Mahnmal statt Denkmal | Hans Blumenberg | Der neue Doppelpunkt

Müns­ter, 14. Juli 2020

Lie­be Leser:innen,

bevor Sie sich die Mühe machen, die­sen Text zu lesen, zual­ler­erst ein Hin­weis: Unse­re RUMS-Brie­fe kön­nen Sie ab sofort auch hören. Zum Bei­spiel bei Spo­ti­fy. Wenn Sie das aus­pro­bie­ren möch­ten, dann fol­gen Sie ein­fach die­sem Link. Ansons­ten geht es hier unten weiter. 


Schwarze Farbe gegen weiße Geschichte

In der Nacht zu Mon­tag hat eine Grup­pe von Aktivist:innen die Inschrift des Train-Denk­mals am Lud­ge­ri-Krei­sel mit schwar­zer Far­be unkennt­lich gemacht. Was man in der Akti­on sieht oder sehen möch­te, hängt davon ab, wel­chen Stand­punkt man ein­nimmt. Einer­seits kann man sagen: Es ist ein­fach Sach­be­schä­di­gung. Das Denk­mal ist schließ­lich Eigen­tum der Stadt Müns­ter. Ande­rer­seits hat die Akti­on eine poli­ti­sche Bot­schaft. Sie steht in blau­er Far­be auf dem Stein neben der Inschrift: „Mahn­mal statt Denk­mal“. Das ist gleich­zei­tig der Name der Grup­pe, die den Stein­klotz mit Far­be bemalt hat. Ihr geht es dar­um, „die Heroi­sie­rung und Erin­ne­rungs­kul­tur von Kriegs­ver­bre­chen zu been­den“, so schreibt die Initia­ti­ve es in einer Pressemitteilung. 

Das Ziel sei, die „ein­sei­ti­ge wei­ße Geschichts­schrei­bung umzu­sto­ßen, in der nicht-wei­ßen Men­schen kein Platz im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis ein­ge­räumt wird“. Die Grup­pe erklärt, sie soli­da­ri­sie­re sich mit der Black-Lives-Mat­ter-Bewe­gung in den USA. Man wol­le his­to­ri­sche Tat­sa­chen sicht­bar machen, ohne sie zu ver­klä­ren. Aber will das nicht auch die Stadt Müns­ter? Der Rat hat erst im Juni beschlos­sen, die Kriegs­denk­mä­ler im Stadt­ge­biet mit Infor­ma­ti­ons­ta­feln zu ver­se­hen, um ihre Bedeu­tung kri­tisch ein­zu­ord­nen. Es ist wohl alles nicht ganz so einfach. 

Hier der Ver­such eines Über­blicks:

Worum geht es eigentlich?

Das Train-Denk­mal am Lud­ge­ri-Krei­sel erin­nert an 855 Sol­da­ten, die im Ers­ten Welt­krieg getö­tet wur­den. Sie alle gehör­ten dem Train-Batail­lon Nr. 7 an. Die­se Nach­schub-Ein­heit war im Geist­vier­tel an der Wei­ßen­burg­stra­ße und auf dem Gelän­de des heu­ti­gen Süd­parks sta­tio­niert (hier ein Bild der Kaser­ne). Eine nach­träg­lich am Denk­mal instal­lier­te Bron­ze-Plat­te erin­nert an drei wei­te­re Sol­da­ten. Einer von ihnen starb im Jahr 1901 bei der Nie­der­schla­gung des soge­nann­ten Boxer­auf­stands in Chi­na, als eine chi­ne­si­sche Bewe­gung sich gegen die Erobe­rungs­mäch­te aus Euro­pa, den USA und Japan zur Wehr setz­te. Zwei Sol­da­ten kamen in Deutsch-Süd­west­afri­ka (heu­te Nami­bia) ums Leben, als die deut­schen Kolo­ni­al­mäch­te Auf­stän­de der Völ­ker Here­ro und der Nama gewalt­sam been­de­ten. Die UNO bezeich­ne­te das schon 1948 als Völ­ker­mord. An die Opfer erin­nert das Denk­mal nicht. Ursprüng­lich ging es vor allem dar­um, die getö­te­ten Sol­da­ten zu Hel­den zu sti­li­sie­ren.

Warum sprechen wir jetzt darüber?

