Die Kolumne von Christoph Hein | Finger auf dem Atomknopf

Porträt von Christoph Hein
Mit Christoph Hein

Guten Tag,

noch bevor die Parteien in den Wahlkampf ziehen, fordern neun Verbände aus Münster ein Wirtschaftsprogramm für die Stadt und das Umland. Kernpunkt: mehr Platz für Gewerbeflächen.

Den Forderungen der Münsteraner Unternehmer und Manager mag man zustimmen oder nicht. Doch schießt einem, wie so oft bei dieser Stadt, zu allererst ein anderer Gedanke durch den Kopf: glückliches Münster. Nicht, dass ich die Herausforderungen der Wirtschaft in Westfalen belächelte – die Menschen brauchen Arbeit und Einkommen, Firmen bieten sie, Wachstum hilft, wenn die Kosten dafür nicht zu hoch sind. Die Politik muss die Voraussetzungen schaffen. Es ist gut, wenn sich auch die Wirtschaft zu Wort meldet, Stellung bezieht.

Doch wer sich in der Welt umschaut, dem wird derzeit manchmal schwarz vor Augen. Nicht nur aufgrund der Kriege, der Krisen, der Hochrüstung. Sondern aufgrund der wirtschaftlichen Lage. Ein Thema nur für Fachleute? Eines, das das „glückliche Münster“ – anders als das Ruhrgebiet oder Wolfsburg – allenfalls streift?

Ganz und gar nicht. Die schwelende Krise trifft auch Sparer der Stadtsparkasse oder Wohnungskäufer, Anleger, die im Internet auf Gold oder Bitcoin spekulieren, oder Renovierer, die sich einen Kredit der Sparda-Bank auf der Königsstraße sichern. Denn die Übertragungszeit der Unsicherheit, die der US-amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner transaktionalen Politik auf die Spitze treibt, beträgt in der globalen Finanzwelt nur Millisekunden.

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„Wir haben in den Abgrund geschaut.“ Diesen Satz prägte der damalige SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in der Finanzkrise 2008. Die Investmentbank „Lehman Brothers“ war zusammengebrochen, weil die amerikanische Regierung sich geweigert hat, die Misswirtschaft der Banker zu vergesellschaften, also sie mit Steuergeldern zu retten. Kommentatoren sprachen vom „Fukushima der Weltwirtschaft“: In einem der Meiler des globalen Geldgewerbes war es zur Kernschmelze gekommen. Im April 2025 – wollten wir den atomaren Vergleich beibehalten – ging es nicht mehr um ein Atomkraftwerk. Wir standen am Rande eines Atomkriegs. Er wurde nur verhindert, weil Trump zum Einknicken gezwungen war. Er musste den Finger vom roten Knopf zurückziehen.

Der Präsident, der sich selbst immer als großer Unternehmenslenker und Entrepreneur verkauft hat, kapitulierte vor den Kapitalmärkten. Gott sei Dank. Er setzte die mit großem Getöse im Garten des Weißen Hauses angekündigten Zölle – unter anderem 50 Prozent auf Waren aus dem bettelarmen Lesotho – für 90 Tage aus. Denn die Teilnehmer auf dem globalen Finanzmarkt wussten sofort, dass Zölle auf Lesotho zwar menschenverachtend waren, solche auf China, das restliche Asien und Europa aber die Wirtschaftswelt an den Rand des Abgrunds führten.

Die Unruhen am Aktienmarkt, die auch die Altersversorgung von Milliarden von Menschen schmälerten, hätten Anleger wohl ausgesessen. Die meisten Firmen hätten überlebt, dass ihr Wert drastisch gesunken wäre. Das wesentlich größere Drama spielte sich hinter den Kulissen ab, auf den von der breiten Öffentlichkeit unbeobachteten Anleihemärkten. Die schlagartigen, spürbaren Kursverluste für amerikanische Staatsanleihen mit langer Restlaufzeit führten dazu, dass sie ihre traditionelle Rolle als sichere Kapitalanlage in unruhigen Zeiten nicht mehr spielen konnten. Damit gelang die Bonität der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt in den Blickwinkel der Profis: Würden die USA unter Trump ihr geliehenes Geld noch zurückzahlen können?

In den Mittelpunkt der Spekulationen rückte damit das von Trump unter massiven Druck gesetzte Peking: Die – bis Mitte Mai, wenn die dortige Notenbank ihre Bilanz vorlegen wird – unbeantwortete Frage lautet, in welchem Maße China amerikanische Staatsanleihen verkauft hat oder verkaufen wird. Und an wen. Denn die Chinesen sind, nach Japan, die größten Gläubiger der Amerikaner. Zweifeln sie erkennbar an einer Rückzahlung der offenen amerikanischen Schulden, setzte dies eine brandgefährliche Spirale auf dem Weltfinanzmarkt in Gang. Trumps irrsinniger Zollsatz von 145 Prozent auf chinesische Waren könnte Peking zu einem solchen Schritt verleiten. Der chinesische Präsident Xi Jinping erwies sich als ruhiger und besonnener als das neu besetzte Weiße Haus.

