Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | Heilige Bürokrazia!

Porträt von Michael Jung
Mit Michael Jung

Guten Tag,

im Bundestagswahlkampf war viel davon die Rede, dass Bürokratie abgebaut werden soll. Vor allem die Wirtschaft sieht sich überrollt von immer neuen Berichtspflichten und Anforderungen; entsprechend laut sind die Klagen. In der Praxis zeigt sich dann oft: Bürokratieabbau ist vor allem in Sonntagsreden einfach, in der Realität viel weniger. Denn hinter jeder Regelung steckt ein Ziel, und hinter jeder Vorgabe auch eine Verwaltung, die sie für wichtig hält.

Ich möchte Sie heute mitnehmen in die Welt der städtischen Bürokratie – also zu solchen Regelungen, die es nur in Münster gibt und die nicht auf Grund von Bundes- oder Landesvorgaben existieren, sondern nur, weil Rat und Verwaltung in unserer Stadt es so wollen. Für keine dieser Regelungen existiert eine gesetzliche Verpflichtung. Hier sind die schönsten Ergebnisse der heiligen Bürokrazia in Münster.

Beispiel 1: Viereckig kommt nicht in Frage

Wenn Sie in Münsters Innenstadt die Außengastronomie nutzen, wird Ihnen vermutlich entgangen sein, mit welcher Hingabe die Expert:innen von Münster-Marketing, des Planungsamtes, des Ordnungsamtes und der Wirtschaftsförderung– selbstverständlich im Einvernehmen mit handverlesenen Gastronomen – festgelegt haben, was an Tischen und Stühlen in Frage kommt und was nicht.

So existiert seit gut zwanzig Jahren, letztmalig aktualisiert im Jahre 2009, ein „Möblierungsknigge“ für die Außengastronomie in der Altstadt: „Tisch und Stuhl auf Münsters Pflaster“ heißt das 21-seitige Elaborat, das Sie hier ansehen können. Dort ist die Altstadt in zwei, wenn man genauer hinschaut aber drei Zonen eingeteilt: historischer Kern, die Zonen B1 (restlicher Kern) und B2 (Kuhviertel und äußere Zonen), und das ist die Grundlage für – sagen wir es vorsichtig – recht kleinteilige Vorgaben.

So ist zum Beispiel ein Tisch mit Stahlgestell und Holzplatte zwar im Kuhviertel erlaubt, aber ansonsten „nur im Einzelfall“. Ist das Gestell allerdings aus Edelstahl, dann ist der Tisch für die erwiesenermaßen edle Altstadt auch erlaubt. Ein Tisch aus Aluminium dagegen, matt und gebürstet, geht wiederum überall, aber für den historischen Kern ist er tabu.

Einer Begründung bedürfen solche Vorgaben natürlich nicht, dürfen wir doch davon ausgehen, dass die Verwaltung mit der gesammelten Kompetenz von vier Fachämtern und die von ihr auserlesenen Gastronomen und eine Gastronomie-Vertreterin (das musste für die Quote auch reichen) den besten Geschmack haben, und da braucht es keine Erklärungen.

Für die Sitzmöbel gibt es ähnlich detailreiche Vorgaben, ebenso für die Sonnenschirme – hier ist eine quadratische Form streng verboten. Und für alle, denen ein Text allein nicht ausreicht, gibt es auch bildliche Vorgaben, wie die Dinge auszusehen haben. Diese Vorgabe regelt so ziemlich jedes Detail, und man kann sich gut vorstellen, wie über Wochen und Monate die Mitarbeiter:innen von vier Fachämtern und von ausgewählten Gastronomie-Betrieben die Dinge diskutiert, die Stühle probegesessen und sich die Köpfe heißdiskutiert haben.

Herausgekommen ist eine verbindliche Vorgabe, die die Stadt natürlich über ihren Genehmigungsvorbehalt für Außengastronomie auch durchzusetzen weiß. Schön daran ist auch, dass sie seit 16 Jahren nicht überarbeitet wurde. Innovationen sind jedenfalls nicht gefragt und neue Konzepte offenbar auch nicht.

Und so können wir uns alle über eine gediegene Außengastronomie freuen, die dank der 21-seitigen Verwaltungsvorgabe genau reglementiert ist. Und wir sollten der Verwaltung sehr dankbar dafür sein, dass sie uns vor dem Grauen eines viereckigen Sonnenschirms in der Altstadt bisher bewahrt hat!

Wenn Sie jetzt denken, das war’s schon, liegen Sie falsch: Natürlich hat die Verwaltung auch noch ein 64-seitiges Papier erstellt, wie Straßen und Grünflächen auszusehen haben, darin finden Sie etwa allein sieben Seiten über Leuchten (alles, was über das Aussehen von Aufsatzleuchten, Auslegerleuchten, Kofferleuchten, Seilleuchten, Stelen, Sonderleuchten und Tunnelleuchten zu beachten ist).

