Effizient wohnen | Streit um neue Baustandards | Feinkost Nassim

Müns­ter, 22. Okto­ber 2021

Guten Tag,

wer in Müns­ter ein neu­es Haus bau­en möch­te, muss es seit Anfang Okto­ber beson­ders gut däm­men, meis­tens drei­fach­ver­glas­te Fens­ter ein­set­zen und eine ener­gie­spa­ren­de Hei­zungs­an­la­ge anschaf­fen. Jeden­falls dann, wenn man auf einem Grund­stück baut, das man von der Stadt gekauft hat oder das noch der Stadt gehört. Der Rat hat­te das Ende Sep­tem­ber beschlos­sen: Neue Gebäu­de sol­len beson­ders ener­gie­ef­fi­zi­ent sein.

Wohn- und auch ande­re Häu­ser sol­len den soge­nann­ten KfW-40-Stan­dard erfül­len, und das bedeu­tet: Sie sol­len nur 40 Pro­zent der Ener­gie für Hei­zung und war­mes Was­ser benö­ti­gen, die ein nor­ma­les Haus bräuch­te (das ein­fach nur den gesetz­li­chen Nor­men ent­spricht). KfW steht für Kre­dit­an­stalt für Wie­der­auf­bau. Und hin­ter die­sem etwas abschre­cken­den Namen (der tat­säch­lich aus der Nach­kriegs­zeit stammt, als die KfW gegrün­det wur­de, hier kön­nen Sie die inter­es­san­te Geschich­te nach­le­sen) steckt ein­fach eine För­der­bank, die unter ande­rem für sol­che ener­gie­spa­ren­den Neu­bau-Pro­jek­te Zuschüs­se und bezu­schuss­te Kre­di­te vergibt.

Erst der Streit, dann die Abstimmung

Wie meis­tens in der Poli­tik wur­de über den neu­en Stan­dard aber nicht ein­fach abge­stimmt, son­dern erst ein­mal gestrit­ten. Ziem­lich hef­tig sogar, die CDU hat­te etli­che Ein­wän­de und stimm­te schließ­lich gegen die Gebäu­de­richt­li­ni­en. Die Christdemokrat:innen, allen vor­an Babet­te Lich­ten­stein van Len­ge­rich und Ulrich Möl­len­hoff, beton­ten, sie sei­en eigent­lich gar nicht gegen den KfW-40-Stan­dard. Aber es gebe noch vie­le offe­ne Fra­gen und außer­dem viel Kri­tik an die­sen Bauvorgaben.

Um die Fra­gen zu klä­ren, woll­te die CDU einen Auf­schub durch­set­zen und vor der Abstim­mung noch ein­mal Expert:innen in den Rat ein­la­den. Die Mehr­heit der Politiker:innen sah das anders, zumal die KfW-40-Vor­ga­be zum ers­ten Kli­ma­schutz­pa­ket der Stadt gehört. Der Stan­dard wur­de beschlossen.

Was die CDU kritisiert

So weit, so gut, aber für uns Journalist:innen fängt die Arbeit an die­sem Punkt erst an. Denn offe­ne Fra­gen mögen wir nicht so ger­ne. Wir – und sicher auch Sie – wol­len wis­sen: Wel­che Kri­tik­punk­te gibt es, und sind sie berech­tigt? Hat der Rat eine gute Ent­schei­dung getroffen?

Ich habe bei Babet­te Lich­ten­stein van Len­ge­rich nach­ge­fragt, was aus Sicht der CDU-Frak­ti­on noch unklar ist. Und das sind ihre Kritikpunkte:

  • Die För­der­be­din­gun­gen hät­ten sich kürz­lich „kom­plett geändert“.
  • Laut dem Bund Deut­scher Archi­tek­ten sei der Stan­dard beson­ders beim Bau von Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern problematisch.
  • Die För­der­be­din­gun­gen könn­ten dazu füh­ren, dass klei­ne­re Woh­nun­gen gebaut wer­den – statt grö­ße­re, die für Fami­li­en gebraucht würden.
  • Auch kli­ma­freund­li­che Städ­te wie Frei­burg und Hei­del­berg hät­ten (nach Aus­kunft der Wohn- und Stadt­bau) inzwi­schen vom KfW-40-Stan­dard Abstand genom­men, „weil er teu­er ist und nur theo­re­tisch viel CO2 spart, prak­tisch aber nicht.“
  • Der finan­zi­el­le Auf­wand ste­he in kei­nem Ver­hält­nis zur ein­ge­spar­ten Energie.

