Die Wilhelm-Debatte, Folge 412 | Verkehrspolitik als Tauziehen | Der Domplatz wird autofrei | RUMS 3 Monate lang zum halben Preis

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Münster, 6. Dezember 2022

in einer Ankündigung von zwei Podiumsdiskussionen stellte die Uni Münster vor ein paar Tagen die Frage: „Sollte sich die Universität Münster umbenennen?“ Und das ist etwas irritierend, denn wenn die Antwort auf diese Frage Ja sein wird, könnte die Westfälische Wilhelms-Universität in Zukunft Universität Münster heißen. So richtig eindeutig ist in der ganzen Debatte aber vieles ohnehin nicht. Das zeigte die erste der beiden angekündigten Podiumsdiskussionen am Montagabend sehr schön.

Eckart Conze, Historiker an der Uni Marburg und einer der drei Teilnehmenden, zitierte einen Satz, den er auf der Website der Uni Münster gelesen hatte: „Geschichte ist Gegenwart.“ Das müsse der Ausgangspunkt der Debatte sein, befand er. Geschichtsbilder und die Vorstellung von Geschichte änderten sich, deswegen sei es für ihn auch keine große Überraschung, dass die Uni Münster sich immer wieder mit ihrem Namensgeber auseinandersetze.

Zuletzt hatte sie das Ende der 90er-Jahre getan. Damals entschied man sich für Wilhelm, wie auch Anfang der 1950er-Jahre, als die Universität sieben Jahre lang Universität Münster geheißen hatte. Schließlich nahm sie alten Namen wieder an. Warum genau, lasse sich anhand der vorliegenden Quellen nicht mehr genau nachvollziehen, sagte Eckart Conze.

In der Debatte fast 50 Jahre später sei das Hauptargument für Wilhelm die Tradition gewesen, sagte Eckhard Kluth, Kustos der Uni Münster und am Montagabend Moderator. Heute könnte am Ende ein anderes Ergebnis stehen.

In der Bewertung spielt dabei nicht nur Wilhelm eine Rolle, sondern auch die Zeit, in der er lebte. Das machte die Debatte deutlich.

Hedwig Richter, Historikerin von der Universität der Bundeswehr in München, warb für ein differenziertes Bild und einen Blick auf den größeren Kontext. Die Vorstellung von der dunklen Kaiserzeit, dem Pickelhaubenstaat, vom Neoabsolutismus, das sei in der Öffentlichkeit sehr präsent, aber in der Forschung längst überwunden, sagte sie. Die Kaiserzeit sei eine Zeit der Aufbrüche gewesen, in der Kunst und auch gesellschaftlich. Die Sozialdemokratie sei entstanden, der Sozialstaat habe hier seinen Ursprung, es sei auch ein demokratischer Aufbruch gewesen.

Das stellte Richter einer anderen Interpretation gegenüber, nämlich der, dass die antidemokratischen Tendenzen im Kaiserreich zwangsläufig in den Nationalsozialismus führen mussten. Das sei die einfachste Erklärung. Richter fasste sie in dem Satz zusammen: „Es gab diese merkwürdigen Deutschen, die schon immer anders waren, vor allem im Kaiserreich.“ Man müsse sehen, diese Erklärung habe eine Funktion. Sie entlaste den Westen, auch Nazis hätten diese Erzählung später verwendet, im Sinne von: „Ich war ja Deutscher, was sollte ich tun?“

Hier sind sich allerdings auch die Fachleute nicht ganz einig. Hartwin Spenkuch, Historiker an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sagte, er zweifle an Richters Annahmen. „Ich sehe das nicht so, dass der Pickelhaubenstaat in der Öffentlichkeit präsent wäre, dass die Forschung belegt habe, dass das Kaiserreich auf dem Weg zur Demokratie gewesen sei (…)“, so Spenkuch. Er glaube, hier werde ein Popanz aufgebaut, das dunkle Kaiserreich, um ihn dann zu zerstören. Man müsse einen Faktencheck machen, aber das könne die Runde nicht leisten. Um die Frage zu beantworten, ob die Wilhelms-Universität ihren Namen behalten sollte, wird das wahrscheinlich auch gar nicht so wichtig sein.

Vor zwei Wochen, kurz nach Beginn der Fußballweltmeisterschaft, kursierten im Netz alte Ausschnitte mit Zitaten von deutschen Fußballnationalspielern, die im Jahr 1978 zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Argentinien gefahren waren, damals noch eine Militärdiktatur. Der Nationalspieler Klaus Fischer hatte gesagt: „Militär stört mich nicht. Ich hoffe, wir kommen weit.“ Fischers Kollege Manfred Kaltz sagte laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird.“ Heute könnte kein Nationalspieler mehr so etwas sagen, ohne aus der Mannschaft geworfen zu werden. Dabei gibt es keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, die zu einer anderen Einschätzung der Situation damals führen würden. Das Damals hat sich nicht verändert, aber das Heute. Geschichte ist Gegenwart. (rhe)

Die zweite Podiumsdiskussion zum Thema beginnt am Mittwochabend um 18:15 Uhr in der Aula am Schlossplatz 2 oder im Livestream, weitere Infos hier

Was steht sonst noch im RUMS-Brief

Vor knapp zwei Jahren hat das neue Rathausbündnis aus Grünen, SPD und Volt in der Verkehrspolitik vieles angekündigt, aber so richtig viel ist seitdem noch nicht passiert. Warum eigentlich? Das versuche ich im RUMS-Brief zu erklären. 

Und: Die Polizei hat neue Taser gekauft, mit denen sie Menschen vorübergehend außer Gefecht setzen kann. Sebastian Fobbe hat sich das genauer angesehen und sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie gefährlich diese Taser sind.

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Herzliche Grüße
Ralf Heimann

PS

Wenn Menschen älter werden, merken sie manchmal: Gärten machen doch ganz schön viel Arbeit. Das Ergebnis ist in vielen Fällen eine Sünde, die in Münster seit einem knappen Jahr verboten ist. Sie haben keine Ahnung, wovon ich rede? Dann geben Sie in der Google-Bildersuche doch einmal „Gärten des Grauens“ ein. Aber setzen Sie sich vorher hin, am besten auf einen stabilen Stuhl. Möglich sind diese Bilder nur, weil es Städte gibt, die Schottergärten noch nicht verboten haben. Ihre Zahl wird zum Glück immer kleiner. Chemnitz zum Beispiel gehört seit zwei Wochen nicht mehr dazu. Es ist die erste Großstadt, die diesen Schritt wagt. Die Natur holt sich die Gärten gewissermaßen zurück. Und was sich aus einem Schottergarten so Schönes machen lässt, das sehen Sie auf diesem Foto, auf der linken Seite.

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