„Politische Teilhabe ist ein sehr wichtiges Instrument für uns“

Maria Adela Salinas ist seit November 2020 die neue Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Münster.

Maria Ade­la Sali­nas ist seit Novem­ber 2020 die neue Vor­sit­zen­de des Inte­gra­ti­ons­ra­tes der Stadt Müns­ter. Im Inter­view erklärt sie ihre Moti­va­ti­on, sich in dem Gre­mi­um zu enga­gie­ren, erzählt von ihren ers­ten Erfah­run­gen im Amt und beschreibt, wie sich die Arbeit des Inte­gra­ti­ons­ra­tes mit einer weib­li­chen Spit­ze ver­än­dern kann.

TEXT: ALICIA MERCHÁN LINEROS
REDAKTION: CONSTANZE BUSCH
LEKTORAT: LAURA BADURA
TITELFOTO: MERLE TRAUTWEIN

Frau Sali­nas, war­um ist der Inte­gra­ti­ons­rat der Stadt Müns­ter für die Men­schen mit Migra­ti­ons­vor­ge­schich­te so wichtig?

Wir leben in einem frem­den Land und haben nicht nur Pflich­ten, son­dern auch Rech­te – zum Bei­spiel das Recht auf poli­ti­sche Teil­ha­be. Dazu gehört das Recht, Vertreter:innen zu wäh­len und als sol­che gewählt wer­den zu kön­nen. Mit dem Inte­gra­ti­ons­rat brin­gen wir unse­re Per­spek­ti­ve in die städ­ti­schen Gre­mi­en ein, etwa wenn Pro­jek­te für Migrant:innen kon­zi­piert und aus­ge­schrie­ben wer­den. Es soll nicht für uns und über uns ent­schie­den wer­den, ohne dass wir uns betei­li­gen. Des­halb ist die poli­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on ein sehr wich­ti­ges Instru­ment für uns – auch wenn wir bis­her ledig­lich ein Rede­recht, aber kein Stimm­recht haben.

Sie sind im Sep­tem­ber 2020 gewählt wor­den. Gab es ein beson­de­res Erleb­nis bei der Arbeit für den Inte­gra­ti­ons­rat, das Sie in Ihrer Ent­schei­dung bestä­tigt hat?

Als ich gewählt wur­de, war ich mir der damit ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung noch nicht in vol­lem Umfang bewusst. Aber das hat sich schnell geän­dert. Als wir gera­de unser Man­dat ange­tre­ten hat­ten, hat eine Grup­pe von Bewohner:innen beklagt, dass sie in der Zen­tra­len Unter­brin­gungs­ein­rich­tung (ZUE) in Müns­ter schlecht behan­delt wür­den – dem Ort also, an dem Geflüch­te­te unter­ge­bracht wer­den, bevor sie auf die Kom­mu­nen ver­teilt wer­den. Ich ging zusam­men mit vier ande­ren Vertreter:innen hin, die unter­schied­li­che Spra­chen spre­chen. Ein Ver­ant­wort­li­cher sag­te uns, dass er nichts tun wür­de, weil die Vor­wür­fe unbe­grün­det sei­en. Da wur­de mir klar, dass wir vom Inte­gra­ti­ons­rat uns für die Rech­te der dort leben­den und aller ande­ren Geflüch­te­ten sehr stark ein­set­zen müs­sen. Denn in der Ein­rich­tung leben Men­schen, die ihre Hei­mat nicht frei­wil­lig ver­las­sen haben und die wäh­rend ihrer Flucht unvor­stell­ba­re Erfah­run­gen durch­le­ben muss­ten. Sie sind mit viel Hoff­nung in Müns­ter ange­kom­men. Hier wer­den sie von ver­schie­de­nen Insti­tu­tio­nen bera­ten und unter­stützt. Den­noch ist es wich­tig, dass auch wir vom Inte­gra­ti­ons­rat Unter­stüt­zung anbie­ten, das machen wir durch regel­mä­ßi­ge Tref­fen in der ZUE.

Die­se Situa­ti­on hat mir viel Kraft gege­ben. Und seit­dem weiß ich, wie wich­tig der Vor­sitz im Inte­gra­ti­ons­rat für eine gelun­ge­ne Inte­gra­ti­on in unse­rer Stadt ist.

