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Der Preußen-Brief von Carsten Schulte | Ende einer langsamen Entfremdung

Guten Tag,
wer es mit dem SC Preußen Münster hält, muss derzeit einige innere Debatten führen und aushalten. Das ist eigentlich sehr ungewöhnlich, denn in den vergangenen fünf Jahren gab es dazu vergleichsweise wenig Anlass. Zuletzt schon. Denn am frühen Morgen des 27. April teilte der Sportclub mit, dass man eine „schwere Entscheidung“ getroffen habe. Sascha Hildmann, der Aufstiegstrainer und seit fünfeinhalb Jahren eine Konstante an der Seitenlinie, sei freigestellt. Er sei aber stets willkommen in Münster.
Die paar nüchternen Worte am Sonntagmorgen schlugen mächtige Wellen, „das Internet“ reagierte heftig. Der Bösewicht war schnell ausgemacht: Sport-Geschäftsführer Ole Kittner. Er war Adressat einiger übler Beleidigungen. Zugleich kassierten aber auch Gremiumsmitglieder aus dem Vereinspräsidium und dem Beirat der Profiabteilung unhöfliche Wortmeldungen. Tenor: Das sei es dann gewesen mit dem Credo „alle zusammen für Preußen Münster“ und ob man denn noch alle Tassen im Schrank habe. So in der Art.
In die sich kaum beruhigende Wut hinein installierte der SC Preußen ein ganz und gar unverdächtiges Trio. Der U23-Trainer Kieran Schulze-Marmeling übernahm an der Seite von Sören Weinfurtner den Trainerjob, als Teamchef und „Gesicht“ sprang Ex-Nationalspieler Christian Pander ein. Eine interne Lösung also. Und dieses Trio stellte sich den Preußenfans und auch der 2. Bundesliga am vergangenen Freitagabend mit einem 5:0-Sieg beim Aufstiegskandidaten 1. FC Magdeburg vor.
Es war die höchste Heimniederlage der Magdeburger Zweitligageschichte und einer von Münsters höchsten Zweitligasiegen überhaupt. Nicht gerade das Spiel, das sich abgezeichnet hatte.
Die Dinge sind viel komplexer
Genau hier fühlen nun viele Fans der Adler den inneren Spagat, einerseits dem so beliebten Sascha Hildmann hinterherzutrauern und gleichzeitig die Freude über eine deutlich sichtbare Veränderung kaum unterdrücken zu können. Es ist eben alles nicht schwarz und weiß im Fußball, auch wenn gerne behauptet wird, es ginge letztlich nur um 22 Männer und einen Ball.
Tatsächlich sind die Dinge viel komplexer. Um das einzuordnen, genügt eigentlich der Blick auf die zwei Spiele vor Magdeburg. Beim 1. FC Köln präsentierte sich der SCP erschreckend harmlos. Die 1:3-Niederlage klang am Ende nach Zahlen nicht so wild, aber auf dem Platz herrschte ziemliche Orientierungslosigkeit.
Chancenlosigkeit. Das konnte man noch abtun, weil Köln ja nicht ganz der Maßstab für den SCP ist. Dann erarbeitete sich Hildmanns Mannschaft ein 1:1 gegen Darmstadt, aber wie man so hört, war es da schon nicht mehr wirklich Hildmanns Mannschaft.
Hinter den Kulissen war nämlich seit dem ernüchternden Auftritt beim 1. FC Köln erstmals deutlicher zu hören, dass bereits länger schwelende Meinungsverschiedenheiten zwischen Trainerteam und Mannschaft eskaliert waren. Unterschiedliche Auffassungen, die sogar schon länger zurückreichen, bis in die Aufstiegssaison 2023/2024. Probleme, die von sportlichen Erfolgen überlagert wurden und in der Öffentlichkeit völlig unbekannt waren.
Die Nachrichten, die nach dem Köln-Spiel in den einschlägigen WhatsApp-Gruppen die Runde machten, zeichneten daher ein unerwartetes Bild. Es war die Rede davon, dass der Mannschaftsrat beim Sport-Geschäftsführer vorstellig geworden sei. Manche deuteten gar an, dass es eine mittelprächtige „Revolte“ gebe.