Wir haben uns Zeit genom­men, die Aus­sa­gen und Argu­men­te zu prü­fen, und lie­fern Ihnen heu­te das Ergebnis.

Ein Fak­ten­check:

„Die Förderbedingungen haben sich kürzlich komplett geändert“.

Jein, mit Ten­denz zu Nein. Anfang Juli sind zwar Ände­run­gen in Kraft getre­ten. Aber sie stel­len das För­der­pro­gramm nicht kom­plett auf den Kopf. Und soweit wir recher­chie­ren konn­ten, sind die Neue­run­gen auch kein Nach­teil für Men­schen, die bau­en möchten.

Eine Ände­rung betrifft das Antrags­ver­fah­ren. Das Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um hat meh­re­re För­der­pro­gram­me zusam­men­ge­fasst, sodass nun ein Antrag gestellt wer­den kann statt meh­re­re. Das Gan­ze nennt sich nun Bun­des­för­de­rung für effi­zi­en­te Gebäu­de (BEG).

So rich­tig ein­fach ist der neue Sam­mel­an­trag wahr­schein­lich immer noch nicht. Ein Hin­weis dar­auf ist zumin­dest die­ser sehr umfang­rei­che (und nicht gera­de über­sicht­li­che) Kata­log häu­fig gestell­ter Fra­gen. Des­halb ein Tipp: Es gibt bei der Stadt eine Exper­tin, die Sie dazu bera­ten und auch bei den Anträ­gen hel­fen kann, näm­lich Umwelt­be­ra­te­rin Bea­te Böcken­holt.

Die zwei­te wich­ti­ge Ände­rung: Wer den KfW-40-Stan­dard nicht nur erfül­len, son­dern noch mehr tun möch­te, kann mehr Geld bean­tra­gen. Dafür gibt es zwei neue För­der­klas­sen. Für die Klas­se Erneu­er­ba­re Ener­gien (EE) muss etwa eine neue Hei­zungs­an­la­ge zu min­des­tens 55 Pro­zent erneu­er­ba­re Ener­gien nut­zen. Und für die Klas­se Nach­hal­tig­keit (NH) müss­ten Sie zum Bei­spiel auf nach­hal­ti­ges Mate­ri­al achten.

Wer sich für den „klas­si­schen“ KfW-40-Stan­dard ent­schei­det, bekommt die­sel­be finan­zi­el­le Unter­stüt­zung wie vor die­sen Neuerungen.

„Laut dem Bund Deutscher Architekten (BDA) ist der Standard besonders beim Bau von Mehrfamilienhäusern problematisch.“

Die CDU-Frak­ti­on hat­te den BDA Müns­ter-Müns­ter­land im Juni um ein State­ment zu dem neu­en Ener­gie­stan­dard gebe­ten. Und der BDA wie­der­um hat­te ein Büro in Wup­per­tal um des­sen Ein­schät­zung gebe­ten. Bei­de Stel­lung­nah­men lie­gen uns vor.

Das Wup­per­ta­ler Büro erwähnt eini­ge neue Gebäu­de­nor­men, die sei­ner Ein­schät­zung nach zu höhe­ren Kos­ten füh­ren, etwa für Bau­tei­le. Das sei in der Beschluss­vor­la­ge für den Rat in Müns­ter nicht berück­sich­tigt. Und die Wup­per­ta­ler sehen Schwie­rig­kei­ten beim Bau von Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern mit Kel­ler oder Tief­ga­ra­ge, denn dort sei ein hoher Zusatz­auf­wand nötig, um den Dämm­stan­dard zu erfüllen.

