Die Kolumne von Dina El Omari | Von Religion und Feminismus

Porträt von Dina El Omari
Mit Dina El Omari

Guten Tag,

der ehemalige Münsteraner Priester Thomas Laufmöller ist als kritische Stimme im katholischen Kontext bekannt. Er macht sich stark für die Pluralität im christlichen Glauben und kritisiert starre und konservative Strukturen in der katholischen Kirche. Aber auch den Umgang mit Frauen oder Missbrauchsfällen in kirchlichen Institutionen problematisiert er immer wieder. Im Jahr 2021 ließ er sich von seinem Priesteramt entbinden und arbeitet seitdem als Seelsorger.

In dieser Woche stand im RUMS-Brief ein Interview mit Thomas Laufmöller. Als ich von seiner Geschichte und seinem Kampf gegenüber archaischen und starren Strukturen las, musste ich unweigerlich an die zahlreichen Bemühungen von säkularen und islamisch-theologischen Feministinnen auf der ganzen Welt denken, die bereits seit über einem Jahrhundert in unterschiedlichen Kontexten einen ähnlichen Kampf führen.

Schaut man sich zum Beispiel die frühen feministischen Bewegungen im nordafrikanischen Raum an, adressieren diese zwar zum einen Benachteiligungen von Frauen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, zum anderen geht es aber auch immer um Reformen religiöser Normen, die in die Gesetzgebung der Länder eingeflossen sind und klare Benachteiligungen von Frauen aufweisen, wie die Erlaubnis der Polygynie, das einseitige Scheidungsrecht des Mannes und Sorgerechtsregelungen zum Nachteil von Müttern.

Dabei ist besonders interessant, dass in der ersten und der zweiten Phase des islamischen Feminismus zwar vorrangig säkulare feministische Bewegungen aktiv waren, diese aber immer auch religiöse Standpunkte in ihre Argumentation einbezogen und zwar nicht nur zur Problematisierung, sondern auch, um die vorhandenen Probleme zu lösen.

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Dafür rekurrierten sie entweder auf muslimische Reformer:innen, die alternative geschlechtergerechte Interpretationen des Korans und der prophetischen Überlieferung anboten, die wiederum Grundlage für die Ableitung von islamischen Normen waren, oder aber unter den säkularen Feministinnen waren selbst theologisch gebildete Frauen, die entsprechend eigenständig für eine Gleichberechtigung der Geschlechter und damit zusammenhängend für eine Abschaffung von Frauen benachteiligenden Gesetzen aus einer religiösen Perspektive heraus argumentieren konnten.

Eine dieser Personen war die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi (1940-2015), die nicht nur misogyne religiöse Traditionen und Vorstellungen problematisierte sowie Kritik an einigen vermeintlich unantastbaren männlichen Personen der frühen islamischen Geschichte wegen der Verbreitung misogyner Narrative übte, sondern gleichzeitig Frauen aus dieser Geschichte aufzeigte, die bereits zu Frühzeiten des Islams eine solche Kritik vorgenommen hatten. Dadurch holte sie marginalisierte Frauenstimmen aus der Versenkung und machte sie wieder zu einem Teil der islamischen Geschichte.

Gleichzeitig setzte Mernissi sich auch kritisch mit prophetischen Überlieferungen auseinander, die frauenfeindliche Züge in sich trugen und hinterfragte in diesem Zusammenhang deren Authentizität. Auch für einige Verse des Korans lieferte sie mittels einer historisch-kritischen Perspektive geschlechtergerechte Lösungsansätze. Mernissi ist damit in Marokko einer der Wegbereiterinnen des islamisch-theologischen Feminismus, der nun vorrangig mittels textwissenschaftlicher, systematisch-theologischer, rechtswissenschaftlicher und ethischer Perspektiven eine ganzheitliche geschlechtergerechte Perspektive auf den Islam etablieren möchte.

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Diese ab den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts neu hinzukommende Strömung ist vor allem als Reaktion auf das Erstarken islamistischer Gruppierungen und Diskurse, die Frauen vor allem auf die Rolle der Mutter und Ehefrau reduzieren, entstanden. Denn diese Gruppierungen hatten ihre hierarchischen Rollenvorstellungen vor allem durch religiös generierte Argumente begründet, auf welche die säkularen feministischen Strömungen allein keine Antwort hatten.

Also gab es immer mehr theologisch gebildete Frauen, aber auch Männer, die es sich zur Aufgabe machten, mit den selben Quellen, die auch von islamistischen Gruppierungen für ihre archaischen Vorstellungen genutzt wurden, für eine geschlechtergerechte Perspektive im Koran und Islam zu argumentieren. Diese Strömung ist mittlerweile weltweit eine der größten feministischen Bewegungen und kann auf ein beachtliches Netzwerk an Frauen und Männern, auf eine überwältigende Anzahl an Publikationen und aktivistische Handlungsfelder verweisen – die gehen häufig mit säkularen islamisch-feministischen Bewegungen Hand in Hand.

Das Aufbegehren gegenüber verfestigten und starren Strukturen, gerade wenn es um Themen wie Gleichberechtigung, Pluralität und Inklusion geht, ist zwar ein schwerer Weg, der auch viele Opfer mit sich bringt, er ist aber besonders in Zeiten, in denen wieder verstärkt exklusivistische Stimmen lauter werden, ein mehr als notwendiger.

Herzliche Grüße

Ihre Dina El Omari

Porträt von Dina El Omari

Dina El Omari

… ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie. Sie forscht und lehrt zu den Themen feministische und geschlechtersensible islamische Theologie, interreligiöses Lernen sowie islamische Textwissenschaften.

Die Kolumne

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