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Das Theater und der boykottierte Boykott | Unbezahlte Werbung: Gievenbecks Späti
Guten Tag,
haben Sie mitbekommen, dass das Theater Münster boykottiert werden soll? Oder besser gesagt nicht allein das Stadttheater, sondern die gesamte deutsche Kulturszene?
Rund eintausend Kulturschaffende aus aller Welt haben ein Manifest unterzeichnet, das den Titel „Strike Germany“ trägt. Zu den Unterstützer:innen zählt auch Annie Ernaux, die Literaturnobelpreisträgerin von 2022.
Die Theateradaption ihres Romans „Der junge Mann“ soll am Valentinstag im Stadttheater Premiere feiern. Als Uraufführung. Viele der darauffolgenden Vorstellungen sind ausverkauft. Fällt jetzt alles aus?
Spulen wir kurz zurück. Worum geht es bei „Strike Germany“? Das Manifest wirft der deutschen Kulturszene vor, mit „McCartyhistischen Maßnahmen“ gegen Künstler:innen vorzugehen, die Israels „genozidale Militäraktion im Gazastreifen“ kritisieren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung werde hierzulande eingeschränkt, vor allem der „Ausdruck von Solidarität mit Palästina“.
„Strike Germany“ begründet das so: Die deutsche Kultur werde vom deutschen Staat finanziert. Und der habe Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt. Deshalb sei es für Kunstschaffende in Deutschland nicht möglich, Israel zu kritisieren.
Über die politischen Urteile und die Argumentation im Boykottaufruf lässt sich sicherlich streiten. Das Theater Münster sah sich jedenfalls dazu gezwungen, Position zu beziehen. Die Leitung weist die „unbegründeten Anschuldigungen“ zurück, die deutsche Kultur ließe sich „zu Sprachrohren einer einseitigen Regierungspolitik“ instrumentalisieren. Die komplette Stellungnahme können Sie hier im Wortlaut nachlesen.
Sollte sich Politik in Kultur einmischen?
Die Unterschrift von Annie Ernaux hat das Stadttheater schließlich „vor die Frage gestellt, ob wir ihretwegen aufgerufen sind, die seit langem geplante Inszenierung ‚Der junge Mann‘ abzusagen.“
Das wäre ein seltener Vorgang, hinter dem eine grundlegende Abwägung steckt: Sollen politische Kriterien plötzlich darüber mitbestimmen, ob ein Theaterstück aufgeführt wird?
Die Theaterleitung entschied sich für „Der junge Mann“. Der Grund: Der Nahostkonflikt spielt im literarischen Werk von Ernaux keine Rolle. Ihre Erzählungen und Romane handeln von Frankreichs Klassengesellschaft und der Rolle der Frau in einer männerdominierten Welt. Darin zeige sich Annie Ernaux „moralisch integer“, schreibt das Theater.
Auch andere Häuser, zum Beispiel in Osnabrück, Hamburg und Weimar, mussten eine Entscheidung treffen. Die Theater wollten ebenfalls Stücke von Annie Ernaux aufführen – und behielten die Vorstellungen im Programm.
Das scheint trotz Boykottaufruf die richtige Entscheidung zu sein. Annie Ernaux mag im Nahostkonflikt eine kontroverse Haltung einnehmen. Die Inszenierungen abzusagen, hätte „Strike Germany“ am Ende in die Karten gespielt. Dann hätte die Kampagne den Fall nutzen können, um zu behaupten: Schaut her, in Deutschland werden politisch unliebsame Kulturschaffende zensiert!
Die Sache wird aber noch grotesker. Der Suhrkamp-Verlag teilt uns auf Anfrage mit: „Annie Ernaux hat den Aufruf ‚Strike Germany‘ unterzeichnet, uns aber gesagt, dass die Veröffentlichungen und Inszenierungen ihrer Texte nicht betroffen sind.“ Anders gesagt: Die Autorin boykottiert ihren eigenen Boykott.
Bei so viel Inkonsequenz frage ich mich: Was will uns die Künstlerin nur damit sagen? (sfo)
Was sagen Sie?