Das Büro und der BDA Müns­ter emp­fah­len dem Rat, eine Aus­nah­me­re­ge­lung zu beschlie­ßen: Falls aus tech­ni­scher oder wirt­schaft­li­cher Sicht der Effi­zi­enz­haus-40-Stan­dard nicht ganz zu errei­chen ist (in die­sem Fall hät­te man höhe­re Aus­ga­ben, bekä­me aber kei­ne För­der­gel­der), sol­le statt­des­sen der etwas weni­ger anspruchs­vol­le Effi­zi­enz­haus-55-Stan­dard erlaubt sein.

Solch eine Auf­fang­klau­sel steht nun auch im Rats­be­schluss. Aller­dings nur für den sozia­len Woh­nungs­bau. Ande­re Bau­pro­jek­te sind an den KfW-40-Stan­dard gebunden.

„Die Förderbedingungen können dazu führen, dass kleinere Wohnungen gebaut werden – statt größerer, die für Familien gebraucht würden.“

Zur Erklä­rung: För­der­mit­tel wer­den pro Wohn­ein­heit aus­ge­zahlt. Wer drei Woh­nun­gen baut, kann die För­der­sum­me also drei­mal bean­tra­gen, für zwei Woh­nun­gen gibt es nur zwei­mal Unter­stüt­zung – unab­hän­gig davon, wie groß die Woh­nun­gen sind. Babet­te Lich­ten­stein van Len­ge­rich schrieb mir, sie befürch­te, dass das Pro­gramm klei­ne­re Woh­nun­gen für Bau­leu­te attrak­ti­ver mache und die Woh­nungs­su­che dadurch für Fami­li­en noch schwe­rer werde.

Hier konn­ten wir kei­ne Fak­ten che­cken, denn das ist ja nur eine Ver­mu­tung. Aber mei­ne Kol­le­gin Ali­na Köl­ler hat Kirs­ten Neu­mann von der Ver­brau­cher­zen­tra­le NRW um eine Ein­schät­zung gebe­ten. Neu­mann ist Archi­tek­tin und arbei­tet bei der Ver­brau­cher­zen­tra­le im Bereich Ener­gie­ef­fi­zi­enz und Gebäu­de­sa­nie­rung. Sie sag­te, ihr sei­en sol­che Nach­tei­le oder ent­spre­chen­de Beschwer­den nicht bekannt. Theo­re­tisch sei es zwar mög­lich, mit klei­ne­ren Woh­nun­gen von dem För­der­pro­gramm zu pro­fi­tie­ren. Sie bezweif­le aber, dass das für Investor:innen aus­schlag­ge­bend sei. Da spie­le eher die Nach­fra­ge eine Rolle.

Das mit der Nach­fra­ge muss nicht unbe­dingt stim­men, ich möch­te noch die­ses Fund­stück hin­zu­fü­gen: Klei­ne­re Woh­nun­gen sind für Investor:innen offen­bar grund­sätz­lich lukra­ti­ver. Und sie kön­nen auch mehr Mie­te ein­neh­men, wenn sie die Zim­mer einer grö­ße­ren Woh­nung ein­zeln an WG-Bewohner:innen ver­mie­ten, anstatt die gan­ze Woh­nung einer Fami­lie zu geben.

„Auch klimafreundliche Städte wie Freiburg und Heidelberg haben inzwischen vom KfW-40-Standard Abstand genommen, weil er teuer ist und nur theoretisch viel CO2 spart, praktisch aber nicht.“

Soweit wir recher­chie­ren konn­ten, stimmt die­se Aus­sa­ge nicht. Um sicher­zu­ge­hen, haben wir die Pres­se­stel­len der bei­den Städ­te ange­schrie­ben und nachgefragt.

