt haben, sollte dabei nach meinem Dafürhalten nicht angeführt werden.
Eine Mitgliederversammlung kann aber ohnehin immer nur ein Stimmungsbild innerhalb einer Partei bieten, unabhängig von der Zahl der Teilnehmer. Das demokratische Mandat haben die gewählten Ratsvertreter*innen. Sie müssen und dürfen - letztlich auch ohne Zustimmung der Partei - die Entscheidung treffen.
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