Kanadischer Eishockeyfan steigt bei den Preußen ein | Die Femizidforscherin Jara Streuer im Interview | Unbezahlte Werbung: Werkhaus-Hütte auf dem Weihnachtsmarkt

Porträt von Ralf Heimann
Mit Ralf Heimann

Guten Tag,

ein kanadischer Eishockey-Fan ist mit einer halben Million Euro bei Preußen Münster eingestiegen. Thomas Knüwer, Preußenfan, Unternehmensberater, lange Handelsblatt-Redakteur und RUMS-Gastbeitrag-Autor, hat in seinem Blog „Indiskretion Ehrensache“ auf einen Artikel dazu auf der kanadischen Nachrichtenseite „Financial Post“ hingewiesen.

Laut Knüwer geht es nicht einfach um eine Finanzmeldung über irgendeinen neuen Geldgeber, sondern um etwas Größeres – einen „Frühindikator“, und zwar dafür, dass die Kommerzialisierung des Sports voranschreite, allerdings in eine andere Richtung, als viele denken würden, so schreibt er und erklärt das am Beispiel der Preußen.

16 Menschen aus Nordamerika halten inzwischen ein knappes Drittel der Anteile an dem Verein. Firmenchefs, Börsenhändler, ein Zahnarzt und seit vergangenem Sommer eben auch Scott Saxberg aus Alberta, der viel Geld im Ölgeschäft gemacht hat und der bis vor acht Jahren noch Miteigentümer eines etwas größeren Vereins war. Ihm gehörte zusammen mit einer Gruppe von Geschäftsleuten das NHL-Eishockey-Team „Phoenix Coyotes“ (das es inzwischen nicht mehr gibt).

Im Jahr 2013 hatte die Gruppe die Coyotes für 225 Millionen gekauft, vier Jahre später verkauften sie den Club für 300 Millionen. Im Nachhinein bereute Saxberg das. „Erzählen Sie es nicht meiner Frau, aber ich wünschte, ich würde die Coyotes immer noch besitzen“, sagte er der „Financial Post“. Doch für das Geld bekommt man in der NHL heute keinen Fuß mehr in die Tür.

Also orientierte Saxberg sich um. Und hier sieht Thomas Knüwer die neue Entwicklung. Sportbegeisterte Menschen mit viel Geld, die gern im Geschäft mitmischen würden, aber nicht so reich sind, dass sie bei den ganz Großen mitspielen können, entdecken kleinere Vereine, auch in Europa und auch in unteren Ligen.

Der Kontakt nach Münster entstand über einen anderen Anteilseigner der Preußen – Nick Semaca, einen früheren McKinsey-Manager, der wiederum familiäre Verbindungen hierher hat. Saxberg sieht die Preußen – auch eine interessante Perspektive – als „Startup“ mit guten Wachstumschancen.

Thomas Knüwer schreibt in seinem Text auch über den Zwiespalt, der so ein Engagement für Fans bedeutet. Am liebsten wäre ihnen, ihr Verein wäre einfach ein Verein und keine kommerzielle Gesellschaft. Andererseits wollen sie, dass ihr Verein oben mitspielt. Dafür braucht es Geld.

Die Preußen haben bei ihren Investoren auch schon daneben gegriffen. Vor zwei Jahren machten wir öffentlich, dass zwei Waffen-Investoren Anteile gekauft hatten. Von ihnen trennte sich der Verein.

Im Fall von Scott Saxberg sieht das alles etwas anders aus. Er hat das Geld nicht einfach nur rübergeschoben. Er war inzwischen auch schon hier und versichert, dass es nicht nur um sein Geld geht, sondern auch um sein Herz.