Das Team habe sich längst vom Trainer entfremdet. Die Rede war von mangelhafter Vorbereitung auf Gegner und Spiel, von überschaubarer Trainingsqualität, von zu wenig Flexibilität. Dass die ersten Gerüchte anschließend durch eine lange Teamsitzung bestätigt wurden, trug nicht gerade zur Beruhigung bei.
Die Erinnerungen waren wieder da
Das Spiel gegen Darmstadt sollte ein Zeichen setzen für den Willen, gemeinsam das Beste für Preußen Münster zu erreichen. Das 1:1 war aber nur okay. Und irgendwann in den Stunden nach dem Spiel setzte sich dann in den internen Gesprächen der Eindruck durch, dass alles auf mäßigem Niveau stagniere.
Dann kam der Sonntag und dann brachen fünfeinhalb Jahre zusammen. Plötzlich waren auch die Erinnerungen wieder da. All die Trainerentlassungen in den Jahren zuvor. Wir hatten sie fast vergessen und jetzt erinnerte uns ausgerechnet der so besonnene SC Preußen daran, dass Hektik im ruhigsten Klub um sich greifen kann.
Das war schwer auszuhalten, weil in den vergangenen Jahren bei den Adlern vieles vorwärts ging. Alles in allem war es ein ganz langer Anlauf ins Glück. Und weil das so war, konnte sich der SC Preußen den Luxus der Konstanz leisten. Im Fußball ist das nicht Normalität. Alle streben danach, Kontinuität und Geduld werden zu Kardinaltugenden verklärt, aber sind in der Regel das, was zuerst verhökert wird, weil der kurzfristige Erfolg mehr Dopamin verspricht.
Veranstaltung vor Ort 08. Mai 2025, 19:00 Uhr
Jenseits ländlicher Enge – Eine neue Erfahrungsgeschichte der Bundesrepublik
„Was bewegt Münster?“ (#6)
Der Strukturwandel der Landwirtschaft hat das Leben in ländlichen Regionen tiefgreifend verändert – und damit auch die Geschichte der Bundesrepublik geprägt. In einer Podiumsdiskussion sprechen die beiden Historiker Prof. Dr. Ewald Frie und Prof. Dr. Alfons Kenkmann über den Wandel der Arbeitswelt, den Verlust traditioneller Lebensweisen und die Herausforderungen der Gegenwart. Basierend auf Fries Buch „Ein Hof und elf Geschwister“ geht es um persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Entwicklungen und die Frage, wie sich Stadt und Land heute zueinander verhalten.
Die Podiumsdiskussion wird veranstaltet vom Verein „Rund um Münster – Forum für lokale Öffentlichkeit e. V.“ und wird moderiert von der Zeithistorikerin Prof. Dr. Silke Mende.
Wir freuen uns, wenn Sie auch dabei sind! Der Eintritt ist frei.
Der Abschied von Sascha Hildmann tat auch so weh, weil wir uns alle vor der Saison darauf geeinigt hatten, die 2. Bundesliga als gemeinsames Abenteuer zu begreifen, als Wahnsinnsreise, mit der wir nach 33 Jahren Abwesenheit fast nicht mehr gerechnet hatten. Gemeinsam hoch, schlimmstenfalls gemeinsam runter.
Der Sprung von Rödinghausen und Straelen zum Hamburger SV, Schalke und 1. FC Köln war so überragend, so einmalig, dass in der Freude darüber der Gedanke an viele bittere Spiele etwas in den Hintergrund geschoben wurde. Aber so kam es. Unverbrüchlich standen die Fans zu ihrem Team, aber auf dem Spielfeld präsentierte sich der SCP manchmal wackelig. Und natürlich stellten wir auch fest, dass Hannover 96 in der 2. Bundesliga attraktiver ist als Hannover 96 II in der 3. Liga.
Ballgeschiebe von links nach rechts
Nürnberg, Hertha, Schalke sind spektakulärer als Sandhausen, Ingolstadt oder Verl. Wenn ich ganz ehrlich bin, sind die Aussichten auf Drittliga-Gegner wie die TSG Hoffenheim II oder Schweinfurt nicht gerade elektrisierend.
