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Die Kolumne von Michael Jung | Gegangen, abgeworben, gefeuert
Guten Tag,
als Ende August der Spätsommer strahlte, da berichtete die Stadt Münster mit einer Pressemitteilung in blumigen Worten über eine Dienstreise. Die Kulturdezernentin und ein Mitarbeiter des städtischen NS-Gedenkortes Villa ten Hompel waren nach Berlin gereist. Dort hielt an diesem Tag nämlich der angehende Leiter der Villa eine Rede.
Anlass war die Verlegung eines Stolpersteins für ein NS-Opfer. Die Kulturdezernentin, gewissermaßen zur feierlichen Einholung des neuen Villa-Direktors nach Berlin gereist, ließ sich mit der Forderung nach Aufklärung über das Handeln rassistischer Weltanschauungstäter zitieren. Alles in allem also der ganz große Bahnhof für den neuen Villa-Leiter – und sogar der Bundespräsident, der bei der Gedenkfeier anwesend war, durfte als Bühnendekoration in der Pressemitteilung nicht fehlen.
Auch der Amtsantritt des neuen Villa-Leiters wurde dann Anfang September noch einmal vom Presseamt gefeiert: Die Kulturdezernentin begrüßte ihren neuen Amtsleiter persönlich am Arbeitsplatz, und das Presseamt veröffentlichte auch gleich ein schönes Foto dazu. Danach hörte man vom Presseamt nur noch wenig zum Thema, hinter den Kulissen dafür umso mehr, und nun, im Februar, gab es dann eine weit weniger blumige, dafür kurze und knappe Meldung der Stadt: „Mit Bedauern“ gebe der neue Leiter die Aufgabe schon wieder ab, und der „in Berlin lebende“ Historiker benenne „familiäre Gründe“ für seine Entscheidung.
Ob die Kulturdezernentin ihn auch an seinem letzten Arbeitstag in der Villa besucht hat, ist nicht überliefert, aber eher unwahrscheinlich. Allzu deutlich waren in den letzten Monaten die Misstöne, die aus dem Gedenkort zu hören waren, und auch mit der Kulturdezernentin soll dem sonnigen Spätsommer zu Beginn ein strenger Frost im Winter gefolgt sein. Und so war wieder einer weg aus der Führungsriege der Stadt Münster. Damit hat die Stadt inzwischen Routine. Denn die Einschläge kommen immer dichter, immer häufiger geht das Führungspersonal vorzeitig, wird abgeworben oder gefeuert.
Glänzen durch Diskontinuität
Ich möchte mit Ihnen einmal kurz die Abgänge der letzten Monate und Jahre durchgehen: Am schnellsten wechseln die Chefs beim städtischen Wohnungsunternehmen, der Wohn- und Stadtbau. Seit dem altersbedingten Ausscheiden des langjährigen Leiters 2014 ging es Schlag auf Schlag: Die Nachfolgerin blieb, obwohl für fünf Jahre bestellt, nur drei Jahre und verließ Münster.
Ihren Nachfolger wiederum hielt es auch nicht viel länger. Letztes Jahr kündigte er seinen Abschied an, nun soll es ein neuer Mann richten, der schon seit 20 Jahren im Unternehmen arbeitet. Eine interne Lösung also, nachdem zwei externe Chefs zuvor schnell wieder gingen, weil sie anderswo lukrative Angebote erhielten. Das Unternehmen also, das wesentliche Teile der Konversion stemmen und eine Schlüsselrolle beim Bau bezahlbarer Wohnungen spielen soll, glänzte in den letzten acht Jahren vor allem durch Diskontinuität.
Während es bei der Wohn- und Stadtbau also Abgänge waren, die sich eher mit besseren beruflichen Optionen verbanden und entsprechend geräuschlos verliefen, knallte es umso lauter bei den Stadtwerken. Nach der Nichtverlängerung des Vertrags des Technischen Geschäftsführers Ende 2013 stellte sich auch mit dessen Nachfolger keine bessere Zusammenarbeit in der Geschäftsführung ein. Im Ergebnis wurden er und sein kaufmännischer Kollege 2018 vom Rat in einem bis dahin beispiellosen Vorgang abberufen.
