Rats-TV-Premiere | Wie Münster klimaneutral werden könnte | Kräuterregal

Porträt von Constanze Busch
Mit Constanze Busch

Guten Tag,

haben Sie am Mittwochabend auch reingeschaltet? Es war ja ein großes Streaming-Ereignis, zum ersten Mal überhaupt konnte man die Diskussionen im Stadtrat zuhause am Bildschirm mitverfolgen. Die Stadt hatte das sehr professionell aufgezogen, die Bild- und Tonqualität waren hervorragend. Mehrere Kameras waren in der Halle Münsterland verteilt, wo die Ratssitzung coronabedingt wieder stattfand. Eine davon war auf das Pult des Oberbürgermeisters gerichtet, der den Abend gewohnt launig moderierte und zwischendurch auch Erklärungen für die Menschen einschob, die sich digital zugeschaltet und vorher vielleicht noch nie eine Ratssitzung erlebt hatten. Zwei weitere Kameras holten die Ratsmitglieder in die Nahansicht, die gerade das Wort hatten. Dazu wurden Name und Partei eingeblendet. Und wer genau hinschaute, konnte auch erspähen, ob die Politiker:innen zwischendurch lieber Obst, Sandwich oder Gummibärchen essen.

Pünktlich um 20:15 Uhr verabschiedete Markus Lewe alle virtuell und vor Ort anwesenden Gäste. Der öffentliche Teil der Sitzung hatte damit weniger als vier Stunden gedauert, nicht schlecht für eine Tagesordnung mit 60 Haupt- und noch mehr Unterpunkten. Aber es schloss ja auch ein weiteres Fernseh-Ereignis an, Sie wissen schon, das mit dem Regenbogen.

Klimadiskussion wird vorgezogen, bekommt aber keine Verlängerung

Das merkte man auch direkt zu Beginn des Abends. Eines der Hauptthemen war eine Konzeptstudie, in der es darum geht, ob und wie Münster bis 2030 klimaneutral werden kann. Auf Antrag von Franz Pohlmann (ÖDP) wurde der Tagesordnungspunkt vorverlegt, „damit die anwesenden Klimaaktivist:innen Fußball schauen können“. Pohlmann hätte außerdem gerne die Diskussionszeit für dieses Thema von 30 auf 60 Minuten erhöht, so wie es der Rat im Mai schon bei der Debatte über den Flyover gemacht hatte. Für diesen Vorschlag fand sich allerdings keine Mehrheit.

Passenderweise begannen die inhaltlichen Debatten dann auch gleich mit dem Klima. Eine Einwohnerin wollte von den Ratsmitgliedern wissen, ob Münster aus ihrer Sicht die erste klimaneutrale Stadt Deutschlands werden solle, so wie Markus Lewe es in einem Interview angekündigt hatte. Die Antworten bewegten sich in den erwartbaren Bahnen, ebenso wie die Debatte über die Klimastudie. Ich umreiße sie hier mal ganz kurz, damit wir noch genug Zeit für die Studie selbst haben: „Ja, natürlich wollen wir Münster klimaneutral machen, wir wollen schließlich den Planeten erhalten“; „Wir müssen die Bürger:innen mitnehmen und soziale Belange beachten“; „Wir wollen ehrgeizig sein, müssen aber auch realistisch bleiben, und die Ziele sind ja ganz schön ambitioniert.“

Klimaneutral bis 2030? Das wird eng.

Soweit die bekannten Argumente. Aber was steht denn jetzt in der Studie: Kann Münster es schaffen, bis 2030 klimaneutral zu werden? Die Antwort, die die Studie darauf gibt, lautet: Ja, aber. Aber es ist eine riesige Herausforderung, wirklich alle müssten mitmachen, und es wird natürlich teuer.