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Schon jetzt aber lastet die erratische Politik des Präsidenten auf der Weltwirtschaft. Der durchschnittliche, angewandte Importzoll der USA lag am 11. April bei 27 Prozent, die höchste Rate seit 1903. Und auch das spürt man bis an den Aasee. Denn wenn China nicht mehr in die größte Volkswirtschaft der Welt exportieren kann, werden seine Waren sich andere Absatzmärkte suchen – auch in Europa, auch in Deutschland. Wird Brüssel sich dann gezwungen sehen, seinerseits den europäischen Markt mit Zöllen zu schützen? Der Ökonom Gabriel Felbermayr warnt vor einem „protektionistischen Weltbrand“. Dieser Zollkonflikt mag, folgt man den Nachrichten, zwischen Washington und Peking ausgetragen werden. Doch er betrifft die Welt. Seine Folgen werden wir auch an den Preisen ablesen können, die in Münsters Einzelhandel verlangt werden.

Dennoch gehen die aktuellen Zahlen seines Instituts und auch die des Internationalen Währungsfonds (IWF) in eine klare Richtung: Die globale Wirtschaft werde dieses Jahr nur noch um 2,8 Prozent wachsen, prognostizierte der IWF vergangene Woche. Das ist ein halber Prozentpunkt weniger als in der Vorhersage vom Januar. Pierre‑Olivier Gourinchas, der die Forschungsabteilung des IWF leitet, sagt, dass das Wachstum sich nicht allein wegen der angekündigten Zollerhöhungen abschwäche, sondern auch aufgrund der Unsicherheit, welche Politik verfolgt werde. „Sollten die zunehmenden Handelsspannungen und die Unsicherheit anhalten, wird sich das globale Wachstum deutlich verlangsamen“, ist er sich aber immerhin sicher. Damit ist der IWF immerhin leicht optimistischer als die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD): Sie rechnet in diesem Jahr mit nur noch 2,3 Prozent. In den Vereinigten Staaten werde das Wachstum sogar um bis zu 0,8 Prozentpunkte sinken, die Inflation aber auf 4,6 Prozent zulegen.

Das heißt, dass sich die Menschen in Amerika deutlich weniger werden leisten können. Der „Consumer Sentiment Index“, mit dem die University of Michigan allmonatlich Umfrageergebnisse zur Verbraucherstimmung bündelt, ist im April auf den Wert 50,8 gesunken, den zweittiefsten Wert seit der Erhebung 1966. Nur auf dem Inflationshöhepunkt 2022, der erheblich zur Wahlniederlage der amerikanischen Demokraten 2024 beigetragen hat, war die Stimmung der Verbraucher minimal schlechter.

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Schon jetzt wird der ökonomische Budenzauber, mit dem Trump die Menschen hinters Licht führt, entzaubert. Darüber zu frohlocken ist aber verfrüht. Denn auch die Nachfrage nach dann immer teureren Importen und damit – durchgerechnet – die Nachfrage nach Waren aus dem Industrieland Deutschland wird damit sinken. Zugleich könnte Europa von chinesischen Exportgütern überschwemmt werden, die nach einem Ersatz-Absatzmarkt suchen. Da sie qualitativ nicht in der Spitze gesehen werden, wird dieses Vordringen wohl vor allem über den Preis angelegt sein. Für die Verbraucher könnte das in der ersten Zeit einen Vorteil bedeuten, weil die chinesischen Waren, beispielsweise Handys, Autos oder Kleidung, aller Voraussicht nach billig zu haben sein werden.

Vieles in diesem Feld hat mit Spekulation zu tun – denn die Zukunft kennt niemand. Das räumen auch Ökonomen ein. „Bei der Vorhersage des Konjunkturzyklus geht es weniger darum, die aktuellen Fundamentaldaten zu verfolgen, sondern vielmehr darum, die politischen Absichten zu interpretieren“, schreibt Marcello Estevão, Chefökonom des Weltbankenverbands, des Institute for International Finance (IIF), in seiner neuen Prognose.

Von um so mehr Weitblick künden deshalb die Forderungen der münsterschen Unternehmer und Manager. „Auch ein Trump geht irgendwann vorüber“ heißt derzeit ein Leitspruch in vielen Führungsetagen der Wirtschaft. Darauf folgt dann meist ein langes Stöhnen. Aber es stimmt schon: Ewig wird die Periode des imperial getriebenen Egomanen nicht dauern. Allerdings wird er tiefe Spuren hinterlassen. Es wird Jahre dauern, bis die Welt sie ausgeglichen hat. Und sie wird dann nicht mehr genauso aussehen wie heute. Natürlich erscheint der Zeitpunkt von der münsterschen Wirtschaft gut gewählt, sich gerade jetzt den Rückenwind der Politik zu sichern. Wann sollte man das Drängen der Unternehmen erhören, wenn nicht in den chaotischen Trump-Tagen? Sich nun auf Investitionen der Zukunft, auf Neugeschäft und Zuzug einzustellen, spricht allerdings auch für den Mut der münsterschen Wirtschaftsverbände.

Porträt von Christoph Hein

Christoph Hein

ist in Köln geboren und in Münster aufgewachsen. Er hat an der Uni Münster studiert, hier promoviert und während seines Studiums für die Westfälischen Nachrichten und den WDR gearbeitet. Im Jahr 1998 fing er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, zunächst als Korrespondent in Stuttgart. Ein Jahr später ging er als Korrespondent erst für Südostasien und China, ab 2008 für den Süden Asiens einschließlich des Pazifikraums nach Singapur. Dort wurde auch seine Tochter geboren, die inzwischen in Münster studiert. Nach einem Vierteljahrhundert im indo-pazifischen Raum ist er nach Deutschland zurückgekehrt und leitet den wöchentlichen Newsletter F.A.Z. PRO Weltwirtschaft. Christoph Hein hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt mit „Australien 1872“ einen Bildband über einen deutschen Goldsucher auf dem fünften Kontinent.

Die Kolumne

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