Die Kolumne von Juliane Ritter | Welche Folgen das Bild von der „sexy Krankenschwester“ für meine Arbeit hat

Porträt von Juliane Ritter
Mit Juliane Ritter (Name geändert)

Guten Tag,

in meinen letzten Kolumnen habe ich Ihnen meine Sicht auf den langen Streik an den Unikliniken geschildert. Jetzt sind wir wieder zurück im Alltag. Die Streiks sind beendet, denn wir haben gewonnen. Zum Abschluss dieser langen Auseinandersetzung greife ich das Thema heute am Anfang meiner Kolumne noch einmal auf, bevor ich Ihnen von einem anderen gravierenden Problem im Klinikbetrieb erzähle.

Wir haben in elf Wochen Streik und vielen Verhandlungen durchgesetzt, dass die sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen mehr Personal bekommen und die Mitarbeiter:innen entlastet werden. Und wir haben erreicht, dass beides vertraglich vereinbart und festgelegt wird.

Wir werden zwar einige Monate darauf warten müssen, dass unsere Verhandlungsergebnisse umgesetzt werden, weil der neue Tarifvertrag erst ab Anfang 2023 gelten wird. Doch wir haben die Aussicht darauf, dass es in Zukunft entweder mehr Personal in jeder Schicht geben wird oder wir mit Freizeit entschädigt werden, um die anstrengenden Dienste in Unterbesetzung zu verarbeiten. Das wird die Arbeit im Krankenhaus attraktiver machen und mehr Personal anziehen und binden. Und auch die Bedingungen für Auszubildende werden sich verbessern: Für sie ist ein Freizeitausgleich als Entlastung vereinbart, wenn sie mit einer Aufgabe allein gelassen werden und ins kalte Wasser springen müssen. Das ist deutschlandweit erstmalig und ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Statt der ungewohnten Anstrengung nun wieder die gewohnte

Nach dieser außergewöhnlichen Zeit, in der wir für diesen Erfolg gekämpft haben, sehe ich mich nun wieder mit all den alltäglichen Dingen konfrontiert. Meine Kolleg:innen und ich atmen zwar wieder durch – doch wir haben die ungewohnte Anstrengung gegen die gewohnte getauscht.

Wir versorgen zurzeit mehr Patient:innen als vor dem Streik. Das war uns klar, viele Therapien und Operationen werden nun aufgeholt. Die damit verbundene tägliche Frage habe ich nicht vermisst: „Kannst du einspringen, sonst ist dein Kollege allein im Dienst?“ Haben wir eine junge Patientin verloren, müssen wir im Moment noch einfach weitermachen. Es gibt keine Zeit für Gespräche, keine Zeit, so ein Erlebnis zu verarbeiten.

Ein Problem, über das kaum jemand spricht

Solche Schwierigkeiten, die durch den Zeitdruck in unserem Beruf entstehen, habe ich Ihnen hier schon geschildert. Und sie sind auch durch unseren Streik stärker als vorher bekannt geworden und in die öffentliche Wahrnehmung gerückt.

In meinem Arbeitsalltag gibt es aber auch Situationen, die aus einem anderen Grund belastend und sehr unangenehm sind: Ich erlebe es immer wieder, dass männliche Patienten anzügliche Bemerkungen machen oder körperlich übergriffig werden. Das ist ein Teil des Jobs, der zu wenig Beachtung findet. Ein Problem, über das kaum jemand spricht. Deshalb möchte ich Ihnen heute darüber schreiben.

In Listen mit den „sexiesten Berufen“ findet man die „Krankenschwester“. In kurzem Kittel und mit hohen Stiefeln und Haube ist sie auf fast jeder Karnevalsfeier zu finden. Die Übersexualisierung der weiblichen Pflegenden ist unser Alltag, manchmal ist auch männliches Personal betroffen. Und manchmal übrigens auch Ärztinnen: Sie werden für die „Schwester“ gehalten, während pflegende Männer oft erst einmal mit „Herr Doktor“ angesprochen werden. Klären sie die Verwechslung auf, hören die Ärztinnen etwa: „Oh, scharf, ich stehe auf schlaue Frauen.“ Und die Pfleger: „Wie, hat‘s für den Arzt nicht gereicht?“ Da vermischen sich der Sexismus, der in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie bei den Patient:innen immer noch tief verankert ist, und eine weit verbreitete Geringschätzung des Pflegeberufes.