Das Dokument, das die Stadt jetzt veröffentlicht hat, ist nicht die ganze Studie. An einigen Fragen wird gerade noch gearbeitet, im Herbst sollen die Autor:innen die finale Fassung vorlegen. Was das Papier schon beantwortet: Was muss sich in welchen Bereichen in Münster ändern, um bis 2030 die Treibhausgasemissionen quasi auf null zu senken? Hier ein grober Überblick über die formulierten Ziele, die Kosten, die die Autor:innen überschlagen haben, sowie einige Vergleichszahlen, die wir für Sie recherchiert haben:

  • Bis 2030 soll es 50 Prozent weniger Autoverkehr geben, und es sollen dann nur noch Elektroautos fahren. Die privaten Halter:innen müssten insgesamt 1,2 Milliarden Euro für den Austausch der „Flotte“ zahlen; die Stadt hat auf diese Kaufentscheidungen keinen direkten Einfluss. Die Stadt müsste 265 Millionen Euro in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNV stecken.
  • 8 Prozent der Gewerbe- und Wohngebäude in der Stadt müssten jährlich energetisch saniert werden, aktuell liegt die Quote laut einer Schätzung der Stadt bei einem Prozent. Kostenpunkt für die gesamten Sanierungen: 9,5 Milliarden Euro. Die Entscheidung über diese Investitionen liegt natürlich nicht bei der Stadt, sondern bei den Eigentümer:innen und beim Bund, der möglicherweise Fördermittel bewilligt. Sonst lohnt sich eine Sanierung für die Eigentümer:innen unter Umständen nicht, die Studie spricht freundlich von einer „Wirtschaftlichkeitslücke“. Und nennt gleich noch ein Problem, nämlich den Fachkräftemangel. Denn irgendwer muss das ganze Dämmmaterial und dichtere Fenster ja auf und in die Häuser bringen.
  • Neubauten sollen nur noch als klimaneutrale oder Plus-Energie-Gebäude geplant werden. Nachfrage bei der Stadt: Gibt es eine entsprechende Vorgabe für die Baugebiete auf den Flächen der ehemaligen York- und Oxford-Kasernen, wo insgesamt 3.000 Wohnungen entstehen sollen? Die Stadt-Tochter Konvoy, die die Flächen umgestaltet und plant, könne „zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts zu dem Thema Niedrig- oder Plus-Energie-Bauweise sagen“, schreibt uns die Stadt.
  • 100 Prozent Ökostrom bis 2030. Kosten: 3,6 Milliarden Euro für den Ausbau der Photovoltaik (bisher sind laut Stadt etwa 95 Prozent der geeigneten Dachflächen noch ungenutzt), 117 Millionen Euro für 30 neue Windkraftanlagen.
  • 100 Prozent Wärme und Fernwärme aus Erneuerbaren Energien bis 2030. Kosten: 445 Millionen Euro für „Grüne Fernwärme“, 221 Millionen Euro für die Umrüstung von Heizungen, in denen ja kein Öl oder Erdgas mehr verbrannt werden soll. Laut Studie könnte das im Jahr 2030 gut 60 Euro Mehrkosten pro Haushalt und Jahr bedeuten (die gesamten Mehrkosten von 11 Millionen Euro geteilt durch 175.000 Haushalte, die dann für Münster angenommen werden).
  • Unternehmen sollen komplett klimaneutral arbeiten und produzieren. Die Kosten dafür lassen sich schwer kalkulieren, werden in der Studie aber grob auf 120 bis 140 Millionen Euro geschätzt (Einsparungen durch Umrüstungen und Umbauten sind da schon eingepreist). Die Unternehmen müssten diese Summe fast ausschließlich allein stemmen. Der direkte Handlungsspielraum der Stadt ist in diesem Bereich mit 6,5 Prozent sehr klein, sie könne ansonsten nur gute Rahmenbedingungen für die Unternehmen schaffen, heißt es vage.
  • „Klimaschonende Entscheidungen“ tauchen im Bericht als eigenes Handlungsfeld auf, das ist vor allem eine Aufgabe für die Stadtgesellschaft. Mindestens ein Viertel der Bürger:innen müssten „aktiviert“ werden, sie sollen offenbar die übrigen 75 Prozent motivieren und mitziehen. Die Stadt will dazu 7 Millionen Euro in ihre Kommunikation investieren.

Wann geht es denn endlich los?

Sie sehen schon, das wird eng bis 2030. Um dieses ambitionierte Ziel tatsächlich zu erreichen, blieben weniger als acht Jahre Zeit. Denn es soll erst im zweiten Quartal 2022 mit der Umsetzung losgehen. In der finalen Studie sollen zwar auch einige Vorschläge für Ad-Hoc-Maßnahmen stehen, die die Stadt direkt in Angriff nehmen könnte. Die meisten Maßnahmen müssen allerdings erst noch entwickelt werden. Denn in der Studie sind ja nur Ziele aufgeführt. Wie die erreicht werden sollen, steht nicht darin. Die Autor:innen haben dazu ein paar schöne Sätze in ihr Papier geschrieben: Die Konzeptstudie „beantwortet nicht die Frage der Machbarkeit. Diese muss im Rahmen der Einzelfallbetrachtungen in einem (…) verwaltungsinternen Prozess des Konzerns Stadt Münster beantwortet werden.“ Ausdrücklich erst, wenn die finale Fassung vorliegt, soll die Stadt eine „umsetzungsbezogene Transformationsstrategie“ erarbeiten.

