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„Die Friedensbewegungen sollten sich fragen, warum aus der Ukraine niemand mitmarschiert” | Die Bürokratie und das Kopftuch | Klimafolgen des Ukraine-Kriegs
Guten Tag,
Ihre Timelines, Tageszeitungen und E-Mail-Postfächer waren heute gefüllt mit einem Thema: Vor genau einem Jahr hat Russland die Ukraine erneut angegriffen. Damit hat sich Mariya Sharkos Leben verändert, sagt sie. Sie ist in der Ukraine aufgewachsen und hat den Kontakt zum Land in den 17 Jahren, die sie nun in Deutschland lebt, nie verloren. Ähnlich gehe es anderen Ukrainer:innen, die sie zum Beispiel in der ukrainischen Gemeinde in Münster trifft oder im Verein „Ukrainische Sprache und Kultur in Münster“.
„Das Leben dreht sich jetzt nur noch um das Land und die Leute“, berichtet Mariya Sharko, die als Osteuropa-Referentin im Bistum Münster arbeitet. Die Ukrainer:innen, die wie sie schon länger in Deutschland leben, wollten helfen, so viel es eben gehe. „Wir können hier viel bewirken. Wir sehen uns als Vermittler“, sagt Mariya Sharko. Einige hätten sogar ihren Job für ein Ehrenamt aufgegeben.
Und viele würden sich nun wieder stärker mit der ukrainischen Kultur und Sprache auseinandersetzen. Sie wollten zeigen, warum sie kämpfen. „Putin geht es schließlich um die Vernichtung der ukrainischen Identität“, sagt Mariya Sharko.
Vielleicht könnte man sagen, dass auch viele Ukrainer:innen, die wegen des Kriegs im vergangenen Jahr geflüchtet sind, eben diese Identität jetzt suchen. Im Moment leben laut Stadt gut 3.600 Ukrainer:innen in Münster (zum Vergleich: Ende 2021 hat das Ausländerzentralregister gut 400 gemeldet), über 90 Prozent von ihnen sind als Kriegsgeflüchtete registriert.*
Eine Wohnung, ein Sprachkurs – und dann?
Auf der einen Seite brauchen sie natürlich konkrete Unterstützung, also zum Beispiel eine Wohnung, einen Kita-Platz und einen Platz im Sprachkurs. Das ist alles nicht so einfach. Valentin Peschanskyi erzählt davon in einem Gespräch, das Ralf Heimann mit ihm geführt hat, und das Sie weiter unten im Brief finden.
„Auf der anderen Seite wollen sie aber auch leben“, fasst es Mariya Sharko zusammen. Kindern ukrainische Bücher vorlesen, in einem Chor singen, Lesungen besuchen und vielleicht auch selbst Ukrainisch lernen. Sie freut sich, dass das mittlerweile möglich ist in Münster. Es gibt etwa ukrainische Bücher in der Stadtbibliothek und ihr Verein macht einige kulturelle Angebote. An einer Website arbeiten die Mitglieder gerade, einen Ort für regelmäßige Treffen haben sie mittlerweile gefunden, im Mühlenhof. Über die Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Winnyzja freut sie sich besonders: „Das war schon seit Jahren ein Anliegen von unserem Verein“, sagt sie.
Es ist schließlich auch so, dass etwa 2.500 Ukrainer:innen schon in den ersten Wochen nach Beginn des Angriffskriegs in Münster angekommen sind. Seit September habe sich die Anzahl eingependelt, wobei es auch gut 1.000 Abmeldungen gegeben hat. Was Mariya Sharko jedenfalls wahrnimmt: Die Menschen, die über einen längeren Zeitraum in Münster sind, lernen unglaublich schnell Deutsch und versuchen, Arbeit zu finden – was ihnen oft auch gelingt, trotz erschwerter Umstände.
„Die Solidarität ist etwas zurückgegangen, zumindest, was humanitäre Hilfe und Geldspenden angeht. Aber das ist ein natürlicher Prozess, weil andere Themen kommen“, sagt Mariya Sharko und erwähnt etwa das Erdbeben in Syrien und der Türkei. „Grundsätzlich beobachte ich nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft.“
Falls Sie Kontakt zu Ukrainer:innen aufbauen möchten oder Ihre Unterstützung anbieten wollen: Mariya Sharko ist für die ukrainische Kirchengemeinde und den ukrainischen Kulturverein unter mariyasharko@gmail.com erreichbar. Alternativ gibt es auch noch den Verein „Ukraine in Not“, der in Münster aktiv ist. Oder vielleicht haben Sie schon neue Kontakte bei der Kundgebung heute geknüpft. (sst)
* Darüber, wie viele Menschen aus der Ukraine sich tatsächlich in Münster aufhalten, kann die Stadt keine genaue Aussage machen. Denn momentan dürfen Ukrainer:innen drei Monate lang ohne Aufenthaltstitel in Deutschland leben, weswegen sie nicht registriert sein müssen. Eine vorherige Registrierung wird allerdings stark empfohlen.
