Der Kultur-Brief von Christoph Tiemann | Partei-tituren für „Das Aa-Gold“

Portrait Christoph Tiemann (Kultur-Kolumne)
Mit Christoph Tiemann

Guten Tag,

der Vorhang hebt sich zum finalen Akt der Oper: Wenn der letzte Zettel ausgezählt und der Nachfolger von König Markus gekrönt ist, dann weht in seinem Schatten ein eisiger Wind über die Pflastersteine des Prinzipalmarkts und fegt die ungekreuzten Kommunalkrieger aus dem Friedenssaal hinweg – hinein in die Halle der Gefallenen, ins Wahlhalla.

Dennoch werden die Nichtgewählten noch einige Zeit in unserer Erinnerung und unserem Stadtbild haften bleiben. Denn dass dies die bei der Wahl Abgehängten auch auf ihre Plakate übertragen (also abgehängt werden), das kann dauern. Es gibt zwar Fristen, aber die werden oft wie ein Serviervorschlag betrachtet. Verständlicherweise: Nach einer vergeigten Wahl auch noch den Abgesang auf die Plakate anstimmen zu müssen, ist wirklich eine Strafe für einen, der Dirigentin und Generalmusikdirektor erschlagen hat.

Viel schneller in Vergessenheit geraten die Wahlprogramme, die Partituren für das Kommunalwahl-Konzert; und zwar bei Komponisten wie auch bei den Zuhörern. Daher jetzt ein letzter Blick auf die wenigen Takte (und es sind oft wirklich nur wenige), die in die Kommunalwahl-Partituren zur Kulturpolitik hineinkomponiert wurden, bevor auch sie auf Nimmerwiederhören im Wahlhalla verhallen.

Die Wahlküre SPD (Alt) singt eine Lobesarie auf die Kultur in Münster, lobt die Vereine als Stütze der Gesellschaft, die freie Szene. Auch Stadtmuseum, die Westfälische Schule für Musik und die Stadtbücherei kriegen wohlklingende Hymnen um die Ohren geschallert, wenngleich angemerkt wird, die kulturellen Leistungen sollen nicht an der Innenstadtgrenze verhallen sondern bitteschön auch in den hinteren Reihen der Stadt (aka Gelmer, Angelmodde, Roxel) noch gut zu hören sein. „Hineinwirken“ heißt es wortwörtlich im Libretto. Kämpferisch stimmt die sozialromantische Dame mit dem Arbeiterhelm dann noch die alte Weise an:

„Ein vielfältiges Kulturangebot darf nicht vom Geldbeutel oder Wohnort abhängen.“

Schön gewählt auch der Euphemismus, mit dem die SPD mitschwingen lässt, dass Herr und Frau Münstermann nicht mehr so recht ins Stadttheater strömen. Die SPD will daher mit ihren starken Wahlküren-Armen das Theater zu den Leuten tragen:

„Wir unterstützen Intendanz und Verwaltung in ihrem Bestreben, das Theater noch stärker in die Stadtgesellschaft zu tragen und noch mehr Menschen anzusprechen, insbesondere junge Menschen.“

So tönt es bei der SPD, dasselbe in GRÜN klingt so:

„Die große Unterstützung des Theaters erfordert bei künstlerischer Freiheit und wirtschaftlicher Achtsamkeit eine stärkere Verankerung in der gesamten Stadtgesellschaft.“

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Also erst hintragen, dann festketten. Der Gefangenenchor aus Nabucco lässt grüßen. Die Partitur der Grünen ist ganz klar als jugendlicher Heldentenor geschrieben und scheint gleich den Jägerburschen in Webers Freischütz aus volltönenden Rohren gegen rechts zu feuern: „Erinnerungskultur“, „Nachhaltigkeit in der Kulturproduktion“ und „diversitätssensible Perspektiven“ sind die grünen Töne, die man im Wahlfall anstimmen will.