Die Politik wird da natürlich auch noch vieles ausdiskutieren müssen, und bei den meisten Punkten muss die Umsetzung ja erst mal vorbereitet werden. Das wird sich laut dem Plan der Stadt bis ins erste Quartal 2022 hinziehen. Gleichzeitig will die Stadt eine Klimaschutz-Kommunikationsstrategie ausarbeiten, mit der sie den „gesamtstädtischen Transformationsprozess“ begleiten will. Lustigerweise tun die Studienautor:innen so, als hätte Münster noch zehn Jahre Zeit für das Projekt. „Wie kann ein Weg zum Ziel von 2020 bis 2030 aussehen?“, fragen sie im Kapitel 5 („Herausforderungen“), das vor gut drei Wochen veröffentlicht wurde.

Zu den Herausforderungen gehört auch, dass die Stadt Münster nur einige Hebel selbst in der Hand hat. Sie kann verbindliche Standards für neue Gebäude setzen, Förderprogramme auflegen und ihre eigenen Gebäude sanieren. Sie kann außerdem indirekt ein klimafreundliches Verhalten der Bürger:innen beeinflussen, etwa indem sie einen kostenlosen ÖPNV anbietet (das ist ein Beispiel in der Studie, keine Absichtserklärung) oder Hauseigentümer:innen zur energetischen Sanierung berät. Laut Studie können Stadt und Stadtgesellschaft zusammen etwa 50 Prozent der Einsparziele aus eigener Kraft erreichen. Der Rest liegt bei Bund, Land, EU und Wirtschaftsunternehmen.

Es wäre schon besser, wir schaffen das

Es wäre ganz gut, wenn Münster und der Rest der Welt es schaffen oder zumindest so weit wie möglich an das Ziel herankommen würden. Gerade hat die Bundesregierung eine neue Risikoanalyse veröffentlicht, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Deutschland beschäftigt. Sie können es sich wahrscheinlich in etwa denken, die Aussichten sind düster: Ökosysteme, die biologische Vielfalt und die Gesundheit der Menschen sind bedroht, Letztere unter anderem durch Hitzewellen und schlechtere Luft.

In dieser Woche ist außerdem ein neuer, noch unveröffentlichter Bericht des Weltklimarates IPCC in Teilen doch schon öffentlich geworden. Die Prognose: Wenn die Erde sich um mehr als 1,5 Grad erwärmt, gibt es viel mehr Hitzewellen, Hunger, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. „Klimaschutzmaßnahmen zahlten sich insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte aus und könnten die Menschheit vor dem Aussterben bewahren“, zitiert die Tagesschau den Bericht.

Bündnis Klimaentscheid macht neue Vorschläge

Um das zu verhindern, sieht der Weltklimarat nicht nur Staatsregierungen in der Pflicht, sondern auch Kommunen und Bürger:innen.

Und damit wären wir wieder in Münster. Die Stadt will das Ganze tatsächlich auch nicht allein regeln. Die Bürger:innen sollen natürlich möglichst klimafreundlich leben, aber auch die Transformation der Stadt mitgestalten. „Weitere Vorschläge und Maßnahmen sind ausdrücklich erwünscht und erforderlich“, wird Umweltdezernent Matthias Peck in der Pressemitteilung zur Konzeptstudie zitiert.

Inzwischen liegt schon ein ganzes Paket neuer Vorschläge bei der Stadt, es kommt aus der Zivilgesellschaft: Das Bündnis Klimaentscheid, dem unter anderem die Gruppen Fridays for Future, Greenpeace und Nabu angehören, hat das Papier erarbeitet und eingereicht. Die Aktivist:innen fordern darin mehr Bürger:innenbeteiligung und schlagen zahlreiche Maßnahmen vor, um auch die Land- und Forstwirtschaft sowie die städtische Grünflächenbewirtschaftung klimaneutral zu machen. Der Rat wird im Herbst über die Anregungen diskutieren.

