Die Kolumne von Klaus Brinkbäumer | Der Wegbereiter der Lüge

Müns­ter, 21. Febru­ar 2021

Lie­be Lese­rin­nen und lie­be Leser, 

über Tote soll man nichts Schlech­tes sagen, angeb­lich, und man soll­te ver­mut­lich auch nicht über sie lachen. Als ich vor eini­gen Tagen einen Tweet mei­nes geschätz­ten Kol­le­gen Ste­phan Lam­by sah, muss­te ich eben dies tun: lachen. Laut. Denn dies stand da: „De mor­tuis nil nisi bene.“ Und es ging um Rush Lim­baugh. Manch­mal sind Redens­ar­ten und Weis­hei­ten nichts als absurd. 

Der Ame­ri­ka­ner Lim­baugh ist mit 70 Jah­ren an Lun­gen­krebs gestor­ben. Und die­ser Lim­baugh war ein der­art böser Mensch, ein so bru­ta­ler Mensch, ein Het­zer, dass mir nichts Gutes ein­fällt, was ich über ihn sagen könnte.

Statt­des­sen möch­te ich Ihnen sagen, war­um die­ser Rush Lim­baugh und sein Erbe wich­tig sind.

Schla­gen wir an die­ser Stel­le einen klei­nen Haken. Haben Sie mit­be­kom­men, was in Texas geschah? 

Texas hat hef­ti­ge Win­ter­stür­me hin­ter sich, und weil es in Texas kei­ne nen­nens­wer­te Sozi­al-, Ener­gie-, Infra­struk­tur- oder Umwelt­po­li­tik gibt, fie­len tage­lang Strom und Hei­zun­gen aus. Der gesam­te Bun­des­staat kol­la­bier­te. Vie­le Men­schen erfroren. 

Texas wird seit Jahr­zehn­ten repu­bli­ka­nisch reagiert, Texas ist die Hei­mat der Fami­lie Bush. Das ers­te Gebot der Repu­bli­ka­ner ver­langt nach der Abwe­sen­heit von Steu­ern und Regu­lie­run­gen. Der texa­ni­sche Ener­gie­markt ist zu hun­dert Pro­zent pri­va­ti­siert, es gibt so gut wie kei­ne Regeln oder Geset­ze, wes­halb kein Kon­zern für Not­fäl­le Ener­gie spei­chern muss. Weil die texa­ni­schen Poli­ti­ker, die Repu­bli­ka­ner jeden­falls, aber nach dem Kol­laps nicht zuge­ben mögen, dass ihre Poli­tik die Texa­ner im Stich ließ und ver­ant­wort­lich für den Kol­laps war, erfan­den sie eine Lüge. Sie sagen nun, die Libe­ra­len hät­ten Texas lahm­ge­legt. Die Wind­ener­gie, über­haupt die­se gan­ze neu­mo­di­sche Anar­chie sei schuld am Chaos. 

Lächer­lich?

Nicht in den USA von 2021. 

Nicht nach all den Lügen vom angeb­li­chen Wahl­be­trug und dem Sturm auf das Kapi­tol (obwohl Joe Biden mit sie­ben Mil­lio­nen Stim­men Vor­sprung und in allen wich­ti­gen Bun­des­staa­ten deut­lich gewon­nen hatte).

Und: nicht seit Rush Lim­baugh die USA ver­än­dert hat.

In Texas wird die Lüge von den gefähr­li­chen Wind­tur­bi­nen von FOX News und Breit­bart ver­brei­tet, von kon­ser­va­ti­ven Radio­sen­dern auch. Von sozia­len Medi­en wird sie ver­stärkt, und sie wird mil­lio­nen­fach geglaubt, denn dort, in den sozia­len Medi­en, fin­den lau­te Lügen noch immer mehr Wider­hall als seriö­se Wirklichkeiten. 

Neuartige Mischung aus konservativen Botschaften

Damit zurück zu jenem Mann, der all das erfun­den hat. 

Ame­ri­kas Hass. Ame­ri­kas Ver­dre­hung von Wahr­heit. Ame­ri­kas Dem­ago­gie, Ame­ri­kas Denun­zia­tio­nen, Ame­ri­kas Destruktivität. 

Rush Lim­baugh, 1951 gebo­ren, im Mitt­le­ren Wes­ten von Mis­sou­ri auf­ge­wach­sen, woll­te immer zum Radio. Dar­um heu­er­te er bei loka­len Sen­dern an, leg­te Schall­plat­ten auf und füll­te die Lücken zwi­schen Musik­ti­teln und Wer­be­clips mit sei­nem Gere­de. Er gab sich Pseud­ony­me: Jeff Chris­tie oder Rus­ty Shar­pe, wur­de gefeu­ert, wie­der ange­heu­ert, wie­der gefeu­ert, zog weiter. 