Was waren Ihre ers­ten Erfolge?

Nach viel har­ter Arbeit sind wir nun in 14 Gre­mi­en ver­tre­ten, in Fach­aus­schüs­sen des Rates, aber bei­spiels­wei­se auch in der Kon­fe­renz für Alter und Pfle­ge und in der Kom­mis­si­on für Men­schen mit Behin­de­rung. Das zeigt, dass wir ernst genom­men wer­den, und das ist das Wich­tigs­te für mich. Eines unse­rer Zie­le ist die Bekämp­fung von Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung, die es auch in Müns­ter gibt. Es ist zwar eine vor­bild­li­che Stadt, aber unter der Ober­flä­che sehen wir die­se Pro­ble­me auch hier. Wie schwie­rig ist es für man­che Fach­kräf­te, hier­her zu kom­men und eine Stel­le zu fin­den, die zum Niveau ihres Stu­di­ums passt? Wie vie­le Migrant:innen suchen einen Job und bekom­men ihn nicht, weil sie einen aus­län­di­schen Namen haben? Oder wie vie­le bewer­ben sich ver­geb­lich für eine Woh­nung oder ein Haus, selbst wenn sie genug Geld haben?

Wie kam es dazu, dass Sie den Vor­sitz über­nom­men haben?

Bis­her gab es weni­ge spa­nisch­spra­chi­ge Kandidat:innen für den Inte­gra­ti­ons­rat. Felix Man­ri­que, der bis vor kur­zem im Inte­gra­ti­ons­rat tätig war, hat uns moti­viert, eine spa­nisch­spra­chi­ge Grup­pe zu grün­den, die wir spä­ter aber für Men­schen aller Natio­na­li­tä­ten geöff­net haben. Ich habe für die­se Grup­pe kan­di­diert, bin in den Inte­gra­ti­ons­rat gewählt wor­den und das Gre­mi­um hat mich dann zur Vor­sit­zen­den bestimmt.

Wel­che Her­aus­for­de­run­gen haben Sie in Ihrem Amt erlebt?

Die ver­schie­de­nen Natio­na­li­tä­ten, Men­ta­li­tä­ten und Erfah­run­gen, die jede:r aus dem eige­nen Land mit­bringt, sind eine Her­aus­for­de­rung für uns alle im Inte­gra­ti­ons­rat. Mei­ne per­sön­li­che Her­aus­for­de­rung war es, als Frau den Vor­sitz in einem Gre­mi­um zu über­neh­men, das immer von Män­nern geführt wur­de. Welt­weit sind Frau­en in wich­ti­gen poli­ti­schen Posi­tio­nen ohne­hin weni­ger ver­tre­ten als Män­ner, in eini­gen Län­dern gar nicht. In Müns­ter war der Inte­gra­ti­ons­rat 30 Jah­re lang von Män­nern domi­niert. Heu­te ist das anders. Es gibt nicht nur mich, die Vor­sit­zen­de – fast die Hälf­te der Mit­glie­der sind Frau­en. Das ist übri­gens eine bes­se­re Quo­te als im Stadtrat.

Wel­chen Ein­fluss hat die­se Geschlech­ter­ver­tei­lung auf die The­men, die Sie bearbeiten?

Sie ist sicher ein Grund dafür, dass sich die Arbeits­wei­se des Rates ein wenig geän­dert hat. Wir behan­deln zum Bei­spiel neue The­men wie die Situa­ti­on von Frau­en, die hier­her­kom­men und die Spra­che kaum ler­nen kön­nen, weil sie klei­ne Kin­der haben. Davon gibt es vie­le. Die­se Frau­en sind poten­zi­el­le Opfer ihres Geschlechts, weil sie von ihren Ehe­män­nern – ob Migran­ten oder Deut­sche – abhän­gig sind. Sie ken­nen ihre Rech­te oft nicht. Das ist im Moment eines der wich­tigs­ten The­men, um die Situa­ti­on der Frau­en zu ver­bes­sern. Wir kämp­fen außer­dem für Gleich­be­rech­ti­gung, um die glei­chen Rech­te, die glei­chen Ver­­­dienst- oder Stu­di­en­mög­lich­kei­ten durchzusetzen.

Wie beein­flusst es die Inte­gra­ti­on, dass Sie als Frau das Amt über­nom­men haben?

