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von Sebastian FobbeEnde November hat Michael Jung in seiner RUMS-Kolumne scharfe Kritik am „Sozialpalast“ geübt. Der Verein reagiert jetzt. Er miete das Gelände, um dort nicht nur einen sicheren Raum für queere Menschen zu schaffen, sondern auch um die Demokratie auf lokaler Ebene weiterzuentwickeln.
Michael Jung hat in seiner Kolumne das „Gazo“-Kollektiv und den „Sozialpalast“ ins Visier genommen. Seine Kritik zielt auf unsere Forderungen nach einem nicht-kommerziellen und selbstverwalteten Ort für die Stadtgemeinschaft. Das hält er für absurde politische Randforderungen, die die öffentliche Daseinsfürsorge gefährden – ein fataler Fehlschluss.
Öffentliche Daseinsvorsorge geht über die bloße Bereitstellung von Gütern wie Wasser, Strom und Wohnen hinaus. Sie umfasst ebenso immaterielle Güter wie Gemeinschaft, Kultur, politische Selbstorganisierung und gesellschaftliche Teilhabe.
Diese stecken ebenso wie materielle Aspekte der Daseinsvorsorge in der Krise. In Teilen bedingen sich bestehende Versorgungsunsicherheiten: Wenn beispielsweise durch steigende Mietkosten angemessener Wohnraum zu einem Luxusgut wird, wirkt sich das auch auf Räumlichkeiten für soziale oder kulturelle Zwecke aus. Kunst, Jugend und soziale Initiativen brauchen Platz und den haben sie am Gasometer gefunden.
Die Realität der sozialen und kulturellen Einrichtungen
Der Verkauf von öffentlichem Besitz wie dem Gasometer ist nicht nur ein Fehler aufgrund der verspielten Gestaltungs- und Handlungsfreiheit der Politik und damit der von ihr repräsentierten Bevölkerung in der Zukunft. Er fördert auch Politikverdrossenheit, Vereinzelung und das Gefühl von Fremdbestimmung bei allen, die politisch oder kulturell aktiv sind. Somit verkauft die Stadt nicht nur ein Gelände von vielen, sondern das Herz einer demokratischen Gesellschaft: eine emanzipatorische und aktive Zivilgesellschaft.
Und sie verkauft mit dem Gasometer-Areal auch einen künstlerisch spannenden Ort mit einem Bauwerk, welches symbolisch und historisch für eben jene Daseinsvorsorge steht und welches als Industriedenkmal einen Ausdruck von stadtplanerischer Diversität in Münster zeigen würde, gegenüber einer heimatlichen Historisierung von Schlaun, Mühlenhof und Co.
Die freie Kunst- und Kulturszene in Münster leidet, wie soziale Initiativen, unter prekären Raumverhältnissen. Das Paul-Gerhardt-Haus wird in den nächsten Wochen schließen – mit einer ungewissen Zukunft.
Diese Raumsituation und die völlig wahnwitzigen Mieten sind ein bekanntes Problem und werden seit Jahren von entsprechenden Akteur:innen in Kultur- und Politikzusammenhängen benannt. Daran ändert weder die Existenz des Bennohauses noch der B-Side großartig etwas. Diese Räume können den vielfältigen Bedarf dieser Stadt nicht abdecken beziehungsweise gibt es offensichtlich zu wenig Raum für die bereits existierenden Initiativen und Kulturschaffenden.
Es muss zudem gesagt werden, dass die angepeilten Mieten für Raumnutzungen in der B-Side für viele ehrenamtliche Initiativen und Gruppen bereits ein Ausschlusskriterium sind. Staatlich organisierte (und entsprechend gelenkte) Orte sind kein Ausgleich für freie Träger beziehungsweise freie Orte in Kultur- und Jugendarbeit. Städtisches Leben sollte sich nicht nur durch verdichteten Wohnungsbau auszeichnen, sondern plurale Lebensrealitäten mit unterschiedlichen Ansprüchen miteinbeziehen.
