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Die Kolumne von Mathis Bönte | Der Weg zur Freiheit

Guten Tag,
in meiner letzten Kolumne habe ich beschrieben, wie uns unser Stolz im Weg steht. Das Streben nach sozialem Status hält uns von klimafreundlichem Verhalten ab. Dies beruht auf evolutionären Zwängen. Aber genetisch ist auch angelegt, dass wir uns befreien. Das sollten vor allem wir Männer tun.
War das Essen zu knapp, hätte eine gleichmäßige Aufteilung den Fortbestand der Jäger- und Sammlergruppe gefährdet. Es musste ausgewählt werden, wer besonders wichtig war. Statussymbole zeigten, dass man dazugehörte. Das Streben nach ihnen ist also aus evolutionärer Sicht eine Strategie, um in Notzeiten zu überleben.
Heute führt die Angst, nicht dazuzugehören, in weiten Teilen der Welt zu Überkonsum. Sie ist umso ausgeprägter, je härter und unvorhersehbarer das Leben verläuft. In der evolutionären Psychologie spricht man von fast life histories. Sie sind von Stress geprägt. Menschen mit einer solchen Lebensgeschichte neigen nachweislich dazu, mit Dominanz und der Unterordnung unter dominante Führer den eigenen Status zu sichern.
Evolutionäre Freiheit
Seit jeher macht das umso weniger Sinn, je sicherer und stabiler das Leben verläuft. Sind Menschen entspannt, lösen sie sich von kurzfristigen Überlebensstrategien, um sich nachhaltig zu entwickeln. Dazu gehört, verschiedene Perspektiven in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Auch das ist Teil der Evolution (slow life histories).
Entspannung lässt sich üben. Was mir immer hilft, ist eine Wanderung in der Natur. Ich fühle mich aber auch schon besser, wenn ich tief ein- und langsam ausatme. So bleibe ich sogar beim Eisbaden im Kanal halbwegs locker. Und wenn ich Yoga mit Mady Morrison mache, verbinde ich Atem- mit Bewegungsübungen.