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Bei den nächsten Meilensteinen (2.000, 2.250, 2.500) werden wir als Dankeschön weitere Workshops veranstalten. Genaueres dazu lesen Sie hier. Sie können uns dafür auch gern Organisationen vorschlagen, die Ihnen am Herzen liegen. Schreiben Sie uns dazu einfach an diese Adresse. Wie sich unsere Aktion entwickelt, teilen wir Ihnen ab jetzt regelmäßig in unserem Brief mit. Sobald Corona es zulässt und wir die ersten Workshops umsetzen können, werden wir diese auch dokumentieren.

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Wer soll das alles bezahlen?

Noch einmal zurück zu den Vorschlägen aus der Konzeptstudie. Vielleicht haben Sie die Kosten, die ich in der Liste aufgeführt habe, schon zusammengerechnet. Falls nicht, verrate ich Ihnen die Summe: Es sind knapp 15,5 Milliarden Euro, die die Stadt, die Bürger:innen und die Unternehmen zusammen aufbringen müssten.

Diese Zahl kann bisher zwar nur zur Orientierung dienen, weil die Studienautor:innen ja noch keine konkreten Maßnahmen geplant und entsprechend alles nur grob überschlagen haben. Aber in dieser Größenordnung werden sich die Kosten für den Klimaschutz wohl bewegen. Die Westfälischen Nachrichten haben einen Text zum Thema mit Milliardenpoker ums Klima betitelt. In dem Artikel listen sie die Kosten auf, so wie ich es oben gemacht habe. Und sie schreiben, das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2030 sei „kaum bezahlbar“.

Das stimmt natürlich, und es gibt noch keinen Plan, woher diese gigantischen Summen kommen sollen. Aber in solchen Rechnungen fehlt eine Seite, der Klimawandel selbst wird nämlich auch sehr teuer. Wie hoch die rein ökonomischen Kosten ausfallen würden, wenn er einfach ungebremst weitergeht, lässt sich schwer beziffern. Die Bundeszentrale für politische Bildung spricht in einem Beitrag von Schäden in Höhe von 800 Milliarden Euro, die bis 2050 entstehen könnten. Sie beruft sich auf Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Der Text stammt aus dem Jahr 2013, aber nehmen wir diese Zahl mal als Grundlage und rechnen sie grob auf eine:n Einwohner:in Deutschlands herunter: Das wären Mehrbelastungen von 10.000 Euro pro Kopf bis zum Jahr 2050. Teilen wir die Kosten für den Klimaschutz in Münster zum Vergleich ebenfalls grob durch die Einwohner:innenzahl, kommen 50.000 Euro heraus, zahlbar bis 2030. Kurzfristig wäre der Klimaschutz nach dieser Rechnung tatsächlich deutlich teurer, solange man nur aufs Geld schaut. Nicht auf dem Zettel stehen dabei Dinge, die man nicht monetär beziffern kann, Lebensqualität, Gesundheit, Menschenleben, Artenvielfalt, die langfristige Bewohnbarkeit der Erde, solche Sachen. Forscher:innen rechnen außerdem damit, dass sich die finanziellen Kosten des Klimawandels bis zum Jahr 2100 bereits vervierfachen würden.

Was jetzt kommt, ist schon etwas abgedroschen, aber ich erwähne es der Vollständigkeit halber trotzdem noch: Es werden durch den Klimaschutz ja nicht nur Kosten entstehen, sondern zum Beispiel auch neue Jobs. In der finalen Studie zu Münsters Klimaneutralität soll es übrigens auch darum gehen, wie die regionale Wirtschaft von der Umgestaltung der Stadt profitieren könnte.

Das Zwei-Prozent-Argument

Apropos oft gehörte Argumente, eines habe ich noch für Sie. Es wurde in der Ratssitzung am Mittwoch angeführt, kommt in solchen Diskussionen fast immer vor und geht so: „Deutschland ist ja nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich“. CDU-Ratsfrau Babette Lichtenstein van Lengerich hatte sogar den Anteil der Stadt Münster parat: 0,0075 Prozent. Und es folgte dann auch direkt Teil zwei der Argumentation: Man muss das realistisch sehen, so hohe Kosten für einen kaum spürbaren Effekt, wollen wir dafür den gesellschaftlichen Frieden in der Stadt gefährden? Sicher gebe es Ratsleute, die da kompromisslos fürs Klima seien, sagte Lichtenstein van Lengerich. Und sicher seien auch „Menschen hier im Raum, die den Bauern auf den Malediven höher oder mindestens genauso hoch bewerten wie den Bürger von Münster“, ein interessanter Kritikpunkt für eine christliche Partei.

