Ein Musik-Campus oder kein Musik-Campus | Impfbus unterwegs | Pumpenhaus

Müns­ter, 16. Juli 2021

Guten Tag,

die Uni Müns­ter hat in der ver­gan­ge­nen Woche ein zwei­ein­halb Minu­ten lan­ges Image-Video ver­öf­fent­licht. Es trägt den Titel „Der Musik-Cam­pus Müns­ter – neue Räu­me für Musik, Kul­tur und Wis­sen­schaft“. Der klei­ne Film zeigt, wie die Uni­ver­si­tät sich den Musik-Cam­pus vor­stellt. Es sind trom­meln­de Kin­der zu sehen, Sze­nen aus einer Musik­schu­le, ein pro­ben­des Orches­ter, eine Jazz-Band auf der Büh­ne, ein Kir­chen­mu­si­ker an einer Orgel, ein Chor, ein solie­ren­der Schlag­zeu­ger, eine Pop-Band, ein Orches­ter-Musi­ker auf dem Fahr­rad, vie­le Men­schen auf dem Prin­zi­pal­markt, eine Frau, die an einem Flip­chart einen Vor­trag hält, und ein Modell des fer­ti­gen Campus-Gebäudes.

Damit nie­mand über­sieht, dass es hier um etwas wirk­lich Gro­ßes geht, sind zwi­schen­durch Titel wie „Eine Chan­ce“ oder „Eine Visi­on“ über die Bil­der gelegt. Das alles wird ver­stärkt durch emo­tio­na­le Musik, wie man sie aus der Wer­bung kennt. Der Film mün­det in einer Auf­for­de­rung. Auf einem schwar­zen Bild­schirm steht: „Eine Jahr­hun­dert­chan­ce – spie­len Sie mit!“

Viel grö­ßer geht es nicht.

Kei­ne der Sze­nen ist zufäl­lig in die­sen Film gera­ten. Jede ein­zel­ne hat eine Aus­sa­ge. Das Gebäu­de­mo­dell signa­li­siert: Es ist alles geklärt, die Archi­tek­tur, der Stand­ort. Im Prin­zip muss es nur noch gebaut wer­den. Der Orches­ter-Musi­ker auf dem Fahr­rad zeigt, dass der Stand­ort gar nicht so weit vom Zen­trum ent­fernt ist, wie immer behaup­tet wird. Und der Schlag­zeu­ger steht für eine Grup­pe aus der Kul­tur­sze­ne, die anfangs eher außen vor war.

Gehört die freie Szene dazu?

Es lohnt auch ein Blick auf die Details. Nach etwas mehr als einer Minu­te fügen sich die vier Ele­men­te des Pro­jekts gra­fisch zu einem Gan­zen zusam­men. Die Musik­schu­le, die Hoch­schu­le für Musik, das Sin­fo­nie­or­ches­ter und unten rechts die „frei­en Musik-Akteu­re“. Der Kreis unten rechts ist aller­dings etwas wei­ter vom Zen­trum ent­fernt als die ande­ren. So rich­tig scheint er nicht dazuzugehören.

Und wenn man sich in der frei­en Musik-Sze­ne umhört, zum Bei­spiel im Umfeld der Initia­ti­ve Mono­kul­tur, einem Zusam­men­schluss aus vie­len Kul­tur­schaf­fen­den in Müns­ter, dann ver­fes­tigt sich der Ein­druck, dass man das dort eben­so wahr­nimmt. Von dem Video wuss­te man nichts. Und als sich Anfang Juli eine soge­nann­te Geber-Kon­fe­renz traf, um über den Musik-Cam­pus zu spre­chen, da waren auf dem Foto 14 Per­so­nen zu sehen, unter ande­rem Friedrun Voll­mer und Golo Berg, die Lei­te­rin der Musik­schu­le und der Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor des Thea­ters. Doch die freie Kul­tur­sze­ne fehl­te. Das könn­te man erklä­ren, denn es war eben eine Geber-Kon­fe­renz. Die freie Sze­ne hat zwar durch­aus etwas zu geben, man hät­te sie gern dabei. Aber hier ging es um Geld. Es hat­te aller­dings auch nie­mand mit den Kul­tur­schaf­fen­den über den Ter­min gespro­chen, wie man es bei einem gemein­sa­men Pro­jekt viel­leicht erwar­ten würde.