Bei den Demonstrationen gegen die AfD oder für die Demokratie geht es immer wieder um eine Frage: Ist das die richtige Gelegenheit für eine Abrechnung mit der Politik der Ampel-Regierung? Jenna Inhoff, Mitglied im Kreisvorstand der Linken, so steht es in einer Pressemitteilung der Partei: „Wer zu einer Demo geht und erwartet, hier nur Lobesreden zu hören, hat etwas Grundlegendes an ihrer Idee nicht verstanden.“ Auf so einer Demo seien unterschiedliche Meinungen vertreten, und es müsse auch möglich sein, die Ursachen des gesellschaftlichen Rechtsrucks zu diskutieren. Die seien sicher nicht nur bei der AfD zu finden. Wie meistens in der Demokratie ist das eine Meinung von mehreren. Eine andere vertritt zum Beispiel der „Spiegel“-Kolumnist Sascha Lobo, der schreibt: „Es ist vollkommen legitim und sicher manchmal geboten, gegen die Politik der Ampel zu protestieren. Man kann auch durchaus eine gewisse Verschiebung in konservativere Sphären beklagen. Aber wenn einmal mehr als eine Million Menschen auf die Straße gehen gegen Rechtsextremismus und die AfD und man dann glaubt, ausgerechnet die Ampel attackieren zu müssen – dann interessiert man sich nicht wirklich für den Kampf gegen rechts, sondern nur für die Selbstvergewisserung der eigenen Hundertprozentigkeit vor Publikum. Auch um den Preis der Beschädigung der Demokratie selbst.“ Was sagen Sie? Schreiben Sie uns. (rhe)
Wenn Sie am Wochenende unterwegs sind, aber trotzdem ein Zeichen für Demokratie setzen wollen, schauen Sie einmal hier. Die Kampagne „Zusammen gegen Rechts“ hat eine Karte mit allen Anti-AfD-Demonstrationen fürs dieses Wochenende erstellt.
Ein-Satz-Zentrale
+++ Bis zum 9. Februar fallen die Züge zwischen dem Hauptbahnhof und Hamm aus, diesmal nicht wegen eines Lokführerstreiks, sondern weil die Gleise saniert werden. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die neue Zentrale Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete am Pulverschuppen wird voraussichtlich Anfang 2028 fertig. (Westfälische Nachrichten)
+++ Stadtplanung I: Am Donnerstag stellt die Stadt ihre Pläne für das neue Baugebiet in Hiltrup vor. (Stadt Münster)
+++ Stadtplanung II: Die SPD will am 7. Februar um 18 Uhr im Clubhaus des TuS Hiltrup bei einem Bürgerdialog darüber sprechen, wie das Baugebiet aussehen wird. (SPD Münster)
+++ Stadtplanung III: Am 14. Februar erscheinen die Pläne für ein Modellquartier an der Busso-Peus-Straße, in dem 600 Wohnungen und 700 Studierendenapartments entstehen sollen. (Stadt Münster)
+++ Der Notstand in der Altenpflege verschärft sich in Münster, kritisiert das Bündnis „Starke Pflege“. (Westfälische Nachrichten)
+++ Im Restaurant Lux am Domplatz gibt es jetzt Steaks aus dem 3D-Drucker. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Stadtnetze haben Teile einer Tiefbaufirma gekauft, um die Versorgungsnetze besser auszubauen und Personalengpässe abzufedern. (Stadtwerke Münster)
+++ Im Moment haben so viele Leute in Münster einen Job wie noch nie. (Agentur für Arbeit Ahlen-Münster)
+++ Im letzten Jahr sind über 600 Menschen in Münster eingebürgert worden. (Antenne Münster)
+++ Heike Kropff, die seit 2013 bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gearbeitet hat, wird neue Leiterin des LWL-Museumsamtes. (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)
+++ RUMS-Kolumnist Ruprecht Polenz hat in der Debatte um das neue Grundsatzprogramm der CDU den Antrag gestellt, den Begriff „Leitkultur“ aus dem Text zu streichen. (Ruprecht Polenz auf der Plattform, die als „Twitter“ bekannt wurde)
+++ Die Stadt Münster stellt ihren Kanal bei dem Kurznachrichtendienst ein, der früher „Twitter“ hieß, jetzt „X” – also einigen wir uns auf: „Twix”. (Stadt Münster)
Der Kiosk Studis ist nicht nur ein Ort, an dem man Bier und Zigaretten kaufen kann, sondern auch ein Treffpunkt in Gievenbeck. 2008 öffnete der Kiosk beim Studierendenwohnheim am Gescherweg. Dort gibt es nicht nur eine große Auswahl an frischen Getränken und ein kleines Supermarktsortiment, sondern auch frische Brötchen und guten Kaffee. Wenn es wieder wärmer wird, wird auch die Terrasse des Kiosks hergerichtet, die zum Eisessen einlädt. Gievenbecks Späti hat montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr geöffnet. Am Sonntag öffnet er eine Stunde später.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Drinnen und Draußen
Heute hat Fabian Cohrs nach Terminen in den kommenden Tagen gesucht. Das kann er Ihnen empfehlen:
+++ Bald beginnt der Karneval in Münster. Wenn Sie noch was Schönes zum Verkleiden suchen, gehen Sie morgen ins Stadttheater. Das Theater verkauft zwischen 10 und 14 Uhr allerlei ausrangierte Kostüme. Nicht vergessen: vorher Geld abheben. Es werden nämlich nur Barzahlungen akzeptiert.