Die Debat­te um die Kriegs­denk­mä­ler in Müns­ter ist fast 40 Jah­re alt. Eine neue Dyna­mik bekommt sie nun durch die Black-Lives-Mat­ter-Bewe­gung in den USA. Ruprecht Polenz hat das aus­führ­lich in sei­ner RUMS-Kolum­ne erklärt. In Müns­ter hat der Arbeits­kreis Afri­ka schon im Jahr 1982 gegen das Train-Denk­mal pro­tes­tiert. Die Grup­pe ver­hüll­te die Skulp­tur und ver­sah sie mit der Auf­schrift: „Die­ses Denk­mal ist ein Schand­mal.

Die Initia­ti­ve wünsch­te sich damals, dass vor der Skulp­tur eine Infor­ma­ti­ons­ta­fel ange­bracht wird. Auf ihr soll­te ste­hen: „Wir geden­ken der Opfer des Völ­ker­mor­des unter deut­scher Kolo­ni­al­herr­schaft in Nami­bia.“ Die Poli­tik lehn­te das ab. Man stör­te sich an dem Wort „Völ­ker­mord“. Im Jahr dar­auf schenk­te der Arbeits­kreis der Stadt die Tafel. Danach ver­schwand sie in irgend­ei­nem Abstell­raum und wur­de erst im ver­gan­ge­nen Jahr wie­der­ge­fun­den. Seit 2010 erklärt eine ande­re Infor­ma­ti­ons­ta­fel die Bedeu­tung des Denk­mals. Von einem Völ­ker­mord ist aller­dings auch auf ihr nicht die Rede. 

Erst vor drei Wochen fiel im Rat die Ent­schei­dung, die Bedeu­tung der Kriegs­denk­mä­ler im öffent­li­chen Raum bes­ser her­vor­zu­he­ben. Am Train-Denk­mal soll nun end­lich die Gedenk­ta­fel des Arbeits­krei­ses Afri­ka ange­bracht wer­den. Doch durch die Black-Lives-Mat­ter-Bewe­gung ändert sich nun die Rich­tung der Auseinandersetzung. 

In Bris­tol haben Demons­trie­ren­de die Sta­tue des Skla­ven­händ­lers Edward Col­s­ton ins Was­ser gestürzt. In Bos­ton haben Unbe­kann­te ein Stand­bild von Chris­toph Kolum­bus geköpft. Und auch in Deutsch­land wol­len vie­le Men­schen sich nicht län­ger mit ergän­zen­den Infor­ma­ti­ons­ta­feln zufrie­den­ge­ben. Sie wol­len eine voll­kom­men ande­re Erin­ne­rungs­kul­tur, in der Hel­den­dar­stel­lun­gen von Kolo­nia­lis­ten und Ras­sis­ten gar nicht mehr vor­kom­men. (Weil die Fra­ge kam: Gen­dern lohnt hier glaub ich nicht, 17. Juli 2020)

Warum ist die Entscheidung so schwer?

Als der Arbeits­kreis Afri­ka sich im Jahr 1983 eine Infor­ma­ti­ons­ta­fel am Train-Denk­mal wünsch­te, begrün­de­te die Stadt ihre Ableh­nung wie folgt: „Die bestehen­den älte­ren Krie­ger­denk­mä­ler soll­ten nicht ver­än­dert und nicht durch Zusatz­ta­feln mit der Inschrift aus der Sicht des Jah­res 1983 modi­fi­ziert wer­den.“ Das war zu die­ser Zeit die Mehr­heits­mei­nung. Heu­te ist sowohl die damals umstrit­te­ne For­mu­lie­rung „Völ­ker­mord“ in Zusam­men­hang mit den Ver­bre­chen an den Here­ro und Nama Kon­sens als auch die Über­zeu­gung, dass es ohne Ein­ord­nung der Denk­mä­ler nicht geht.

Das ist der gegen­wär­ti­ge Stand. Er kann sich jeder­zeit ändern. Der strit­ti­ge Punkt ist die Fra­ge: Wie gehen wir mit die­sen Ver­än­de­run­gen um? Wel­che Rol­le spielt die Ver­gan­gen­heit in unse­rer Gegenwart? 

Wenn wir unse­re Umge­bung so gestal­ten wol­len, dass sie nur unse­ren gegen­wär­ti­gen Vor­stel­lun­gen ent­spricht, kön­nen wir all das ent­fer­nen, was nicht mehr hin­ein­passt. Das wäre mög­li­cher­wei­se sinn­voll, wenn wir die Über­zeu­gung ver­tre­ten, dass wir uns immer wei­ter­ent­wi­ckeln. Es wäre weni­ger sinn­voll, wenn wir anneh­men, dass der unste­te Zeit­geist gro­ßen Ein­fluss auf unse­re Ent­schei­dun­gen hat. Der ande­re Pol ist: Wir neh­men unse­re Umge­bung als etwas Gewach­se­nes und müs­sen die gesam­te unan­ge­neh­me Ver­gan­gen­heit ertra­gen. In die­sem Extrem müss­ten wir auch mit Hit­ler-Sta­tu­en wei­ter­hin leben. 