  • Die Pres­se­stel­le in Frei­burg hat unse­re Anfra­ge an den Lei­ter des Umwelt­am­tes wei­ter­ge­ge­ben, der uns Fol­gen­des ant­wor­te­te: „Der soge­nann­te Frei­bur­ger Effi­zi­enz­h­aus­stan­dard setzt sich aus KfW 55 plus Wär­me­rück­ge­win­nung zusam­men (KfW 70 plus WRG bei Büro­bau­ten) und wird hier seit vie­len Jah­ren kon­se­quent über städ­te­bau­li­che Ver­trä­ge und Kauf­ver­trä­ge durch­ge­setzt.
    Vor vier Jah­ren gab es vor­über­ge­hend einen Gemein­de­rats­be­schluss, dass der Stan­dard im geför­der­ten Woh­nungs­bau auf den gesetz­li­chen Stan­dard abge­senkt wer­den sol­le. Dar­auf­hin wur­de eine Stu­die zur ‚Kos­ten­re­le­vanz ener­ge­ti­scher Stan­dards im Woh­nungs­bau‘ in Auf­trag gege­ben. Im Ergeb­nis zeig­te die­se auf, dass höhe­re Stan­dards höhe­re Kos­ten mit sich brin­gen, die­se aber durch die För­der­pro­gram­me des Bun­des (die jeder Markt­teil­neh­mer in Anspruch neh­men darf) min­des­tens aus­ge­gli­chen wer­den. Von daher füh­ren höhe­re Stan­dards auch heu­te noch zu kei­nen Mehr­kos­ten im Woh­nungs­bau, wenn man die För­de­run­gen in die Berech­nun­gen mit ein­be­zieht (was die Stu­di­en der Bau­wirt­schaft nie machen – daher die unter­schied­li­che Bericht­erstat­tung dar­über in den Leit­me­di­en). Dies gilt auch für den geför­der­ten Woh­nungs­bau.
    Der Stan­dard hät­te damit fach­lich eigent­lich auf KfW 40 erhöht wer­den kön­nen, was aber aus poli­ti­schen Grün­den nicht erfolg­te (man hat­te ja eigent­lich die Reduk­ti­on gefor­dert). Von daher gilt der Frei­bur­ger Effi­zi­enz­h­aus­stan­dard heu­te noch.“
    Hier fin­den Sie eine aus­führ­li­che Pres­se­mit­tei­lung zum Frei­bur­ger Stan­dard und der erwähn­ten Studie.
  • Die Stadt Hei­del­berg schick­te uns fol­gen­des State­ment: „Die Stadt Hei­del­berg hat in der Ener­gie­kon­zep­ti­on den Pas­siv­haus-Stan­dard fest­ge­legt, der ver­gleich­ba­re Kri­te­ri­en wie der KfW-40-Stan­dard beinhal­tet. Wesent­li­cher Unter­schied ist das Nach­weis­ver­fah­ren. Das Argu­ment, dass hohe Ener­gie­stan­dards den Bau­preis in die Höhe trei­ben, kön­nen wir nicht tei­len. Die Kos­ten für einen guten Ener­gie­stan­dard sind nur ein klei­ner Anteil an der Gesamt­sum­me eines Neu­baus und aus unse­rer Sicht eher ein Ali­biar­gu­ment, aus Angst vor Neu­em bzw. inno­va­ti­ven Bau­for­men. Die Stadt Hei­del­berg ver­sucht, ins­be­son­de­re in der Bahn­stadt – einem Pas­siv­haus-Stadt­teil – die­sem Argu­ment mit inten­si­ver Öffent­lich­keits­ar­beit zu begegnen.“

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„Der finanzielle Aufwand steht in keinem Verhältnis zur eingesparten Energie.“

Hier stößt unser Fak­ten­check an Gren­zen. Denn es gibt sehr, sehr vie­le Stu­di­en, die sich mit der Ener­gie­ef­fi­zi­enz von Gebäu­den beschäf­ti­gen. So vie­le, dass das Fraun­ho­fer-Infor­ma­ti­ons­zen­trum Raum und Bau im Auf­trag des Ver­eins Bau­her­ren-Schutz­bund 2018 sogar eine Meta­stu­die erstellt hat – also eine Stu­die über die Energieeffizienz-Studien.

Im Lite­ra­tur­ver­zeich­nis der Meta­stu­die wer­den allein unter der Über­schrift „Aus­ge­wähl­te Publi­ka­tio­nen“ knapp 20 Papie­re erwähnt. Ich muss­te also aus­wäh­len, denn solch ein Umfang sprengt sogar RUMS-Ver­hält­nis­se. Und ich wer­de Ihnen kei­ne abschlie­ßen­de Ant­wort geben kön­nen, aber eini­ge Infor­ma­tio­nen und Hin­wei­se, um das Gan­ze trotz­dem bes­ser ein­ord­nen zu können.

