Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Solarenergie ja. Aber warum in der historischen Altstadt?

Müns­ter, 30. Mai 2021

Einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen. 

Was wür­den Sie sagen, wenn jemand for­der­te, ein Wind­rad auf dem Dom­platz zu errich­ten, damit alle sehen: Müns­ter meint es ernst mit der ange­streb­ten Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2030?

Kei­ne Angst, auf die Idee, unser Stadt­bild so zu ver­än­dern, kommt kein ver­nünf­ti­ger Mensch. Bis­her gibt es 28 Wind­kraft­an­la­gen im Stadt­ge­biet, die rund 5 Pro­zent des Brut­to­strom­ver­brauchs lie­fern. Zwar muss in Müns­ter sicher noch das eine oder ande­re Wind­rad auf­ge­stellt wer­den, damit das Kli­ma-Ziel erreicht wer­den kann.

Aber selbst­ver­ständ­lich wird man Stand­or­te für wei­te­re Anla­gen so aus­wäh­len, dass sie das Land­schafts­bild und die Natur mög­lichst wenig beeinträchtigen. 

Wenn es um den Aus­bau der Solar­ener­gie geht, soll das künf­tig für die Alt­stadt inner­halb der Pro­me­na­de nicht mehr unein­ge­schränkt gel­ten. SPD, Grü­ne und Volt haben zusam­men mit ÖDP und „Die Par­tei“ einen Antrag zur „Anpas­sung der Alt­stadt-Sat­zung“ gestellt: „Solar­an­la­gen auch in der Alt­stadt mög­lich machen.“ Bis­her ist das unzulässig.

In dem Rats­an­trag heißt es: „Der Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Ener­gien in Müns­ter hat eine hohe Prio­ri­tät. Um die Kli­ma­zie­le der Stadt errei­chen zu kön­nen, müs­sen ins­be­son­de­re solar­ther­mi­sche und solar­en­er­ge­ti­sche Nut­zun­gen deut­lich und mit hohem Tem­po aus­ge­baut wer­den. Dazu sol­len mög­lichst alle geeig­ne­ten Dach­flä­chen im Stadt­ge­biet Müns­ter genutzt wer­den kön­nen, auch im Bereich der Alt­stadt und ande­rer Gel­tungs­ge­bie­te städ­te­bau­li­cher Erhaltungssatzungen.“

Änderungen nicht absehbar

Spä­tes­tens am 1. Sep­tem­ber soll die Alt­stadt-Sat­zung ent­spre­chend geän­dert sein, so der Antrag. Damit die Ver­wal­tung den Auf­trag in jedem Fall frist­ge­recht erle­digt, haben die Antrag­stel­ler die For­mu­lie­rungs­vor­schlä­ge gleich mitgeliefert.

Eine Bürger:innen-Beteiligung ist nicht vor­ge­se­hen. Sach­kun­di­ger Rat von Stadtplaner:innen und Architekt:innen muss vor der Ände­rung nicht ein­ge­holt wer­den. Der Gestal­tungs­bei­rat soll erst im Nach­hin­ein betei­ligt wer­den – wenn die Alt­stadt-Sat­zung zum Ein­satz kommt, und das auch nur im Einzelfall. 

Damit wie­der­ho­len SPD, Grü­ne und Volt den Feh­ler, den sie bei den Fahr­rad­stra­ßen gemacht haben. Erst nach mas­si­ven Pro­tes­ten hat­te man sich dazu bereit erklärt, mit den Anlie­gern der Hit­torf­stra­ße zu spre­chen, deren Park­plät­ze wegen der Umwid­mung zur Fahr­rad­stra­ße weg­fal­len soll­ten. Die­se bra­chia­le Vor­ge­hens­wei­se ver­ur­sacht unnö­ti­ge Wider­stän­de gegen die För­de­rung des Radverkehrs.

Die Aus­wir­kun­gen der bean­trag­ten Ände­rung der Alt­stadt­sat­zung auf das cha­rak­te­ris­ti­sche Bild der Alt­stadt las­sen sich nicht abse­hen. Glän­zen­de Solar­pa­nele oder Dach­be­grü­nun­gen, die eben­falls ermög­licht wer­den sol­len, wären ein­schnei­den­de Ein­grif­fe. Allein das spricht für eine sorg­fäl­ti­ge und brei­te Dis­kus­si­on, bevor man den Schutz der Alt­stadt-Sat­zung aufhebt. 

Um den Wiederaufbau wird Münster beneidet

Müns­ter hat trotz Kriegs­zer­stö­rung und wirt­schaft­li­chen Wachs­tums den Cha­rak­ter sei­ner his­to­ri­schen Alt­stadt bewahrt. Prä­gen­de Ein­zel­bau­ten wie das Rat­haus wur­den weit­ge­hend ori­gi­nal wie­der­her­ge­stellt. Der Wie­der­auf­bau des Prin­zi­pal­markts und ande­rer Alt­stadt­quar­tie­re ori­en­tier­te sich am Vor­kriegs­zu­stand. Der mit­tel­al­ter­li­che Stadt­grund­riss blieb weit­ge­hend erhalten.

Um die­sen Wie­der­auf­bau, bei dem man sich an der seit 1913 bestehen­den Gestal­tungs­sat­zung ori­en­tiert hat­te, wird Müns­ter von vie­len benei­det. Da die Alt­stadt das Zen­trum der Gesamt­stadt ist, war ihre städ­te­bau­li­che Ent­wick­lung stets beglei­tet vom auf­merk­sa­men Inter­es­se der gesam­ten Bürgerschaft.