Es hängt nicht so sehr vom Geschlecht ab, son­dern eher von der Stär­ke der Per­son. Und es kommt auf die Zie­le und Inter­es­sen an. Wir haben die Absicht, für die Men­schen zu arbei­ten, in dem Wis­sen, dass wir nur dort sind, weil die Gemein­schaft uns gewählt hat. Den­noch ist klar, dass für uns Frau­en die Bar­rie­ren grö­ßer sind. Es gibt vie­le Situa­tio­nen, in denen Leu­te dich nicht ernst neh­men, weil du eine Frau bist. Es liegt dann in unse­rer Hand, nicht auf­zu­ge­ben und wei­ter zu kämpfen.

Ändert ein höhe­rer Frau­en­an­teil denn etwas an den Zie­len der Arbeit?

Ich glau­be, die Per­spek­ti­ve einer Frau ist oft fami­li­en­ori­en­tier­ter und mehr auf älte­re Men­schen aus­ge­rich­tet. Des­halb hal­te ich es für wich­tig, ein aus­ge­wo­ge­nes Ver­hält­nis zwi­schen Män­nern und Frau­en zu haben. Das ver­su­che ich auch zu errei­chen, zum Bei­spiel in den Aus­schüs­sen des Stadt­ra­tes. Aber es ist natür­lich nicht mein ein­zi­ges Ziel.

Was haben Sie sich noch vorgenommen?

Dass wir in den Aus­schüs­sen ver­tre­ten sind, öff­net uns Türen. Wir kön­nen unse­re Mei­nung aus der „Migrant:innenperspektive“ äußern. Das ist für uns die ein­zi­ge Mög­lich­keit, poli­tisch zu han­deln. Den gro­ßen Kri­tik­punkt dar­an habe ich eben schon ange­spro­chen: Wir dür­fen in den poli­ti­schen Gre­mi­en nur spre­chen, aber nicht abstim­men. Mit einem sol­chen Abstim­mungs­recht hät­ten wir viel umfas­sen­de­re Mög­lich­kei­ten. Das möch­ten wir errei­chen, aber dafür haben wir eben noch viel Arbeit vor uns. Bis­her kann man bei den Inte­gra­ti­ons­rä­ten lei­der noch nicht von einer gleich­be­rech­tig­ten poli­ti­schen Teil­ha­be sprechen.

Was ist der Integrationsrat?

In jeder Kom­mu­ne in Deutsch­land, in der mehr als 5.000 Migrant:innen leben, haben die­se das Recht auf einen Inte­gra­ti­ons­rat, der sie poli­tisch ver­tritt. Die ers­ten Räte ent­stan­den 1971, weil vie­le Migrant:innen ohne Wahl­recht in Deutsch­land leb­ten. Der Inte­gra­ti­ons­rat der Stadt Müns­ter wur­de im Jahr 1984 gegrün­det, damals noch als Aus­län­der­bei­rat. Heu­te besteht er aus 27 Mit­glie­dern. 18 von ihnen wer­den direkt gewählt, neun wer­den aus der Mit­te des Rates bestellt. Die letz­te Inte­gra­ti­ons­rats­wahl fand im Sep­tem­ber 2020 par­al­lel zur Kom­mu­nal­wahl statt. Fast 10.000 der rund 48.000 wahl­be­rech­tig­ten Müns­te­ra­ne­rin­nen und Müns­te­ra­ner mit Migra­ti­ons­vor­ge­schich­te hat­ten abgestimmt.

Kooperation mit der Hochschule der Medien

Die­ser Text ist im Rah­men eines Aus­bil­dungs­pro­jek­tes in Koope­ra­ti­on mit der Hoch­schu­le der Medi­en in Stutt­gart ent­stan­den. Stu­die­ren­de eines inter­na­tio­na­len Kur­ses zum kon­struk­ti­ven und dia­log­ori­en­tier­ten Jour­na­lis­mus haben für RUMS Inter­views geführt und geschrie­ben. Die Redak­ti­on hat zusam­men mit den Dozent:innen die Stu­die­ren­den bei der The­men­fin­dung, Inter­view­vor­be­rei­tung und Text­be­ar­bei­tung unter­stützt. Die Inter­views ver­öf­fent­li­chen wir nun in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den hier auf unse­rer Web­site.

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