Im September hat er sich zusammen mit seiner Familie ein Spiel angesehen. Auf seinem Instagram-Account veröffentlichte er Fotos aus der Innenstadt und dem Stadion. Dazu schreibt er: „Fantastische Reise nach Münster, Deutschland, um unser Team Preußen Münster gegen Schalke zu sehen.“

Der „Financial Post“ hat Saxberg gesagt, er sehe die Investition als langfristiges Engagement. Er habe sogar schon angefangen, Deutsch zu lernen, auch wenn das wohl noch etwas dauern werde. Irgendwann wolle er mit seiner Familie eine Weile in Münster leben. Dann könne er die Spiele live im Stadion sehen. Im Moment muss er dafür morgens um 5:30 Uhr aufstehen. (rhe)

Kurz und Klein

+++ Morgen letzte Ratssitzung des Jahres. Großer Showdown mit allen Haushaltsreden, also der großen Abrechnung mit der Politik der anderen Parteien. Es wird vermutlich den ganzen Abend dauern. Also, wenn Sie noch nichts vorhaben, um 16:15 Uhr geht’s los. Die Stadt überträgt die Sitzung im Livestream. Die Tagesordnung finden Sie hier. Neben dem Haushalt geht es auch sonst sehr viel um Geld. Ein größeres Thema werden voraussichtlich die neuen Grundsteuer-Hebesätze werden. Das Ratsbündnis und die CDU wollen die Hebesätze splitten, damit Wohnhäuser weniger belastet werden. Aber das birgt rechtliche Risiken. Außerdem wird es um eine vierte städtische Gesamtschule gehen, die in Gremmendorf entstehen soll. Die CDU macht ihre Zustimmung davon abhängig, ob das Schlaun-Gymnasium eine Bestandsgarantie bekommt. Aber die wird es in der gewünschten Form wohl nicht geben. (rhe)

+++ „Die besten Ideen entstehen meistens bei einem Bier, so auch diese verrückte Idee, einen Marathon im Ludgerikreisel zu laufen“, schreiben Daniel Weppeler und Jan Ferneding auf Instagram. Gesagt, getan. Die beiden Läufer haben am Nikolaus-Abend den Ludgerikreisel schlappe 141 Mal umrundet. Das entspricht ziemlich genau einem Marathon, rund 42 Kilometer. Gestartet sind sie um 23 Uhr, fertig waren die Münsteraner gegen 4 Uhr. „Jede Runde war ungefähr 300 Meter lang, und alle 10 Runden haben wir die Richtung gewechselt“, erklären Weppeler und Ferneding. Für jede Runde spendeten die Läufer einen Euro an das Kinderhospiz Münster. Wiederholen werden die beiden Marathonläufer die Aktion aber so schnell nicht: „Es war eine mentale Herausforderung und definitiv ein einmaliges Erlebnis.“ Kein Problem, die beiden haben nämlich direkt einen Nachahmer gefunden. Der Lauf-Influencer Kim Gottwald ist in der Nacht von gestern auf heute mal eben 55,85 Kilometer (circa 200 Runden) durch den Ludgerikreisel gelaufen – in 5 Stunden und 45 Minuten. Begleitet wurde er dabei anscheinend teilweise von der Polizei, die ihm den passenden Soundtrack aus den Lautsprechern ihrer Wagen lieferte. Schon im Juni hat ein Unbekannter mit dem Rad den Kreisel so lange umrundet, bis die 100 Kilometer voll waren. Dauer: knapp unter 3 Stunden. Unter dem Beitrag der Marathon-Läufer vom vergangenen Freitag gibt es übrigens schon direkt den nächsten, ähnlich verrückten Vorschlag: Ein Ironman um die Lambertikirche – mit Abkühlung im Brunnen. Falls sich wer findet, wir werden berichten. (ani)

Machen Sie mit!

Grafik mit dem Titel "Deine Stimme, Deine Themen", auf der ein Megafon, eine Wahlurne und ein Notizzettel zu sehen sind, auf dem etwas notiert wird

Bald ist Bundestagswahl. Was sind Ihre Themen und Ihre Fragen? Wir sammeln sie und sprechen darüber mit den Politiker:innen.

Das Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ ist eine Kooperation zwischen RUMS und dem Netzwerk CORRECTIV.Lokal, das Recherchen und Dialog im Lokaljournalismus fördert. Auch in anderen Städten teilen Menschen ihre wichtigsten Themen. Alle Ergebnisse sind hier sichtbar.