Dazwi­schen gibt es vie­le Grau­stu­fen, über die immer wie­der debat­tiert wird. Hin­den­burg- oder Schloss­platz? Soll Müns­ters Uni­ver­si­tät noch West­fä­li­sche Wil­helms-Uni­ver­si­tät hei­ßen? Vor weni­gen Jah­ren war man der Mei­nung: Wil­helms-Uni­ver­si­tät geht schon noch in Ord­nung. Inzwi­schen sieht es eher nach einer Umbe­nen­nung aus. Es ist eine Fra­ge von demo­kra­ti­schen Mehr­hei­ten. Und viel­leicht ent­schei­det schon bald eine Mehr­heit: Krie­ger­denk­mä­ler sind auch dann nicht mehr akzep­ta­bel, wenn an ihnen eine Info­ta­fel hängt. 

Der His­to­ri­ker Micha­el Wolff­sohn hat vor weni­gen Tagen in einem Inter­view mit der Nord­west-Zei­tung gesagt: „Jedes Denk­mal und Sym­bol in einem Staat ist sozu­sa­gen die mora­li­sche Visi­ten­kar­te des Staa­tes. Ein demo­kra­ti­scher Staat hat den Wil­len des Sou­ve­räns, des Herr­schers, aus­zu­füh­ren. Das ist das Volk, genau­er: des­sen Mehr­heit. Daher ist es not­wen­dig, dass die gewähl­ten und nicht sich selbst ermäch­ti­gen­den Reprä­sen­tan­ten des Vol­kes über Errich­tung und Fort­be­stand von Denk­ma­len ent­schei­den.“ Ent­schei­den müs­sen Politiker:innen. Nur der Anstoß muss manch­mal von außen kommen. 

Welche Optionen gibt es?

Als sich im Juni 2019 eine Gesprächs­run­de aus Politiker:innen, Historiker:innen und Initia­ti­ven mit der Fra­ge befass­te, wie Müns­ter mit sei­nen Krie­ger­denk­mä­lern umge­hen soll, gab es im Wesent­li­chen sie­ben Mög­lich­kei­ten:

1. Alles bleibt, wie es ist. 

2. Die Stadt ergänzt die Denk­mä­ler um Infor­ma­tio­nen (ana­log oder digital). 

3. Künstler:innen bear­bei­ten die Denk­mä­ler oder deu­ten sie um. 

4. Die Stadt bringt Tafeln an, die sich kri­tisch mit der Bedeu­tung der Skulp­tu­ren auseinandersetzen. 

5. Man lässt die Denk­mä­ler verwittern.

6. Man reißt sie ab. 

7. Die Skulp­tu­ren zie­hen um und ste­hen fort­an auf einem Denkmalfriedhof. 

Der Rat stimm­te schließ­lich für Vari­an­te 4. Am Train-, Drei­zeh­ner-, Kür­as­sier-, Sta­lin­grad-, und am Mau­ritz­tor-Denk­mal will man Tafeln auf­stel­len. Dazu zu soll es Bil­dungs­an­ge­bo­te geben. 

In der Ver­gan­gen­heit hat auch Vari­an­te 3 in Müns­ter eine Rol­le gespielt. Künstler:innen fügen dem Denk­mal ein neu­es Ele­ment hin­zu, bear­bei­ten es oder bet­ten es ein in ein neu­es Werk. So ent­steht eine neue Bedeutung. 

