Die Kolumne von Ruprecht Polenz | #StopPutinNOW - aber wie?

Müns­ter, 13. März 2022

Guten Tag,

einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen,

trotz der Sor­gen, die wir uns um die Men­schen in der Ukrai­ne machen und um den Frie­den in Euro­pa und der Welt.

Der 24. Febru­ar 2022 ist der schwär­zes­te Tag in der ukrai­ni­schen Geschich­te seit dem Angriff von Nazi-Deutsch­land auf die Ukrai­ne und die Sowjet­uni­on am 22. Juni 1941. Die euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung der Char­ta von Paris liegt in Trüm­mern, obwohl sie 1990 auch von der Sowjet­uni­on unter­schrie­ben wurde. 

Schon durch die Anne­xi­on der Krim 2014 und den Krieg im Don­bas, in dem bis­her 14.000 Men­schen getö­tet wur­den, hat Russ­land die Sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne ver­letzt. Seit­dem gibt es den Krieg gegen die Ukrai­ne. Der rus­si­sche Über­fall macht jetzt für alle offen­kun­dig: Wir kön­nen uns nicht mehr dar­auf ver­las­sen, dass dau­er­haft Frie­den in Euro­pa herrscht.

Seit 18 Tagen bom­bar­diert und beschießt die rus­si­sche Armee ukrai­ni­sche Städ­te wie Mariu­pol, Charkiv, Kiew und vie­le ande­re. Die Angrif­fe gel­ten Wohn­vier­teln. Auch Kran­ken­häu­ser und Schu­len wer­den getrof­fen. Am Mitt­woch ein Kin­der­kran­ken­haus in Mariu­pol mit Säug­lings­sta­ti­on. Zusam­men­bruch der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, Lebens­mit­tel­knapp­heit, Strom­aus­fall – Putin zer­stört ein Nachbarland.

Inzwi­schen sind Mil­lio­nen Ukrainer:innen auf der Flucht. Es wird immer wie­der ver­sucht, für ein­ge­kes­sel­te Städ­te Flucht­kor­ri­do­re zu ver­ein­ba­ren, oft vergeblich.

Die Hash­tags #Rus­sia­in­va­desUkrai­ne, #Stand­Wi­t­hUkrai­ne oder #Stop­Put­in­NOW bestim­men die Dis­kus­si­on in den Sozia­len Medi­en. Was kann man tun, um Putins Krieg zu stoppen?

Eine Flugverbotszone?

Schon früh hat die NATO erklärt, dass sie nicht mili­tä­risch in der Ukrai­ne ein­grei­fen wird. Die­se Hal­tung ist bit­ter, aber rich­tig. Die NATO ist ein Ver­tei­di­gungs­bünd­nis, dem die Ukrai­ne nicht ange­hört. Eine unmit­tel­ba­re mili­tä­ri­sche Kon­fron­ta­ti­on der USA mit Russ­land bräch­te unkal­ku­lier­ba­re Eska­la­ti­ons­ri­si­ken. Mit einem 3. Welt­krieg wäre auch der Ukrai­ne nicht gedient.

Auch die immer wie­der gefor­der­te Durch­set­zung einer Flug­ver­bots­zo­ne (No-Fly Zone) über der Ukrai­ne wäre ein sol­cher mili­tä­ri­scher Ein­griff, denn sie müss­te gegen die rus­si­sche Flug­ab­wehr und Luft­waf­fe gewalt­sam durch­ge­setzt werden.

So wich­tig es ist, dass alle Betei­lig­ten wis­sen, was die NATO nicht macht, eben­so wich­tig ist es, dass Putin weiß, was sie tun wür­de: Ein Angriff auf ein NATO-Mit­glied bedeu­tet Krieg mit der gan­zen NATO. Um die Glaub­wür­dig­keit die­ser Abschre­ckungs-Dro­hung zu erhö­hen, schi­cken die USA zusätz­li­che Soldat:innen nach Euro­pa, vor allem in die bal­ti­schen Staa­ten, nach Polen und Rumä­ni­en. Auch Deutsch­land und ande­re NATO-Mit­glie­der betei­li­gen sich an die­ser Stär­kung der Ost­flan­ke des Bündnisses.