Dann unter­nahm er einen letz­ten, ver­zwei­fel­ten Anlauf, dies­mal bei einem Sen­der im kali­for­ni­schen Sacra­men­to. Mit weni­ger Musik und mehr Gere­de. Ein Mana­ger von WABC-AM in New York wur­de auf die­sen Selbst­dar­stel­ler auf­merk­sam, der zwei­fel­los reden konn­te, war begeis­tert und enga­gier­te ihn. Am Mon­tag, dem 1. August 1988, ging Rush Lim­baugh auf Sen­dung und hat­te nun die Frei­heit und den Auf­trag, über Poli­tik zu reden, Haupt­sa­che unter­halt­sam. WABC-AM war ein Mit­tel­wel­len­sen­der und bedroht, da die neu­en groß­städ­ti­schen Kurz­wel­len­sen­der mit ihren Musik­pro­gram­men bes­ser klan­gen. Talk Radio soll­te das Gegen­pro­gramm des eher länd­li­chen Mit­tel­wel­len-Rund­funks sein. 

Lim­baugh lie­fer­te. Er feu­er­te die Repu­bli­ka­ner an und rühr­te eine neu­ar­ti­ge Mischung aus kon­ser­va­ti­ven Bot­schaf­ten und dem zusam­men, was er für Spaß hielt. Er par­odier­te, mach­te die Stim­men von Pro­mi­nen­ten nach, Tier­ge­räu­sche auch, und wenn er quietsch­te und schrill wur­de, gab er gera­de vor, eine Frau zu spie­len. Er insze­nier­te sich als Kämp­fer für die ein­fa­chen Ame­ri­ka­ner, die angeb­lich jah­re­lang von Poli­ti­kern und Jour­na­lis­ten miss­ach­tet wor­den waren. 

Rush Lim­baugh war ein Spek­ta­kel. Ganz allein, nur mit einem Sta­pel aus­ge­ris­se­ner Zei­tungs­tex­te bewaff­net, saß er vor dem Mikro­fon. „Femi­na­zis“ nann­te er Frau­en­recht­le­rin­nen, „Mit­ge­fühls­fa­schis­ten“ waren jene, die sich für Obdach­lo­se ein­setz­ten. „Er muss noch immer bewei­sen, dass er US-Bür­ger ist“, sag­te er über 2009 über den gewähl­ten Prä­si­den­ten Barack Oba­ma; des­sen Gesund­heits­re­form sei ein „Euthanasie“-Programm für alle Alten. 

Homo­phob war Lim­baugh sowie­so; über den Prä­si­dent­schafts­be­wer­ber Pete Butt­i­gieg sag­te er, Ame­ri­ka wol­le kei­nen „schwu­len Typen, der auf der Büh­ne einen Mann küsst“. Er bezeich­ne­te die Stu­den­tin San­dra Flu­ke, die für von der Kran­ken­kas­se bezahl­te Ver­hü­tungs­mit­tel stritt, als „Schlam­pe“ und „Pro­sti­tu­ier­te“ und ver­lang­te: „Wenn wir schon dafür bezah­len, dass du Sex hast, wol­len wir etwas dafür bekom­men. Wir wol­len, dass du Vide­os online stellst, damit wir alle zuse­hen kön­nen.“ Natür­lich sag­te Lim­baugh mona­te­lang, dass Donald Trump um den Wahl­sieg betro­gen wor­den sei; natür­lich sag­te er noch am Tag der Amts­ein­füh­rung, Joe Biden sei nicht durch einen Wahl­sieg legitimiert. 

Er erfand sich eige­ne Wahr­hei­ten, er war der Hohe­pries­ter der Lim­baugh-Kir­che. Sei­ne Atta­cken blie­ben unwi­der­spro­chen, sei­ne Opfer beka­men nie die Gele­gen­heit, sich zu ver­tei­di­gen. Sobald Lim­baugh atta­ckiert wur­de, sag­te er, ach was, er mache doch nur Unterhaltung. 

