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Die RUMS-Kolumne mit Mathis Bönte | Der Stolz, der uns im Weg steht

Guten Tag,
was hindert Sie daran, sich klimafreundlich zu verhalten? Hat es mit ihrem sozialen Status zu tun? Ich will Ihnen nicht zu nahetreten. Wir alle wollen einen Rang in der Gruppenhierarchie, auf dem wir uns sicher fühlen. Er ist entscheidend für unser Selbstwertgefühl. Aber um unsere Zivilisation zu erhalten, müssen wir etwas riskieren.
Das Klimaschädlichste, was ich bisher in meinem Leben gemacht habe, war eine Dienstreise nach Dubai. Wir sind first-class (in eigener Kabine mit Minibar und Fernseher) geflogen, haben im Luxushotel übernachtet und auf einem Golfplatz gespielt, der trotz seiner Lage in der Wüste im perfekten Zustand war.
Auch wenn die Reise für mich mittlerweile weit entfernt ist, kann ich mich gut erinnern, dass ich stolz war. Ich kann nachvollziehen, warum viele Menschen immer weitere Flugreisen machen und auch die Häuser und Autos immer größer werden. Sie sind stolz darauf. Und Stolz ist das Gefühl von hohem sozialen Status.
Beschämen und beschämt werden
Weil technische Lösungen allein nicht ausreichen, geht es so aber nicht weiter. Viele Menschen müssen ihren Lebensstil ändern. Nachdem ich bei mir selbst angefangen hatte, wollte ich auch meine Freunde auf die Klimakrise aufmerksam machen. Zu meinem Geburtstag habe ich mir gewünscht, dass sie, statt mir etwas zu schenken, Bäume pflanzen lassen. Das fanden sie toll, hatten aber kein Interesse, das Thema zu vertiefen. Auch sonst wollte kaum jemand über Klimaschutz reden. Dazu musste ich provozieren.
Am wirkungsvollsten war meine Antwort, als ein Freund Bilder seiner Australienreise in die Chatgruppe schickte. Ich zeigte Mut vor dem Freund und fragte ihn, wie er das mit den CO2-Emissionen und seiner Reise sieht. Es entwickelte sich eine Diskussion, in der es darum ging, wie sich CO2 einsparen lässt.
Aber die ersten Reaktionen waren impulsiv. Eine Freundin fühlte sich ebenfalls angesprochen und fragte mich, was das solle. Eine andere verließ die Chatgruppe. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass ich noch in den Skiurlaub fahre.
Indem ich auf die klimaschädlichen Auswirkungen hinwies, habe ich den Statusgewinn durch die Flugreisen in Frage gestellt. Und auch wenn es mir darauf nicht ankam, habe ich meine Freunde beschämt – wofür sie sich dann revanchierten. Denn Scham ist das Gefühl von Statusverlust. Vielleicht ist genau das unvermeidbar, wenn wir gesellschaftliche Veränderungen bewirken: beschämen und beschämt werden.
Mit Selbstanzeigen Zeichen setzen
Was ich in der Chatgruppe meiner Freunde gemacht habe, hat die „Letzte Generation“ im großen Stil betrieben. Sie hat Autofahrer darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit ihren Emissionen die Klimakrise anheizen. Damit hat sie sie beschämt. Die Reaktionen waren heftig. In der Aufregung ging unter, dass es der „Letzten Generation“ nicht um die Autofahrer ging, sondern um politische Aufmerksamkeit. Wäre es angekommen, wäre sie wohl deutlich beliebter gewesen. Hätte die „Letzte Generation“ dann mehr bewirkt?
Viele haben argumentiert, dass man Mehrheiten brauche, um politisch etwas zu erreichen. Und Umfragen haben gezeigt, dass etwa 80 Prozent der Menschen die Aktionen ablehnten. Ich meine auch, dass die „Letzte Generation“ mit anderen Aktionen mehr Zuspruch erfahren hätte. Hätte sie zum Beispiel Bäume gepflanzt und es trotzdem irgendwie in die Medien geschafft, hätte sie vermutlich einen höheren sozialen Status erreicht. Darauf hätte sie dann stolz sein können. Nur an den gesellschaftlichen Verhältnissen hätte sie nichts geändert. So aber hat die „Letzte Generation“ die Klimakrise dort zum Thema gemacht, wo es unbequem war.