Ob die Abschre­ckung wirkt? Wie heu­te das Bal­ti­kum war in der Zeit des Kal­ten Krie­ges auch West­ber­lin gegen einen mili­tä­ri­schen Angriff nicht zu ver­tei­di­gen. Die Sowjet­uni­on hat die Stadt zwar vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 von jeder Ver­sor­gung über die Land- und Was­ser­we­ge abge­schnit­ten, um sie in ihre Gewalt zu brin­gen. Dank der Luft­brü­cke ist die­ses Vor­ha­ben jedoch geschei­tert. Einen direk­ten mili­tä­ri­schen Angriff auf West­ber­lin hat die Sowjet­uni­on wegen der nuklea­ren Eska­la­ti­ons­ri­si­ken nicht unter­nom­men. Und die Sowjet­uni­on, mit den Ver­bün­de­ten des War­schau­er Pakts an ihrer Sei­te, war viel stär­ker als Russ­land heute.

Art. 51 der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen gibt der Ukrai­ne das Recht, sich gegen die rus­si­sche Inva­si­on zu ver­tei­di­gen. NATO-Staa­ten unter­stüt­zen sie dabei auch mit Waf­fen­lie­fe­run­gen. Deutsch­land hat sich damit bis zum 24. Febru­ar Zeit gelas­sen, obwohl seit Dezem­ber über 120.000 rus­si­sche Sol­da­ten mit Pan­zern, Artil­le­rie, Kampf­flug­zeu­gen und Kampf­hub­schrau­bern an den Gren­zen der Ukrai­ne auf­mar­schiert waren. 

Völkerrecht fordert Unterstützung

Das merk­wür­di­ge Argu­ment der Bun­des­re­gie­rung: Die Erfah­rung aus der Geschich­te ver­bie­te die Lie­fe­rung von Waf­fen in Kri­sen­ge­bie­te. Als ob aus dem Über­fall Nazi-Deutsch­lands auf die Ukrai­ne im Jahr 1941 fol­gen wür­de, dass man ihr nicht hel­fen dür­fe, sich 2022 gegen eine rus­si­sche Inva­si­on zu ver­tei­di­gen. Inzwi­schen lie­fert auch die Bun­des­re­gie­rung Waf­fen an die Ukrai­ne. Wel­che das sind, steht hier.

Die­se Waf­fen­lie­fe­run­gen machen Deutsch­land nicht zur Konfliktpartei.

„Das Völ­ker­recht ver­dammt die Staa­ten nicht dazu, der Aggres­si­on taten­los zuzu­se­hen; ganz im Gegen­teil: Ein wer­te­ba­sier­tes Völ­ker­recht, das Gewalt­an­wen­dung in den zwi­schen­staat­li­chen Bezie­hun­gen ver­bie­tet und den Tat­be­stand der Aggres­si­on völ­ker­straf­recht­lich sank­tio­niert, for­dert gera­de­zu eine Unter­stüt­zung des Aggres­si­ons­op­fers“, schreibt Ste­fan Tal­mon, Direk­tor am Insti­tut für Völ­ker­recht der Uni­ver­si­tät Bonn, im Ver­fas­sungs­blog.

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Außer­dem ver­häng­ten die EU, die USA, Japan, Süd­ko­rea und vie­le ande­re Staa­ten schar­fe Sank­tio­nen gegen Russ­land. Die Kon­ten von Putins Nomen­kla­tu­ra sind gesperrt, ihre Vil­len in Lon­don oder an der Côte d’A­zur und ihre Luxus­jach­ten wur­den beschlag­nahmt. Rus­si­sche Ban­ken wur­den vom elek­tro­ni­schen Bezahl­sys­tem SWIFT aus­ge­schlos­sen. Die Rus­si­sche Zen­tral­bank kann nicht mehr auf Devi­sen zugreifen. 