Und da ist auch noch die Sache mit dem Stand­ort. Der Rat der Stadt Müns­ter hat im Okto­ber 2019 eine vage Wil­lens­be­kun­dung abge­ge­ben, dass man einen Musik-Cam­pus bau­en will. Auf mehr konn­te man sich nicht eini­gen. Im Febru­ar die­ses Jah­res gab der Haupt­aus­schuss ein soge­nann­tes Rea­li­sie­rungs­kon­zept in Auf­trag. Im Kern geht es um die Fra­ge: Kann die­ses Pro­jekt Wirk­lich­keit wer­den? Und wenn ja, wie?

Teil des Kon­zepts ist eine Stand­ort­ana­ly­se. Theo­re­tisch kom­men noch zwei Orte in Fra­ge: der Park­platz Hörs­ter Platz und die Hit­torf­stra­ße. Offi­zi­ell ist die Fra­ge offen. Aber als Stadt­bau­rat Robin Denstorff im Juni im Mar­ke­ting-Aus­schuss über die Plä­ne fürs Mar­ti­ni­vier­tel sprach, kam der Musik-Cam­pus schon gar nicht mehr vor. Grü­nen-Frak­ti­ons­spre­cher Chris­toph Kat­tent­idt sag­te bereits im Febru­ar, die Uni habe sich auf den Stand­ort an der Hit­torf­stra­ße fest­ge­legt, damit sei er gesetzt.

Simulierte demokratische Prozesse

Wenn man die Ent­ste­hung des Pro­jekts von der ers­ten Zei­tungs­mel­dung im Sep­tem­ber 2016 bis heu­te ver­folgt, kann man den Ein­druck gewin­nen, dass dies von Anfang an der Fall war – dass es nie dar­um ging, ernst­haft über alter­na­ti­ve Kon­zep­te oder Stand­or­te nach­zu­den­ken, son­dern es ledig­lich so aus­se­hen soll­te, als wäre man offen für Ideen, als wür­de es hier um einen demo­kra­ti­schen Pro­zess gehen.

Die­ser Ein­druck ent­stand immer wie­der. Wir haben das im ver­gan­ge­nen Jahr in einem Bei­trag aus­führ­lich beschrie­ben. Mal inter­pre­tier­te die Stadt das Ergeb­nis eines Gut­ach­tens zu Guns­ten des vom Ober­bür­ger­meis­ter favo­ri­sier­ten Vor­schlags. Mal plan­te man bei einem Dis­kus­si­ons­abend für die Vari­an­te Hit­torf­stra­ße drei Stun­den ein, für die übri­gen jeweils zehn Minu­ten. Auch der Umgang mit der frei­en Sze­ne passt in die­ses Mus­ter. Nach­dem die Stadt im Sep­tem­ber 2019 mit den Kul­tur­schaf­fen­den über ihr Vor­ha­ben gespro­chen hat­te, schrie­ben die in einem Posi­ti­ons­pa­pier, es sei offen­bar nur dar­um gegan­gen, „im Nach­hin­ein öffent­lich eine Form der Bür­ger­be­tei­li­gung zu sug­ge­rie­ren“. Man habe also nur einen demo­kra­ti­schen Pro­zess simu­lie­ren wollen.

Und die­ses Gefühl eines simu­lier­ten demo­kra­ti­schen Pro­zes­ses ist auch bei den Men­schen zurück­ge­blie­ben, die den Musik-Cam­pus an der Hit­torf­stra­ße wei­ter ver­hin­dern möch­ten. Zu die­ser Grup­pe gehö­ren der ehe­ma­li­ge Uni-Kanz­ler Klaus Ander­brüg­ge, die frü­he­re SPD-Bür­ger­meis­te­rin Bea­te Vil­h­jalms­son, der frü­he­re Volks­hoch­schul-Chef Hans Gum­mers­bach und Hery Klas, der ehe­ma­li­ge Grü­nen-Frak­ti­ons­chef. Sie haben Ende Juni einen Appell ver­öf­fent­licht, Gum­mers­bach und Klas als Mit­un­ter­zeich­ner, in dem sie unter ande­rem schrei­ben: „Par­ti­zi­pa­ti­on gibt es bei die­sem Pro­jekt nur auf dem Papier. Statt ein Musik­haus für alle und mit allen zu kon­zi­pie­ren, geht es wohl eher um den Traum eini­ger weni­ger von einem ‚Jahr­hun­dert­pro­jekt‘.“

Sie sehen Par­al­le­len zu dem vor 13 Jah­ren geschei­ter­ten Plan, vor dem Schloss ein Kon­zert­haus zu bau­en, das „Musik­hal­le“ hei­ßen soll­te. Damals hat­te erst ein Bür­ger­ent­scheid ans Licht gebracht, dass die Mehr­heit der Men­schen in Müns­ter die­se Hal­le gar nicht haben woll­te. 70 Pro­zent stimm­ten dage­gen. Die Fra­ge ist: Wäre das nun wie­der der Fall?

Was fehlt, ist die Einigkeit

Das lässt sich ohne Bür­ger­ent­scheid schwer sagen. Aber eines kann man schon sagen: Ein neu­er Bür­ger­ent­scheid zum Musik-Cam­pus wür­de wie­der nur die Fra­ge beant­wor­ten, was die Men­schen nicht wol­len. Ein Votum gegen den Musik-Cam­pus wäre nicht auto­ma­tisch eine Ent­schei­dung für eine ande­re Idee. Und das führt gleich zu den nächs­ten Pro­ble­men. Die Grup­pe hat zwar vie­le Kri­tik­punk­te und macht Gegen­vor­schlä­ge – zum Bei­spiel eine Musik­hoch­schu­le am Leo­nar­do-Cam­pus, ein neu­es Gebäu­de für die städ­ti­sche Musik­schu­le an der Him­mel­reich­al­lee und ein Kon­zert­saal am Park­platz Hörs­ter Platz. Aber dar­über, wie die­se Lösun­gen im Ein­zel­nen aus­se­hen könn­ten, ist man sich auch inner­halb der Grup­pe nicht ganz einig. Was statt­des­sen kom­men soll, das sol­len – so die Vor­stel­lung – die Men­schen in Müns­ter in einem demo­kra­ti­schen Pro­zess entscheiden.

Wel­che Pro­ble­me das mit sich brin­gen wür­de, das wis­sen alle, die schon mal dar­an betei­ligt waren, sich auf einen Ort und einen Ter­min für ein Klas­sen­fest zu eini­gen. Die einen kön­nen unter der Woche nur abends, die ande­ren aus­schließ­lich am Wochen­en­de, eine Fami­lie kann lei­der nur am 12. Juni, eine ande­re nur in der Woche drauf. Und dann wür­den eini­ge es mitt­ler­wei­le bes­ser fin­den, wenn das Fest drau­ßen statt­fin­den wür­de, dabei hat­te man sich beim letz­ten Mal eigent­lich schon auf das Pfarr­heim neben der Schu­le geei­nigt. Ach ja, und dann wäre noch die Fra­ge: Was wol­len wir denn essen?

Je mehr Men­schen an einer Ent­schei­dung betei­ligt sind, des­to unwahr­schein­li­cher wird es, dass sich am Ende alle auf einen Vor­schlag eini­gen kön­nen, und des­to grö­ßer wird die Wahr­schein­lich­keit von Kompromissen.

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Von Ideen bleibt oft nicht viel übrig

Wenn man eine poli­ti­sche Idee durch­set­zen möch­te, ist es daher rat­sam, sie erst zur Dis­kus­si­on zu stel­len, wenn sie mög­lichst aus­ge­reift ist. Denn wenn vie­le Men­schen ver­su­chen, ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen irgend­wie unter­zu­brin­gen, macht dies das Ergeb­nis nicht unbe­dingt bes­ser. Von der ursprüng­li­chen Idee bleibt am Ende oft nicht viel übrig.

Außer­dem muss man ein­kal­ku­lie­ren, dass sich in vie­len Fäl­len nicht der bes­te Vor­schlag durch­set­zen wird, son­dern der, auf den sich die meis­ten Men­schen eini­gen kön­nen. Daher geht es in so einer Debat­te nicht unbe­dingt dar­um, die Argu­men­te der Gegen­sei­te mit noch bes­se­ren Argu­men­ten zu schla­gen, son­dern eher dar­um, mit den eige­nen Argu­men­ten die meis­ten Men­schen zu überzeugen.

Das alles dürf­te ein Grund dafür sein, dass Mar­kus Lewe nicht von Beginn an eine offe­ne Debat­te gesucht hat, in der sich die Stadt­ge­sell­schaft auf die über­zeu­gends­te Idee einigt. Er hat statt­des­sen ver­sucht, das von ihm favo­ri­sier­te Pro­jekt poli­tisch ans Ziel zu brin­gen. Auf wel­che Wei­se er das gemacht hat, das mag man kri­ti­sie­ren, aber grund­sätz­lich ist die­se Vor­ge­hens­wei­se legitim.

Wel­che Über­zeu­gung dahin­ter­steht, das hat Mar­kus Lewe im Mai in einem ande­ren Zusam­men­hang in einer Rats­sit­zung erklärt. Es ging um die Fahr­rad­brü­cke am Aasee, den soge­nann­ten Fly­o­ver. Irgend­wann in der Debat­te ergriff er das Wort. Und das, was er sag­te, das lie­ße sich genau so auch auf die Musik-Cam­pus-Debat­te übertragen.

„Wie gehen wir mit dem öffentlichen Raum um?“ 

Lewe sag­te, der Fly­o­ver sei nicht nur ein Bau­werk, er sei ein Sym­bol für eine gene­rel­le Fra­ge. Sol­che Debat­ten über Sym­bo­le, hin­ter denen eigent­lich gene­rel­le Fra­gen ste­hen, sei­en in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten in Müns­ter immer wie­der geführt wor­den. Im Prin­zip gehe es dabei auch immer wie­der um die­sel­ben Fra­gen: „Wie gehen wir mit dem öffent­li­chen Raum um? Wem gehört der eigent­lich? Wer darf bestim­men, wie er aussieht?“

Das habe schon in den Sieb­zi­ger­jah­ren ange­fan­gen, sag­te Lewe. Damals habe man über Kunst im öffent­li­chen Raum dis­ku­tiert, über die inzwi­schen renom­mier­te Kunst­schau Skulp­tur-Pro­jek­te – die man in Müns­ter anfangs nicht haben woll­te –, spä­ter dann über den Neu­bau der Aasee-Terrassen.

Und natür­lich, man müs­se Kri­tik ernst neh­men, aber wenn man immer nur auf die Men­schen gehört hät­te, die pro­tes­tiert und Leser­brie­fe geschrie­ben haben, „dann gäbe es kei­ne neu­en Aasee-Ter­ras­sen, es gäbe auch kei­ne Skulp­tur-Pro­jek­te“, sag­te Lewe.

Hier muss man sagen: Er hat recht, aber die ande­ren haben auch recht. Es hängt davon ab, wie man die Sache sehen möch­te. Einer­seits kann man sagen: Men­schen wer­den ja gera­de in poli­ti­sche Ämter gewählt, damit sie stell­ver­tre­tend für ande­re poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen tref­fen. Und das ist auch gut, denn man weiß ja wie das aus­geht, wenn zu vie­le Men­schen in der Sup­pe her­um­rüh­ren. Ande­rer­seits kann man sagen: Bei gro­ßen strit­ti­gen Ent­schei­dun­gen muss man die Men­schen schon fra­gen. Viel­leicht auch aus ganz prak­ti­schen Erwä­gun­gen, denn wenn der Wider­stand in der Stadt­ge­sell­schaft groß ist, kip­pen die Men­schen das Pro­jekt unter Umstän­den spä­ter ein einem Bür­ger­ent­scheid. Und das ist die teu­ers­te und schlech­tes­te Variante.

Menschen überzeugt man nicht nur mit Fakten

Dahin­ter ste­hen unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen von Poli­tik. Ver­tritt man Lewes Posi­ti­on, die weit ver­brei­tet ist, dann ist die übli­che Vor­ge­hens­wei­se, einen Vor­schlag zu erar­bei­ten, der im bes­ten Fall so ent­schie­den und umge­setzt wer­den kann, wie er auf dem Tisch liegt. Und dann setzt man alles dar­an, Men­schen von die­sem Vor­schlag zu überzeugen.

Damit wären wir wie­der bei dem Image-Film vom Anfang. Denn auch wenn vie­le sich das wün­schen wür­den: Men­schen über­zeugt man nicht aus­schließ­lich mit Fak­ten und Inhal­ten. Stim­mun­gen spie­len eine Rol­le, wie Wahl­um­fra­gen immer wie­der zei­gen. Men­schen brau­chen Vor­stel­lun­gen, Bil­der, kurz: ein gutes Gefühl. Und wenn das Gefühl stimmt, dann nimmt man es unter Umstän­den auch hin, wenn das ein oder ande­re Argu­ment dage­gen spricht.

Beim Musik-Cam­pus gibt es vie­le offe­ne Fra­gen. Die größ­te ist die, wer das alles bezah­len soll. Aber wäh­rend die Geg­ner­schaft immer wie­der auf die Nach­tei­le der Cam­pus-Idee, den Charme und die Vor­tei­le der Alter­na­ti­ven hin­ge­wie­sen hat, haben Stadt und Uni ihre eine Idee immer wei­ter kon­kre­ti­siert und nach allen Regeln des Mar­ke­tings zu einem Pro­dukt geformt, das nun poli­tisch ver­kauft wer­den soll.

Auch das Wer­ben um die freie Kul­tur­sze­ne ist Teil die­ser poli­ti­schen Bemü­hun­gen. Hat man die Kul­tur­schaf­fen­den im Boot, wer­den die auch bei ihren Leu­ten um Unter­stüt­zung wer­ben. Und auch wenn die Kul­tur­schaf­fen­den so rich­tig zufrie­den mit ihrer Rol­le noch nicht sind, hört man doch, dass sich etwas bewegt. Wie viel Mit­spra­che­recht der Stadt und der Uni die Unter­stüt­zung der frei­en Kul­tur­sze­ne letzt­lich wert ist, das wird das Ergeb­nis von Ver­hand­lun­gen sein. Es ist ein demo­kra­ti­scher Prozess.

Es kommt einem aller­dings ein wenig so vor, als wür­de hier eine Debat­te geführt, die in Wirk­lich­keit aus min­des­tens zwei Debat­ten besteht, die so gut wie kei­ne Berüh­rungs­punk­te haben.

Viel­leicht gibt es auch hier Par­al­le­len zum Fly­o­ver, wo die eine Sei­te ein Ver­kehrs­pro­blem lösen möch­te, wäh­rend die ande­re sich ein Wahr­zei­chen wünscht. Die Geg­ner­schaft der Musik-Cam­pus-Idee greift das Pro­jekt inhalt­lich an und prä­sen­tiert inhalt­li­che Alter­na­ti­ven. Aber an die­ser Debat­te betei­li­gen sich Stadt und Uni gar nicht.

Blick auf das politisch Machbare

Es scheint, als sei es ihnen von Anfang nicht dar­um gegan­gen, die Wün­sche der Men­schen in Müns­ter mög­lichst demo­kra­tisch in einem Bau­pro­jekt zu ver­wirk­li­chen. Es sieht eher danach aus, als sei es vor allem dar­um gegan­gen, die eige­ne Idee durch­zu­drü­cken, oder – das wäre die posi­ti­ve For­mu­lie­rung – ein poli­ti­sches Pro­blem zu lösen, das sich seit über 80 Jah­ren stellt. Der Blick rich­te­te sich auf das poli­tisch Machbare.

Das zeig­te sich schon dar­an, dass das neue Pro­jekt, der Musik-Cam­pus, im Prin­zip die Ant­wort auf die Kri­tik an der vor 13 Jah­ren geschei­ter­ten alten Idee einer Musik­hal­le war. Die Haupt­kri­tik damals lau­te­te: Die Musik­hal­le wäre ein teu­res Geschenk an die Bil­dungs­eli­te. Der Musik-Cam­pus ist für eine deut­lich grö­ße­re Grup­pe gedacht – für Stu­die­ren­de, für Kin­der, die ein Instru­ment ler­nen, damit auch für deren Eltern und für Men­schen, die gern nicht ganz so aka­de­mi­sche Musik hören.

Auch im Rat der Stadt ist die Unter­stüt­zung für das Pro­jekt gewach­sen. Die SPD hat­te einen Musik-Cam­pus an der Hit­torf­stra­ße vor der Kom­mu­nal­wahl abge­lehnt. Im Febru­ar sag­te SPD-Frak­ti­ons­chef Mari­us Her­wig im Haupt­aus­schuss, sei­ne Par­tei hät­te den Park­platz Hörs­ter Platz für einen bes­se­ren Stand­ort gehal­ten. „Zur Poli­tik gehört aber auch, dass man zur Kennt­nis nimmt, wie die Fak­ten sind. Für unser Kon­zept fin­den wir kei­ne Mehrheit.“

In ande­ren Wor­ten: Die SPD unter­stützt ein Pro­jekt, das sie für nicht ganz so gut hält, weil die Alter­na­ti­ve nicht ein ande­res Pro­jekt wäre, son­dern erst ein­mal gar nichts. Die poli­ti­sche Dis­kus­si­on wür­de noch ein­mal ganz von vor­ne begin­nen. Das eigent­li­che Pro­blem blie­be auf Jah­re hin ungelöst.

Auch das ist eine legi­ti­me Posi­ti­on. Aber das muss man offen so sagen. Die Geg­ner­schaft ver­eint nicht unbe­dingt die Begeis­te­rung für eine bestimm­te Alter­na­ti­ve, son­dern eher die Ableh­nung der Musik-Cam­pus-Idee. Was im Fal­le der Ableh­nung kom­men wür­de, wäre ungewiss.

Und das ist die Ent­schei­dung, um die es hier eigent­lich geht: ein Musik-Cam­pus oder kein Musik-Campus.

Es ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass die Geg­ner­schaft sich am Ende durch­setzt. Dass der Musik-Cam­pus gebaut wird, ist längst nicht sicher. Die größ­te Par­tei in der Rat­haus­ko­ali­ti­on, die Grü­nen, ist in der Fra­ge gespal­ten. Die Arbeits­ge­mein­schaft Kul­tur der Par­tei hat nahe­zu ein­stim­mig gegen das Pro­jekt votiert. Die Frak­ti­on ent­schied sich anders. Frak­ti­ons­spre­cher Chris­toph Kat­tent­idt sag­te im Febru­ar: „Eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung wird erst mög­lich sein, wenn alle Fak­ten auf dem Tisch liegen.“

Die wich­tigs­te Fra­ge ist die des Gel­des. Mög­lich ist wei­ter­hin, dass sich am Ende her­aus­stellt: Es wird alles zu teu­er. Wahr­schein­li­cher ist, dass die­ses Pro­jekt irgend­wie mög­lich gemacht wird.

Ein symbolhaftes Detail

Eine Mög­lich­keit, um die Kos­ten für die Stadt zu begren­zen, wäre: Das Land baut den Cam­pus, die Stadt zieht als Mie­te­rin ein. Die­se Vari­an­te wird gera­de geprüft. Aber es stel­len sich auch ande­re Fra­gen. Gelingt es, sich mit der frei­en Kul­tur­sze­ne zu eini­gen? Grund­sätz­lich wären vie­le aus die­ser Grup­pe dazu bereit – aller­dings nicht nur als Fei­gen­blatt. Sie wol­len auch mitreden.

Auch die inhalt­li­chen Fra­gen sind nicht alle gelöst. Eini­ge ste­hen in dem Ende Juni ver­öf­fent­lich­ten Appell. Und auch, wenn es gelin­gen soll­te, sich hier einig zu wer­den, wäre das Pro­jekt noch nicht am Ziel. Dann wäre die Fra­ge: Geht man das Risi­ko ein, dass die Geg­ner­schaft mit der Annah­me recht hat, dass die Men­schen in Müns­ter den Musik-Cam­pus nicht wol­len? Dann gäb es womög­lich wie­der einen Bürgerentscheid.

Oder ist der Rat mutig genug, selbst in die Offen­si­ve zu gehen und die Men­schen in einem soge­nann­ten Rats­bür­ger­ent­scheid zu befra­gen, wie der frü­he­re Rats­herr Rüdi­ger Sagel ihn vor­ge­schla­gen hat. Der Unter­schied zu einem Bür­ger­ent­scheid wäre: Hier gibt der Rat den Auf­trag, die Men­schen zu befragen.

Das wäre ein Risi­ko, denn das könn­te das Pro­jekt auch zum Schei­tern brin­gen. Der Vor­teil wäre, dass man sich auch für den Fall abge­si­chert hät­te, dass am Ende alles teu­rer wird, wie es bei Bau­pro­jek­ten ja nicht so sel­ten pas­siert. Und es gäbe noch einen wei­te­ren Unter­schied, der im Grun­de nur ein Detail ist, aber doch ein sehr Symbolhaftes:

Wür­de das Pro­jekt einen Bür­ger­ent­scheid über­ste­hen, hät­ten die Men­schen ledig­lich die Ver­hin­de­rung abge­lehnt. Bei einem Rats­bür­ger­ent­scheid wür­de die Fra­ge anders gestellt. In die­sem Fall hät­ten sie zugestimmt. 

Kor­rek­tur­hin­weis:
In einer frü­he­ren Ver­si­on hat­ten wir geschrie­ben, ein mög­li­cher Stand­ort für den Musik-Cam­pus wäre der Hörs­ter Platz. Tat­säch­lich ist es der Park­platz Hörs­ter Platz. Das haben wir kor­ri­giert. Und wir haben ergänzt, dass Hans Gum­mers­bach und Hery Klas den Appell, um den es im Text geht, nur mit­un­ter­zeich­net haben. 

In aller Kürze

+++ Müns­ter und die Regi­on sind beim Unwet­ter in den letz­ten Tagen ver­gleichs­wei­se glimpf­lich davon­ge­kom­men. Aber auch hier war die Feu­er­wehr in der Nacht auf Don­ners­tag durch­ge­hend im Ein­satz. Mehr als 70 Mal muss­ten die Ret­tungs­kräf­te aus­rü­cken und Kel­ler oder Unter­ge­schos­se leer­pum­pen, in die Was­ser ein­ge­drun­gen war. Gleich­zei­tig fuh­ren 22 Wehr­leu­te am Mitt­woch­abend nach Aachen, um dort zu hel­fen. Auch Helfer:innen des Tech­ni­schen Hilfs­werks und der DLRG Müns­ter waren in über­schwemm­ten Gebie­ten im Einsatz.

Wie die West­fä­li­schen Nach­rich­ten mel­den, wer­den sich nun wei­te­re Ret­tungs­kräf­te aus der Regi­on auf den Weg machen, um die Men­schen in den Kata­stro­phen­ge­bie­ten im Regie­rungs­be­zirk Köln zu unter­stüt­zen. Dar­un­ter wer­den eben­falls Män­ner und Frau­en aus Müns­ter sein.

Korrekturen und Ergänzungen

Am Diens­tag hat­ten wir Ihnen in unse­rer Unbe­zahl­ten Wer­bung die 481 Piz­za­ma­nu­fak­tur emp­foh­len. Eini­ge von Ihnen haben es gemerkt und uns dar­auf hin­ge­wie­sen: Wir haben Ihnen die fal­sche Adres­se genannt. Die Piz­za­ma­nu­fak­tur liegt nicht an der Von-Vin­cke-Stra­ße, son­dern an der Von-Kluck-Stra­ße 13.

Zwei Leser haben uns außer­dem geschrie­ben, dass es auch bei Il Piz­zaio­lo ech­te nea­po­li­ta­ni­sche Piz­za gibt. Die Ket­te hat in Müns­ter Filia­len an der Neu­brü­cken­stra­ße, am Han­sa­ring und im Hea­ven. Wir wün­schen guten Appe­tit und dan­ken für die Hinweise!

Corona-Update

Die Stadt Müns­ter mel­det heu­te kei­ne Coro­na-Neu­in­fek­ti­on. Aber die Sie­ben-Tage-Inzi­denz ist wei­ter gestie­gen. Das Robert-Koch-Insti­tut gibt heu­te einen Wert von 15,2 an. In Müns­ter gel­ten aktu­ell 70 Men­schen als infi­ziert. Zwei von ihnen wer­den im Kran­ken­haus behan­delt. Bei­de lie­gen auf der Inten­siv­sta­ti­on, müs­sen aber nicht beatmet werden.

Um die Impf­kam­pa­gne noch wei­ter vor­an­zu­brin­gen, hat die Stadt sich jetzt noch etwas ein­fal­len las­sen. Seit Diens­tag kön­nen Sie auch ohne Ter­min jeder­zeit ins Impf­zen­trum gehen, wenn Sie noch nicht geimpft sind. Ab mor­gen ist außer­dem ein Impf­bus unter­wegs, unter ande­rem steht er an den bei­den Floh­märk­ten (unver­käuf­lich): am Sams­tag von 8 bis 13 Uhr am Preu­ßen-Sta­di­on (Am Berg Fidel/Ecke Ham­mer Stra­ße), am Sonn­tag zwi­schen 11 und 17 Uhr beim Trö­del auf dem Park­platz von Möbel Höff­ner (Haus Uhlen­kot­ten). Von Diens­tag bis Frei­tag fährt der Impf­bus nach Coer­de, Berg Fidel, Kin­der­haus und Hil­trup. Die Stand­or­te und Impf­zei­ten kön­nen Sie hier nach­le­sen. Wenn Sie sich mit Biontech imp­fen las­sen möch­ten, müs­sen Sie Ihren Aus­weis mit­brin­gen. Und wenn Sie einen Impf­pass haben, auch den. Den Ter­min für die Zweit­imp­fung bekom­men Sie direkt am Bus.

Unbezahlte Werbung

Wenn Sie ger­ne ins Thea­ter gehen, kön­nen Sie sich die Zeit bis zur nächs­ten Spiel­zeit hier­mit ver­sü­ßen: Das Pum­pen­haus ver­kauft in sei­nem Online-Shop Flag­ship Store Bücher und CDs mit Thea­ter­be­zug, Filz­pan­tof­feln, Pum­pen­haus-Fan-Beklei­dung und Stü­cke aus dem Requi­si­ten- und Kos­tüm­fun­dus. Und falls es nichts Mate­ri­el­les sein soll: Sie kön­nen auch Erleb­nis­se erwer­ben, zum Bei­spiel eine Lesung mit dem Autor Burk­hard Spin­nen und eine Füh­rung durch eine Gitar­ren­werk­statt. Schau­en Sie sich am bes­ten um, es sind vie­le gute Sachen dabei. Und die­sen Laden gibt es nicht nur zum Spaß, die Erlö­se gehen an Men­schen aus der Kul­tur­sze­ne. Also: Gön­nen Sie sich und ihnen was Schönes.

Drinnen und Draußen

Paul Opper­mann hat heu­te für uns ein paar Ter­mi­ne zusam­men­ge­stellt, und zwar die­se hier:

+++ Pick­nick und Musik gibt es am Sams­tag­abend im Gar­ten des Kul­tur­quar­tiers an der Rudolf-Die­sel-Stra­ße. Ab 19:30 Uhr kön­nen Sie Per­kus­si­on, Gitar­re und Gesang hören, wäh­rend Sie im Gras sit­zen oder lie­gen. Ihre Pick­nick­de­cke oder einen Klapp­stuhl müs­sen Sie selbst mit­brin­gen, und Sie brau­chen eine Kar­te. Die bekom­men Sie hier, zusam­men mit allen wei­te­ren Infos zur Veranstaltung.

+++ Wenn Sie in den nächs­ten Wochen einen Aus­flug ins Grü­ne machen oder im Park spa­zie­ren gehen, kön­nen Sie etwas für die Wis­sen­schaft tun. Das LWL-Muse­um für Natur­kun­de möch­te mög­lichst vie­le Daten und Infor­ma­tio­nen dar­über sam­meln, wel­che und wie vie­le Insek­ten und Spin­nen noch in der Regi­on leben. Hal­ten Sie unter­wegs ein­fach nach den klei­nen Tie­ren Aus­schau und machen Sie Fotos. Über eine App kön­nen Sie spä­ter her­aus­fin­den, wel­che Exem­pla­re Ihnen vor die Lin­se gekrab­belt sind, und die Tie­re mel­den. Das Pro­jekt heißt Arten-Olym­pia­de, und Sie kön­nen dabei etwas gewin­nen: Wer bis zum 31. August die meis­ten Arten gemel­det hat, bekommt eine drei­tä­gi­ge Erkun­dungs­rei­se zum For­schungs­zen­trum Hei­li­ges Meer spen­diert. Alle Infor­ma­tio­nen fin­den Sie auf der Web­sei­te des LWL.

+++ Und noch­mal Musik, dies­mal am Hafen: Am Sams­tag­abend lädt der Hot Jazz Club zum Open-Air-DJ-Set ein, am Sonn­tag­nach­mit­tag zum After Church Club. Der Ein­tritt ist jeweils frei.

Am Diens­tag schrei­be ich Ihnen wie­der. Haben Sie ein schö­nes Wochenende. 

Herz­li­che Grü­ße
Ralf Heimann

Mit­ar­beit: Con­stan­ze Busch, Paul Oppermann

PS

Es war eine fürch­ter­li­che Woche. Bei dem Hoch­was­ser in ver­schie­de­nen Tei­len Deutsch­lands sind über hun­dert Men­schen gestor­ben. Daher hier heu­te nur ein Hin­weis: Wenn Sie hel­fen möch­ten, die Stadt Müns­ter emp­fiehlt, die Akti­on Deutsch­land Hilft zu unter­stüt­zen. Der WDR hat hier noch eini­ge wei­te­re Spen­den­mög­lich­kei­ten zusam­men­ge­tra­gen.