Bei den Skulp­tur-Pro­jek­ten im Jahr 2017 instal­lier­te die Künst­le­rin Lara Fava­ret­to auf der Rasen­flä­che gegen­über vom Train-Denk­mal einen Gegen­pol. Der Autor Jan Gro­ße Nobis nennt in einem Bei­trag für das Ost­vier­tel-Maga­zin zwei wei­te­re Bei­spie­le. 20 Jah­re vor Lara Fava­ret­to hat­te Hans Haa­ke bei den Skulp­tur-Pro­jek­ten 1997 dem „Ehren­mal am Mau­ritz­tor“ einen Bret­ter­ver­schlag gegen­über­ge­stellt. Auch die Paul Wulff-Skulp­tur von Sil­ke Wag­ner weni­ge Meter wei­ter kann als eine Art Gegen­ent­wurf ver­stan­den wer­den. Gro­ße Nobis erwähnt in sei­nem Text den Ham­bur­ger His­to­ri­ker Jür­gen Zim­me­rer, der vor­ge­schla­gen hat, man müs­se die Denk­mä­ler „ein­fach hin­le­gen, auf den Kopf stel­len oder zer­bre­chen“. In der Kunst ent­steht durch die Zer­stö­rung eine neue Bedeu­tung. Auch durch die Bema­lung. In Bris­tol etwa hat­ten, wie die BBC berich­tet, die Demons­trie­ren­den die Edward-Col­s­ton-Sta­tue mit roter Far­be besprüht, bevor sie sie ins Hafen­be­cken stürzten. 

Als ein städ­ti­sches Team die Sta­tue vier Tage spä­ter aus dem Was­ser hol­te, war sie vol­ler Schlamm, an ihr hing ein alter Fahr­rad­rei­fen. Das Ber­gungs­team ging mit äußers­ter Vor­sicht vor. Die Sor­ge galt nicht der Sta­tue. Die war rela­tiv robust. Das Team woll­te auf kei­nen Fall das Graf­fi­ti beschä­di­gen. Ein Mit­ar­bei­ter der Stadt­ver­wal­tung sag­te: „Es ist Teil der Geschich­te gewor­den. Daher ist es unse­re Auf­ga­be, zu ver­su­chen, es so gut es geht zu erhalten.“

Was machen andere Städte?

In Deutsch­land ste­hen etwa 100.000 Krie­ger­denk­mä­ler. Die Debat­te über ihre Bedeu­tung und dar­über, wie man mit ihnen umgeht, ist noch nicht über­all ange­kom­men. Die Mär­ki­sche All­ge­mei­ne berich­te­te vor zwei Wochen aus einer Gemein­de in der Ucker­mark (€), wo ein Team gera­de damit begon­nen hat, ein Krie­ger­denk­mal im Orts­zen­trum zu restau­rie­ren. Vor ein paar Tagen berich­te­te die Mit­tel­deut­sche Zei­tung über die Gemein­de Siers­le­ben in Sach­sen-Anhalt, wo die Sanie­rung jetzt ansteht. 

In ande­ren Städ­ten ist man schon wei­ter. In Ham­burg muss­te man sich schon Ende der 60er-Jah­re über­le­gen, wie man damit umgeht, dass Stu­die­ren­de das Denk­mal des Sol­da­ten­füh­rers Her­mann von Wiss­man immer wie­der vom Sockel hol­ten. Till Brie­g­leb beschrieb im Febru­ar in einem Bei­trag für das Kunst­ma­ga­zin Art (lei­der nicht online), wie die Stadt die Skulp­tur danach in die Asser­va­ten­kam­mer stell­te und sie nur noch für Aus­stel­lun­gen zur Kolo­ni­al­ge­schich­te oder Kunst­ak­tio­nen her­vor­hol­te – was aller­dings auch nicht ver­hin­der­te, dass sie mit Far­be beschmiert wur­de. In Lon­don ver­sah der Künst­ler Bank­sy den Sie­ges­wa­gen am House of Par­lia­ment mit einem Rei­fen­schloss. Der ango­la­ni­sche Künst­ler Kilu­an­ji Kia Hen­da besetz­te, auch das schreibt Brie­g­leb in sei­nem Text, für eine Foto­se­rie mit dem Titel „Rede­fi­ning the Power“ die ver­blie­be­nen Sockel der ent­fern­ten Denk­mä­ler von por­tu­gie­si­schen Kolo­ni­al­her­ren mit sei­nen Freunden. 

Hin­weis: Die Infor­ma­tio­nen über die Krie­ger­denk­mä­ler in Müns­ter stam­men, wenn nicht anders ange­ge­ben, von der Stadt Müns­ter.


