Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Musik-Campus: Wer stehen bleibt, fällt um

Müns­ter, 12. Novem­ber 2023

Guten Tag,

einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen. Bei dem trü­ben Novem­ber­wet­ter ist es zu Hau­se beson­ders gemüt­lich. Zeit für ein gutes Buch – oder eben für die RUMS-Kolum­ne am Sonntag.

Die Stadt Müns­ter wird kei­nen Kon­zert­saal bekom­men. Das steht seit Mitt­woch fest, obwohl Grü­ne und FDP wort­reich das Gegen­teil behaup­ten. Die Musik-Cam­pus-Idee ist durch den Antrag von Grü­nen, SPD, Volt und FDP in der letz­ten Rats­sit­zung end­gül­tig beer­digt worden.

„Ein so ambi­tio­nier­tes Pro­jekt wie der Musik-Cam­pus kommt nur, wenn man es wirk­lich will“, hat­te Uni-Rek­tor Johan­nes Wes­sels noch kurz vor der Rats­sit­zung ver­geb­lich an die vier Frak­tio­nen appel­liert. „Die 20 Mil­lio­nen Euro des Bun­des wer­den nur dann kom­men, wenn das Gesamt­pro­jekt rea­li­siert wird. Das Geld kann nicht in den Neu­bau der Musik­schu­le flie­ßen“, hat­te er den West­fä­li­schen Nach­rich­ten gesagt.

Wes­sels mach­te unmiss­ver­ständ­lich deut­lich, dass auch die Uni Kon­se­quen­zen zie­hen wer­de: „Auch die 20 Mil­lio­nen Euro, die wir als Uni­ver­si­tät inves­tie­ren wol­len, ste­hen nur zur Ver­fü­gung, wenn das Gesamt­kon­zept umge­setzt wird. Das gilt auch für alle wei­te­ren Dritt­mit­tel“, sag­te er. 

Es war gera­de die­ser Drei­klang von Musik­hoch­schu­le, städ­ti­scher Musik­schu­le und Kon­zert­saal, der dem Pro­jekt Schwung und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung von Land und Bund ein­tra­gen soll­te. Jetzt wur­de der Kon­zert­saal abge­hängt. Nur die Musik­hoch­schu­le und die städ­ti­sche Musik­schu­le blei­ben übrig. Der Kon­zert­saal soll nur dann gebaut wer­den, wenn er voll­stän­dig aus Spen­den finan­ziert ist.

Konstruktionsfehler des Musik-Campus

Man muss sich das auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen: Die Stadt Müns­ter kann sich einen Kon­zert­saal nur leis­ten, wenn er ihr kom­plett geschenkt wird. Als wäre die För­de­rung von Kul­tur kei­ne städ­ti­sche Aufgabe.

Von Anfang an lag hier ein Kon­struk­ti­ons­feh­ler des Musik-Cam­pus, für den vor allem Grü­ne und FDP die Ver­ant­wor­tung tra­gen. Bei­de Frak­tio­nen fin­den einen Kon­zert­saal über­flüs­sig und waren nur bereit, die bis­he­ri­gen Rats­vor­la­gen für den Musik-Cam­pus mit­zu­tra­gen, wenn kein Cent städ­ti­sches Geld für den Kon­zert­saal ver­wen­det wer­den würde. 

Sie war­fen mit immer neu­en Prüf­auf­trä­gen Sand ins Getrie­be der Rats­vor­la­gen, die den Musik-Cam­pus vor­an­brin­gen soll­ten. Aus dem Sand ist mitt­ler­wei­le eine veri­ta­ble Düne gewor­den, in der das Pro­jekt end­gül­tig ste­cken geblie­ben ist.

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Es grenzt an ein Wun­der, dass sich ange­sichts die­ser Igno­ranz über­haupt Men­schen gefun­den haben, die vie­le Mil­lio­nen für den Kon­zert­saal spen­den wol­len. Der Rats­be­schluss vom Mitt­woch muss auf sie wie ein Schlag ins Gesicht wir­ken, macht er doch das Des­in­ter­es­se der Rats­mehr­heit über­deut­lich. Ich wür­de mich nicht wun­dern, wenn bis­her gemach­te Spen­den­zu­sa­gen jetzt zurück­ge­nom­men würden.

Nor­ma­ler­wei­se ist es ein star­kes Signal bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments, wenn die Bereit­schaft besteht, dafür sogar eige­nes Geld in die Hand zu neh­men. Jede Stadt ist gut bera­ten, das auf­zu­grei­fen und zu för­dern. Spen­den­pro­jek­te wer­den erfolg­reich, wenn die Stadt zusagt, den dop­pel­ten Betrag dazuzugeben. 

Statt­des­sen tun SPD, Grü­ne, Volt und FDP so, als hand­le es sich bei den Spen­den um eine Art auf­ge­dräng­ter Berei­che­rung, die man gnä­di­ger­wei­se nicht ableh­ne. Natür­lich kann man über Prio­ri­tä­ten strei­ten. Man kann ande­res für dring­li­cher hal­ten, als einen Kon­zert­saal. Kul­tur steht immer in der Gefahr, hin­ter ande­ren Auf­ga­ben zurückzustehen.

