Die Kolumne von Anna Stern | Die Stimme der freien Kulturszene

Porträt von Anna Stern
Mit Anna Stern

Guten Tag,

Monokultur, was fällt Ihnen dazu als Erstes ein? Vielleicht die vielen Maisfelder im Münsterland, die das Bild der Landschaft prägen? Inzwischen ist bekannt, wie ungesund eine solche Monokultur ist, für Bodenorganismen, Biodiversität, Grundwasser und letztlich für uns selbst. Vielfalt auf dem Acker ist schlicht – überlebenswichtig.

Dieses Denken lässt sich auf die städtische Kunst- und Kulturszene übertragen.

Je nach Bedürfnis sollen kulturelle Angebote inspirieren, unterhalten, ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, bilden, informieren, die Möglichkeit bieten, über sich selbst und die Welt nachzudenken. Da ist es offensichtlich, dass auch hier eine abwechslungsreiche Vielfalt einer Monokultur überlegen ist. Und deshalb möchte ich Ihnen heute „moNOkultur“ vorstellen. Mit einem kleinen ‚m‘ vorne und einem großen ‚NO‘ in der Mitte.

Den Verein „moNOkultur“ gibt es seit 2013, und ich bin eines der Vereinsmitglieder. Die Initiative versteht sich als Sprachrohr der freien Kulturszene Münsters. Und die umfasst die „Gesamtheit aller in Münster produzierenden Künstler:innen, Ensembles, Einrichtungen und Strukturen in freier Trägerschaft aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, Performance, Bildende Kunst, Film, Neue Medien, Literatur und Architektur sowie alle spartenübergreifenden und transdisziplinären Arbeiten“, so zu lesen auf der Website der Initiative.

Es geht um Geld, aber nicht nur

Das sind aktuell etwa 3.000 Künstler:innen, die zur kulturellen Vielfalt in Münster und damit auch schlicht zu mehr Lebensqualität in der Stadt beitragen. Die Initiative will die Interessen dieser sehr heterogenen Gruppe gegenüber Politik und Verwaltung vertreten. Und dabei geht es, Sie können es sich schon denken, um Geld – wenn auch nicht nur.

Die Initiative sorgt dafür, dass über eine gerechte Verteilung der Kulturmittel zwischen institutionalisierten Einrichtungen und freier Szene zumindest immer wieder diskutiert wird, und sie hat das Ziel, im Dialog mit dem Kulturamt und dem Rat der Stadt mit einer Stimme zu sprechen.

Das hat einen enormen Vorteil: Es stehen nicht zehn Einzelkünstler:innen vor der Tür, die miteinander konkurrieren und jeweils unterschiedliche, möglicherweise gar sich widersprechende Bedarfe anmelden. Stattdessen versucht die Initiative, Probleme herauszuarbeiten, die viele in der Szene betreffen.

Die Mehrheit im Plenum entscheidet, wo es am meisten brennt. Und dafür entwickeln Arbeitsgruppen einen konkreten Lösungsvorschlag, der von allen Mitgliedern getragen wird. Das Team aus Sprecher:innen und Geschäftsführung diskutiert diesen Vorschlag mit dem Kulturamt und versucht, politische Unterstützung bei den Ratsparteien zu finden. In einem nächsten Schritt kann daraus ein Bürgerantrag formuliert und an den Rat der Stadt gestellt werden.

So geschah es zum Beispiel vor sechs Jahren mit der sogenannten Präsentationsförderung, einer kommunalen Förderlinie in Münster, die meines Wissens immer noch einzigartig in Deutschland ist, obwohl das zugrunde liegende Problem viele Kommunen betrifft.

23 Millionen Euro für das Theater

Warum die freie Szene eine Förderung des Spielbetriebs, also der Präsentation der eigenen Produktionen, braucht, wird schnell an einem Beispiel klar: Kultur wird immer dann finanziell zum Minusgeschäft, wenn sie kein Massengeschäft ist, wenn also nicht Stadien, Konzerthallen gefüllt werden.

Noch nicht einmal beim Stadttheater decken die Eintrittskarten die Kosten dieses riesigen Apparates. Deshalb fördert die Stadt das Stadttheater mit einem so genannten Betriebskostenzuschuss. In der Spielzeit 2022/23 sind das satte 22,7 Millionen Euro. (Übrigens, die freie Szene wurde 2022 mit 2,9 Millionen Euro gefördert, knapp 600.000 davon waren Projektförderungen.)