Auch mir hat sie einiges abverlangt. Als sie als kriminelle Vereinigung verfolgt wurde und die ersten Durchsuchungen stattfanden, waren viele Aktivisten verängstigt. Sie hatten sich darauf eingestellt, vor Gericht für ihre Blockaden geradezustehen – aber nicht wie Schwerkriminelle früh morgens in der eigenen Wohnung von der Polizei überrumpelt zu werden. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wollte sie beschämen und einschüchtern. Ich hatte sie rechtlich beraten, aber war darauf nicht vorbereitet. Als die Idee aufkam, sich mit Selbstanzeigen zu solidarisieren, habe ich spontan geschrieben, dass ich dabei wäre. In der Videokonferenz mit Aktivisten wurde dann groß angekündigt, dass ich mich als Rechtsanwalt selbst anzeigen werde.
Danach kam ich aus der Nummer nicht mehr raus. Ich erinnere mich gut an die Angst, meinen Status zu verlieren – und an das befreiende Gefühl, sie überwunden zu haben. Ich habe es tatsächlich getan.
Hilflos und wütend
Mir wurde immer klarer, dass ich am meisten bewirken konnte, wenn ich mit Robe an Aktionen teilnehme. Es mussten ja nicht gleich Straßenblockaden sein. Ich beteiligte mich dann auch an Planungen. Aber die Aktion, bei der mein eigener Aufsatz an das Amtsgericht Tiergarten geklebt wurde, fand ohne mich statt. Hätte ich mich überwunden, hätte ich den besonderen Status, den ich als Rechtsanwalt bei Gericht habe, nutzen können, um das Amtsgericht Tiergarten für dessen Ausblendung der Klimakrise zu beschämen.
Zu der FDP hatte ich keine solche Verbindung. Deswegen war ich hilflos und wütend, als sie sich an Kampagnen gegen das Heizungsgesetz und das Verbrennerverbot beteiligte und so den Leuten vorgaukelte, dass sie einfach so weitermachen könnten. Beschimpfungen durch die Klimabewegung konnten sie nicht beschämen. Für ihre Wählerstimmen und damit für ihren sozialen Status dürfte das sogar förderlich gewesen sein. Vermutlich machte die Feindschaft gegenüber der Klimabewegung nicht wenige aus der FDP stolz.
Mit meinem Parteibeitritt wollte ich dagegen etwas tun. Mir war klar, dass ich die FDP beschäme, wenn ich als Mitglied klar sage, dass sie mit dem Emissionshandel Benzin und Gas immer teurer macht. Ich setzte darauf, dass sie aus ihrem Bekenntnis zum Emissionshandel nicht mehr rauskam – ähnlich wie ich aus meinem Bekenntnis zur Selbstanzeige nicht mehr rausgekommen war. Und es hat sich bewahrheitet.
Nur wenige haben sich beteiligt
Je länger ich in der FDP war und die Menschen dort kennen lernte, desto schwieriger wurde es für mich. Zum einen, weil ich Sympathien entwickelte. Zum anderen wurde mir angeboten, gemeinsam mit hochrangigen Politikern auf andere Weise (nicht so direkt) über den Emissionshandel aufzuklären. Für meinen Status in der FDP wäre das sicher großartig gewesen. Ich hätte eine stolze Blitzkarriere hingelegt. Aber das eigentliche Projekt hätte ich aufgegeben müssen.
Auch nach meinem Austritt meine ich, dass es das Wirksamste war, was ich als Klimaaktivist bislang getan habe. Trotzdem haben sich an der Klimabewegung nur wenige beteiligt. Viele hätten sich wohl geschämt, mit der FDP in Verbindung gebracht zu werden.
Nach mehr als sechs Jahren Klimaaktivismus glaube ich verstanden zu haben, warum der Wandel zu einem nachhaltigen Lebensstil so schleppend vorangeht. Wir haben dort den meisten Einfluss, wo es am schwierigsten ist: bei uns selbst und bei den Menschen, denen wir uns zugehörig fühlen.
Herzliche Grüße
Ihr Mathis Bönte
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Mathis Bönte
Nachdem er 2018 durch Vorträge und den Hitzesommer für die Klimakrise sensibilisiert wurde, begann Mathis Bönte, sich für „Fridays for Future“ zu engagieren und setzte sich aktiv für die Klimapolitik in Münster ein. Heute verteidigt er bundesweit Aktivist:innen, die auf den Klimanotstand aufmerksam machen wollen. Geboren wurde Bönte 1982 in Herdecke. Studiert und promoviert hat er in Münster. Seit 2020 arbeitet er als Anwalt in der Kanzlei Knecht und Baumann. Im Frühjahr 2023 trat er in die FDP ein, knapp zwei Jahre später verließ er die Partei wieder.
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