Corona Update

In Kali­for­ni­en sehen wir zur­zeit, was pas­sie­ren kann, wenn Men­schen sich in Sicher­heit wäh­nen und dann auch genau so ver­hal­ten. Die New York Times mel­de­te am Mon­tag, dass mit Locke­run­gen wohl erst ein­mal nicht zu rech­nen sei. Die Schu­len wer­den erst im Herbst wie­der öff­nen. Öffent­li­che Ver­samm­lun­gen mit mehr als vier Per­so­nen sind ver­bo­ten. Dabei hat­te zunächst alles danach aus­ge­se­hen, als wäre das Schlimms­te schon über­stan­den. So sieht es zur­zeit auch in Müns­ter aus. Am Diens­tag­nach­mit­tag gal­ten vier Men­schen in Müns­ter als infi­ziert. Es kam kei­ne neue Mel­dung hin­zu. Aber noch sind die Urlauber:innen nicht wie­der zurück. NRW-Gesund­heits­mi­nis­ter Karl-Josef Lau­mann (CDU) hat laut der Rhei­ni­schen Post ange­kün­digt, Men­schen an den Kos­ten Coro­na-Tests zu betei­li­gen oder sie für 14 Tage in Qua­ran­tä­ne zu schi­cken, wenn sie aus dem Urlaub in einem Risi­ko­ge­biet zurück­kom­men. Erfah­ren wer­den sie das im schlech­tes­ten Fall erst nach dem Rück­flug.


Blick in die Medien

+++ Der Phi­lo­soph Hans Blu­men­berg wäre ges­tern 100 Jah­re alt gewor­den. Falls Ihnen der Name nichts sagt: Hans Blu­men­berg war von 1970 bis 1985 Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie in Müns­ter und wäh­rend die­ser Zeit eine Art Star, wobei er selbst kein gro­ßer Fan von Ruhm war. Fotos von ihm gibt es kaum. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung leb­te Blu­men­berg bis 1996 sehr zurück­ge­zo­gen in Alten­ber­ge. Das erklärt den Unter­ti­tel „Der unsicht­ba­re Phi­lo­sopheines Doku­men­tar­films über ihn, der vor zwei Jah­ren in den Pro­gramm­ki­nos lief. Vor neun Jah­ren war Blu­men­berg Titel­held des gleich­na­mi­gen Romans von Sibyl­le Lewitschar­off. Zu sei­nem run­den Geburts­tag sind nun zwei Bio­gra­fien und sehr vie­le Wür­di­gun­gen erschie­nen. Wenn ich eine davon her­vor­he­ben soll­te, dann wäre das der etwas sper­ri­ge, aber sehr kun­di­ge Text von Chris­ti­an Tho­mas für die Frank­fur­ter Rund­schau, der damals in Müns­ter selbst bei Blu­men­berg stu­diert hat. 

+++ Eben­falls in Alten­ber­ge lebt der hier im Brief schon öfter erwähn­te Fuß­ball­his­to­ri­ker Diet­rich Schul­ze-Mar­me­ling. Ver­mut­lich nicht ganz so zurück­ge­zo­gen wie Hans Blu­men­berg. Er gibt immer­hin Inter­views, sehr inter­es­san­te noch dazu. In einem län­ge­ren Gespräch für Zeit Online hat er mit Oli­ver Frit­sch über Fuß­ball, Macht und Coro­na gespro­chen. Ein The­ma dabei: die unge­rech­te Ver­tei­lung der TV-Gel­der: Schul­ze-Mar­me­ling rät den klei­ne­ren Ver­ei­nen (also alles, was nicht Bay­ern und Dort­mund ist), sie soll­ten, „selbst­be­wuss­ter auf­tre­ten und sich nicht von den bei­den erpres­sen las­sen. Zur Not sol­len sie halt raus aus der Bun­des­li­ga. Mich berührt jeden­falls nicht mehr, wenn Bay­ern Mün­chen zum ach­ten oder zehn­ten Mal hin­ter­ein­an­der Meis­ter wird.“ Und ganz inter­es­sant: wir erfah­ren, war­um Fuß­ball in Deutsch­land über­haupt erst so popu­lär wur­de: „Der Kon­tra­hent in Deutsch­land war das Tur­nen, das durch sei­ne stren­gen Regeln, Nor­men, Abläu­fe und Bewer­tun­gen in einer Mili­tär­tra­di­ti­on stand. Der Fuß­ball ist frei­er, und die Zwan­zi­ger­jah­re waren auch im Sport ein inno­va­ti­ves Jahrzehnt.“ 