+++ Die Schwimmschule „Lamolia“ muss zu Ende des Jahres ihre Kurse im Bürgerbad Handorf einstellen. Laut Betreiberin Samira Korves (RUMS-Brief) kam die Kündigung und recht kurzfristig – rund zwei Monate vor Ablauf. Wie es ihr damit geht? „Ganz schön beschissen“, sagt sie uns am Telefon. Ihr gehe es vor allem erstmal um ihre Kund:innen. Denn 130 Kinder aus 25 Kursen verlieren ihren Schwimmunterricht dadurch. Ein paar Familien würden in ihre Schwimmschule nach Greven wechseln. Glaubt man der Zeitung, könnten andere das neue Ersatz-Angebot der Schwimmschul-Kette „Marlin“ nutzen. Ein Grund für die Kündigung wurde Korves nicht mitgeteilt. „Es gab auch keinerlei Gespräche. Das ist das, was mich stört. Man hätte es bestimmt irgendwie regeln können“, findet die 32-Jährige. Sie vermutet, der Grund für die Kündigung sei die große Zahl an Eltern, die in Straßenkleidung beim Schwimmunterricht zuschauen würden. Damit könnte sie richtig liegen. In den Westfälischen Nachrichten verweisen die Bürgerbad-Gesellschafter nämlich auf Konflikte mit der Hausordnung. Für Korves bleibt ein Neustart in städtischen Schwimmbädern schwierig – dort sind Kapazitäten knapp, private Anbieter eher unerwünscht. Besonders ärgerlich: Die Schwimmschulleiterin hatte gerade im Oktober erst vier neue Trainer:innen für den Unterricht in Handorf beschäftigt – eine könne in Greven aushelfen, die anderen drei sind zu Ende des Jahres ihren Job wieder los. Die 32-jährige Schwimmschulbetreiberin hofft in der Zukunft ein eigenes kleines Schwimmbad bauen zu können. Am liebsten in der Loddenheide: „Im Süden von Münster gibt es bisher nur wenige Angebote.“ Dann wolle sie sich auch auf Kurse für Kinder mit Beeinträchtigung oder besonderen Bedürfnissen fokussieren. Denn die fallen in den konventionellen Schwimmschulen schnell durch’s Raster. (ani)

Wie es weiterging

…mit den Schwangerschaftsabbrüchen am Universitätsklinikum

Nachdem wir im Brief am Freitag berichtet hatten, dass sich die Mitarbeitenden der Uniklinik weigern, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Zumindest war das die Antwort, die wir von offizieller Seite bekommen haben. Daraufhin hat sich eine Person, die angibt, sie sei aus der Belegschaft, über unseren anonymen Briefkasten gemeldet. Die Person beschreibt die Situation anders. Weil wir die Identität der Person nicht kennen und sie nicht kontaktieren können, können wir nicht beurteilen, wie glaubwürdig die Darstellung ist. Wir würden uns dazu über weitere Hinweise freuen. Wir garantieren Ihnen auch dann Anonymität, wenn Sie uns an die Redaktionsadresse schreiben.

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Interview mit Jara Streuer

Frauenhass ist nur selten das Motiv des Täters

Die Wissenschaftlerin Jara Streuer ist für ihre Forschung zu Femiziden ausgezeichnet worden. Sigrid März hat mit ihr für RUMS über den Begriff gesprochen, über strukturelle Ungerechtigkeit – und darüber, wie frauenfeindlich Deutschland ist.

Frau Streuer, das Land Nordrhein-Westfalen hat im Oktober 2024 Ihre Doktorarbeit mit dem Rita Süssmuth-Forschungspreis ausgezeichnet. Der mit 35.000 Euro dotierte Preis würdigt Wissenschaftler:innen, die Themen rund um das Geschlecht erforschen. Sie haben sich dem Begriff „Femizid“ gewidmet. Was ist ein Femizid und was haben Sie erforscht?