+++ Im Pumpenhaus wird es morgen Abend gruselig: Mit „Der Untergang des Hauses Usher“ wird eine der bekanntesten Horrorstorys von Edgar Allan Poe aufgeführt. Das Stück handelt vom Niedergang einer einst großen Dynastie. Los geht es um 20 Uhr, Karten gibt es hier.
+++ Am Sonntagvormittag läuft im Cinema der Dokumentarfilm „Kein Brot ohne Spiele“. Die Macherin Susanna Wüstneck thematisiert die vielfältigen Probleme der Kulturszene während der Corona-Pandemie: leere Säle, Online-Konzerte, arbeitslose Veranstaltungstechniker:innen. Beginn ist um 11 Uhr. Regisseurin Wüstneck beantwortet nach der Vorstellung noch ein paar Fragen aus dem Publikum.
+++ Am Dienstag hatten wir Ihnen zwei Vorstellungen im Kleinen Bühnenboden empfohlen (RUMS-Brief). Das Kammertheater inszeniert die Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen von AfD- und CDU-Politiker:innen mit Neonazis als Theaterstück. Beide Termine sind schon ausverkauft. Falls Sie keine Karte bekommen haben, können Sie sich die Inszenierung am 11. Februar im SpecOps anschauen. Anmelden können Sie sich mit einer E-Mail ans Stadtensemble.
+++ Die Uni, der Antisemitismusbeauftragte der Stadt und die Jüdische Gemeinde veranstalten am Dienstag die Haindorf-Lectures. Das Ziel: Hass gegen Jüd:innen bekämpfen. Die Vorträge beginnen um 18 Uhr im Freiherr-vom-Stein-Saal am Domplatz 36. Mit dabei sind die Professorin Julia Bernstein und die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wenn Sie sich die Haindorf-Lectures anhören möchten, müssen Sie sich vorab per E-Mail anmelden.
Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Passen Sie auf sich auf.
Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe
Mitarbeit: Fabian Cohrs (fco), Jan Große Nobis (jgn), Ralf Heimann (rhe), Svenja Stühmeier (sst)
Lektorat: Maria Schubarth
PS
Vor einer Woche standen 20.000 Menschen aus Münster auf dem Domplatz, um gegen die AfD zu demonstrieren. Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ vermutet, es könnte die bisher größte Demo in der Geschichte der Stadt gewesen sein. Mit dabei war auch der Journalist Dirk Walbrühl. Er hat bei „Perspective Daily“ nicht nur seine Eindrücke von der Demonstration geschildert, sondern auch zu der Frage recherchiert, die uns alle wahrscheinlich im Moment bewegt: Was kann der Protest gegen Rechts bewirken? Die Antwort finden Sie in seinem lesenswerten Artikel, den ich Ihnen heute schenke. (sfo)
PPS
Guter Journalismus beantwortet nicht nur wichtige Fragen. Er erklärt die Themen verständlich und das möglichst für alle Menschen. Eine Möglichkeit ist, journalistische Texte in Leichte Sprache zu übersetzen. Das ist grob gesagt eine vereinfachte und barrierefreie Variante des Deutschen. Sie richtet sich an Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Mühe haben, Texte zu lesen. RUMS-Kollegin Constanze Busch ist Übersetzerin für Leichte Sprache. Sie hat für Correctiv die Recherche über das Potsdamer Geheimtreffen übersetzt. Teilen Sie den Text gerne. (sfo)
PPPS
Heute will es gar nicht aufhören mit den nachgereichten Häppchen. Wir weisen ja immer gern auf interessante Texte von anderen hin: David Holzapfel, der bei seinem Besuch mit der Reportageschule Reutlingen vor zwei Jahren für RUMS das Pfandhaus an der Hafenstraße porträtiert hat, arbeitet mittlerweile für das Magazin „Stern“. In dieser Woche hat er an der Titelgeschichte mitgeschrieben. Es geht darum, was die Reichsbürger mit Deutschland vorgehabt hätten, wenn sie nicht aufgeflogen wären. Kleiner Tipp dazu: Mit einem Stadtbüchereiausweis und der kostenlosen Onleihe-App können Sie das Magazin kostenlos lesen. Und noch eine weitere Empfehlung: Didem Ozan, die früher für die Grünen in Münster im Rat saß, hat für „Zeit Online“ darüber geschrieben, wie es ist, seit Langem mal wieder ein eigenes Zimmer zu haben – und warum das als Frau gar nicht so selbstverständlich ist. Jetzt aber endgültig: ein schönes Wochenende! (rhe)