+++ Die Gewerkschaft Verdi hat angekündigt, die Warnstreiks im öffentlichen Dienst auszuweiten. Für die Süddeutsche Zeitung ist das eine „Eskalation mit Ansage“, sehr wirtschaftsnahe CDU-Politiker:innen sinnieren gar von der Einschränkung des Grundrechts auf Streik. Aber worum geht’s genau? Verdi fordert für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst einen Inflationsausgleich von 2.500 Euro und ein Lohnplus in Höhe von 10,5 Prozent. Die Kommunen winken allerdings mit Blick auf die leeren Kassen ab. Am Montag gehen die Warnstreiks weiter, auch in Münster. Und so sieht die „Eskalation mit Ansage“ in der Stadt aus: Die Abfallwirtschaftsbetriebe holen den Müll nicht ab und wegen einer Kundgebung in der Stadt ändern sich die Buslinien – falls überhaupt Busse fahren. Auf den Linien 5, 6, 8, 10, 11 und 14 wird laut den Stadtwerken voraussichtlich nix los sein. Falls Sie trotzdem auf den Bus angewiesen sind, schauen Sie am besten auf dieser Website einmal nach und checken Sie regelmäßig die Münster-App. Wie es nach dem Warnstreik weitergeht, hängt von den Angeboten der Kommunen ab. Die Süddeutsche spekuliert, in den kommenden Wochen könnte das Pflege- und Erziehungspersonal wieder streiken. (sfo)
+++ Termine sind schwer zu bekommen, trotzdem haben es in der zweiten Jahreshälfte knapp 3.700 Menschen geschafft, in Münster aus der Kirche auszutreten. Das schreibt die Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zweier AfD-Abgeordneter, die wissen wollten, wie viele Menschen in Nordrhein-Westfalen die Kirchen in der zweiten Jahreshälfte verlassen haben. Diese Information daher hier auch noch: Landesweit sind im vergangenen Jahr 220.509 Menschen aus der Kirche ausgetreten, im zweiten Halbjahr waren es ungefähr die Hälfte, nämlich 109.274. Und falls Sie gerade den Gedanken haben, Sie könnten beim Amtsgericht auch einen Termin buchen: Ja, das geht, und zwar hier, allerdings erst wieder in ein paar Wochen. Wenn Sie es eilig haben, müssten Sie es bei einer Notarin oder einem Notar probieren. (rhe)
+++ Bis Ende Dezember 2022 hat das Jobcenter der Stadt Münster über 1.500 Anträge von ukrainischen Geflüchteten bearbeitet. Seit Juni vergangenen Jahres können Ukrainer:innen in Deutschland Sozialleistungen aus der Grundsicherung beziehen (also Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld). Laut einem Bericht des Jobcenters sei es bisher noch schwierig, die Geflüchteten an eine Arbeitsstelle zu vermitteln. Viele von ihnen sprächen noch zu wenig Deutsch und der Einsatz von Dolmetscher:innen sei sehr zeitintensiv. Die meisten Anträge von Ukrainer:innen beim Jobcenter wurden im Juni und Juli gestellt. Ein Zuzug von Ukrainer:innen in den Wintermonaten, den das Jobcenter erwartet hatte, blieb allerdings aus. (sfo)
+++ Sowohl Mariya Sharko als auch Valentin Peschanskyi haben es in ihrem Gespräch mit uns gesagt: Eine Wohnung zu finden, sei für Geflüchtete aus der Ukraine schwierig, sehr sogar. Etwa 1.300 Ukrainer:innen, die als Geflüchtete gemeldet sind, leben gerade in einer kommunalen Einrichtung. Die Stadt Münster nennt die Wohnsituation für geflüchtete Menschen „stabil, aber angespannt“. Das bedeutet laut Pressestelle: Es gebe noch einige freie Plätze, und regelmäßig könne die Stadt neuen Wohnraum auftreiben. Dabei handele es sich allerdings eher um kleine Immobilien. Solange ungefähr so viele Asylsuchende und Geflüchtete aus der Ukraine wie zurzeit nach Münster kommen, seien die Unterbringungsmöglichkeiten zumindest „ausreichend“. Oberbürgermeister Markus Lewe, der auch Präsident des Deutschen Städtetags ist, hat vor einigen Tagen allerdings auch deutlich gesagt, dass die Kommunen mehr Unterstützung bräuchten. Zum einen wäre das Geld. Zum anderen spricht er im Interview mit ntv zum Beispiel auch davon, dass der Bund mehr eigene Kapazitäten für die Unterbringung aufbauen sollte. Zumindest in Münster gebe es die allerdings schon in höherem Ausmaß. (sst)
