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Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Münster, 4. August 2020

in der Sitzung der Bezirksvertretung Mitte passierte am 23. Juni gegen Ende etwas Überraschendes. So erlebte es jedenfalls der grüne Ratsherr Thomas Marczinkowski. Zu Beginn hatte man sich darauf geeinigt, die Tagesordnung um einen weiteren Punkt zu ergänzen. Man wollte endlich eine Entscheidung hinter sich bringen, die schon in mehreren Anläufen gescheitert war. Die Danziger Freiheit, ein Teil der Warendorfer Straße kurz vor dem Dortmund-Ems-Kanal, sollte einen neuen Namen bekommen, denn der alte ist im Grunde eine Parole der Nationalsozialisten, die auf unwahrscheinliche Weise die Jahrzehnte im Stadtbild überlebt hat. Das sollte nun endlich korrigiert werden. In dieser Sitzung bot sich, so schien es, die letzte Chance, das noch vor den Kommunalwahlen im September zu schaffen. Anfangs habe auch alles ganz gut ausgesehen, sagt Thomas Marczinkowski. Doch als man gegen Ende der Sitzung den neu eingefügten Punkt sieben der Tagesordnung erreichte, beantragte Monika Mayweg von der SPD, die Sitzung zu unterbrechen. Nach der Pause legte ihre Partei einen neuen Antrag vor. Von einer Umbenennung der Danziger Freiheit war darin nicht mehr die Rede. CDU und FDP stimmten zu.

Es schien wie so oft in den vergangenen Jahren. Irgendwie kam der Name doch wieder durch. Ein Grund dafür scheint zu sein, dass er seine ursprüngliche Bedeutung nicht unmittelbar preisgibt. Freiheit klingt schließlich immer gut. Und warum sollte die Stadt Münster als Städtepartnerin von Lublin nicht auch einer anderen polnischen Stadt einen Ort widmen? Schneller lösen lassen hätte sich das Problem wahrscheinlich, wenn dieser Abschnitt der Warendorfer Straße den Namen „Heim-ins-Reich-Platz“ tragen würde. Dabei wäre die Bedeutung in etwa die gleiche.

Der Name Danziger Freiheit geht zurück auf eine Rede von Hitlers Chef-Demagogen Joseph Goebbels am 17. Mai 1933. Goebbels sprach damals vor deutschen Tourismus-Vertretern. Er forderte, den Status der nach dem Ersten Weltkrieg vom Deutschen Reich getrennten und inzwischen Freien Stadt Danzig zu ändern und sie so wieder zu einem Teil des Reichs zu machen – sie „heim ins Reich“ zu holen, wie es damals hieß. Die eigenständige, aber nationalsozialistisch regierte Stadt Danzig rief darauf hin deutsche Städte dazu auf, prominente Plätze der Forderung entsprechend in „Danziger Freiheit“ umzubenennen.

Münster kam dem Aufruf am 23. März 1934 nach; auch Städte wie München, Dortmund, Regensburg oder Koblenz schlossen sich an. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfuhren die Städte auf unterschiedliche Weise mit dieser im Stadtbild verankerten Ankündigung eines Überfalls, der fünf Jahre später ja schließlich auch stattfand.

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