Wir schau­en uns dazu das Gut­ach­ten an, auf das sich die Stadt­ver­wal­tung und die Rat­haus­ko­ali­ti­on stüt­zen. Und eine Stu­die, auf die sich die CDU bezieht.

  • Das Pla­nungs­bü­ro Bau­raum aus Müns­ter hat im Auf­trag der Stadt­ver­wal­tung ein Gut­ach­ten über die Wirt­schaft­lich­keit von Ener­gie­stan­dards erstellt (die­ses fin­den Sie hier). Die Autorin hat für das Gut­ach­ten Modell­ge­bäu­de durch­ge­rech­net, unter ande­rem ein öffent­lich geför­der­tes Mehr­fa­mi­li­en­haus mit elf Woh­nun­gen, ange­lehnt an ein tat­säch­lich geplan­tes Gebäu­de am Gescher­weg. Außer­dem ein Büro­ge­bäu­de, aber das las­se ich mal außen vor, weil es in die­sem Text ja vor allem um Wohn­häu­ser geht – außer­dem wur­de dabei mit dem Zusatz­stan­dard Erneu­er­ba­re Ener­gien gerech­net. Nur so viel: Die Rech­nung fällt zuguns­ten des höhe­ren Stan­dards aus.

    Für das Mehr­fa­mi­li­en­haus hat die Autorin des Gut­ach­tens berech­net, wel­che finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen der höhe­re Ener­gie­stan­dard KfW 40 im Ver­gleich zum bis­her gül­ti­gen KfW-55-Stan­dard hat. Und sie kommt zu dem Ergeb­nis, der höhe­re Stan­dard sei für Investor:innen kos­ten­neu­tral: 70.000 Euro Mehr­kos­ten wer­den durch 69.000 Euro För­der­mit­tel in dem Rechen­bei­spiel bei­na­he kom­plett aus­ge­gli­chen. Und im Lau­fe der nächs­ten 30 Jah­re könn­ten gut 24.000 Euro Ener­gie­kos­ten gespart wer­den, wenn die heu­ti­gen Ener­gie­prei­se zugrun­de gelegt wer­den. Bei höhe­ren Ener­gie­prei­sen könn­ten laut der Autorin inner­halb von 30 Jah­ren knapp 39.000 Euro gespart wer­den.
    Die kom­plet­te Bei­spiel­rech­nung fin­den Sie auch hier in der Ratsvorlage.

  • Die Kri­tik der CDU lau­tet nun: Die Rech­nung geht nur auf dem Papier auf. In der Rea­li­tät spa­ren KfW-40-Gebäu­de deut­lich weni­ger Ener­gie ein, als vor­her berech­net wird. Das hät­ten nach Aus­kunft der Wohn- und Stadt­bau Mes­sun­gen in vie­len Tau­send Gebäu­den erge­ben.
    Ste­fan Wis­mann von der Wohn- und Stadt­bau nann­te uns auf Anfra­ge die Stu­die „Aus­wir­kun­gen ener­ge­ti­scher Stan­dards auf die Bau­werks­kos­ten und die Ener­gie­ef­fi­zi­enz im Geschoss­woh­nungs­neu­bau in Deutsch­land“ des Ver­eins Arbeits­ge­mein­schaft für zeit­ge­mä­ßes Bau­en (Arge) als Quel­le (die Stu­die kann hier bestellt wer­den). Die­se Arbeits­ge­mein­schaft ist von der Bun­des­re­gie­rung als Bau­for­schungs­ein­rich­tung aner­kannt. Sie berät die Lan­des­re­gie­rung von Schles­wig-Hol­stein, und ihr Geschäfts­füh­rer ist Mit­glied in der Bau­kos­ten­sen­kungs­kom­mis­si­on des Bun­des.