Jara Streuer: Im Kern geht es um geschlechtsbezogene Tötungen von Frauen. Daran schließt sich die Frage an: Was heißt geschlechtsbezogen? Wie kann man das definieren? Das versuche ich, in meiner Arbeit zu konkretisieren – und zwar mit dem Fokus auf das Strafrecht.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert Femizid als Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Greift diese Definition zu kurz?

Jara Streuer: Ich denke schon. Natürlich ist diese Definition eingängig. Aber sie setzt Femizide in einen subjektiven Kontext. Das heißt, sie erweckt den Eindruck, dass jemand eine Frau tötet, weil diese Person Frauen als Gruppe hasst. Darum geht es aber meist gar nicht, denn Frauenhass ist nur selten das Motiv des Täters. Der Täter tötet eine ganz bestimmte Frau. Der klassische Fall ist die Trennungstötung, dass also eine Person es nicht verkraftet, dass die Frau sich von ihr trennt. Da spielen häufig Besitzansprüche mit rein, die auch etwas mit dem Geschlechterverständnis und der eigenen Überzeugung von Männlichkeit und Weiblichkeit zu tun haben. Wir sollten deshalb mehr auf den Geschlechtsbezug als strukturelle Komponente schauen und objektive Kriterien definieren.

Was wären denn solche objektiven Kriterien?

Jara Streuer: Zum Beispiel so etwas wie die statistische Verteilung. Bei Tötungen in Partnerschaften sehen wir grob 80 Prozent männliche Täter und 80 Prozent weibliche Opfer. Das ist ein klares Indiz dafür, dass es einen Zusammenhang mit dem Geschlecht gibt. Solche Faktoren sind eben nicht bezogen auf alle Frauen. Der Täter bestraft diese eine Frau dafür, was sie ihm – aus seiner Sicht – angetan hat. Die Tat ist eine gewalttätige soziale Sanktion dafür, sich nicht an gesellschaftlich definierte sexistische Regeln gehalten zu haben.

Häufig nutzen Medien den Begriff „Beziehungstat“, wenn es doch eigentlich um Femizide geht. Wie sieht denn Ihre juristische Einschätzung aus, sind Partnerinnen-Tötungen immer Femizide, oder auch anders herum, sind Femizide immer Partnerinnen-Tötungen?

Jara Streuer: Beide Begriffe sind nicht deckungsgleich. Das, was wir üblicherweise als Beziehungstat bezeichnen, also das Töten einer Frau durch ihren Partner oder ehemaligen Partner, ist häufig ein Femizid. Weltweit sind solche Partnerinnen-Tötungen die häufigste Art des Femizids. Femizide können darüber hinaus aber auch andere Phänomene sein, die eben mit dem Geschlecht des Opfers zu tun haben. Das sind häufig Taten, die wir strafrechtlich gar nicht als Totschlag oder Mord bezeichnen würden, bei denen aber trotzdem Frauen und Mädchen sterben. Typische Beispiele sind Todesfälle durch unsichere Schwangerschaftsabbrüche oder auch Genitalverstümmelungen. Der oder die Täter töten das Opfer nicht vorsätzlich. Trotzdem kann am Ende eine Frau tot sein, gestorben wegen ihres Geschlechts.

Ihr Fokus als Juristin sind aber die Rechtswissenschaften, mit dem Geschlechtsbezug auch als Legal Gender Studies bezeichnet. Warum ist es wichtig, den Begriff rechtswissenschaftlich zu betrachten und vielleicht auch zu definieren?

Jara Streuer: Ursprünglich kommt der Begriff ja aus der Soziologie. Wenn wir aber mit Femiziden strafrechtlich umgehen wollen, müssen wir den Begriff handhabbar machen, ihn konkretisieren. Der Begriff hat viel Potenzial, um eine bestimmte Form der Gewalt zu benennen und damit auch sichtbar zu machen: Wenn wir eine Tat als Femizid bezeichnen, steht diese Tat in einer Beziehung zu anderen Taten. Im Strafrecht betrachten wir Taten häufig einzelfallbezogen, das heißt, die Tötung einer Frau ist erst einmal ein Einzelfall und wird auch separat behandelt. Häufig steckt dahinter aber ein größeres strukturelles Problem. Solche Muster können wir sichtbar machen, wenn wir die geschlechtsbezogene Tötung einer Frau als Femizid bezeichnen, sie also einer Gruppe an Taten zuordnen.