Vie­le Fir­men zie­hen sich aus dem Russ­land-Geschäft zurück. Apple, Volks­wa­gen, McDo­nalds, Ikea – die Lis­te ist lang. Hier ein Über­blick.

Die Gene­ral­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Natio­nen ver­ur­teil­te den rus­si­schen Angriff auf die Ukrai­ne am 2. März mit his­to­ri­scher Ein­deu­tig­keit. 141 Natio­nen stimm­ten der Erklä­rung zu. Nur Bela­rus, Eri­trea, Syri­en und Nord­ko­rea unter­stütz­ten Russ­land. 35 Staa­ten, dar­un­ter Chi­na, ent­hiel­ten sich der Stimme.

Putins Russ­land darf nicht an der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft teil­neh­men. Die rus­si­sche Mann­schaft wird von den Para­lym­pics in Peking nach Hau­se geschickt. Die Büh­ne des Euro­pean Song Con­test (ESC) ist für Russ­land gesperrt. 

Putin hat sein Land inter­na­tio­nal iso­liert und sich in die Abhän­gig­keit von Chi­na bege­ben. Dik­ta­to­ren unter sich. Ji Jin­ping sagt Putin einer­seits Unter­stüt­zung zu, weil es gegen die USA geht. Er mahnt aber ande­rer­seits zu Mäßi­gung und spricht von der Sou­ve­rä­ni­tät aller Staa­ten, die zu ach­ten sei.

Politische und moralische Niederlage

Soll­te Putin je selbst dar­an geglaubt haben, die Ukrainer:innen fühl­ten sich durch die rus­si­sche Inva­si­on von einem „faschis­ti­schen Regime“ in Kiew „befreit“ und wür­den sich auf die Wie­der­ver­ei­ni­gung mit dem gro­ßen rus­si­schen Bru­der­volk freu­en – der Kriegs­ver­lauf hat ihn eines Bes­se­ren belehrt. 

Das bis vor zehn Jah­ren gute Ver­hält­nis zur Ukrai­ne hat er auf Gene­ra­tio­nen zer­stört. Poli­tisch und mora­lisch hat­te Putin den Krieg bereits ver­lo­ren, als er ihn ange­fan­gen hat.

Trotz allem geht die rus­si­sche Inva­si­on wei­ter. Des­halb wer­den wei­te­re Sank­tio­nen ver­hängt. Die USA haben ein Ölem­bar­go gegen Russ­land beschlos­sen. Sank­tio­nen gegen den Ener­gie­sek­tor tref­fen Russ­land an einer emp­find­li­chen Stel­le. Denn wirt­schaft­lich lebt das Land vom Öl- und Gasexport.

Der rus­si­sche Staats­haus­halt wird im Wesent­li­chen gefüllt aus den Steu­ern, die Öl- und Gas­för­de­rer abfüh­ren, sowie aus den Divi­den­den der staat­lich domi­nier­ten Ener­gie­kon­zer­ne Ros­neft und Gaz­prom. Dazu kom­men Abga­ben an den Staat, die Ener­gie­ex­por­teu­re ab einer staat­lich fest­ge­setz­ten Höhe des Ölprei­ses zah­len müssen.

Auch in der EU und in Deutsch­land wird ein Öl- und Gas­em­bar­go dis­ku­tiert, um Putins Kriegs­kas­se direkt zu tref­fen. Denn wegen der explo­die­ren­den Ener­gie­prei­se steigt auch die Sum­me, die EU-Län­der täg­lich an die rus­si­schen Gas­kon­zer­ne über­wei­sen: Anfang März waren es 660 Mil­lio­nen Dol­lar. Täg­lich.