Apropos Rechts. Die Partitur der AfD trägt tatsächlich den Titel „Die Zukunft ist rechts“. Die Überschrift ist derart pompös, dass inhaltliche Nuancen überflüssig werden. Das spürt man schon am Gewicht dieser Notenblätter für eine Kakophonie. Zum Vergleich: Der grüne Wahlgesang erstreckt sich über 83 Seiten, das Libretto der CDU füllt 71 Seiten, die SPD singt 76 Seiten lang, die Linke sogar 98 – der AfD hingegen reichen 21 nicht zu reichlich beschriebene Seiten,um ihr Grölen zu instrumentalisieren. Wobei noch erwähnt sei, dass gleich 9 der 21 Blätter seitenfüllend von Wahlplakaten bedeckt sind, die den Raum einnehmen, den die Inhaltsleere bietet.

Zur Verdeutlichung ihrer kulturpolitischen Ambitionen auf kommunaler Ebene hat sich die AfD von John Cages 4‘33‘ inspirieren lassen:

„…“

Zur kommunalen Kulturpolitik herrscht nämlich Stille in den Notenblättern dieser Parteitortur. Lediglich das Wort „Leitkultur“ wird hie und da mal eingestreut, ein Wort, das einst Friedrich Merz prägte. Dessen Münsteraner Domspatzen verlieren sich in ihrer Partitur nicht in überkomplizierten Arrangements, sondern schmettern Hits, die die Leute wenigstens auch mal mitsingen können:

„Die CDU setzt sich klar für den Erhalt und die Stärkung der Filmförderung Münster ein – insbesondere für die Formate Tatort und Wilsberg, die bundesweit zur kulturellen Identität der Stadt beitragen.“

Doch mit gewichtigem Bass mahnt die CDU, den ohnehin schon hohlen Klang der Stadtkasse nicht noch weiter auszuhöhlen, sondern anderswo auf Schatzsuche zu gehen:

„Angesichts knapper öffentlicher Mittel befürworten wir zusätzlich alternative Förderansätze. Eine unabhängige Kulturförderung, etwa durch eine private Münsteraner Kulturstiftung, kann dazu beitragen, die vielfältige Kulturlandschaft unserer Stadt langfristig abzusichern.“

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Die freien Sängerknaben von der FDP stimmen ein ganz ähnliches Loblied an auf die edlen Spender, die selbstlos ausreiten, um Künstler:innen an die gönnerhafte Hand zu nehmen und ihre Herzen und Schatzkästchen für die klamme Kultur zu öffnen:

„Neben der städtischen Förderung (…) gehört für uns auch das private Mäzenatentum und Sponsoring dazu. Diese Säule wollen wir ausbauen. (…) Zur Koordinierung der erforderlichen Maßnahmen soll die Stadt einen Mäzenenbeauftragten einsetzen.“

Kurz mal kluggeschissen: Gaius Cilnius Maecenas war der Gönner des Horaz und ermöglichte seinem Schützling, der noch aus einer Familie freigelassener Sklaven stammte, als Dichter zu arbeiten und Grundbesitz zu erwerben. Dankbar schrieb Horaz über seinen Maecen (den ersten):

„Mit starkem Schwung schweb’ ich empor, ein Sänger in Zwiegestalt, ein ärmlicher Sohn, den du in deine Kreise berufen hast, Maecen, mein Freund.“

Das könnte jetzt ein harmonischer Abschlussakkord sein, doch wollen wir bei diesem noblen Ansinnen nur nicht vergessen, dass gerade im Kultursponsoring, so modern das Wort auch klingen mag, immer auch diese Melodie mitschwingt:

„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Tiemann

Portrait von Christoph Tiemann

Christoph Tiemann

ist Schauspieler, Kabarettist, Autor und Moderator. Aufgewachsen ist er in Selm. Zum Studium kam er 1998 nach Münster. Seit über 20 Jahren arbeitet er regelmäßig als Autor und Sprecher für den WDR. 2010 gründete er das Ensemble Theater „ex libris“, mit dem er Literaturklassiker wie „Die drei ???“, Sherlock Holmes und Dracula als multimediale Live-Hörspiele auf die Bühne bringt. Für seine Arbeit hat er viele Preise bekommen.

Der Donnerstags-Brief

Jeden zweiten Donnerstag schicken wir Ihnen im Wechsel den Preußen-Brief von Carsten Schulte und den Kultur-Brief von Christoph Tiemann.

Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir im RUMS-Brief.

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