Es geht also um die Darstellung von Mustern und Strukturen, deren gemeinsamer Nenner das Geschlecht des Opfers ist. Was bedeutet das für das Strafrecht?

Jara Streuer: Meine Forschung betrachtet vor allem das Völkerstrafrecht. Dabei geht es um Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Diese Taten bestehen aus vielen Einzeltaten, die in einem größeren Kontext stattfinden. Man könnte sagen, wir betrachten Gewalt im Völkerstrafrecht auf einer Makroebene.

Die für mich naheliegende Frage lautet also: Kann ich Femizide als strukturelles Phänomen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit begreifen? Dafür ist das nationale Strafrecht mit seinem Blick auf Einzelfälle grundsätzlich nicht gemacht. Meiner Ansicht nach bleibt dann aber bei struktureller Gewalt etwas Relevantes unsichtbar, das gilt für geschlechtsspezifische ebenso wie für rassistische oder queerfeindliche Gewalt.

Durch so eine Definition ändert sich im Strafrecht ja aber erst einmal nichts. Eine getötete Frau bleibt das Opfer eines Totschlags oder eines Mordes und ein Täter wird genau dafür verurteilt, nicht wegen eines Femizids. Oder?

Jara Streuer: In Deutschland ist das tatsächlich so, denn wir haben den Straftatbestand des Femizids nicht. Trotzdem finde ich es wichtig, so eine Tat – etwa eine Partnerinnen-Tötung – einer Art Kategorie zuzuordnen, die Femizid heißt. Auch wenn das nicht zwangsläufig eine bestimmte rechtliche Bewertung mit sich bringt, kann es eine Denkkategorie sein, die praktisch auf den Punkt bringt, was für eine Tat das ist.

Kann ich durch einen öffentlichen Diskurs Menschen auch selbst-befähigen? Der englische Begriff Empowerment trifft es vielleicht noch besser.

Jara Streuer: Auf jeden Fall, bei Femiziden – weil die Opfer in der Regel verstorben sind – vor allem natürlich das Umfeld, Angehörige, aber auch die Gesellschaft. Die Menschen erkennen: Das, was meiner Schwester, Freundin oder Bekannten passiert ist, ist kein Einzelfall, sondern strukturelle Ungerechtigkeit. Deshalb müssen wir darüber reden, über Femizide, aber auch deren Vorstufen wie häusliche Gewalt und auch über sexualisierte Gewalt. Und wir müssen sie klar benennen. Das hat ja auch viel mit der Erkenntnis zu tun, dass es eben nicht meine Schuld ist, wenn ich aufgrund meines Geschlechts angegriffen werde. Sondern, dass es passiert wegen einer gesellschaftlichen Struktur, die das auslöst oder zumindest zulässt.

Ist unsere Gesellschaft frauenfeindlich?

Jara Streuer: Wenn ich mich für ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ entscheiden müsste, würde ich ‚Ja‘ sagen. Als Juristin sage ich aber: Es kommt darauf an. Im Vergleich zu anderen Gesellschaften und mit einem Blick in die Vergangenheit hat sich in Deutschland schon einiges getan. Dennoch ist die Welt, in der wir leben, eine männlich geprägte, etwas, das wir Patriarchat nennen können. Frauen – und auch andere Gruppen – werden als Abweichung von dieser Norm wahrgenommen. Das hat Folgen für diese Gruppen, die sich zum Beispiel in häuslicher und sexualisierter Gewalt zeigen. Stärker noch, wenn sich Gruppenmerkmale überschneiden, etwa bei Frauen, die auch von Rassismus betroffen sind. Frauen mit Behinderung. Frauen, die Betäubungsmittel konsumieren oder wohnungslos sind. Ob eine Gesellschaft frauenfeindlich ist, hängt deshalb auch damit zusammen, ob sie auch noch andere Gruppen diskriminiert. Und das alles ist der Fall.

