Die Kolumne von Juliane Ritter | Die kollektive Erschöpfung

Porträt von Juliane Ritter
Mit Juliane Ritter (Name geändert)

Münster, 19. Dezember 2021

ich bin müde. Müde, weil es immer mehr zunimmt. Die Ohnmacht, die sich in jedem meiner Dienste breitmacht. Die Tage, an denen ich begrüßt werde mit dem Satz: „Gott sei Dank bist du endlich hier, es ist schon wieder zum Heulen.“ Die Tage, an denen ich mich fünfteilen müsste und Pausen oder der pünktliche Feierabend schon bei Ankunft abhake. Es gibt andere Tage, da ist es nicht so sehr am Arbeitsaufwand spürbar. Aber in der Luft schwingt sie immer mit: die kollektive Erschöpfung.

Immer wieder geraten meine Kolleg:innen und ich aneinander, Ärzte und Pflegende haben Auseinandersetzungen, die ungewohnt emotional verlaufen. Unsere privaten Netzwerke laufen heiß mit den Anfragen, ob wir einspringen könnten, die Gedanken drehen sich immer häufiger um die Arbeit. Wir alle spüren, wie der Druck zunimmt – wenn er überhaupt noch größer werden kann.

Immer wieder stecken meine Kolleg:innen und ich in der Zwickmühle. Immer wieder gehe ich nach Hause und hinterlasse meinem Folgedienst ein Chaos. Dann ist die Frage: Bleibe ich doch noch, bis es sich beruhigt hat? Aber wie lange wird das dauern? Wenn wir länger bleiben, kommen wir immer häufiger an die Grenzen des Erlaubten. So hat ein Kollege zuletzt wieder einmal eine Doppelschicht von über 14 Stunden einlegen müssen. Es kommt immer häufiger vor.

Fehlt nach dem Spätdienst der Nachtdienst, muss jemand den Nachtdienst dranhängen. Dann sind es zusammen über 17 Stunden. Das Arbeitsschutzgesetz sieht eine maximale Dienstzeit von 10 Stunden vor. Im absoluten Notfall darf die Zeit überschritten werden, aber dieser Notfall ist rechtlich ungenau definiert. Und ein Notfall kann sich nicht regelmäßig wiederholen, denn dann ist es kein Notfall mehr, sondern Alltag.

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