Inzwi­schen ist der Wie­der­auf­bau nahe­zu voll­stän­dig abge­schlos­sen. Das Ziel bleibt unver­än­dert, denn wirt­schaft­li­che Struk­tur­ver­än­de­run­gen dro­hen die Gestalt­qua­li­tät der Alt­stadt zuneh­mend zu beein­flus­sen. Auch in Zukunft gilt es, die städ­te­bau­li­chen Eigen­art der Alt­stadt zu erhal­ten und das cha­rak­te­ris­ti­sche Orts- und Stra­ßen­bild zu schüt­zen. Die­sem Ziel dient die 1989 ver­ab­schie­de­te Alt­stadt-Sat­zung.

Sie schreibt bis in gestal­te­ri­sche Details vor, was bau­lich erlaubt ist, und was nicht. 

So legt der zwei­te Absatz in Para­graf 3 bei­spiels­wei­se fest: 

„Wand­flä­chen sind in der Mate­ri­al­wahl dem Erschei­nungs­bild anzu­pas­sen, das für die his­to­ri­sche Alt­stadt cha­rak­te­ris­tisch ist. Die­ses wird geprägt durch rotes Zie­gel­sicht­mau­er­werk, glat­te Putz­flä­chen und die Ver­wen­dung von Sand­stein, vor allem für Glie­de­rungs­ele­men­te. Hier­von abwei­chen­des Mate­ri­al kann als Aus­nah­me zuge­las­sen wer­den, wenn es sich in Struk­tur und Far­be einfügt.“

Und im drit­ten Absatz heißt es: 

„Schau­fens­ter sind nur im Erd­ge­schoss zuläs­sig. Soweit die Schau­fens­ter nicht hin­ter Bogen­gän­gen lie­gen, sind sie durch Pfei­ler oder Säu­len so zu glie­dern, dass der his­to­ri­sche Maß­stab der Alt­stadt gewahrt bleibt.“

Nur durch so klein­tei­li­ge Vor­schrif­ten konn­te erreicht wer­den, dass der Gesamt­ein­druck der Alt­stadt von Müns­ter sei­ne ein­zig­ar­ti­ge Wir­kung ent­fal­ten kann. Weil sich die bau­li­che Gestal­tung an die­sem Maß­stab ori­en­tie­ren soll­te, wur­de die­ser im Lau­fe der Jah­re kaum geän­dert. Die letz­te Ände­rung aus dem Jahr 2004 ist jetzt 17 Jah­re her. 

Schaden größer als der Nutzen

Jetzt möch­ten Grü­ne, SPD und Volt die­sen Beur­tei­lungs­maß­stab grund­sätz­lich ändern, „weil eine Anpas­sung an die gesell­schaft­li­chen und umwelt­po­li­ti­schen Erfor­der­lich­kei­ten ange­zeigt“ sei.

Bis­her waren „spie­geln­de Mate­ria­li­en sowie grel­le Far­ben und Licht­pro­jek­tio­nen“ inner­halb der Pro­me­na­de unzu­läs­sig. Das soll jetzt anders werden.

Pho­to­vol­ta­ik­mo­du­le reflek­tie­ren das Licht anders als ein rotes Zie­gel­dach. Soweit sie sicht­bar sind, müss­ten sie zwar „die städ­te­bau­li­che Gestalt berück­sich­ti­gen“, so der Ände­rungs­an­trag. Aber was soll das hei­ßen? Als ob nicht jede Sicht­bar­keit von Pho­to­vol­ta­ik­mo­du­len eine Beein­träch­ti­gung der bis­he­ri­gen städ­te­bau­li­chen Gestalt wäre.

Dass mög­lichst vie­le geeig­ne­te Dach­flä­chen in Müns­ter für Solar­an­la­gen genutzt wer­den soll­ten, ist unstrit­tig. Aber war­um aus­ge­rech­net in der his­to­ri­schen Alt­stadt? In Müns­ter gibt es etwa 60.000 Wohn­ge­bäu­de, dazu kom­men tau­sen­de von Gewer­be- und Büro­ge­bäu­den. Die Stadt bie­tet Bera­tung und Unter­stüt­zung an, damit mög­lichst vie­le Eigentümer:innen in die Nut­zung der Solar­ener­gie investieren.

Man könn­te sich mög­li­cher­wei­se vor­stel­len, dass in eng begrenz­ten Aus­nah­me­fäl­len aus­schließ­lich auf Flach­dä­chern von Gebäu­den in der Alt­stadt Solar­an­la­gen zuge­las­sen wer­den unter der Vor­aus­set­zung, dass sie von unten nicht gese­hen wer­den kön­nen. Aber das reicht Grü­nen, SPD und Volt nicht aus. Ihr Antrag, für den sie sich wegen feh­len­der eige­ner Mehr­heit die Unter­stüt­zung von ÖDP und „Die Par­tei“ gesi­chert haben, geht deut­lich dar­über hin­aus. Wegen der abseh­ba­ren Kon­tro­ver­sen dar­über hat er das Zeug dazu, der Nut­zung von Solar­ener­gie in Müns­ter eher zu scha­den, als sie voranzubringen.

Herz­li­che Grü­ße und eine gute Woche

Ihr
Ruprecht Polenz


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.