Der Rat hät­te 1950, nur fünf Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs, nicht beschlos­sen, ein Stadt­thea­ter zu bau­en, wenn damals SPD, Grü­ne, Volt und FDP über kom­mu­nal­po­li­ti­sche Prio­ri­tä­ten ent­schie­den hätten.

Debatte darüber, was Münster sein will

Damals fehl­ten Klas­sen­zim­mer und Turn­hal­len. Die Stadt war noch zer­bombt. Die Weit­sicht des dama­li­gen Rates hat Müns­ter 1956 nicht nur einen kul­tu­rel­len Leucht­turm beschert, son­dern auch ein weit über die Stadt­gren­zen hin­aus beach­te­tes archi­tek­to­ni­sches Wahr­zei­chen, das für den Wie­der­auf­bau­wil­len sprach und zeig­te, in wel­chem Geist Müns­ter neu erste­hen wollte.

Davon ist nicht mehr viel übrig geblie­ben. Die letz­ten bedeut­sa­men Kul­tur­bau­ten stam­men aus dem 1.200-jährigen Stadt­ju­bi­lä­um 1993: Stadt­bü­che­rei und Stadt­mu­se­um. Das Ange­bot des welt­be­rühm­ten Künst­lers Ger­hard Rich­ter, der Stadt ein Kunst­werk zu schen­ken, führ­te 2018 immer­hin noch zum Umbau der Domi­ni­ka­ner­kir­che für das Fou­cault­sche Pen­del. Man kann von Glück reden, dass SPD, Grü­ne, Volt und FDP damals nicht ver­langt hat­ten, dass Rich­ter auch noch den Kir­chen­um­bau finan­zie­ren solle.

Es fehlt eine öffent­li­che Debat­te dar­über, was Müns­ter sein will. Eine Stadt mit Aus­strah­lung auch über die Stadt­gren­zen hin­aus, die kul­tu­rell, sport­lich und wirt­schaft­lich das hat, was man in Stein­furt, Waren­dorf, Coes­feld oder Bor­ken nicht fin­den kann? Eine Stadt, die über das Müns­ter­land hin­aus attrak­tiv ist, weil sie ein Niveau zum Leben bie­tet, das auch mit Bre­men, Dort­mund oder Essen mit­hal­ten kann? Oder eine selbst­ge­fäl­li­ge Stadt, die sich auf ver­gan­ge­nen Lor­bee­ren ausruht? 

Die Spender:innen für den Kon­zert­saal wol­len mehr. Pri­va­te Inves­to­ren, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren in Müns­ter an der Ost­sei­te des Bahn­hofs oder im Hafen inves­tiert haben, wol­len mehr. Start­ups und unter­neh­me­ri­sche Aus­grün­dun­gen aus Uni­ver­si­tät und Fach­hoch­schu­le wol­len mehr. Kauf­leu­te und die Innen­stadt-Initia­ti­ve wol­len mehr. 

Aber die Stadt selbst muss auch etwas für ihre Aus­strah­lung tun. Statt dafür Prio­ri­tä­ten zu set­zen, ver­liert sich die öffent­li­che Debat­te in Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen, dem Auf­stel­len von Fahr­rad­stän­dern und dem Weg­fall von Park­plät­zen am Dom­platz. Alles über­schau­lich. Alles leicht zu ver­ste­hen. Alles klein-klein. Zum gro­ßen Wurf fehlt der Mut, weil gar nicht dar­über dis­ku­tiert wird, wie weit man wer­fen könnte.

Die emsi­ge Geschäf­tig­keit der Rats­mehr­heit führt zu Lethar­gie. Höchs­te Zeit, dass die Rats­po­li­tik aus ihrem Hams­ter­rad her­aus­fin­det und wie­der Stre­cke macht. Es ist für Städ­te wie beim Fahr­rad­fah­ren: Wer ste­hen bleibt, fällt um.

Ich wün­sche Ihnen trotz­dem einen gemüt­li­chen Sonntag.

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Ruprecht Polenz

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Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura­stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

Die Kolumne

Immer sonn­tags schi­cken wir Ihnen eine Kolum­ne. Das sind Tex­te, in denen unse­re sechs Kolum­nis­tin­nen und Kolum­nis­ten The­men ana­ly­sie­ren, bewer­ten und kom­men­tie­ren. Die Tex­te geben ihre eige­ne Mei­nung wie­der, nicht die der Redak­ti­on. Mit­glied­schaf­ten in poli­ti­schen Par­tei­en oder Orga­ni­sa­tio­nen machen wir trans­pa­rent. Wenn Sie zu den The­men der Kolum­nen ande­re Mei­nun­gen haben, schrei­ben Sie uns gern. Wenn Sie möch­ten, ver­öf­fent­li­chen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unse­ren Tex­ten Feh­ler fin­den, freu­en wir uns über Hin­wei­se. Die Kor­rek­tu­ren ver­öf­fent­li­chen wir eben­falls im RUMS-Brief.