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Aber mir ist klar, dass ich nicht alle Menschen für Yoga begeistern kann. Vor allem bei Männern ist das schwierig. Sie sind es auch, die hauptsächlich für die Klimakrise verantwortlich gemacht werden. Luisa Neubauer meint, dass Städte auf den Autoverkehr ausgelegt sind, weil Männer sie für Männer gebaut haben. Wenn ich an Donald Trump oder Wladimir Putin denke, kann ich nachvollziehen, wie der Spiegel-Journalist Christian Stöcker auf den Titel seines Buches gekommen ist. Es sind Männer, die die Welt verbrennen. Damit sind wir beim Thema toxische Männlichkeit und bei dessen Prototyp: Andrew Tate.
Er war mal Profi-Kickboxer, ist aber vor allem durch soziale Medien bekanntgeworden. Dort protzt er mit seinen Sportwagen und Flügen in Privatjets. Und er provoziert nicht nur mit seinen CO2-Emissionen, sondern vor allem mit frauenfeindlichen Aussagen. Selbst Vergewaltigungsvorwürfe können nicht verhindern, dass er Millionen Follower hat.
Männern zuhören
Die Feministin Caroline Rosales wurde damit konfrontiert, dass ihr 13-jähriger Sohn Andrew Tate folgt. Sie hat das anschließende Gespräch auf ZEIT-Online geschildert. Darin ging es auch um Incels, also Männer, die unfreiwillig keinen Sex haben, und deshalb Frauen hassen. Kein Thema war anscheinend, ob Andrew Tate Erfolg bei Frauen hat. Dabei dürfte das für ihren Sohn eine wichtige Frage gewesen sein. Vielleicht hat er schon mitbekommen, dass viele Mädchen auf „bad boys“ stehen, die andere Jungs fertigmachen. Als ihr Sohn meinte, dass Incels Mobbingopfer seien, ging sie nicht darauf ein. Er habe überhaupt nicht verstanden, was das Problem sei: Frauenhass. Darüber hat sie noch lange mit ihm gesprochen. Er hörte die meiste Zeit nur zu. Hätte sie stattdessen ihm zugehört, hätte sie vielleicht verstanden, was hinter seiner Faszination für Andrew Tate steckt.
Aber es hilft auch, Andrew Tate zuzuhören. Im Gespräch mit einem Therapeuten sagt er offen, dass er die Welt erobern will. Er könne immer neue Frauen haben. Wenn er sich für ein Gefühl entscheiden müsste, das er immer haben wollte, wäre das Stolz. Und er reflektiert, woher sein unstillbares Verlangen nach sozialem Status kommt. Als Kind wurde er geschlagen. Er hatte Angst vor seinem Vater, der für ihn unberechenbar war. Dessen Erziehung habe ihn auf das echte Leben vorbereitet. Das bestehe nun mal aus Stress. Am Ende gehe es darum, welcher Mann am längsten standhält.
Damit sind wir beim Ursprung von toxischer Männlichkeit. Raphael Thelen hat die Benachteiligung und ihre Auswirkungen auf die Klimakrise mal ausführlich beschrieben, bevor er seine Journalistenlaufbahn für den Klimaaktivismus aufgab. Er hat auf Studien verwiesen, nach denen schon mit kleinen Jungen weniger gekuschelt wird als mit Mädchen. Ob an dieser Diskriminierung auch Frauen beteiligt sind? Vielleicht sogar Feministinnen?
Ein Störgefühl scheinen sie beim Sexismus gegen Männer jedenfalls nicht zu haben. Letztes Jahr kämpften sie für ein Gesetz, das Gewaltopfern helfen sollte – aber nicht allen, sondern nur den Opfern von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt. Die richtete sich insbesondere gegen Frauen. Männer, die deutlich häufiger Gewalt erfahren, konnten nach dem ersten Gesetzesentwurf nur ausnahmsweise von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sein. Genannt wurden Fälle, in denen Täter sie „zu weiblich“ oder „nicht männlich genug“ finden. Schließlich hat man es sich einfach gemacht und das Gewalthilfegesetz auf Frauen beschränkt.
Ich kann nachvollziehen, warum so viele Jungen Andrew Tate folgen. Sein Lebensstil verspricht Anerkennung von Männern und Frauen. Wer ihm nacheifert, gehört vielleicht später selbst zu den wenigen Auserwählten (und nicht zu den vielen Männern, die ihre Depression mit Alkohol betäuben). Und er kämpft gegen eine feministische Welt, in der sich Männer entscheiden können, ob sie als Täter verurteilt werden oder ihre Männlichkeit unterdrücken (dann aber kaum gesehen werden). Aber wer will wirklich das Leben von Andrew Tate? Für mich ist das der Prototyp einer fast life history.
Männliche Befreiung
Männer sind fester in evolutionären Zwängen gefangen. Für den Fortbestand der Jäger- und Sammlergruppe mussten mehr Frauen Notzeiten überleben, weshalb heute noch Mitgefühl Frauen zuerst gilt. Während Hungersnöten wurden dementsprechend mehr Mädchen geboren. Männer mussten stärker nach sozialem Status streben, wenn sie nicht aussortiert werden wollten – und Frauen mussten bei Männern mehr auf den Status achten, wenn sie nicht allein dastehen wollten. Dazu tendieren sie noch immer, besonders bei fast life histories.
Aber sowohl Frauen als auch Männer können sich von evolutionären Zwängen befreien. Heutzutage werden sogar mehr Jungen geboren, was einen Grund haben muss. Sind wir Männer entspannt, bevorzugen wir Partnerinnen, die uns ähnlich sind. Mit denen bleiben wir lange zusammen. In sicheren und stabilen Zeiten kümmern wir uns um unsere Kinder, damit sie sich gut entwickeln. Wir können nicht nur Grenzen setzen, wo es nicht anders geht, sondern sind auch besonders geeignet, um Sicherheit zu geben und zu ermutigen. Auch Familienväter sind männlich. Darauf stehen übrigens Frauen mit slow life histories.
Für Vaterqualitäten und die eigene psychische Gesundheit brauchen Männer Mitgefühl. Es gibt wirksame Übungen für Selbstmitgefühl. Aber letztlich kann wohl nur das Mitgefühl von anderen Menschen uns vermitteln, dass wir auch ohne hohen Status dazugehören. Wie es wirkt, lässt sich sogar bei Andrew Tate beobachten. Am Ende des langen Therapiegesprächs fängt die Fassade langsam an zu bröckeln. Bei einem Podcast mit einem AfD-Wähler ging das deutlich schneller. Er schien so erleichtert, dass ihm endlich jemand zuhörte. Ich frage mich, ab wann er bereit wäre, sich für Klimaschutz zu öffnen.
Herzliche Grüße
Ihr Mathis Bönte
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PS
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Gewalterfahrungen noch viele Jahre später belastend sein können, wie schwierig es ist, als Mann darüber zu reden, und dass es befreit, wenn man es doch tut. Letztens habe ich gelesen, dass das Männerhilfetelefon immer häufiger genutzt wird. Nachdem ich selbst dem Betreiber Geld gespendet habe, mache ich unbezahlte Werbung, damit die Kapazitäten ausgebaut werden.

Mathis Bönte
Nachdem er 2018 durch Vorträge und den Hitzesommer für die Klimakrise sensibilisiert wurde, begann Mathis Bönte, sich für „Fridays for Future“ zu engagieren und setzte sich aktiv für die Klimapolitik in Münster ein. Heute verteidigt er bundesweit Aktivist:innen, die auf den Klimanotstand aufmerksam machen wollen. Geboren wurde Bönte 1982 in Herdecke. Studiert und promoviert hat er in Münster. Seit 2020 arbeitet er als Anwalt in der Kanzlei Knecht und Baumann. Im Frühjahr 2023 trat er in die FDP ein, knapp zwei Jahre später verließ er die Partei wieder.
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