Nicht nur Klimaaktivist:innen halten dem Zwei-Prozent-Argument das der Klimagerechtigkeit entgegen. Hier hat zum Beispiel das Team der WDR-Sendung Quarks darüber geschrieben: Deutschland hat seit der Industrialisierung 5 Prozent zur Erderwärmung beigetragen, und der Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen ist etwa doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Ein anderes Argument kann man so zusammenfassen: Nur weil man das Problem nicht ganz allein lösen kann, heißt das nicht, dass man überhaupt nicht für die Lösung verantwortlich ist.

Und hier noch ein interessanter Link zu der Zwei-Prozent-Frage: Der Verein Deutscher Ingenieure schreibt in diesem Beitrag über indirekte CO2-Emissionen. Die entstehen zum Beispiel, wenn wir Konsumgüter importieren, die in einem anderen Land produziert wurden. Oder wenn Deutschland Produkte exportiert, die dann in anderen Ländern Treibhausgase verursachen – zum Beispiel Autos mit Verbrennermotor.

So geht es jetzt in Münster weiter

Spätestens im September wird uns der Klimaschutz wieder beschäftigen. Der Rat hat sich nach der Debatte fast einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Verwaltung jetzt konkrete Schritte für den Weg zur Klimaneutralität erarbeiten soll. Grünen, SPD und Volt geht das offenbar zu langsam. Das Bündnis hat schon einen Antrag eingereicht, der die ersten konkreten Schritte direkt anstoßen soll. Darum wird es dann bei der nächsten Ratssitzung gehen.

Post von Leser:innen

Wir haben Post bekommen. Sonja Schrapp hat uns zur Debatte über die Mathilde-Anneke-Gesamtschule geschrieben. Wir hatten im RUMS-Brief berichtet, dass die Fertigstellung des Neubaus sich weiter verschiebt. Und das liegt nicht nur, wie die Stadt anfangs sagte, an den Engpässen auf dem Rohstoffmarkt, sondern auch an Fehlern, die bei der Planung und Umsetzung passierten. Sonja Schrapp ist Mutter einer Schülerin. Und sie ist sehr begeistert: vom Konzept, der Atmosphäre, den Lehrkräften und von der Schule überhaupt. Sie fragt aber, ob es der Schule weiter gelingen kann, so gute Arbeit zu machen, wenn der Raum mit jedem Schuljahr immer knapper wird. Aber sie ist optimistisch, und sie hat auch einige Stimmen von anderen Eltern gesammelt. Hier ist ihr vollständiger Leserbrief.

In aller Kürze

+++ Eine aktuelle Stunde sollte am Mittwoch ein bisschen Licht ins Dunkel rund um die Verzögerungen beim Bau der Mathilde-Anneke-Gesamtschule bringen (RUMS-Brief vom 8. Juni). Aber so ganz gelungen ist das nicht. Und das war zu erwarten gewesen, denn der Bericht zu den Problemen beim Neubau der Schule, den die Westfälischen Nachrichten veröffentlicht hatten, ist weiterhin geheim. Und so konnte oder wollte – die Grenze ist schwer auszumachen – am Mittwoch niemand von der Stadt so recht Auskunft geben. Ulrich Thoden (Linke) stellte Fragen, die immer noch offen sind. Warum man Warnhinweise nicht ernst genommen habe? Warum der Oberbürgermeister nicht gehandelt habe? Warum man nicht transparent informiert habe? Thoden verwies darauf, dass diese aktuelle Stunde ohne das Bemühen der Linkspartei nie stattgefunden hätte. Kritik daran kam von den übrigen Parteien. Die Linke hätte den zuständigen Dezernatsleiter Matthias Peck ja auch in die Fraktion einladen können, statt ihn öffentlich vorzuführen. Er könne sich gegen die Vorwürfe ja nicht wehren. Doch das ist die Perspektive der Parteien, nicht die der Öffentlichkeit. Die Parteien haben die Entscheidungen zur Schule getroffen, teilweise einstimmig. Auch sie müssen sich selbstkritisch fragen, was man hätte besser machen können. Im Sinne der Öffentlichkeit wären hier Transparenz und ein Schritt, der trotz aller Geheimhaltung möglich wäre: Jemand könnte sagen „Ich übernehme die Verantwortung“.