Die EU tut sich mit einem Ener­gie­em­bar­go schwe­rer als die USA, weil sie auf die rus­si­schen Öl- und Gas­lie­fe­run­gen ange­wie­sen ist. Beson­ders stark ist die Abhän­gig­keit Deutsch­lands. Der rus­si­sche Anteil am Öl liegt bei 34 Pro­zent, beim Gas sogar bei 55 Pro­zent. Erd­öl (32 Pro­zent) und Erd­gas (27 Pro­zent) sind die wich­tigs­ten Ener­gie­trä­ger in Deutsch­land. Des­halb wären die Rück­wir­kun­gen eines Embar­gos sehr weit­rei­chend und schwerwiegend.

Wäre eine Kapitulation besser?

In einer Ad-hoc-Stel­lung­nah­me hat sich die Wis­sen­schafts­aka­de­mie Leo­pol­di­na mit der Fra­ge beschäf­tigt, wie sich rus­si­sches Erd­gas in der deut­schen und euro­päi­schen Ener­gie­ver­sor­gung erset­zen lässt. Die Wissenschaftler:innen kom­men zu dem Ergeb­nis, „dass auch ein kurz­fris­ti­ger Lie­fer­stopp von rus­si­schem Gas für die deut­sche Volks­wirt­schaft hand­hab­bar wäre“. Eng­päs­se könn­ten sich im kom­men­den Win­ter erge­ben, schrei­ben die Wissenschaftler:innen. Es bestün­de jedoch die Mög­lich­keit, durch die unmit­tel­ba­re Umset­zung eines Maß­nah­men­pa­kets die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen zu begren­zen und sozia­le Aus­wir­kun­gen abzufedern.

Per­sön­lich­kei­ten aus Kunst, Kul­tur, Sport, Wis­sen­schaft und Poli­tik haben die Bun­des­re­gie­rung und die übri­gen EU-Staa­ten des­halb in einem offe­nen Brief zu einem Import­stopp von Öl, Gas und Koh­le aus Russ­land auf­ge­for­dert. Ich habe den Brief auch unterschrieben.

Aber wird das rei­chen, um Putin zu stop­pen? Oder ver­län­gern die Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne den Krieg unnö­tig? Wäre nicht eine Kapi­tu­la­ti­on der Ukrai­ne bes­ser, um wei­te­re Opfer zu vermeiden?

Lei­der ist es so, dass Men­schen bei Ver­lus­ten den Ein­satz erhö­hen, um die Ver­lus­te zu recht­fer­ti­gen und viel­leicht doch noch zu kom­pen­sie­ren. Über­tra­gen auf den Krieg heißt das: Die Men­schen sol­len nicht umsonst gestor­ben sein.

Wir soll­ten aner­ken­nen, dass nur die Ukrainer:innen selbst ent­schei­den kön­nen, wie lan­ge sie den Wider­stand fort­set­zen und wel­chen Preis sie für den Frie­den akzep­tie­ren. Des­halb müs­sen wir die Ukrai­ne unter­stüt­zen und dür­fen nicht im Wege ste­hen, wenn sie mit Russ­land einen Waf­fen­still­stand ver­ein­ba­ren will. Prä­si­dent Selen­skyj – ein Held unse­rer Zeit – hat sich das Recht ver­dient, dar­auf ver­trau­en zu kön­nen, dass er sein Land nicht aus­ver­kau­fen wird.

Es wird Waf­fen­still­stands­ver­hand­lun­gen geben, wenn bei­de Sei­ten davon über­zeugt sind, dass sie dadurch im Ver­hält­nis zur Fort­set­zung des Krie­ges etwas gewinnen. 

Hof­fent­lich in der kom­men­den Woche, für die ich Ihnen alles Gute wünsche.

Herz­li­che Grüße

Ihr
Ruprecht Polenz

PS

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Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

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