Wo man schon mal in der 2. Bundesliga ist, könnte man auch einfach bleiben, oder? Aber genau daran wurden die Zweifel zuletzt zu groß. Das „Momentum“ – auch so ein wunderbarer Fußballbegriff – blieb aus.
Mühsam war es schon die gesamte Saison, in den vergangenen Wochen wurde es aber fast quälend. Jeder Punkt musste so unglaublich hart erarbeitet werden. Tore fielen nur noch dank zweier Elfmeter. Das Ballgeschiebe von links nach rechts oder hoch und weit nach vorne wurde zum Mittel der Wahl, aber schön war es längst nicht mehr.
Darf man vermuten, dass der Wille zu Kontinuität und auch Loyalität verhinderte, früher die Reißleine zu ziehen? Das ist eine dieser Fragen, die im Kopf herumspukt.

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Die heftige Reaktion auf Hildmanns Freistellung war sicher keine Überraschung, aber wer die Mannschaft anschließend in Magdeburg sah und hörte, was die Spieler über die Spielvorbereitung und den „klaren Matchplan“ sagten, der konnte eben auch ahnen, was für eine Befreiung das gewesen sein musste. Auf dem Platz spielte eine ganz andere Mannschaft, sie wirkte gelöster, im Wortsinn entfesselt. Fünf Zweitligatore! Das gab es zuletzt 1990.
Es ist eines dieser wirklich ausgelutschten Klischees im Fußball, dass plötzlich Dinge mit scheinbarer Leichtigkeit gelingen, die vorher unendlich schwerfielen. Das „Momentum“, das dem SCP zuvor fehlte, meldete sich in Magdeburg kräftig an. Und genau deshalb hing in der vergangenen Woche ein sentimental gestaltetes Pappschild „Sascha Hildmann, danke für alles!“ am Stadioneingang, während anschließend alle Herzen dem neuen SC Preußen zuflogen. Das eine gilt und das andere auch. Das ist der innere Zwiespalt.
Wer gewinnt, hat Recht
Vor anderthalb Wochen gab es viele Fragen. In Magdeburg gab es viele Antworten. Jetzt stellt sich die Frage, wem man böse sein soll. Oder ob überhaupt?
Das weiß der SC Preußen Münster selbst auch nicht so genau. Wie die Dinge so aus dem Ruder laufen konnten, will Ole Kittner erst nach Saisonende im internen Kreis besprechen. „Mit allen Konsequenzen“, wie er zuletzt sagte – noch unter dem Eindruck der heftigen Reaktionen. Jetzt muss man hoffen, dass sich der Sportclub ab Ende Mai nicht in seine Einzelteile zerlegt.
Ein Klassenerhalt dürfte vieles vereinfachen, denn wer gewinnt, hat Recht. Das ist Gesetz im Fußball. Wenn es für den SC Preußen Münster dagegen zurück in die 3. Liga geht, dann ist wohl doch einiges schiefgegangen.
In Magdeburg sandten zumindest die Fans im Gästeblock starke Lebenszeichen. So laut klang das „Alle zusammen für Preußen Münster“ durch die sich leerende Avnet-Arena, dass man glauben möchte, es habe nicht nur am Sieg der Adler gelegen. Das war ermutigend, keine Spur von Selbstzerstörung.
Die nächste Antwort wird der gesamte SCP bereits morgen Abend (Freitag) liefern. Dann erwarten die Preußen die alte Dame aus Berlin, die Hertha, an der Hammer Straße. War das Spiel in Magdeburg ein Stolpern nach vorn? War es ein Schritt auf stabileren Boden? Spürten die Adler kräftigen Aufwind? Oder hat sich die Mannschaft einfach nur mal kurz selbst überholt?
Wenn Sie Antworten suchen, schauen Sie am Freitagabend gegen 20:25 Uhr einmal auf das Ergebnis. Das wird einiges erklären.
Herzliche Grüße
Ihr Carsten Schulte
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Carsten Schulte
…stammt aus dem Münsterland, hat mal Buchhändler gelernt, arbeitet aber seit fast 20 Jahren als Journalist für verschiedene Medienhäuser. Den SC Preußen Münster begleitet er mittlerweile mit seinem eigenen Magazin preussenjournal.de. Von ihm sind auch einige Bücher und Magazine über den Klub erschienen.
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