Mit Limbaugh fing an, was die USA bis heute krank macht

Die gel­ten­de Rechts­la­ge half ihm. Seit 1949 hat­te die Zulas­sungs­be­hör­de Radio­sen­dern die Fair­ness-Dok­trin vor­ge­schrie­ben: Die Sen­der muss­ten aus­ge­wo­gen berich­ten, ent­ge­gen­ge­setz­te Mei­nun­gen gleich­be­rech­tigt dar­stel­len. Doch in den Rea­gan-Jah­ren der Dere­gu­lie­rung hat die Auf­sichts­be­hör­de die Fair­ness-Dok­trin gekippt, seit­her haben Dem­ago­gen einen Frei­brief. 1996, unter Bill Clin­ton, kam die „Sec­tion 230“ hin­zu, jenes Medi­en­ge­setz, das die sei­ner­zeit neu­en und ver­gleichs­wei­se klei­nen Unter­neh­men wie Face­book schüt­zen woll­te, also zur blo­ßen Platt­form erklär­te, also von pres­se­recht­li­cher Ver­ant­wor­tung frei­sprach. Dar­um wer­den Lim­baughs Clips mil­lio­nen­fach geteilt und ver­schickt, Face­books Algo­rith­men beloh­nen Lim­baughs Demagogie. 

Und so wur­de Rush Lim­baughs Talk Radio zum wider­spruchs­frei­en Raum, in dem er die Kri­mi­na­li­sie­rung und Dämo­ni­sie­rung poli­ti­scher Geg­ner betrieb, die für ihn alle­samt kor­rup­te Ver­rä­ter und Fein­de der USA sind. 

Zwei Jah­re nach sei­nem Start wur­de er von fünf Mil­lio­nen Ame­ri­ka­nern pro Woche gehört, schon drei wei­te­re Jah­re spä­ter waren es 17 Mil­lio­nen, bald 20 Mil­lio­nen. Der Medi­en­wis­sen­schaft­ler Bri­an Rosen­wald sagt: „Es geht um Sound­bi­tes, grif­fi­ge For­mu­lie­run­gen von etwa zwölf Sekun­den. Gutes Talk Radio muss Gefüh­le anspre­chen, per­ma­nent über­trei­ben. Dafür muss man The­sen groß auf­bla­sen. Nur so funk­tio­nie­ren sie. Etwa indem man sagt, dass Barack Oba­ma ein Sozia­list ist, der Ame­ri­ka hasst und zer­stö­ren will.“ 

Drei Stun­den pro Tag rei­ne Dem­ago­gie. Lim­baughs Jah­res­ver­dienst lag bei 85 Mil­lio­nen Dol­lar. Den Preis zahl­te die Gesellschaft. 

Denn mit Lim­baugh fing an, was die USA bis heu­te krank macht. FOX News ent­stand durch ihn, über­trug Lim­baughs Kon­zept ins Fern­se­hen. Breit­bart lern­te von Lim­baugh und digi­ta­li­sier­te sein Kon­zept. Donald Trump wur­de durch Lim­baugh mög­lich, von Lim­baugh auf­ge­baut, geprie­sen und poli­tisch erfunden. 

Dass Donald Trump die­sem Rush Lim­baugh 2019 für des­sen Ver­diens­te um die Nati­on die „Pre­si­den­ti­al Medal of Free­dom” ver­lieh, eine der höchs­ten Ehren der USA, das war übri­gemns gleich­falls komisch. 

Blei­ben Sie gesund. Vie­le herz­li­che Grü­ße aus Leip­zig ins schö­ne Münster

Ihr Klaus Brinkbäumer

Schrei­ben Sie mir gern; Sie errei­chen mich unter klaus.brinkbaeumer@rums.ms oder via Twit­ter: @Brinkbaeumer.


Redaktioneller Hinweis

Klaus Brink­bäu­mer und Ste­phan Lam­by haben zusam­men das Buch „Im Wahn“ über die USA geschrie­ben. Eini­ge der hier aus­ge­führ­ten Gedan­ken über Rush Lim­baugh stan­den dort zuerst. 


Über den Autor

Klaus Brink­bäu­mer ist in Hil­trup auf­ge­wach­sen. Er ist Jour­na­list, Autor, Fil­me­ma­cher und seit Janu­ar Pro­gramm­di­rek­tor des Mit­tel­deut­schen Rund­funks in Leip­zig. Von 2015 bis 2018 war er Chef­re­dak­teur des Nach­rich­ten­ma­ga­zins Der Spie­gel. Brink­bäu­mer gewann unter ande­rem den Egon-Erwin-Kisch- und den Hen­ri-Nan­nen-Preis, im Jahr 2016 wur­de er zum Chef­re­dak­teur des Jah­res gewählt. Im Pod­cast „Okay, Ame­ri­ca?“ spricht er ein­mal wöchent­lich mit der Zeit-US-Kor­re­spon­den­tin Rie­ke Havertz über die poli­ti­sche Lage in den USA. Klaus Brink­bäu­mer lebt in Leipzig.