Ein neuer Mann, mit der damaligen CDU-Bürgermeisterin verwandtschaftlich verbunden, durfte als Interims-Chef übernehmen. Im Sommer 2019 folgten dann die endgültigen neuen Chefs am Hafenplatz. Auch beim größten städtischen Unternehmen gab es also rasche und abrupte Führungswechsel, hier allerdings verbunden mit großen öffentlichen und persönlichen Kollateralschäden und erheblichen Kosten.
Skurrile Beiträge auf Social-Media
Turbulent war es auch beim Zoo. Schon die Nachfolge für den langjährigen Chef scheiterte im Rat. Der vom Aufsichtsrat (dort halten die Vertreter des Zoo-Vereins die Mehrheit) vorgesehene Kandidat erhielt im Rat der Stadt keine Bestätigung. Vorgänge an seiner vorherigen Wirkungsstätte wurden von den beiden Gremien unterschiedlich bewertet.
Also begann die Nachfolgesuche von vorn, und bald war ein neuer Mann gefunden. Nachdem dieser ein bemerkenswertes Konzept zur Neuausrichtung vorgelegt hatte, bewarb er sich danach schon mal woanders weiter und teilte bald mit, Münster verlassen zu wollen.
Bis zum Ende seiner Vertragslaufzeit folgten dann skurrile Beiträge auf Social-Media-Kanälen, bis er an seinem letzten Arbeitstag ein Foto postete. Unter dem Ortsausgangsschild von Münster äußerte er seine Freude, Münster verlassen zu können. Die dritte Suche nach einer Leitung für den Zoo in sechs Jahren gestaltete sich anspruchsvoll. Im Ergebnis folgte auch hier eine interne Lösung. Seither ist es weniger unterhaltsam geworden, aber dafür ruhiger.
Den ganz großen Knall gab es bei der Wirtschaftsförderung. Deren Chef, mehr als zwanzig Jahre für die Stadt und die Wirtschaftsförderung tätig, wurde vom Rat 2020 per Dringlichkeitsentscheidung auf Verlangen des Oberbürgermeisters abberufen.
An einem Montagabend endete eine lange Karriere: Wegen einer zu spät erfolgten Information über eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren sei die Vertrauensbasis zerstört, hieß es offiziell. Arbeitsgerichtlich ist die Sache noch nicht ausgestanden und dürfte – ähnlich wie bei den Stadtwerken – noch sehr teuer kommen.
Immerhin, ein Nachfolger war rasch gefunden. Und da es beim Zoo jetzt keine skurrilen Statements mehr gibt, übernimmt das seither die Wirtschaftsförderung: Im ersten großen Interview ließ der neue Chef wissen, er werde gelegentlich sicher mit seiner Gattin einmal einige Urlaubstage in Münster verbringen. Und legte später an anderer Stelle nach: Er wohne in Greven, Münster biete für einen Normalverdiener kaum bezahlbare Wohnungen.
Ein krasser Kontrollverlust
Geräuschloser gestaltete sich da schon der Abgang des langjährigen Sparkassen-Chefs. Im Sommer 2021 bat der um Aufhebung seines Vertrags. Das geschah ebenso rasch wie die Bestellung seines bisherigen Stellvertreters zum Nachfolger. Auch hier also die interne Lösung als Antwort.
Der langjährige Chef hatte sich zuvor schon mal, im Verein mit dem Warendorfer Landrat und Münsters Oberbürgermeister, gewaltig verhoben beim Versuch, an die Spitze des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe zu gelangen.
Das erfolgreich geführte Haus genießt im Übrigen manchmal zu Unrecht den Ruf, dort würde vielleicht nur Geld gezählt. Es wird unterschätzt, wie zielsicher bisweilen auch in diesem sachlichen Ambiente Amors Pfeile fliegen.