Welche Ansätze gibt es, das zu ändern?

Jara Streuer: Wir haben zum Beispiel die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde 2011 verabschiedet, trat 2018 in Deutschland in Kraft und sieht viele konkrete Schritte vor, Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen. Die Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, verpflichten sich, diese Maßnahmen umzusetzen. Deutschland etwa hat sein Sexualstrafrecht hin zu einer „Nein heißt Nein“-Lösung reformiert. Außerdem gibt es mittlerweile die Möglichkeit, dass Opfer von Sexualstraftaten vertraulich die Spuren der Tat medizinisch sichern lassen können, ohne sich direkt an die Polizei wenden zu müssen. Es geht aber auch darum, wie mit Frauen in Strafverfahren, unter anderem wegen sexualisierter Gewalt, umgegangen wird. Die Konvention schreibt zum Beispiel vor, dass keine unangemessenen Fragen gestellt werden dürfen, zum Beispiel zum sexuellen Vorleben der Frauen, sondern nur solche, die notwendig sind, um den Fall zu behandeln. Außerdem muss der Staat Frauen ausreichend Schutzräume anbieten.

Solche Schutzräume sind zum Beispiel Plätze in Frauenhäusern. Davon gibt es in Deutschland viel zu wenige. Laut dem Verein Frauenhauskoordinierung fehlten im Jahr 2023 mehr als 14.000 Plätze.

Jara Streuer: Die Kommission GREVIO, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention in den Mitgliedstaaten überwacht, bemängelte genau das in ihrem Bericht zu Deutschland vor zwei Jahren. Aktuell ist der Bedarf nach Frauenhausplätzen nur zu einem Drittel gedeckt. Die Konvention sieht außerdem vor, dass Personen, die Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt haben, sensibilisiert und umfassend geschult werden. Das sind vor allem Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte, aber auch andere Berufsgruppen. Sie müssen lernen, Dynamiken rund um häusliche Gewalt zu erkennen oder Victim Blaming und andere Stereotype zu vermeiden. GREVIO rügte auch hier, dass zu wenig geschehen sei.

Und wir als Gesellschaft? Was kann jeder von uns, was kann ich tun?

Jara Streuer: Besonders relevant ist die gesellschaftliche Bewusstseinsbildung. Das klingt immer so hochtrabend und vage, kann aber auf ganz vielen Ebenen stattfinden. Es geht darum, welche Werte wir in Familien und Schulen vermitteln. Es geht darum, wie Medien über Femizide und Gewalt gegen Frauen berichten. Es geht aber auch darum, welche Inhalte wir im Kino, in Büchern oder in den sozialen Medien aufnehmen. Das trägt alles dazu bei, ob wir strukturelle Ungerechtigkeiten beim Verhältnis der Geschlechter erkennen können. Es geht immerhin um etwas Grundsätzliches, um die gesellschaftliche Ordnung, um etwas, was historisch sehr lange gewachsen ist. Daran etwas zu ändern, ist ein schwieriger und langwieriger Prozess. Aber trotzdem können Einzelne viel bewegen, sich gesellschaftlich engagieren, aber zum Beispiel auch in ihrer Familie oder in ihrem Freundeskreis dazu beitragen, dass sexistische Vorstellungen und Stereotype bekämpft und so solche Taten langfristig vielleicht verhindert werden.

Jara Streuer forscht am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster unter dem zentralen Aspekt des Geschlechts, genauer: Gewalt gegen Frauen und Mädchen. In ihrer Dissertation widmete sich die Juristin dem Begriff „Femizid“ und dessen juristischer Einordnung.

