Die Kolumne von Michael Tillmann | Ein Klimakonsens für Münster


Münster, 4. Juni 2023
Guten Tag,
haben Sie schon mal nachgezählt, mit wie vielen Titeln, zugesprochenen oder selbst verliehenen, Münster sich schmückt? Hansestadt, Friedensstadt, Fahrradhauptstadt, Fair-Handelsstadt, Gesundheitsstadt, Biostadt und so weiter, von der lebenswertesten ganz zu schweigen. Nun soll was Neues dazu kommen, bemerkenswerterweise nicht als Gegenwartsattribut, sondern als Zukunftsprojekt.
„Münster wird Klimastadt“ – mit diesem Slogan möchte die Stadt einen weiteren Anlauf starten, größere Teile der Stadtgesellschaft stärker in ihre klimapolitischen Bemühungen einzubinden. Bekanntlich sind diese mit der Zielmarke „Klimaneutralität 2030“ nicht gerade bescheiden. Im Verbund mit 100 europäischen Städten soll modellhaft demonstriert werden, dass das Ziel Klimaneutralität bereits am Ende unseres Jahrzehnts ganz oder weitgehend erreichbar ist.
Schlüssel zum ehrgeizigen Unternehmen soll ein „Klima-Stadt-Vertrag“ sein, in dem Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Schulterschluss ihre Anstrengungen auf dem Wege konkreter Maßnahmen und Selbstverpflichtungen bündeln. Der Startschuss fällt am 15. Juni auf einer Forumsveranstaltung, zu der Oberbürgermeister Markus Lewe in die nagelneue Meranti-Halle des Zoos geladen hat.
Und weil die Halle nur Raum für 120 Menschen hat, wird das Stadtforum live gestreamt, soll aber auch noch anschließend eine Zeit lang abrufbar sein. Anmeldeschluss zur Veranstaltung war der 31. Mai und es bleibt abzuwarten, ob sich hier überwiegend nur die „üblichen Verdächtigen“ einfinden. Besonders große Anstrengungen zur Publizierung des Unternehmens kann man den Organisatoren aus der Stabsstelle Klimaschutz und dem Stadtmarketing nicht nachsagen.
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In der lokalen Berichterstattung blieb der gesamteuropäische Kontext außen vor. Die Ankündigung des Forums war eher eine Randnotiz. Keine gute Voraussetzung für eine breit getragene Bürger:innenbewegung.
Trotz der suboptimalen Startbedingungen: Dem Unternehmen ist breite Zustimmung und Unterstützung zu wünschen.
Skepsis ist bei vielen, zumal aus den Reihen der Klimabewegung, herauszuhören, wenn es um das Projekt Klima-Stadt-Vertrag geht. Aber Skepsis ist häufig weder produktiv noch lösungsorientiert. Das Klimaprojekt ist als ein weitgehend offener Prozess konzipiert. Trotzdem lassen sich einige Bedingungen benennen, die die Erfolgsaussichten erhöhen:
- Veränderung beginnt mit der Wahrnehmung und Beschreibung von Wirklichkeit. Man wird nicht darum herumkommen, wenigstens einiges von dem, was wir in Münster als gemeinsame klimatologische und klimapolitische Analyse und Herausforderung teilen, auch als Konsens festzuhalten.
- Der Begriff „Klimastadt“ ist nicht selbsterklärend. Er wurde von verschiedenen Kommunen teilweise mit sehr unterschiedlichen Inhalten unterlegt. Hier wird es einer Klärung bedürfen, was denn unter Münsters Klimaneutralität 2030 zu verstehen sei. Die Antwort, so genau könne man das nicht sagen, weil zu viele kommunale, nicht beeinflussbare Regelwerke vom Land, vom Bund und von der EU hier hineinspielen, wird nicht ausreichen. Einen harten Kern kommunaler Klimaneutralität wird man sehr wohl identifizieren und benennen können.
- Vorhersehbar ist auch, dass wir uns in Münster über das Maß unserer Verantwortung verständigen müssen – ein Maß, das sich auch in Zahlen ausdrückt. Dazu gehört auf jeden Fall ein aus dem globalen und nationalen CO2-Restbudget abgeleitetes Münster-Budget, das mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Vor einem Jahr hatte für Deutschland der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine entsprechende Berechnung vorgestellt. Das auf Münster herunterzubrechen ist eine Rechenaufgabe, die jede:r Mittelstufenschüler:in lösen kann.
- Gerade weil dieser Prozess die Bürgerschaft stärker als bisher aktivieren und in die Pflicht nehmen will, werden vorhersehbar viele Diskussionen um die Abgrenzung von individueller und politischer Verantwortung kreisen. Mit so schlichten Aussagen wie neulich vom Finanzminister Christian Lindner, nicht der Bundesverkehrsminister verfehle die Klimaziele der Bundesregierung, sondern die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Mobilitätsbedürfnissen, wird jedenfalls ein angemessenes Diskussionniveau deutlich verfehlt. Fragen von Suffizienz und Suffizienzpolitik werden im Prozess eine wichtige Rolle spielen müssen.
Mit diesen Punkten ist noch nichts gesagt über die konkreten Schritte zur kommunalen Klimaneutralität, aber sie bedürfen der Klärung und sollten Eingang finden, beispielsweise in einer Präambel zum geplanten Klima-Stadt-Vertrag.