    Für die erwähn­te Stu­die hat die Arge ihr Daten­ar­chiv aus­ge­wer­tet, in dem unter ande­rem Anga­ben zu Kos­ten und Ener­gie­ver­brauch von 35.000 Woh­nun­gen hin­ter­legt sind. Die­sen Daten zufol­ge kos­tet es im Ver­gleich zu einem Stan­dard­ge­bäu­de im Mit­tel 147 Euro pro Wohn-Qua­drat­me­ter mehr, um den Ener­gie­stan­dard KfW 55 zu errei­chen. Für den KfW-40-Stan­dard wer­den die Mehr­kos­ten mit 260 Euro pro Qua­drat­me­ter Wohn­flä­che ange­ge­ben – also 113 Euro mehr als für den etwas nied­ri­ge­ren Stan­dard (För­der­mit­tel sind hier nicht ein­kal­ku­liert).

    Und nun kommt der Haupt­kri­tik­punkt der Wohn- und Stadt­bau und auch der CDU: In den aus­ge­wer­te­ten KfW-55-Häu­sern konn­ten gegen­über dem Stan­dard­ge­bäu­de laut der Stu­die 14 Kilo­watt­stun­den Ener­gie pro Qua­drat­me­ter und Jahr ein­ge­spart wer­den. Beim KfW-40-Stan­dard sei­en es im Mit­tel 18 Kilo­watt­stun­den gewe­sen.

    Viel Auf­wand und 113 Euro Mehr­kos­ten pro Qua­drat­me­ter, um auf die­ser Flä­che 4 Kilo­watt­stun­den pro Jahr ein­zu­spa­ren, das ist aus Sicht der CDU unverhältnismäßig.

Zum Ver­gleich: In der Stu­die, die Stadt­ver­wal­tung und Rat zugrun­de gelegt haben, soll das KfW-40-Haus 10 Kilo­watt­stun­den pro Qua­drat­me­ter und Jahr mehr spa­ren als ein KfW-55-Gebäu­de. Woher könn­te eine so gro­ße Dif­fe­renz zwi­schen Theo­rie und Pra­xis kommen?

Ich habe Sibyl­le Braun­gardt von der For­schungs­ein­rich­tung Öko-Insti­tut gefragt, ob nach ihrer Kennt­nis durch den KfW-40-Stan­dard in der Pra­xis weni­ger Ener­gie gespart wird, als in der Theo­rie berech­net wur­de. Sie schrieb mir, das las­se sich lei­der nicht pau­schal beant­wor­ten, denn es hän­ge von der Art des Gebäu­des und vom Nutzer:innenverhalten ab. Ich spit­ze es mal zu: Die bes­te Däm­mung nutzt nichts, wenn man bei Käl­te stän­dig die Fens­ter öffnet.

Eine Frage der Prioritäten

Eine ein­fa­che oder zumin­dest ein­deu­ti­ge Ant­wort gibt es also nicht, die Poli­tik muss abwägen.

Und ich möch­te das Schluss­wort heu­te Sibyl­le Braun­gardt über­las­sen. Ich hat­te sie auch um eine grund­sätz­li­che Ein­schät­zung gebe­ten. Sie schrieb mir: „Unse­re Ein­schät­zung ist fol­gen­de: Um die Kli­ma­zie­le zu errei­chen, soll­te zumin­dest im Neu­bau KfW-40 als Leit­stan­dard ange­strebt wer­den. Die zusätz­li­chen Kos­ten wer­den in der Regel durch die güns­ti­ge­ren För­der­be­din­gun­gen sowie die Ener­gie­ein­spa­run­gen ausgeglichen.“

Möch­ten Sie den Bei­trag kom­men­tie­ren? Dann nut­zen Sie unse­re Kom­men­tar­funk­ti­on. Wenn Sie uns auf Feh­ler auf­merk­sam machen möch­ten, schrei­ben Sie uns gern eine E-Mail.