Während anderswo die Wirtschaft unter der Last bürokratischer Vorgaben zusammenbricht, sieht es in Münster erfreulicherweise anders aus: Hier möchte die lokale Wirtschaft – richtigerweise verstanden als die lokalen Immobilieneigentümer – hinter so viel Lust an der kleinteiligen Vorgabe natürlich nicht zurückstehen und hat in Ergänzung zur Verwaltung dann auch gleich noch ein eigenes Gestaltungskonzept nur für das Bahnhofsviertel verfasst, das sich natürlich auch durch hohe Regulierungsfreude und große Detailverliebtheit auszeichnet.

So wünscht man sich als Verwaltung die Wirtschaft, echte Partner in der Regulierung, keine Motzkoffer in Sachen Bürokratieabbau.

Beispiel 2: Ein Mythos für sich: Die Gebäudeleitlinien

Ein weiteres, mit Anlagen 105-seitiges bürokratisches Gesamtkunstwerk ist neulich mal wieder in die politische Diskussion gerutscht: die Gebäudeleitlinien. Die CDU-Ratsfraktion hatte kürzlich mal extern nachrechnen lassen, wie sehr diese Vorhaben die Herstellungskosten von Wohnraum in Münster treiben. Allerdings hatte sie dabei die Kleinigkeit übersehen, dass die Gebäudeleitlinien nur für städtische Gebäude gelten.

So zeigte sich auch hier wieder: Wer Bürokratieabbau will und sich mit der Verwaltung zanken will, sollte erstmal selbst nachlesen, worum es geht. Damit reduzierte die CDU die Wirkung ihrer Kritik doch beträchtlich, dabei gäbe es einiges zu sagen zu diesen Vorgaben.

Auch sie zeichnen sich durch eine große Lust aufs Detail aus. Auf 105 Seiten ist dort alles geregelt, vom Aussehen des Fensterglases und dem notwendigen Vogelschutz bis hin zur Toilettenbürste (natürlich mit Fotovorgabe). Immer wieder dreht sich die politische Debatte um Details dieser über Jahre entstandenen und immer wieder erweiterten und modifizierten Vorgaben.

Für viele erfahrene Ratsmitglieder und für Menschen aus der Bauwirtschaft ist klar: Es sind genau diese detailverliebten Vorschriften, die das Bauen öffentlicher Gebäude in unserer Stadt so langwierig und so teuer machen. Natürlich lassen sich die Auftragnehmer der Stadt den zusätzlichen bürokratischen Aufwand auch gut bezahlen, die Vorgaben von Verwaltung und Kommunalpolitik in jedem Detail zu beachten und damit eben auch oft münstertypische Sonderlösungen zu schaffen.

Dazu muss man wissen: Es ist nicht so, dass ohne solche Leitlinien jeder öffentliche Gebäude bauen kann, wie er will. Natürlich gibt es eine Landesbauordnung, die ebenfalls sehr genaue Vorgaben zur Bauausführung macht, und natürlich gibt es darüber hinaus DIN-Normen und vieles mehr.

Die Gebäudeleitlinien der Stadt sind dagegen eine rein kommunale Vorgabe für die städtischen Ausschreibungen selbst, die zum Teil diese übergeordnete Normen übernehmen, sie aber oft verschärfen. Die Stadt gibt also für ihre eigenen Gebäude strengere Vorgaben aus, und natürlich treibt das die Kosten für die Ausführung in die Höhe.

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Dabei orientiert sich die Stadt – 105 Seiten sprechen eine deutliche Sprache – an einer kleinteiligen Steuerung im Detail. Das ginge durchaus anders: Die allermeisten Städte und Gemeinden besitzen überhaupt keine eigenen Gebäudeleitlinien, und das sagt einiges über deren Notwendigkeit aus.

Schulen, Verwaltungsgebäude und alle anderen Funktionsbauten entstehen dort auch – allein nach Landesbauordnung und DIN-Normen und anderen übergeordneten Bauvorschriften. Vielleicht wäre die Stadt Münster am besten beraten, nicht über immer neue Details der Gebäudeleitlinien zu diskutieren, sondern einfach auf diese zu verzichten.

Das würde es der Stadt nämlich ermöglichen, zu einer effektiven Steuerung der Bauvorhaben zu gelangen. Dabei sollten zwei Kriterien entscheidend sein: Der Klimaschutz und der Preis. Konkret würde die Stadt dann Emissionsziele und Energiebedarf über die Betriebslaufzeit und andere outputorientierte Steuerungskennzahlen vorgeben, und den Preis.

Und sie würde es den Ausführenden überlassen, wie diese im Einklang mit den übergeordneten Bauvorschriften diese Ziele erreichen. Das würde allerdings dazu führen, dass man auf Vorgaben zu Toilettenbürsten in Anlage 5 leider verzichten müsste.

Deswegen ist es viel angenehmer, wenn man etliche Verwaltungsmitarbeiter damit beschäftigen kann, die Einhaltung der kleinteiligsten Vorgaben der Leitlinien zu überwachen, anstatt die großen Ziele klimaschützenden und preisbewussten Bauens zu erreichen.