+++ Nach den Krawallen am Aasee in den vergangenen Wochen haben die Parteien im Rat am Mittwoch fraktionsübergreifend Gewalt verurteilt und ein Sicherheitskonzept beschlossen, das wir hier am Dienstag schon kurz umrissen haben. Der Titel des später noch ein wenig angepassten Vorschlags der FDP lautet: „Aasee als Naherholungsgebiet erhalten.“ Und darum soll es gehen, im Wesentlichen, indem mehr Kontrollen stattfinden, mehr Abfalltonnen zur Verfügung stehen, die Menschen für das Müllproblem sensibilisiert und Toiletten aufgestellt werden. Den kompletten Antrag finden Sie hier.

+++ Der alten Westtribüne im Preußen-Stadion bleibt nicht mehr so viel Zeit. In der Rückrunde wird sie abgerissen. Das hat der Rat am Mittwoch einstimmig beschlossen. Und wenn Sie noch mal einen Blick drauf werfen möchten, hier hat der Verein ein Foto veröffentlicht, das auch nebenbei die Frage beantwortet, warum die Tribüne keine Zukunft hat.

+++ Ein schönes Beispiel dafür, wie Politik funktioniert – oder eben auch nicht – begann in der Ratssitzung am Mittwoch mit einer Diskussion über einen Änderungsvorschlag der CDU zu den städtischen Finanzen. Es ging um den Finanzbericht und die absehbaren Probleme der Stadt, ihren Haushalt ins Gleichgewicht zu bekommen. Wir hatten am Dienstag darüber berichtet. Die CDU hatte in ihren Antrag geschrieben, die Stadtverwaltung möge einen Vorschlag machen, wie man im nächsten und in den folgenden Jahren fünf Prozent im Haushaltsplan sparen könnte, das wären insgesamt etwa 70 Millionen Euro, ganz schön viel Geld also. Und nun zur Funktionsweise von Politik: Die CDU gibt der Stadtverwaltung mit ihrem Antrag die Aufgabe, selbst zu schauen, welchen Finger sie sich abschneiden möchte. So kann man hinterher immer sagen: „Es war ja nicht unser Vorschlag, aber es geht wohl nicht anders.“ Finanzsorgen kann man aber auf unterschiedliche Weise in den Griff bekommen. Entweder man gibt weniger Geld aus oder man nimmt mehr ein. Das erweitert den Kreis der Möglichkeiten. Nur: So viele Möglichkeiten, mehr Geld einzunehmen, hat die Stadt nicht. Ihre größte Einnahmequelle ist die Gewerbesteuer. Und das ist eine ganz sensible Stelle. Als Otto Reiners von den Grünen andeutete, die Stadt müsse vielleicht auch mal auf die Einnahmeseite schauen, um die Finanzprobleme zu lösen, ging bei der CDU denn auch gleich der Alarm an. Sie versuchte, die Grünen auf eine Aussage zur Gewerbesteuer festzunageln. Ein geschickter Zug. Hätten die Grünen das getan, hätte die CDU sagen können: „Wir haben die Gewerbesteuererhöhung verhindert.“ Dass die Gewerbesteuer bis 2023 bei ihrer aktuellen Höhe bleiben soll, steht aber auch schon im Koalitionsvertrag. Wobei sich das natürlich mit den Umständen ändern kann. Und als heute Morgen in den Westfälischen Nachrichten stand: „Höhere Gewerbesteuer droht“, verschickten die Grünen dann doch noch ein Statement – eine Pressemitteilung mit der Überschrift: „Keine Gewerbesteuererhöhung mit uns.“ So kamen sie dann auch noch so aus der Sache heraus, ohne direkt auf die CDU reagieren zu müssen. Bleibt im Grunde nur die Frage: Wie löst die Stadt jetzt ihr Haushaltsproblem?

+++ Es gibt eine Lösung zu den Kitabeiträgen, die Eltern in den vergangenen Monaten zahlen mussten, obwohl ihre Kinder zu Hause blieben. Für den Monat Februar müssen Eltern keine Beiträge überweisen, teilt die Stadt mit. Für die Monate März, April und Mai erlassen Stadt und Land die Hälfte. Und wenn Sie sich jetzt fragen, was Sie tun müssen: Nichts, Sie bekommen Post.