In aller Kürze

+++ Wie ste­hen Sie eigent­lich zum The­ma Kli­ma­schutz in Müns­ter? Das inter­es­siert uns natür­lich immer, und jetzt gera­de inter­es­siert es ganz beson­ders auch eini­ge jun­ge Men­schen, die an der Uni Müns­ter Stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on stu­die­ren. Sie beschäf­ti­gen sich damit, wie ambi­tio­niert das Ziel ist, Müns­ter bis 2030 kli­ma­neu­tral zu machen. Und dazu haben sie eini­ge Fra­gen vor­be­rei­tet, die Sie unter die­sem Link anonym beant­wor­ten kön­nen. Wenn Sie zehn Minu­ten Zeit haben, machen Sie doch mit und unter­stüt­zen Sie die Forschung.

+++ Im Mai hat­ten wir Ihnen geschrie­ben, wie ein Team von inves­ti­ga­ti­ven Journalist:innen einen offen­bar sys­te­ma­ti­schen Betrug in Coro­na-Schnell­test­zen­tren auf­ge­deckt hat, unter ande­rem in Müns­ter. Dabei soll ein Scha­den von 25 Mil­lio­nen Euro ent­stan­den sein. Jetzt hat die Staats­an­walt­schaft Bochum Ankla­ge gegen zwei Män­ner erho­ben, die dafür ver­ant­wort­lich sein sol­len. In die­sem Spie­gel-Arti­kel kön­nen Sie das noch­mal genau nachlesen.

Corona-Update

Vor ziem­lich genau einem Jahr stand in mei­nem RUMS-Brief die Fra­ge: Hat­ten wir das alles nicht schon mal? Und die­ses Gefühl kehrt gera­de zurück, jeden­falls ein biss­chen. Das Robert-Koch-Insti­tut mel­det stei­gen­de Zah­len und sieht dar­in den Anfang der vier­ten Infek­ti­ons­wel­le.

Aber es gibt ja jetzt auch viel Posi­ti­ves zu berich­ten, wer hät­te zum Bei­spiel vor einem Jahr gedacht, dass wir in die­sem Okto­ber schon über Dritt­imp­fun­gen spre­chen wür­den. Alle, die min­des­tens 70 Jah­re alt sind, bekom­men dazu dem­nächst per Post eine Einladung.

Noch eine ermu­ti­gen­de Nach­richt: Die Impf­stoff­her­stel­ler Biontech und Pfi­zer haben in den USA und auch bei der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel­agen­tur EMA die Zulas­sung eines Coro­na-Impf­stoffs für Kin­der zwi­schen fünf und elf Jah­ren bean­tragt. Es wird zwar noch nicht direkt im gro­ßen Stil mit den Imp­fun­gen los­ge­hen, wie hier erklärt ist. Aber es ist ein Licht­blick. Und viel­leicht ja auch ein neu­er Moti­va­ti­ons­schub, um die neue Wel­le noch etwas in Schach zu hal­ten und die Kin­der bis zur Imp­fung so gut wie mög­lich zu schützen.

In Müns­ter geht es gera­de lei­der in die fal­sche Rich­tung, heu­te wird eine Wochen­in­zi­denz von 46,8 gemel­det. Vor zwei Wochen lag der Wert noch bei 25. Ins­ge­samt gel­ten aktu­ell 237 Münsteraner:innen als infi­ziert. Zwölf Covid-Patient:innen wer­den im Kran­ken­haus behan­delt, vier von ihnen auf der Inten­siv­sta­ti­on. Zwei Men­schen wer­den beatmet.

Unbezahlte Werbung

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber mei­ne Kolleg:innen und ich gehen nicht nur auf den Markt, um lecke­re Sachen zu kau­fen, son­dern auch, weil dort beson­ders freund­li­che Men­schen arbei­ten. Bei Fein­kost Nas­sim ergänzt sich bei­des per­fekt. Mit Moha­med Nai­li, des­sen Stand Sie schräg gegen­über vom Markt­ca­fé gleich neben der Tiro­le­rin fin­den, kann man sich immer nett unter­hal­ten. Und das ist gut, denn wenn man ein­mal da war, kommt man wie­der. Um sich durch die rie­si­ge Aus­wahl an selbst­ge­mach­ten Dips zu pro­bie­ren, reicht ein Besuch ein­fach nicht. Zum Glück darf man aber fast immer auch etwas zum Pro­bie­ren mit­neh­men. Beson­ders emp­feh­len kön­nen wir Ihnen den Dip mit Aubergine.