375 Jahre Westfälischer Friede wird in diesem Jahr gefeiert. Mit einer Reihe von Veranstaltungen poliert die Stadt ihr Image als „Friedensstadt“ auf. Wenn der Titel „Friedensstadt“ mehr sein soll als Marketing, warum wird hier nicht die Verbindung zu dem Projekt „Klimastadt“ gezogen?

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Kaum etwas wird das friedliche Zusammenleben auf unserem Planeten so stören und zerstören wie die sozialen, ökonomischen und politischen Verwerfungen, die mit einer ungebremsten Erderwärmung einhergehen. Das Haus der Niederlande hat das begriffen und eine Tagung angesetzt mit dem Titel „Der neue Friede von Münster“.
Es geht um die Frage, wie aufnahmebereit wir in Deutschland sein werden, wenn große Teile der Niederlande dem Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr standhalten können. Je entschlossener wir in Münster die Herausforderung Klimaneutralität mit allem Ernst und aller Energie anpacken, um so mehr bekommt das Label „Friedensstadt“ Gewicht, Substanz und Berechtigung.
Das Stadtforum wird am 15. Juni ab 17:30 Uhr auf der Seite klimastadt.ms live übertragen. Schauen Sie sich das einfach mal an, am besten zusammen mit Freund:innen, Nachbar:innen oder Kolleg:innen. Vielleicht inspiriert Sie das zu Überlegungen, worin Ihr Beitrag zum Gelingen des Unternehmens „Klimastadt“ bestehen könnte.
Mit herzlichen Grüßen
Michael Tillmann
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Über den Autor
Michael Tillmann hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den Neunzigerjahren engagierte er sich bei der Erarbeitung der „Lokalen Agenda” – einem Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Er ist stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt“ und ist Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“. Michael Tillmann ist 75 Jahre alt, Mitglied bei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkeln.
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Sie haben noch zwei Titel vergessen:
Sonntagsredenhauptstadt und Bürgerïnnenbeteiligungsfolklorestadt.
Es geht nicht um Partizipation der Stadtgesellschaft. Die sieht zwar gut aus, könnte aber im Ergebnis stören und so geht die Stadt den einfachen Weg. Ich erinnere mich an viele verkehrspolitische Diskussionen: einen runden Tisch hier, einen Bürgerworkshop (alternativ: Bürgerïnnen-Forum) dort, eine Ideenwerkstatt an anderer Stelle. Dann noch fix ein Reallabor -natürlich dreiphasig mit Aktions-, Erlebnis- und Diskussionstagen inklusive Ideenpinnwand.
Ein externes Gutachten, das drei Szenarien vorgibt (von denen von vornherein zwei ausscheiden und das dritte in etwa den Vorschlägen der Verwaltung entspricht) über das abgestimmt werden kann.
Viel Perspektive mit wenigen ‚ad hoc Maßnahmen‘, von denen ein guter Teil im Sande verlaufen wird. Letztendlich werden so aus großen Ankündigungen kleine Entschlüsschen,für die die Stadtgesellschaft bitte ein bisschen Kosmetik zu längst getroffen Entscheidungen beitragen möge.
Der bestellte Tanz einer Folkloregruppe.
Stadtplanung beginnt intransparent unter Ausschuss der Öffentlichkeit durch den Beirat für Stadtgestaltung (Zitat: ‚Öffentlicher Teil, Beginn 16:03 Uhr: Festlegung der Tagesordnung. Nicht öffentlicher Teil,Beginn 16:07 Uhr…‘), bestehend aus sieben -auf Vorschlag der in Münster ansässigen Architekten- und Ingenieurverbände- gewählten- Fachleuten.
Deren Votum schließt sich der Rat der Stadt i.d.R. an. Sind halt Fachleute, kann man nichts machen.
Nun, wenn man denn Wind bekommen hat von dieser Veranstaltung, dann hat vielleicht auch die Überschrift „weil es UNS ALLE braucht“ [1] gepaart mit der Frage in der Anmeldung, was denn nun der eigene Beitrag sein soll, abgeschreckt. Denn auch wenn das Abwenden der Klimakatastrophe natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, haben nunmal nicht alle Menschen dieselben Einflussmöglichkeiten. Und eine Stadt, die Neubaugebiete als autofrei framt, weil darunter Tiefgaragen sind, und die ernsthaft Straßenausbau anstrebt, hat die Dramatik und Dimension der notwendigen Anpassungen einfach noch lange nicht verstanden. Wenn dieselben Führungspersönlichkeiten, die Klimaschutz tagtäglich verbocken, dann mit dem all zu bekannten Spielchen der Sozialisierung von Verantwortung schon in der Außenwerbung kommen, ist nun wirklich nicht den Nicht-Mitspielenden vorzuwerfen, dass sie da nicht mitmachen wollen. Aber viele werden ja auch hoffentlich dabei sein und man kann nur hoffen, dass sie und die Vertreterin der Europäischen Kommission Klartext reden.
[1]: https://www.muensterzukunft.de/_Resources/Persistent/4/6/f/6/46f6e37de71a665c7cde5436b5c6d55edc529559/Klima-Stadtforum-Kampagne.png
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