+++ Der 34-jährige Mann, der am Montag nach einer Festnahme im Polizeigewahrsam gestorben ist, hatte eine Vorerkrankung, meldet der WDR. Um welche Art von Vorerkrankung es sich handelte, steht nicht in dem Bericht. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Polizei sich falsch verhalten habe, heißt es. Der Mann war am Montagabend festgenommen worden, nachdem er laut Polizei in einem Haus an der Grevener Straße randaliert hatte. Später hatte er über Unwohlsein geklagt, war ins Krankenhaus gebracht worden und dort gestorben. Die Ermittlungen führt „aus Neutralitätsgründen“, wie es hieß, die Polizei in Recklinghausen. Abgeschlossen sind sie laut WDR noch nicht.

Korrekturen und Ergänzungen

Im RUMS-Brief am Dienstag haben wir über die Finanzen der Stadt geschrieben. Dazu zwei Korrekturen. An einer Stelle haben wir die Kämmerin der Stadt Christina Zeller genannt, richtig heißt sie aber mit Vornamen Christine. Und wir schrieben über Pflichtaufgaben einer Kommune sowie Aufgaben mit hoher Priorität, nannten dann Beispiele für Pflichtaufgaben. Diese Aufgaben gehörten aber zu beiden Gruppen. Wir haben das im Text korrigiert und einen Hinweise ergänzt. Und wenn Sie wissen möchten, wie sich die freiwilligen und Pflichtaufgaben einer Kommune aufteilen, die Friedrich-Ebert-Stiftung erklärt es hier in einem zweiminütigen Video.

Corona-Update

Vielleicht haben Sie in den vergangenen Tagen eine Whatsapp-Nachricht bekommen, in der steht, wer sich mit Johnson & Johnson impfen lassen möchte, könne sich beim Gesundheitsamt melden. Das war eine Falschmeldung. Das Gesundheitsamt hat das inzwischen klargestellt. Was Sie machen können, wenn Sie geimpft werden möchten, erklärt die Stadt auf ihrer Website. Wir hatten schon mehrfach die Telegram-Gruppe „Impftermine in Münster“ empfohlen. Und das wäre auch weiterhin ein Tipp. Dahinter steht ein Computerprogramm, das im Abstand von zwei Minuten freie Termine in den Impfzentren Münster und Steinfurt abfragt, außerdem im Hausarzt-Zentrum Münster-Süd an der Hammer Straße. Wenn Sie den Messenger Telegram nicht installieren möchten, können Sie direkt auf der Website der Praxis einen Termin buchen. Es gibt auch einige Apps, die Impftermine vermitteln. Dort haben wir bislang jedoch keine freien Termine für Münster gefunden. Wenn Sie Tipps haben, wie man schnell an einen Impftermin kommt, schreiben Sie uns. Wir geben das dann weiter. Und noch schnell zu den aktuellen Corona-Zahlen. Die stadtweite Wocheninzidenz (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Menschen in sieben Tagen) liegt mittlerweile bei 2,5, meldet die Stadt. Damit liegt Münster weiter weit vorne in Nordrhein-Westfalen.

Unbezahlte Werbung

Was macht man eigentlich, wenn man keinen grünen Daumen hat, aber zuhause frische Kräuter ernten möchte? Man kann zum Beispiel etwas bei Urbanhive bestellen. Das junge Start-Up aus Münster schickt dann die „urbanfarm“, ein schmales, dreistöckiges Wandregal, aus dem Salatpflanzen, Sprossen und Kräuter sprießen. Wenn Sie das ausprobieren möchten, brauchen Sie aber etwas Geduld, und zwar länger, als die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Sie können das komplette Paket inklusive Samenkapseln in Bioqualität jetzt für 159 Euro vorbestellen. Ab Dezember können Sie mit der Lieferung rechnen, die Zeit können Sie ja mit frischen Sachen vom Markt überbrücken. Aus den Samenkapseln wachsen zum Beispiel Rucola, Petersilie, Salanova und Brunnenkresse. Dabei kommen sie komplett ohne Erde aus, für Licht sorgen LEDs, Wasser fließt aus einem eingebauten Tank. Sie selber müssen also nur ein bisschen freie Wandfläche finden, das Modul aufhängen, die Kapseln einsetzen, den Wassertank füllen und das Licht einschalten. Dann soll es wachsen und gedeihen – und das ganz unabhängig davon, wie Ihre bisherigen Erfahrungen mit Zimmerpflanzen so ausgefallen sind.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Die Tipps für die nächsten Tage hat heute wieder Eva Strehlke für Sie zusammengestellt:

+++ Geht es Ihnen vielleicht wie mir und Sie waren trotz der kurzen Fahrtzeit noch nie so richtig im Teutoburger Wald wandern? Ich hab diese Lücke in meinem Münster-Lebenslauf in der vergangenen Woche gefüllt und kann Ihnen vor allem den Abschnitt des Hermannswegs, der vom Parkplatz „Dörenther Klippen“ nach Tecklenburg führt, wärmstens empfehlen. Ungefähr zehn Kilometer geht es bergauf und bergab, mit wunderschöner Aussicht und vorbei am berühmten „Hockenden Weib“, um das sich eine alte Sage rankt. Und nach zwei bis drei Stunden – je nach Fitness und Ambition – kann man sich im historischen Ortskern von Tecklenburg dann eine wohlverdiente Erfrischung genehmigen.

+++ Und ist der Teutoburger Wald jetzt tatsächlich ein Wald oder doch eher ein Forst? Was ist überhaupt der Unterschied? Wieso genau sind Wälder so wichtig für unseren Planeten und wie könnte der Wald der Zukunft aussehen? Diesen und anderen spannenden Fragen können Sie seit heute in der neuen Dauerausstellung Alleskönner Wald im LWL-Naturkundemuseum nachgehen – mit allen Sinnen auf 560 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Da geht es um unterschiedliche Baumarten, den Wald als Lebensraum, um die Arbeit im und mit dem Wald, um historische Entwicklungen und die Frage, warum Bäume eigentlich nicht immer höher wachsen. Den Audioguide zur Ausstellung gibt es auf Deutsch, Englisch und Niederländisch, außerdem ist eine Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen verfügbar. Auch Hörgeräte sind koppelbar.

+++ Am Sonntag ist Segelsonntag, und Sie können sich sogar als blutige:r Anfänger:in auf den Aasee wagen. Los geht’s um 11 Uhr hier, ab dann starten halbstündlich kostenlose Segeltörns bis 17 Uhr. Können müssen Sie nichts außer Schwimmen (für den Notfall). Und festes Schuhwerk sollten Sie auch mitbringen. Wer besonders viel Glück hat, kann sogar einen Segelkurs bei Overschmidt gewinnen. Na dann: Mast- und Schotbruch!

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann wieder. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Herzliche Grüße

Constanze Busch

Mitarbeit: Ralf Heimann, Paul Oppermann, Eva Strehlke

Transparenzhinweis: Paul Oppermann arbeitet in der Fridays-for-Future-Bewegung mit.

PS

Eine kleine Randnotiz noch aus dem Rat. Wir wissen leider nicht, wie die neue Live-Übertragung quotenmäßig im Vergleich zum übrigen Fernsehprogramm abgeschnitten hat. Die Möglichkeit wurde aber genutzt, so viel können wir sagen. In der oben schon erwähnten Diskussion um die Gewerbesteuer kritisierte der CDU-Ratsherr Stefan Leschniok die Forderung von Ulrich Thoden (Linke), die Gewerbesteuer anzuheben, mit dem Hinweis, damit trete er in die großen Fußstapfen des früheren Linken-Ratsherrn Rüdiger Sagel. Von ihm habe er, Leschniok, zum Haushalt immer nur den einen Vorschlag gehört: Gewerbesteuererhöhung, Gewerbesteuererhöhung, Gewerbesteuererhöhung. Sagel ist schon länger nicht mehr bei der Linken und hat seit Herbst auch kein Mandat mehr. Am Mittwoch saß er zunächst noch hinten im Publikum, sah sich die Sitzung dann aber später wohl an einem anderen Ort live im Internet an. Und so umschiffte er das Problem, dass er sich im Rat nun nicht mehr melden kann: Er schickte eine SMS an Stefan Leschniok, der diese mit Sagels Zustimmung dann laut in der Halle Münsterland vorlas. Sagel teilte mit, in der jetzigen Situation, mitten in der Krise, würde er die Gewerbesteuer auf keinen Fall erhöhen. Wörtlich schrieb er: „Die Linke ist gaga.“

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