Das kostet in jeder Hinsicht, und so dürften die Gebäudeleitlinien wohl die teuerste bürokratische Vorgabe sein, die Münster sich gönnt. Sie sind das prominenteste Beispiel dafür, dass die Stadt auf allgemeine Vorschriften immer noch mehr draufsatteln kann. Ein Grundproblem ist in Münster, dass einige das sogar als politische Aufgabe betrachten.

Beispiel 3: Münsters eigenes kleines Heizungsgesetz

In genau dieses Muster passt auch das, was man Münsters eigenes kleines Heizungsgesetz nennen kann. Münster fördert seit vielen Jahren die Altbausanierung mit kommunalen Zuschüssen, früher waren das eine knappe halbe Million Euro, heute sind es mittlere siebenstellige Beträge. Das ist schön für alle Menschen, die Immobilien besitzen, und davon gibt es in Münster ja nicht wenige.

In den letzten Jahren ist unter grüner Ägide aus den einstigen Zuschüssen zur Altbausanierung ein eigenes kleines kommunales Heizungsgesetz geworden. Jeder, der eine Immobilie in Münster besitzt, kann kommunale Zuschüsse zu deren energetischer Sanierung und für den Heizungstausch beantragen. Der Antrag, der natürlich von dafür eingestellten Mitarbeitenden in der Stadtverwaltung genauestens geprüft wird, findet sich hier.

Hier kann auf der Grundlage eines von einem Energieberater zu erstellenden individuellen Sanierungsfahrplans für zahlreiche Sanierungsvorhaben im Wohngebäudebestand eine beträchtliche kommunale Förderung von mehreren tausend Euro beantragt werden. Das Faszinierende daran ist: Die Stadt fördert damit exakt dasselbe wie der Bund mit dem Gebäudeenergiegesetz, sie etabliert ein eigenes Antragsverfahren mit eigenen Verwaltungskapazitäten zu denselben Fragestellungen, die auch bei der bundeseigenen Förderbank KfW bearbeitet werden, und der Zuschuss kann zusätzlich zu den KfW-Mitteln beantragt werden.

Das bedeutet: Wer nach dem Gebäudeenergiegesetz (also der Lex Habeck) mindestens 35 Prozent, aber oft bis zu 50 oder 70 Prozent der Kosten vom Bund erstattet bekommt, der bekommt von der Stadt noch ein paar tausend Euro obendrauf. Allerdings ist die Stadt strenger als Robert Habeck es war: Auch wenn Sie nur die Heizung austauschen wollen, müssen Sie trotzdem einen kompletten Sanierungsfahrplan vorlegen. Der kostet beim Energieberater in etwa so viel wie der städtische Zuschuss – und landet damit im Grunde direkt beim Energieberatungsunternehmen, obwohl Sie diese Leistung für den reinen Heizungstausch gar nicht brauchen.

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Das Erstaunliche an der ganzen städtischen Regelung ist aber, dass sie eine millionenschwere Subvention von Immobilienbesitzenden und Energieberatungsunternehmen in der Stadt darstellt, die ohne jeden klimapolitischen Zusatznutzen bleibt – die Stadt legt eine detailgetreue Kopie des Heizungsgesetzes auf kommunaler Ebene vor, die ausschließlich Mitnahmeeffekte produziert: Wer macht ernsthaft bei Kostenerstattungen von 35 bis 70 Prozent durch den Bund seine Sanierungsentscheidung noch von ein paar weiteren tausend Euro von der Stadt abhängig?

Hier zeigt sich, wie man Klimaschutz nicht macht: maximaler kommunaler Verwaltungsaufwand und -kosten, kein Zusatznutzen über die Bundesregelungen hinaus, und eine sozial extrem einseitige Bezuschussung in die Taschen von Immobilienbesitzenden – diese Millionen würde die Stadt besser in Klimaschutzprojekte investieren, die einen zusätzlichen Nutzen haben.

Kaum eine in den letzten Jahren neu entwickelte bürokratische Regelung der Stadt ist so ärgerlich wie diese. Und das nicht, weil die Förderung der energetischen Sanierung von Wohngebäuden falsch wäre, sondern deswegen, weil sie als kommunaler Klon des Habeck-Gesetzes nichts weiter schafft als Mitnahmeeffekte.

Das waren drei Beispiele für kommunale Bürokratie. Die Liste ließe sich beliebig verlängern, aber sie zeigen schon das Grundproblem: Die Lust der Verwaltung und der Kommunalpolitik in Münster, Regelungen der Bundes- und Landespolitik noch durch münsterspezifische Regelungen zu verschärfen, kostet Zeit, Personal und vor allem viel Geld.

Es wäre an der Zeit, stärker in Lösungen und Umsetzung als in detailverliebten Normierungen zu denken.

Herzliche Grüße

Ihr Michael Jung

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