Der Betriebskostenzuschuss für das Stadttheater umfasst den gesamten Spielbetrieb, also Gelder für Gagen, Verwaltung, Werbung, Bühnentechnik, Strom, Heizung und mehr. Das ermöglicht es unter anderem, dass ein Stück die ganze Spielzeit über aufgeführt werden kann. Klar, denken Sie. Wenn etwas mit so viel Aufwand geprobt und produziert wird, dann sollen es doch möglichst viele Leute sehen können.

Die freien Gruppen dagegen hatten bis 2016 nur die Möglichkeit, sich für eine Produktionsförderung zu bewerben. Diese umfasst eine Förderung der Kosten bis zur Premiere und schließt einige weitere Aufführungen mit ein. Sollte das Stück weitergespielt werden, musste es sich selbst finanzieren.

Eine komplette Gegenfinanzierung durch Tickets – schon beim Stadttheater nicht gegeben – ist bei kleineren Produktionen selten zu stemmen. So war das zum Beispiel 2003 mit einem aufwändigen Stück zur US-amerikanischen Dichter-Diva Anne Sexton, das ich zusammen mit dem Regisseur und Schauspieler Manfred Kerklau im Pumpenhaus aufgeführt habe.

Lösung für ein strukturelles Problem

Recherche, Skript, Proben mit einem Ensemble aus Schaupieler:innen und Life-Musiker:innen, all das wurde auch mit öffentlichen Geldern gefördert und nahm Monate in Anspruch. Doch dann war „rats live on no evil star“ nur wenige Male im Pumpenhaus zu sehen und verschwand – trotz sehr positiver Aufnahme – für immer. Wiederaufführung? Einfach zu teuer.

Um eine neue Förderung zu erhalten, musste vor 2016 immer ein neues Stück her. Das ist zum einen wenig nachhaltig. Zum anderen verbaut es die für eine künstlerische Professionalisierung geradezu existenzielle Möglichkeit, an Stücken zu feilen. Denn jede neue Aufführung birgt die Chance auf Kritik und Feedback, auf eine noch intensivere künstlerische Auseinandersetzung mit den eigenen Projekten.

Die Initiative hatte damals ein strukturelles Problem erkannt, eine Lösung entwickelt und mit dem Beschluss der neuen Förderlinie im Rat auch erfolgreich zu ihrer politischen Umsetzung beigetragen. Ein Meilenstein!

Ein weiterer Meilenstein war 2017 die Etablierung einer Nachwuchsförderung. Auch hier hatte die Initiative Handlungsbedarf sichtbar gemacht: Zwischen Ausbildung, Studium und der zumindest ausreichend bezahlten Arbeit in der freien Kunst liegt eine höchst wacklige Phase. Hier kann so manche Karriere enorm von einer finanziellen Unterstützung profitieren, bis die Aufträge regelmäßiger, die Gagen höher, die Verkäufe besser sind.

Das weiß übrigens auch die Künstlersozialkasse: Berufsanfänger:innen müssen das eh schon sehr gering angesetzte jährliche (!) Mindesteinkommen von 3.900 Euro in den ersten drei Jahren nicht nachweisen. Von dieser sparten- und genreübergreifenden Nachwuchsförderung in Münster profitiert natürlich nur ein Teil der freien Szene.

Doch genau darum geht es bei „moNOkultur“: gemeinsam über eine Agenda zu diskutieren, Prioritäten zu setzen und solidarische Entscheidungen zu treffen, mit dem Blick auf das große Ganze und nicht nur auf den persönlichen Bedarf.

Die kontinuierliche Arbeit der Initiative scheint bei Verwaltung und Politik gut anzukommen, das zeigt vor allem ihr aktuellster Erfolg, die eigene Professionalisierung. Bisher leisteten die vom großen Plenum gewählten Sprecher:innen die gesamte Arbeit ehrenamtlich, pro Person angeblich immerhin acht bis zehn Stunden in der Woche.

Ein klares Zeichen

Dazu gehörte es, Anträge und Bedarfe zu formulieren, die kleinen und großen Plena und Arbeitsgruppen zu organisieren und mit Politik, Kulturamt, Presse und Mitgliedern zu kommunizieren.