Unbezahlte Werbung

Heu­te gleich zwei Emp­feh­lun­gen auf ein­mal, aber Sie kön­nen bei­de gut an einem Abend abar­bei­ten. Da wäre zum einen die Piz­ze­ria Il Piz­zaio­lo, die einen wirk­lich außer­ge­wöhn­li­chen Piz­za­teig macht, der, falls Sie sich die­sen Teig gern vor­stel­len möch­ten, gleich­zei­tig luf­tig und knusp­rig ist. Bestel­len kön­nen Sie die­se Piz­za zum Bei­spiel, wenn sie an der Ker­ßen­b­rock­stra­ße vor der Braue­rei Fin­ne sit­zen, die zwar kei­ne eige­ne Küche hat und daher Bestel­lun­gen erlaubt, aber dafür sehr lecke­res selbst gebrau­tes Bier im Ange­bot hat. Ich emp­feh­le ein Hel­les und dazu die Piz­za mit Avo­ca­do und Lachs. Schau­en Sie aber, bevor Sie los­fah­ren, am bes­ten noch mal in den Kalen­der. Geöff­net hat die Braue­rei don­ners­tags bis sams­tags, jeweils von 14 bis 23 Uhr. 


Drinnen

+++ In die­sem Monat vor 79 Jah­ren hielt Müns­ters Bischof Cle­mens August von Galen in der Über­was­ser­kir­che eine sei­ner Brand­pre­dig­ten. Hen­ning Stoff­ers hat auf sei­ner Sei­te „Müns­ter in alten Bil­dern und Doku­men­ten“ Fotos von Abschrif­ten der Pre­digt ver­öf­fent­licht. Sie muss­ten damals müh­sam mit einer Schreib­ma­schi­ne ange­fer­tigt wer­den. Sie zu besit­zen war lebens­ge­fähr­lich. Der ursprüng­li­che Bei­trag ist aus dem Som­mer 2015. Nun hat Stoff­ers ihn um ein inter­nes Doku­ment aus dem August 1941 ergänzt, das zeigt, wie die Nazis in ihren inne­ren Macht­zir­keln über von Galen dach­ten. Ein Vor­schlag war, den Bischof zu erhängen. 


Draußen

+++ Wenn Sie mor­gen Mit­tag um 12 Uhr zufäl­lig ein Gerät in der Hand hal­ten soll­ten, mit dem Sie Fotos machen kön­nen, dann neh­men Sie sich doch eine Sekun­de Zeit und foto­gra­fie­ren das, was Sie gera­de sehen. Wenn Sie das Foto dann auf die­ser Sei­te hoch­la­den, wird Ihr Bild Teil der Kunst­ak­ti­on 1secMS. Der Initia­tor Tho­mas Nufer will auf die­se Wei­se tau­sen­de Bil­der sam­meln, die zum glei­chen Zeit­punkt in Müns­ter ent­stan­den sind. Vor 20 Jah­ren hat er das schon ein­mal gemacht. Eini­ge der Fotos von damals kön­nen Sie sich auf der Web­site 1sekunde.muenster.life anse­hen. Und wenn Ihnen das mit dem Hoch­la­den zu kom­pli­ziert ist, kön­nen Sie das Foto auch ein­fach bei Insta­gram ver­öf­fent­li­chen. Hash­tag #1secMS.

Am Frei­tag schreibt Ihnen mei­ne Kol­le­gin Ann-Mar­len Hoolt. Haben Sie bis dahin eine schö­ne Woche. 

Herz­li­che Grüße

Ralf Heimann


PS

Viel­leicht haben Sie sich gewun­dert, dass in die­sem Brief auf­fäl­lig vie­le Dop­pel­punk­te vor­kom­men. Das liegt unter ande­rem dar­an, dass wir etwas ver­än­dert haben. Wir haben uns dar­auf geei­nigt, den Dop­pel­punkt zu ver­wen­den, um männ­li­che, weib­li­che und diver­se Men­schen zu adres­sie­ren. Wir hal­ten das für wich­tig, weil Spra­che unse­re Vor­stel­lung prägt. Wenn von zwei Leh­rern, Che­mi­kern oder Elek­tri­kern die Rede ist, den­ken die meis­ten Men­schen an zwei Män­ner. Frau­en sind viel­leicht mit­ge­meint, wer­den aber nicht mit­ge­dacht. Und auch Men­schen, die weder männ­lich noch weib­lich sind, soll­ten sich, so den­ken wir, in unse­rer Spra­che wie­der­fin­den. Wenn Sie nun den­ken: Das muss doch wohl nicht sein, emp­feh­le ich Ihnen die­sen Text der Sprachwissenschaftler:innen Hen­ning Lobin und Dama­ris Nüb­ling, die für die Süd­deut­sche Zei­tung erklärt haben, war­um es doch sein muss. Und falls Sie Zwei­fel dar­an haben, ob es wirk­lich mehr als zwei Geschlech­ter gibt, lesen Sie doch ein­mal die­sen Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts.