Die Kolumne von Marion Lohoff-Börger | Die spendable Großtante der Masematte

Müns­ter, 7. Mai 2023

Guten Tag,

ken­nen Sie die Wör­ter „jovel“, „sch­ofel“, „See­gers“ und „Kali­ne“? Ja, das ist Mase­mat­te, wer­den Sie sagen und gehö­ren somit, herz­li­chen Glück­wunsch, zu den durch­schnitt­li­chen Men­schen in Müns­ter, die einen Min­dest­wort­schatz von vier Wör­tern Mase­mat­te haben. Viel­leicht kommt noch „Lee­ze“ und „mei­meln“ hin­zu, dann sind es sechs. Aber wis­sen Sie auch, dass Mase­mat­te kei­ne Geheim­spra­che, son­dern eine Son­der­spra­che ist, die ihren ursprüng­li­chen Wort­schatz mit dem Holo­caust fast gänz­lich ver­lo­ren hat?

Genau des­we­gen spre­chen wir heu­te bei der ursprüng­li­chen Form vor 1945 von der Pri­mär- und ab den Fünf­zi­ger­jah­ren von der Sekun­där­ma­se­mat­te. Beim dem Begriff Pseu­do­ma­se­mat­te geht es um aktu­el­le Neu­erfin­dun­gen von Mase­mat­te­wör­tern. Zu die­sen Neo­lo­gis­men gibt es eine Men­ge kri­tisch anzu­mer­ken, aber heu­te soll es um eine hoch­in­ter­es­san­te, weil geschichts­do­ku­men­tie­ren­de Spen­der­spra­che der Mase­mat­te gehen, und zwar um das Jiddische.

Vie­le der ursprüng­li­chen Masemattesprecher:innen waren Men­schen jüdi­schen Glau­bens und ver­lo­ren ihre Hei­mat oder noch viel schlim­mer ihr Leben durch den bru­ta­len Anti­se­mi­tis­mus der Nationalsozialisten.

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Die Mase­mat­te ist eine Son­der­spra­che, die sich in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts in eini­gen klei­nen Vier­teln Müns­ters ent­wi­ckelt hat, weil die neue preu­ßi­sche Gesetz­ge­bung den ursprüng­li­chen (aus ver­schie­de­nen Grün­den) „mobi­len“ Sta­tus eini­ger Men­schen zu „sess­haft“ änder­te. Also sie­del­ten sich diver­se Men­schen – nicht ganz frei­wil­lig – in Müns­ter an und wur­den bearg­wöhnt und nicht son­der­lich will­kom­men geheißen. 

Die­se Per­so­nen­grup­pe ent­wi­ckel­te eine eige­ne Spra­che, die sich aus ihren Her­kunfts­spra­chen zusam­men­setz­te. Neben dem Rot­wel­schen, einer alten Räu­ber­spra­che aus dem Mit­tel­al­ter und dem Roma­nes, der Spra­che der Sinti:zze und Rom:nja, ist das Jid­di­sche die Spen­der­spra­che, die fünf­zig Pro­zent des Wort­schat­zes der Mase­mat­te geprägt hat. 

Die Mase­mat­te reizt unter ande­rem damit, dass ihre Wör­ter kom­plett fremd klin­gen. Wir kön­nen sie nicht wie beim Hören von Dia­lek­ten ablei­ten, wie zum Bei­spiel im Platt­deut­schen „kie­ken“ für „gucken“ . Das ist ver­mut­lich der Grund dafür, war­um man im bür­ger­li­chen Müns­ter glaub­te, dass es sich dabei nur um eine Geheim­spra­che mit kri­mi­nel­len Hin­ter­grün­den han­deln konn­te. Men­schen, die man nicht ver­stand, gerie­ten schnell unter Gene­ral­ver­dacht, etwas Ver­bo­te­nes im Schil­de zu füh­ren. Dass die „Kali­ne“ eine Frau oder eine Braut ist, der „Gal­lach“ ein Pries­ter und der „Schau­ter“ ein Mann, das kann und konn­te nur erah­nen, wer aus­ge­präg­te Hebräisch­kennt­nis­se und ein wenig Fan­ta­sie besaß. 

Um zunächst das ver­wandt­schaft­li­che Ver­hält­nis der Mase­mat­te zum Jid­di­schen zu beschrei­ben, wür­de ich salopp sagen: Das Jid­di­sche ist die spen­da­ble Groß­tan­te der Mase­mat­te, weil sie sie zur Hälf­te mit Wor­ten ver­sorgt, für den soge­nann­ten Mut­ter­witz, und weil sie für einen umgangs­sprach­li­chen, iro­nisch-schnodd­ri­gen Duk­tus sorgt.

Millionen geretteter Bücher im Yiddish Book Center

Jid­disch hat sla­wi­sche Ein­flüs­se, der Wort­schatz und auch die Gram­ma­tik sind aber wie im Deut­schen. Gleich­zei­tig wird sie mit dem hebräi­schen Alpha­bet und von rechts nach links geschrie­ben. Daher ist es für Deut­sche leich­ter, das gespro­che­ne Jid­disch zu ver­ste­hen als das geschrie­be­ne. Neben­bei bemerkt, ist das Jid­di­sche sogar die engs­te ver­wand­te west­ger­ma­ni­sche Spra­che des Deut­schen, sie ist ihr ähn­li­cher als das Eng­li­sche oder Nie­der­län­di­sche. Die Mase­mat­te war im Gegen­satz dazu immer eine münd­lich über­lie­fer­te Spra­che und ist in die­ser Hin­sicht dem Roma­nes ähnlicher. 

Das Jid­di­sche ent­stand mit Beginn unse­rer Zeit­rech­nung im Rhein­land. Dort ent­wi­ckel­ten die Men­schen jüdi­schen Glau­bens aus ihrer Her­kunfts­spra­che dem Hebrä­isch-Ara­mäi­schen eine Spra­che, die sich an die deut­schen Dia­lek­te anpass­te. Die Men­schen nann­ten sich „Asch­ke­na­sim“. Das Hebrä­isch-Ara­mäi­sche behiel­ten sie sich für reli­giö­se Zwe­cke vor und spra­chen im All­tag haupt­säch­lich Jiddisch. 

Mit den ers­ten Pogro­men gegen Men­schen jüdi­schen Glau­bens im Mit­tel­al­ter zog es vie­le von ihnen nach Osten, in den pol­nisch-rus­si­schen Raum. Dort ent­wi­ckel­te sich das Jid­di­sche zu einer viel­fäl­ti­gen Kul­tur. Es gab Thea­ter­stü­cke, Zei­tun­gen und Bücher auf Jid­disch. Und selbst­ver­ständ­lich eine eige­ne Musik­rich­tung, die Klezmermusik.

Anony­mer Briefkasten

Haben Sie eine Infor­ma­ti­on für uns, von der Sie den­ken, sie soll­te öffent­lich wer­den? Und möch­ten Sie, dass sich nicht zurück­ver­fol­gen lässt, woher die Infor­ma­ti­on stammt? Dann nut­zen Sie unse­ren anony­men Brief­kas­ten. Sie kön­nen uns über die­sen Weg auch anonym Fotos oder Doku­men­te schicken.

Wie in Deutsch­land wüte­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten auch in Ost­eu­ro­pa und ver­schlepp­ten und ermor­de­ten Men­schen jüdi­schen Glau­bens. Die, die vor­her flie­hen konn­ten, gin­gen oft ins Exil in die USA und nah­men ihre kul­tu­rel­len Schät­ze mit. Ver­mut­lich eine der ein­zi­gen Schreib­ma­schi­nen mit jid­disch-hebräi­scher Spra­che aus dem Deutsch­land der Drei­ßi­ger­jah­re steht im Jüdi­schen Muse­um von West­fa­len in Dors­ten. Wenn Sie sich für jid­di­sche und jüdi­sche Kul­tur inter­es­sie­ren, lohnt sich ein Besuch des Museums.

In den Acht­zi­ger­jah­ren, zu der Zeit als vie­le Exi­lan­ten auf­grund ihres Alters ihr Erbe hin­ter­lie­ßen, fing ein jun­ger Mann namens Aaron Lan­sky in den USA an, die Schät­ze jid­di­scher Kul­tur, die ja fünf­zig Jah­re vor­her mit ins Exil genom­men wur­den, zu sam­meln. Das waren vor allem Bücher. 

Nur durch sein gro­ßes Enga­ge­ment ent­stand das heu­ti­ge Yid­dish Book Cen­ter in Amherst . Sei­ne Grün­dungs­ge­schich­te ist span­nend und unter­halt­sam zu lesen in Aaron Lan­skys Buch „Out­wit­ting Histo­ry. The ama­zing adven­tures of a man who res­cued a mil­li­on yid­dish books“. Das gibt es auch im deut­schen Buch­han­del, aber nur auf Englisch. 

Als 2018 mein ers­tes Buch „Mehr Mas­sel als Bras­sel. End­lich Mase­mat­te ver­ste­hen und einen tof­ten Lenz hegen“ erschien, nahm ich Kon­takt zum Yid­dish Book­cen­ter auf. Tat­säch­lich steht mein klei­nes Buch heu­te dort. Und für die Zukunft neh­me ich mir vor, die Leu­te von dort ein­mal nach Müns­ter ein­zu­la­den, damit sie die Groß­nich­te des Jid­di­schen, die Mase­mat­te, näher kennenlernen. 

Leo Rostens geniales Wörterbuch des Jiddischen

Ein wei­te­rer, rich­tig guter Lese­tipp in Sachen Jid­disch ist das Buch von Leo Ros­ten „Jid­disch. Eine klei­ne Enzy­klo­pä­die“. Ros­ten erklärt das jid­di­sche Sprach­gut anhand von Anek­do­ten und Wit­zen. So wird der Sprach­witz des Jid­di­schen und auch der jüdi­sche Humor auf wun­der­ba­re Wei­se leben­dig. Beim Lesen bekommt man intui­tiv ein Gefühl für die jid­di­sche Spra­che, die Art der Wort­bil­dung und das jid­di­sche Lebensgefühl. 

Die­se Art und Wei­se des humor­voll schnodd­ri­gen Sprach­ge­brauchs mit einer gehö­ri­gen Por­ti­on Mut­ter­witz fin­den wir hier in Müns­ter tat­säch­lich auch in der Mase­mat­te. Sie macht sie so herz­lich, rot­zig und selbst­iro­nisch zugleich. Neh­men wir allein die­sen Satz, in dem übri­gens alle kur­siv gedruck­ten Wör­ter aus dem Jid­di­schen stammen: 

„Wenn die Kali­nen mit ‘ner Paze auf der Lee­ze durch die Ben­di­ne peseln, dann mei­melt dat ömmes in Müns­ter.“ (Wenn die Frau­en mit dem Schirm auf dem Fahr­rad durch die Gegend fah­ren, dann reg­net es sicher­lich in Münster).

Mei­ne Begeis­te­rung für Leo Ros­tens Ansatz ist, wie Sie viel­leicht schon bemerkt haben, immens: Von ihm stammt zum Bei­spiel eine wei­ter­füh­ren­de Bedeu­tungs­er­klä­rung für das Mase­mat­te­wort „kochum“. Das Wort bedeu­tet in der Mase­mat­te „klug“ und „schlau“, im Jid­di­schen heißt es „Chóchem“ und bezeich­net eine klu­ge, weit­sich­ti­ge und gelehr­te Per­son. Man müs­se auch kein Intel­lek­tu­el­ler oder Rab­bi­ner sein, so Ros­ten, um ein „Chóchem“ zu sein, die­ser Aus­druck sei auch für Schus­ter, Bar­bie­re oder Händ­ler passend. 

„Auch man­che Wei­se des Tal­mud hat­ten sehr beschei­de­ne Beru­fe“, so Ros­ten. Den Witz, den Ros­ten dazu erzählt, möch­te ich Ihnen nicht vor­ent­hal­ten: „Ein jun­ger cho­ch­em erzählt sei­ner Groß­mutter, er wol­le Dok­tor der Phi­lo­so­phie wer­den. Die bub­be strahlt. ‚Groß­ar­tig! Aber was für eine Krank­heit ist Philosophie?‘“

Die Geschichte des Jiddischen in Israel

Ich den­ke, dass wir uns von die­ser Art und Wei­se der Ver­mitt­lung von Spra­che in Müns­ter in Sachen Mase­mat­te inspi­rie­ren las­sen soll­ten. Das Buch von Ros­ten gibt es im Buch­han­del, wird aber auch oft – nicht nach­voll­zieh­bar für mich – anti­qua­risch zum Kauf angeboten.

Vie­le Men­schen, die heu­te in den USA nach ihren fami­liä­ren Wur­zeln suchen, sto­ßen auf das Jid­di­sche und haben gro­ßes Inter­es­se dar­an, mehr zu erfah­ren. Aber wie ist es mit dem Jid­di­schen und dem jid­disch-kul­tu­rel­len Leben in Isra­el? Fin­det man dort Spu­ren? Nach der Grün­dung des Staa­tes Isra­el 1947, woll­ten vie­le das Jid­di­sche als Natio­nal­spra­che durch­set­zen. Das gelang nicht. Der Staat lehn­te das Jid­di­sche ab und Hebrä­isch wur­de zur Landessprache. 

Der Grund für die akti­ve Ableh­nung war, dass das Jid­di­sche als eine Spra­che des Exils und des Lei­dens ver­stan­den wur­de. Dazu kam, dass sie auch noch eng mit dem Deut­schen ver­wandt war, der Spra­che der Nazis. Für vie­le älte­re Men­schen jüdi­schen Glau­bens war das nie­der­schmet­ternd, als sie end­lich im gelob­ten Land ein­tra­fen. Hebrä­isch war die hei­li­ge Spra­che, das wur­de von allen akzep­tiert, aber das Jid­di­sche war doch die Spra­che des Her­zens und das Ergeb­nis eigen­stän­di­ger und krea­ti­ver jüdi­scher Ent­wick­lun­gen im Exil. 

Bis heu­te spre­chen eini­ge, beson­ders älte­re Men­schen in jüdisch-ortho­do­xen Sied­lun­gen wie dem Jeru­sa­le­mer Stadt­teil Mea Shea­rim noch Jid­disch. Auch in Müns­ter spre­chen haupt­säch­lich älte­re Men­schen Mase­mat­te. Ab und zu erzäh­len mir Per­so­nen aus Müns­ter, dass sie sich bei Auf­ent­hal­ten in Isra­el auf­grund ihrer Mase­mat­te-Kennt­nis­se recht gut ver­stän­di­gen konn­ten. Ob ich das glau­ben soll? Oder han­delt es sich hier­bei schon um eine Erhö­hung und damit ver­bun­de­ne Legen­den­bil­dung, die ihren Aus­druck in net­ten Anek­do­ten findet? 

Viel­leicht ist es Ihnen auch schon pas­siert, dass Leu­te aus dem Ruhr­ge­biet oder dem Rhein­land ein wenig hämisch, als hät­ten sie uns Geheim­nis­krä­mer aus Müns­ter über­führt, behaup­ten, sie wür­den „unse­re Mase­mat­te“ ent­ge­gen unse­rer ver­meint­li­chen Erwar­tun­gen sehr gut verstehen.

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Der Grund dafür liegt dar­in, dass das Jid­di­sche Ein­zug in vie­le deut­sche Dia­lek­te, wie bei­spiels­wei­se ins Köl­sche, ins Ruhr­ge­biets­platt, aber auch ins Ber­li­ne­ri­sche oder in den Wie­ner Dia­lekt gehal­ten hat. Wör­ter wie Malo­che, Zas­ter oder Males­sen sind all­ge­mein bekannt und wer­den in der Umgangs­spra­che oft benutzt. Auch für die­sen Umstand hat sich jemand die Mühe gemacht und ein Wör­ter­buch ent­wi­ckelt, das aller­dings nur noch anti­qua­risch erhält­lich ist. Hei­di Stern brach­te im Jahr 2000 das Buch „Wör­ter­buch zum jid­di­schen Lehn­wort­schatz in den deut­schen Dia­lek­ten“ heraus. 