Spektakulärer war da der Abgang des Geschäftsführers bei den Klarastift-Gesellschaften 2018. Denn im November 2021, inzwischen war die dritte Nachfolge binnen drei Jahren im Amt, erzielte die Stadt einen Vergleich vor Gericht. Sie erhielt von der Manager-Haftpflichtversicherung des ehemaligen Geschäftsführers eine Zahlung in Höhe von 500.000 Euro.
Allein die Summe zeigt, was beim Klarastift passiert war – ein krasser Kontrollverlust auf mehreren Ebenen, der Stoff für ein ganzes Buch böte. In der Konsequenz will sich die Stadt Münster von den Klarastift-Gesellschaften trennen. Auch hier also ein rascher Personalwechsel als Ausdruck einer verfahrenen Lage.
Als Erstes riss der Geduldsfaden
So war es auch beim Flughafen. Nachdem der dortige Geschäftsführer über Jahre die Politik in Münster, Steinfurt und Osnabrück mit rosaroten Zukunftsvisionen (Start- und Landesbahn für Interkontinentalflüge) verzückt hatte, konnte er zuletzt immer nur mit dem Versprechen punkten, dass hinter der übernächsten Kurve sicher das Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei.
Als Erstes riss der Geduldsfaden in Steinfurt, dann in Osnabrück und Greven, schließlich auch in Münster. Der Vertrag wurde nicht verlängert, der Nachfolger ging auf Sanierungskurs. Seither gibt es keine Interkontinentalvisionen mehr, sondern den Umbau zu einem mittelständischen Betrieb eines Regionalflughafens.
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Bevor Sie jetzt denken, bei städtischen Gesellschaften würden die Chefs überall abgeworben, suchten selbst um Abschied nach oder würden gefeuert, kann ich Sie beruhigen. Es gibt auch Oasen der Kontinuität an der Spitze, wo stattdessen die Mitarbeitenden Reißaus nehmen. Aber das wäre ein eigenes Thema.
Deswegen kommen wir zur Ursachenanalyse. Angesichts der Häufung der Fälle wird man von Zufällen nicht mehr sprechen können. Während in früheren Zeiten Führungspersonal lange blieb (Stadtwerke, Wohn.- und Stadtbau, Zoo), galt das für deren Nachfolge nicht mehr. Und das hat Gründe. Ich sehe folgende:
I. Münster geizt an den falschen Stellen
Man mag es für sympathisch halten, dass in Münster keine Topgehälter gezahlt werden für die Leitung städtischer Gesellschaften. Woanders gibt es deutlich mehr. Es ist aber typisch für eine überwiegend dem öffentlichen Dienst verbundene und diesem entstammende Führungselite in der Stadt, dass dessen Gehaltsmaßstäbe angelegt werden. Und das führt zu Unbehagen, wenn einzelne Geschäftsführer deutlich mehr verdienen als der Oberbürgermeister.
Auf der anderen Seite haben sich Gehälter im öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft deutlich auseinanderentwickelt. Anders als früher werden bei städtischen Gesellschaften auch keine quasi beamtenähnlichen Versorgungen mehr gezahlt. Höheren Bezügen steht also auch die Verpflichtung gegenüber, seine Altersversorgung aus den eigenen Bezügen selbst ohne städtische Mitwirkung selbst regeln zu müssen.
Deswegen aber fühlt sich auch niemand mehr mit versorgungsrechtlichen Bindungen an die Stadt und ihre Gesellschaften gefesselt, höhere Fluktuation ergibt sich eben auch aus den Vergütungsstrukturen, die man anbietet.
Kurz und gut: Man kann die Vergütung des Führungspersonals nicht mit der im öffentlichen Dienst vergleichen, sondern man konkurriert in einigen Bereichen um die besten Köpfe, eben zum Teil auch mit der Privatwirtschaft. Wer vergleichsweise zurückhaltend in der Vergütung ist, muss damit rechnen, dass gute Leute abgeworben werden.
Eine Modernisierung der Gesellschaftsstrukturen erfordert auch ein modernes Vergütungssystem. Das heißt nicht, dass Gehaltsexzesse das Ziel sind – aber wenn man anders als in anderen Kommunen Geschäftsführungspositionen zu Recht nicht als politische Versorgungsjobs betrachtet (Ausnahme: die Grünen und die städtische Parkhausgesellschaft WBI), sondern als Managementaufgabe für kluge Köpfe, dann muss man auch entsprechende Strukturen anbieten.