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Ein-Satz-Zentrale

+++ Am Ludgeriplatz haben sich am Sonntag etwa 180 Exil-Syrer:innen versammelt, um den Sturz des Assad-Regimes zu feiern. (Westfälische Nachrichten)

+++ An der Steinfurter Straße ist heute ein Blindgänger entschärft worden. (Stadt Münster)

+++ Die Fernwärme-Bauarbeiten in der Theodor-Heuss-Straße verzögern sich bis Ende März 2025. (Stadtnetze Münster)

+++ Die neue Grundschule Sprakel ist eingeweiht worden. (Stadt Münster)

+++ In Roxel sind viele Haushalte seit fast zwei Monaten ohne Festnetzanschluss. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Stadtwerke Münster planen, bis 2025 weitere hundert Haltestellen mit Infoanzeigen auszustatten. (Münstersche Volkszeitung)

+++ Am Preußenstadion werden 80 Bäume gefällt, um Platz für Auto- und Fahrradparkplätze zu schaffen. (Stadt Münster)

+++ Das defekte Windrad Loevelingloh steht nach knapp vier Jahren Stillstand vor dem endgültigen Aus, wenn die Stadtwerke bis zum 14. Februar 2025 nicht nachweisen können, dass es ordnungsgemäß läuft. (Westfälische Nachrichten)

+++ Bei den Stadtwerken sinken ab Januar 2025 die Fernwärmepreise um 18,5 Prozent, während die Erdgaspreise ab Februar um 6,5 Prozent steigen. (Stadtwerke Münster)

+++ In Gremmendorf soll es bis Mitte 2027 einen neuen Supermarkt geben. (Westfälische Nachrichten)

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Wer ökologische und fair hergestellte Geschenkideen auf dem Weihnachtsmarkt sucht, sollte sich mal beim Stand von Werkhaus auf dem Lambertikirchplatz umsehen. Sie finden ihn gegenüber von Marc O’ Polo – der genaue Standort steht auf dem Marktplan, der Stand hat da die Nummer 6. Das Werkhaus-Stecksystem ist Ihnen sicherlich schon einmal begegnet, sogar Möbel werden mit der Methode hergestellt – aus regionalen und recycelten Materialien, produziert wird mit Ökostrom in Deutschland. In der Hütte sind vor allem Kleinigkeiten wie Kaleidoskope und Stifteboxen in verschiedenen Variationen erhältlich.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

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Lichtstrahl Uganda

Wir sind ein gemeinnütziger Verein aus Münster, der sich seit 2010 mit viel Herzblut in Gulu, im Norden Ugandas, engagiert. Wir versorgen ca. 15.000 Patienten pro Jahr, 5.000 Frauen auf der Entbindungsstation, 4.000 Impfungen, 650 Kinder in den Schulen, 60 Kinder leben bei uns und 140 Mitarbeiter*innen.

Unterstützen Sie uns gerne mit einer Spende!
Drinnen und Draußen

Katja Angenent hat heute für Sie in den Kalender geschaut und ein paar Empfehlungen gesammelt:

+++ Noch bis einschließlich Freitag ist in der Bezirksregierung am Domplatz die Wanderausstellung „Alles wissen wollen – die Stasi und ihre Dokumente“ zu sehen. Exemplarisch werden einzelne Stasi-Archivalien und die Geschichte dahinter präsentiert. Zu sehen ist die Ausstellung zu behördentypischen Öffnungszeiten, das heißt jeweils ab 7:30 Uhr morgens, am Mittwoch und Donnerstag bis 16 Uhr, am Freitag bis 14 Uhr.

+++ Am Donnerstag treffen sich Menschen, die gerne lesen, um 18:45 Uhr im Gesellschaftszimmer des Specops, um gemeinsam aber jeweils für sich das zu tun, was Lesende eben so tun, wenn sie ein Buch aufschlagen. Der Silent Book Club ist aber nicht nur still – vor und nach einer Stunde Lektüre darf sich über das Gelesene ausgetauscht werden. Der Eintritt ist frei, die Lektüre bitte mitbringen. Fast parallel dazu, nämlich um 19:30 Uhr, beginnt ebenfalls im Specops eine Lesung mit anschließender Diskussion. Kathrin Hartmann liest aus ihrem Buch „Öl ins Feuer“, in dem sie verdeutlicht, welche Auswirkungen Scheinlösungen für die Klimakrise global haben können. Auch zu dieser Veranstaltung ist der Eintritt frei.