Seit 2021 bezahlt die Stadt eine halbe Geschäftsführungsstelle, die den Großteil der organisatorischen Aufgaben übernimmt, auch dies ein Novum in der kommunalen Kulturförderung. Und ein klares Zeichen dafür, dass Politik und Verwaltung die Zusammenarbeit mit der freien Szene wirklich wollen, ihre Relevanz anerkennen und „moNOkultur“ als Stimme vertrauen.

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Die Geschäftsführung hat nun Soetkin Stiegemeier‐Oehlen übernommen, die schon lange als Eventmanagerin arbeitet, sich in Fundraising und Pressearbeit gut auskennt und in Münster bestens vernetzt ist.

Neben den handfesten und den atmosphärischen Erfolgen von „moNOkultur“ gibt es jedoch auch knifflige Punkte. Repräsentiert die Initiative mit 150 Mailadressen im Verteiler wirklich die freie Szene der Stadt? Zwar stehen hinter einigen Adressen ganze Ensembles, wie zum Beispiel beim Theater Titanick, es ist also nicht ganz so leicht einzuschätzen, wie viele Kulturschaffende tatsächlich erreicht werden.

Und wenn es um Kontroversen geht, die sie persönlich betreffen, wie die Diskussion um den Musik-Campus, dann steigt die Zahl der aktiven Mitglieder aus der entsprechenden Sparte auch mal stark an. Dennoch müsste die Runde größer, vor allem interdisziplinärer sein, so ist zum Beispiel die Bildende Kunst kaum vertreten.

Den Kreis zu erweitern, diverser zu machen, über Soziale Medien und persönliche Ansprache, und sich damit überzeugender zu legitimieren, das sieht auch die neue Geschäftsführerin als eine ihrer Aufgaben an. Sind mehr Menschen aktiv dabei, lassen sich hoffentlich auch leichter Freiwillige dafür gewinnen, weiterhin als ehrenamtliche Sprecher:innen zu arbeiten.

Ein letzter kniffliger Punkt

Da muss ich mich auch an die eigene Nase fassen. Seit Jahren will ich meinen Status als passives Vereinsmitglied ändern und schaffe es noch nicht mal, zu den Plenen aufzutauchen, geschweige denn, einen Job als Sprecherin zu übernehmen.

Das geht auch anderen so, mit der Folge, dass auf dieser Position aktuell eine von drei Stellen immer noch vakant ist. Zeha Schröder und Joachim Goldschmidt sind als Sprecher nach eigenen Worten „am Limit“.

Gleichzeitig werden die Baustellen, die es zu bearbeiten gilt, immer größer: Wie und in welchem Ausmaß betreffen die explodierenden Energiepreise die freie Szene? Wie können Notlagen, die dadurch entstehen, abgefangen werden? Und immer wieder geht es um das Thema Raum.

Gerade in der aktuellen Krise der auf Konsum ausgerichteten Innenstädte scheinen sich für die freie Kulturszene auch große Chancen aufzutun. Die Initiative will hier berechtigterweise von Anfang an beteiligt werden an Entscheidungsprozessen, die die Stadtentwicklung betreffen. Nicht nur, was temporäre, kleinere Leerstände angeht. Was, wenn zum Beispiel tatsächlich eine der zwei Galeria-Filialen schließen muss? So ein Gebäude eröffnet fantastische Möglichkeiten für einen Kulturort mitten in der Stadt.

Bleibt noch ein letzter kniffliger Punkt: Der Name. Spricht man ihn, hört kein Mensch das große ‚NO‘ darin. Auch in der Presse wird der Name ständig falsch geschrieben, aus Versehen oder weil Medien solche Eigenschreibweisen nicht zulassen, so dass beim Lesen doch wieder Assoziationen an Maisfelder herauskommen. Und schließlich ist es ein Name, der sich von etwas abgrenzt, etwas verneint, statt eine positive Vision zu formulieren. Und zugleich das Verneinte enthält.

Vielleicht haben Sie, liebe Leser:innen, einen überzeugenderen Vorschlag?

Ihre Anna Stern

Transparenzhinweis:

Anna Stern ist als Performancekünstlerin Mitglied im Verein „moNOkultur“.

Korrekturhinweis:

Im Lektorat des Textes haben wir aus Versehen einen Fehler eingebaut. Wir haben Zeha Schröder irrtümlich für eine Frau gehalten, tatsächlich ist er ein Mann. Wir haben es im Text korrigiert.

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