„Steigst du zu mir ins Bett und wärmst mich?“

Die professionelle Care-Arbeit, die Pflegende leisten, wird strukturell unterschätzt. Sie wird als Helferkomplex und somit als „dienend“ und „unterwürfig“ abgestempelt. Das führt dazu, dass viele Menschen uns gegenüber Grenzen überschreiten. Bei verschiedensten privaten Begegnungen hören meine Kolleg:innen und ich immer wieder: „Oh, was muss ich mir denn tun, damit du mich auch mal pflegst?“ Bei der Arbeit fragen mich Patienten: „Steigst du zu mir ins Bett und wärmst mich?“ Oder sie sagen: „Ich lass mich nur von dir duschen, du Hübsche!“ Jede:r von uns kann sehr viele solcher unangebrachten Kommentare aufzählen. Manchmal werden wir auch einfach angefasst, wenn wir am Bett stehen und professionell einen Patienten versorgen – obwohl wir vorher schon ein ungutes Gefühl hatten.

Einige Patienten zeigen sich enthemmt und scheinen im Krankenhausbett Fantasien ausleben zu wollen. In der Vergangenheit haben Kolleginnen und ich immer wieder erlebt, dass Männer masturbiert haben – und zwar absichtlich in unserer Gegenwart, um uns zu provozieren. Manche Männer, die wir (etwa weil sie beide Arme gebrochen haben) im Intimbereich pflegen müssen, fordern uns auch auf, sie zu befriedigen. Die persönliche Betroffenheit, Scham und mangelnde Unterstützung von der Führungsebene führen dazu, dass man in solchen Situationen als Auszubildende oder junge Kollegin allein dasteht.

Keine Unterstützung von Kolleg:innen oder Vorgesetzten

Wie geht man damit um? In einem Arbeitsumfeld, das verbale und physische sexualisierte Gewalt kaum unterbindet und aufarbeitet?

Ich habe mehrere Arbeitsplätze und Einrichtungen durchlaufen. Nirgendwo habe ich mich professionell unterstützt gefühlt. Von Kolleginnen hörte ich zum Beispiel: „Ach, ignoriere das einfach. Ich habe schon viel Schlimmeres erlebt, du gewöhnst dich daran.“ Das vermittelt schon Auszubildenden ein falsches Verständnis von solchen Situationen. Sie sind Opfer und ihnen geschieht Unrecht, doch das wird als unumgänglicher Normalzustand dargestellt. Nach dem Motto „Boys will be boys“, „Männer sind eben so“.

Auch Vorgesetzte schreiten nicht ein, sondern sagen mir beispielsweise: „Das kann man doch abschütteln, sonst bist du vielleicht falsch im Job?!“ Den Patienten sagen sie, wenn überhaupt, nur: „Das geht so nicht.“ Oft werden Übergriffe aber komplett ignoriert. Für Täter ist das ein Freifahrtschein.

Alle Beteiligten müssen beginnen, diese Problematik ernst zu nehmen und aufzuarbeiten. Zeug:innen müssen sich zu Wort melden. Die Auszubildenden, junge und auch erfahrenere Kolleg:innen müssen lernen, dass dieser Zustand nicht normal ist. Dass nicht sie ein „dickeres Fell“ brauchen, sondern dass jede Person ihre Grenzen respektieren muss. Und Täter müssen Konsequenzen erwarten.

Herzliche Grüße
Juliane Ritter

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Porträt von Juliane Ritter

Juliane Ritter (Name geändert)

… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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