In dieser schwierigen Lage soll das Gasometer-Areal also für 650.000 Euro (der Gegenwert eines Linienbusses) verkauft werden? Dabei benötigen Städte selbstverwaltete Räume für nicht-kommerzielle Nutzungen. Demokratie lebt durch Vielfalt, und diese erfordert eine Fülle verschiedener Räume, idealerweise entwickelt durch lokale Initiativen.
Gasometer als Beispiel für erfolgreiche ehrenamtliche Arbeit
Für viele von uns begann die ehrenamtliche Arbeit mit der Notwendigkeit, einen sicheren Ort für queere Menschen zu schaffen. Das haben wir geschafft und sind damit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt geworden.
Mehr noch als das: Das Gasometer soll nicht nur ein sicherer Raum sein, sondern auch ein Ort der kulturellen und sozialen Daseinsfürsorge. Wir kooperieren bereits mit zahlreichen Vereinen und Initiativen, die hier ihren Platz gefunden haben.
Michael Jung versucht in seiner Kolumne, eine Entkoppelung von Politik und Wirklichkeit zu zeigen. Er behauptet, unsere Forderungen trügen dazu bei, die öffentliche Daseinsvorsorge zu gefährden und politischen Extremismus zu fördern.
Doch diese Darstellung entbehrt nicht nur jeglicher Grundlage, sondern zeigt auch eine gewisse Ignoranz gegenüber unserer realen Arbeit. Jung behauptet fälschlicherweise, wir hätten das Gasometer-Areal besetzt. Tatsächlich haben wir seit Beginn einen gültigen Mietvertrag für das Gelände. Diese Falschinformationen zeugen nicht von einer neutralen Analyse, sondern von einer gezielten Diffamierung unserer Arbeit.
Demokratische Selbstorganisation gegen Rechts
Jung entgeht offenbar, dass demokratische und antifaschistische Selbstorganisation, wie sie im „Sozialpalast“ praktiziert wird, eine effektive Vorbeugung gegen Rechtsextremismus darstellt. Dies ist auch im wissenschaftlichen Diskurs eine grundlegend anerkannte Tatsache.
Seine Analyse, die politisches Engagement für nicht-kommerzielle Kultur und soziale Belange als Ursache für politischen Extremismus sieht, entbehrt jeglicher Grundlage. Wenn Jung also von einer Bedrohung durch den politischen Extremismus schreibt, muss man sich wohl fragen, ob er damit die vermeintliche Gefahr durch gemeingefährlichen „Extremismus“ der angeblichen „Hausbesetzer:innen“ meint oder die Gefahr durch einen autoritär agierenden Staat, der politisches Engagement seiner Bürger:innen durch Bürokratie, Liebschaften mit dem Kapitalinteresse und Stadtgestaltung von oben immer schwerer macht.
Queere Lebensrealitäten oder „absurde Forderungen“?
Insgesamt zeigt Jung mit seinen Darstellungen nicht nur eine Entkoppelung der Wirklichkeit von seiner politischen Position, sondern auch eine mangelnde Anerkennung unserer basisdemokratischen Arbeit.
Seine Behauptung, es gebe quasi keine queeren Menschen, die das Gasometer als Schutzraum nutzen, ist unfassbar ignorant und arrogant – es ist offensichtlich, dass Jung tatsächlich keine queeren Menschen zu kennen scheint und sich auch nicht großartig für sie oder ihre Perspektiven interessiert.
Eine Entschuldigung an die queere Community dieser Stadt wäre mehr als angebracht. Ansonsten möge er vielleicht darauf verzichten, in irgendeiner Weise wieder das Wort für sie zu ergreifen.
Es wäre zudem an der Zeit, seine allgemeinen Fehleinschätzungen in Bezug auf das Gasometer zu korrigieren und die Bedeutung nicht-kommerzieller, selbstverwalteter Räume für die Stärkung der Gesellschaft zu betonen. Sollte es dazu kommen, würde er tatsächlich etwas dafür tun, dass sich in Münster mal irgendwas verändert.