Münster geizt also oft an der falschen Stelle. Ein guter neuer Geschäftsführer kann mit klugem Management ein Vielfaches seiner Vergütung durch Strukturreformen erwirtschaften. Ein Blick zum Flughafen zeigt das deutlich.
Höhere Vergütungen sind im Übrigen nur da diskussionswürdig, wo tatsächlich eine Konkurrenzsituation zur Privatwirtschaft besteht. In Münster gab es in der Ära des früheren Oberbürgermeisters Berthold Tillmann das absurde Phänomen, ausgerechnet dort bei den Vergütungen über die Bande zu schlagen, wo genau diese Konkurrenz nicht bestand. Deswegen blieb manch einer dann auch lang.
II. Mia san mia: Münster ist immer was Besonderes
Sie haben es bemerkt – der Trend zur internen Nachbesetzung ist unverkennbar. Dafür gibt es Gründe. Natürlich ist es auch mit dem schönsten Personalberatungsunternehmen an der Seite ein anspruchsvolles Unterfangen, dreimal in sechs oder sieben Jahren dieselbe Position mit einer exzellenten Bewerbung von außen zu besetzen (Wohn- und Stadtbau, Zoo).
Potenzielle Führungskräfte werden sich überlegen, inwieweit sie sich auf das Münsteraner Spiel einlassen. Zu diesem Spiel gehört nämlich auch das ausgeprägte Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Da ist es doch für alle Beteiligten viel angenehmer, intern nachzubesetzen.
Das sind dann Leute, die das Unternehmen kennen und die ihren Aufstieg konkreten Personen aus der Kommunalpolitik und der Verwaltung verdanken, sich entsprechend dankbar zeigen, wenn politische Anforderungen formuliert werden und sich auch über einen kleinen Gehaltszuwachs oder auch nur den Prestigegewinn freuen. Auch ist sichergestellt, dass nicht etwa neue Ideen oder Konzepte die Stadt oder die Rathauspolitik erschüttern. Und das ist doch sehr beruhigend, denn nichts fürchten wir in Münster mehr.
III. Aufsichts- und Kontrollversagen
Dazu kommt das notorische Führungsdefizit an der Spitze der Stadt, das eben auch das Beteiligungsmanagement umfasst. Die internen Besetzungen aber trüben auch nicht das innige Einvernehmen, das allzu oft zwischen Geschäftsführung und Mitgliedern der Aufsichtsgremien herrscht. Bei manchen hat man bisweilen eher den Eindruck, die Mitglieder überwachten ihre Fraktionen im Auftrag der Geschäftsführung als im Auftrag der Stadt die Gesellschaften.
Bei der Besetzung von Aufsichtsgremien geht es oft gut, manchmal aber eben auch nicht. Am schlimmsten kam es beim Klarastift. Dort hatte man offenbar über Jahre viel schwadroniert über Pflege im Allgemeinen und in Münster im Besonderen („ambulant vor stationär“ – immer eine Wortmeldung wert), nur bei den Bilanzen und dem Geschehen in der verschachtelten Gesellschaftsstruktur hatte man möglicherweise etwas weniger genau hingesehen. Jedenfalls brauchte es am Ende städtische Finanzspritzen, um die Insolvenz abzuwenden.
Auch die Krise bei den Stadtwerken hatte etwas mit den Aufsichtsgremien zu tun, darüber hatte ich Ihnen schon einmal geschrieben. Alles in allem kann man sagen: Es fehlt bisweilen Courage und Kompetenz, eine Geschäftsführung konstruktiv, aber kritisch zu begleiten und zu hinterfragen. Die Dauerduzerei zwischen Gremienmitgliedern und Geschäftsführungen ist beispielsweise schon Symptom einer falschen Verbrüderung und Vertraulichkeit, wo konstruktiv-professionelle Distanz besser wäre.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
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