Ein jid­di­sches Wort, das sich gro­ßer Bekannt­heit erfreut, und das ich selbst in der Ver­gan­gen­heit immer ohne Vor­be­hal­te wit­zig-iro­nisch ver­wen­de­te, ist das Wort „Misch­po­ke“. Die „misch­póche“ ist laut Leo Ros­ten etwas Hei­li­ges und Beson­de­res in der Welt des jüdi­schen Den­kens. Es sei die alles umfas­sen­de Fami­lie jüdi­scher Men­schen mit gemein­sa­men Wer­ten und einer gro­ßen Gast­freund­schaft. Der abfäl­li­ge Gebrauch als Syn­onym für „unan­ge­neh­me Ver­wandt­schaft“ sei nach Leo Ros­ten auf „vul­gä­ren Anti­se­mi­tis­mus zurück­zu­füh­ren, der zahl­rei­che jid­di­sche Begrif­fe nicht nur miss­ver­stan­den, son­dern auch bewusst in aggres­si­ver Wei­se ver­dreht hat.“ (Ros­ten, S. 412-413). 

Das war für mich eine bit­te­re neue Erkennt­nis. Aber auch hier wird mehr als deut­lich, wie uns die Beschäf­ti­gung mit der Mase­mat­te berei­chern kann. Wir wer­den durch das kri­ti­sche Reflek­tie­ren der Kul­tur­form Mase­mat­te für so vie­le Din­ge sen­si­bler. Das sehe ich als Geschenk und Her­aus­for­de­rung an und bin des­we­gen so enga­giert dar­in, das Bewusst­sein der Müns­te­ra­ner Stadt­ge­sell­schaft zu verändern. 

Masematte: clever und anarchisch 

Span­nend erscheint mir am Ende mei­ner heu­ti­gen Kolum­ne noch zu erwäh­nen, dass die Masemattesprecher:innen das hebräi­sche (nicht das jid­di­sche) Zah­len­sys­tem für den Han­del benutz­ten. Im Jid­di­schen ist das Zäh­len an das Deut­sche ange­passt (eijnß, zwei, draj, fir … ). Die deut­sche Zah­len­sprech­wei­se ist kom­pli­zier­ter und ver­wir­rend, denn wir spre­chen den Einer vor dem Zeh­ner. Ein­und­zwan­zig, statt twen­tyo­ne, wie im Eng­li­schen und eben auch im Hebräischen. 

Im Hebräi­schen sind die Zah­len zudem an das Alpha­bet ange­lehnt: Aleph ist der ers­te Buch­sta­be und ent­spricht der „eins“, Beta der zwei­te, dann kom­men gim­mel, dah­let, he … und so wei­ter. Die Zah­len in der Mase­mat­te hei­ßen „olf“, „bes“, „kim­mel“, „dol­lar“, „hei“. Viel ein­fa­cher und weni­ger ver­wir­rend wird die Zähl­wei­se dann bei den höhe­ren Zah­len. „Jut-bes“ ist die elf und so wei­ter. 21 heißt also auf Mase­mat­te logi­scher­wei­se: kaff-olf. Es gab ein­mal eine Initia­ti­ve in Deutsch­land, die das grund­sätz­lich ändern woll­te, aber mit dem Anlie­gen geschei­tert ist.

Das haben die kochu­men See­gers und Kali­nen in Müns­ter für sich anders ent­schie­den. Mein Fazit lau­tet heu­te und auch sonst: Mase­mat­te ist eben die cle­vere­re Spra­che und Anar­chie pur.

Herz­li­che Grü­ße
Ihre Mari­on Lohoff-Börger

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Über die Autorin

Mari­on Lohoff-Bör­ger ist die Frau mit der Mase­mat­te und den alten Schreib­ma­schi­nen. Auf letz­te­ren schreibt sie Gedich­te und ver­kauft die­se in ihrem Ate­lier an der Wol­be­cker Stra­ße 105 als Post­kar­ten. Die Mase­mat­te möch­te die freie Autorin in Müns­ter zu einem leben­di­gen Sprach­denk­mal machen und ver­sucht die­ses mit Kur­sen, Vor­trä­gen, Lesun­gen, Büchern und Arti­keln für Zei­tun­gen und Online­ma­ga­zi­ne umzu­set­zen. 2021 stell­te sie beim Land Nord­rhein-West­fa­len den Antrag „Mase­mat­te als Imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be“, der abge­lehnt wur­de mit dem Hin­weis, die Stadt­ge­sell­schaft Müns­ter müs­se sich noch mehr für die­ses Kul­tur­gut engagieren. 

Über RUMS

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