+++ Am Donnerstagabend um 19 Uhr sind Schauspieler:innen des Stadttheaters in der Kneipe Bei Ute brennt noch Licht zu Gast. Was genau sie unter dem Titel Guess you had to be there dort tun, wird vorab nicht verraten, aber das Publikum und/oder die Menschen in der Kneipe werden bestimmt miteinbezogen – zumindest, wenn sie nicht nur in Ruhe ihr Bier trinken möchten.

+++ Am Freitag können Kinder ab sieben Jahren, Jugendliche und Erwachsene in der Stadtteilbücherei am Hansaplatz ab 16 Uhr unter Anleitung von Nina Klümpers eigene Weihnachtskarten und Geschenkanhänger basteln. Zum kostenfreien Workshop ist eine vorherige Anmeldung unter buecherei-hansaplatz@stadt-muenster.de erforderlich.

+++ Ebenfalls am Freitag gastiert Frank Spilker von „Die Sterne“ im Fachwerk in Gievenbeck. Dort liest er um 20 Uhr in der Reihe „Pop am Sonntag“ (ja, richtig gelesen) aus seinem Buch „Ich scheiß auf deutsche Texte“. Karten erhalten Sie hier.

Am Freitag schreibt Ihnen Anna Niere. Ich wünsche Ihnen einen gute Woche.

Herzliche Grüße
Ralf Heimann

Mitarbeit: Anna Niere (ani), Sigrid März (sim), Jan Große-Nobis (jgn), Katja Angenent (kat) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth

PS

Unser Kolumnist Ruprecht Polenz hat dem Blog „Volksverpetzer“, das sich mit der Bekämpfung von Desinformation, Fake News und extremistischen Narrativen beschäftigt, ein halbstündiges Videointerview gegeben. Es geht um die CDU, den aktuellen Kurs unter Friedrich Merz, die Frage nach der Dimension des Migrationsthemas, die Grenzen zur AfD und die Frage: Wie führt man politische Debatten? (rhe)

PPS

Ralf Clausen vom Magazin „Alles Münster“ verliert ständig Handschuhe – und immer den linken. Das schreibt er bei „Threads“. Geht Ihnen das auch so? Und haben Sie eine Erklärung? Liegt’s vielleicht daran, dass man, wenn man alles mit rechts macht, die linke Pfote eher aus den Augen verliert? Erklärungen und rechte Handschuhe, falls gefunden, bitte an die Redaktion. Wir leiten das dann weiter. (rhe)

PPPS

Vermutlich ist das bei Ihnen anders. Mir werden bei Instagram immer Fußballvideos angezeigt. Legendäre Tore, kuriose Spielzüge oder einfach selten dämliche Patzer, die man sich gleich noch mal ansieht, und schon weiß der Algorithmus, was funktioniert. In dieser Woche war das dieses Video. Eine junge Frau spielt abends im Flutlicht einen Pass aus der eigenen Hälfte, der fast etwas zu langsam genau auf der Linie an allen vorbei rollt, die für die Gegnerinnen unerreichbar ist. Die Spielerin heißt Julia Sprenger, ist im Team von Blau-Weiß Aasee, den Aaseewomen, trainiert von unserem Kolumnisten Kolja Steinrötter, und den Pass hat sie am 26. September im Pokalviertelfinale gegen den FC Gievenbeck, ja, man muss sagen, gezaubert. Am Ende kullert der Ball im Strafraum Noemi Hutter vor die Füße. Die schießt ihn aus einem fast unmöglichen Winkel mit dem linken Fuß über die Torfrau ins Netz. Und wenn das nicht das Tor des Monats ist, dann wissen wir’s auch nicht. Das Spiel ging übrigens 4:0 aus. Das Halbfinale ist im April. (rhe)

Korrekturhinweis: Ein Name war falsch. Julia Springer heißt in Wirklichkeit Julia Sprenger. Wir haben es korrigiert.

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