Drinnen und Draußen

+++ Hier star­ten wir mit einem Tipp, für den Sie einen klei­nen Aus­flug unter­neh­men müss­ten: Im Klos­ter Bent­la­ge in Rhei­ne gibt es am Sonn­tag ab 17 Uhr die Tanz­per­for­mance „Ana­to­mie der Sehn­sucht | Ana­to­mie der Pein­lich­keit“ zu sehen. Die Tän­ze­rin­nen Lena Schat­ten­berg und Char­lot­te Peter­sen vom MNEME kol­lek­tiv, die aus Müns­ter kom­men, wid­men sie sich mit ihrer Cho­reo­gra­fie ganz gegen­sätz­li­chen Emo­tio­nen. Dazu gibt es Musik von der ira­nisch-öster­rei­chi­schen Kom­po­nis­tin und Kla­ri­net­tis­tin Mona Math­bou Riahi. Kar­ten bekom­men Sie hier. Und falls Sie am Sonn­tag kei­ne Zeit haben oder nicht nach Rhei­ne fah­ren möch­ten, schau­en Sie doch mal in den Kalen­der des Tanz­kol­lek­tivs. Dort fin­den Sie wei­te­re Ter­mi­ne, auch für das Kin­der­stück Tur­bo­gi­ga­ma­ni­powe­ris­tisch. Mit die­sem sind die Tän­ze­rin­nen ab Janu­ar auch eini­ge Zeit hier in Münster.

+++ Bestimmt haben Sie min­des­tens das Rie­sen­rad schon von Wei­tem gese­hen. Auf dem Schloss­platz ste­hen außer­dem Karus­sells, Geis­ter- und Ach­ter­bah­nen und jede Men­ge Imbiss­bu­den. Mor­gen um 15 Uhr gehts los mit dem Rum­mel, Infos zur 3G-Regel und Son­der­ak­tio­nen auf dem Herbst­send hat die Stadt hier zusammengetragen.

+++ Wenn Sie ab Mon­tag durch die Stadt lau­fen, hal­ten Sie mal Aus­schau nach Notiz­zet­teln. Beson­ders nach sol­chen, auf denen Anwei­sun­gen mit Aus­ru­fe­zei­chen ste­hen, zum Bei­spiel: Beten Sie für schnel­les Inter­net! Alle Zet­tel zusam­men sind näm­lich eine Kunst­ak­ti­on eines Müns­te­ra­ners namens Mül­ler, Lei­ter des ganz neu­en Amtes für Zet­tel­wirt­schafts­för­de­rung. Für Mül­ler sind die Zet­tel­chen ein „Medi­um des Erin­nerns, Ver­ges­sens, Moti­vie­rens, Mit- und Wei­ter­den­kens“. Und das mit dem Erin­nern und Ver­ges­sen fin­den wir Redakteur:innen sehr schön, denn wir krit­zeln oft Gedan­ken auf Notiz­zet­tel, wis­sen aber spä­ter nicht mehr so genau, was wir uns selbst eigent­lich damit sagen woll­ten. Viel­leicht hilft uns die Ver­zet­te­lungs­ak­ti­on in der Stadt ja beim Entschlüsseln.

Am Diens­tag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wün­sche Ihnen ein schö­nes Wochenende.

Herz­li­che Grüße

Con­stan­ze Busch

Mit­ar­beit: Ali­na Köl­ler, Eva Strehlke

PS

Schau­en Sie auch am Sonn­tag unbe­dingt in Ihr Post­fach. Wir haben eine Über­ra­schung für Sie: eine neue RUMS-Kolum­nis­tin. An die­sem Wochen­en­de schreibt sie Ihnen zum ers­ten Mal. Ich möch­te noch nicht zu viel ver­ra­ten. Aber was ich Ihnen schon erzäh­len kann: Sie ver­wen­det ein Pseud­onym. Denn sie schreibt über die unan­ge­neh­men Sei­ten ihres Berufs – die uns frü­her oder spä­ter alle betreffen.