+++ Das Amtsgericht Lüdinghausen hat Anklage gegen zwei Männer aus Senden erhoben, die am 11. Mai 2021 eine Israelfahne vor der Synagoge in Münster verbrannt haben. Überwachungskameras hatten die Männer bei der Tat gefilmt. Das Beschädigen von Staatsflaggen ist laut Strafgesetzbuch in Deutschland verboten. Dieser Vorfall gehört zu den 437 antisemitischen Straftaten, die die Polizei im Jahr 2021 in Nordrhein-Westfalen erfasst hat. Neben dem religiös motivierten Antijudaismus und dem rassistischen Judenhass nehme vor allem der israelbezogene Antisemitismus bundes- und landesweit zu, schreibt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Antisemistismusbeauftragte der Landesregierung, im dritten Antisemitismusbericht. Rund 150 Straftaten standen vor zwei Jahren im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt. So auch ein weiterer Vorfall, der sich nur vier Tage nach der Verbrennung der Israelflagge vor der Synagoge in Münster ereignet hat: Ein Teilnehmer einer Palästina-Kundgebung beleidigte einen Mann und seine Familie auf einer israelsolidarischen Gegendemonstration, die nur wenige Meter entfernt stattfand, als „die neuen Nazis“. Im Antisemitismusbericht für das Jahr 2020 taucht Münster nur im Zusammenhang mit den Querdenken-Demonstrationen auf, auf denen immer wieder judenfeindliche und holocaustrelativierende Symbole gezeigt wurden. Einen neuen Bericht wird die Antisemitismusbeauftragte voraussichtlich Mitte des Jahres veröffentlichen. Fest steht aber schon: Antisemitische Straftaten werden immer häufiger begangen, laut Polizei steigerten sich die Vorfälle von 2020 auf 2021 um 53 Prozent. Die Landesregierung hat deshalb im vergangenen Jahr eine Meldestelle eingerichtet, um diese besser zu dokumentieren. (sfo)
+++ Das mit der Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück hat wohl nicht so ganz geklappt: Antenne Münster berichtet, dass die erste Lücke schon an der Lambertikirche in Münster zu sehen war. Zuerst hatten die Organisator:innen 50.000 Teilnehmende angepeilt, dann 25.000. Die Veranstalter sagen, die seien auch da gewesen. Die Westfälischen Nachrichten schreiben, dass sich immerhin etwa 20.000 Menschen dem ungemütlichen Wetter ausgesetzt haben, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Die 55 Kilometer haben sie unterwegs zum Teil auch mit Flatterband überbrückt. In Münster hat die ukrainische Community ihre Kundgebung für die Aktion unterbrochen, die heute ebenfalls stattfand. Im Vorfeld gab es Kritik an der Friedenskette. Denn weder war klar, wie die genaue Aussage lauten sollte, noch hatten die Veranstalter:innen direkten Bezug zur Ukraine und den Ukrainer:innen genommen. (sst)
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Vor zwei Wochen hat Dina El-Omari in ihrer Kolumne über Menschen geschrieben, die auf ihrem Passbild aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen und deshalb beim Beantragen eines Ausweises Probleme bekommen. Die Stadt habe in einigen Fällen verlangt, dass diese Menschen ihre Religionszugehörigkeit nachweisen. Doch das sei so leicht gar nicht möglich, denn im Islam gebe es keine zentrale Stelle, bei der Gläubige registriert sind.
Unsere Leserin Brigitte Hasenjürgen hat Bürgeramtsleiter Jürgen Kupferschmidt eine E-Mail geschrieben. Aus Kupferschmidts Antwort dürfen wir mit seiner Zustimmung zitieren.
Kupferschmidt schreibt, die rechtlichen Vorgaben seien klar. Das Passbild müsse die Person ohne Kopfbedeckung zeigen. Ausnahmen seien aus religiösen Gründen möglich. Ihre Religionszugehörigkeit müsse die Person allerdings glaubhaft machen. Die pauschale Angabe, einem bestimmten Glauben anzugehören, reiche nicht aus.
Dass es im muslimischen Glauben keine Verwaltungsstrukturen gibt, die den Nachweis erleichtern, das sei dem Gesetzgeber klar gewesen, und das wüssten auch die Menschen im Bürgeramt. Ganz frei entscheiden, wie es in der Kolumne dargestellt sei, könnten diese aber nicht. Im Zweifel werde ihre Entscheidung überprüft. Dann müsse sie nachvollziehbar sein.
Daher müssten die Menschen glaubhaft machen, dass sie einem bestimmten Glauben angehören. Das könne auf verschiedene Weise geschehen. Sie könnten sich von einer muslimischen Gemeinde einen Nachweis ausstellen lassen. Ein Indiz sei auch die Herkunft aus einem Land mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Letztlich trage man alle Indizien zusammen. So ergebe sich ein Gesamtbild, und daraus treffe man eine Entscheidung, schreibt Kupferschmidt.
Interview mit Valentin Peschanskyi
„Die Friedensbewegungen sollten sich fragen, warum aus der Ukraine niemand mitmarschiert”
Valentin, du hilfst Menschen in Münster, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Was machst du genau?
Gestern habe ich für eine geflüchtete Frau einen Brief an das Jobcenter geschrieben, weil es zu Missverständnissen gekommen war. In der letzten Woche habe ich zwei Menschen zum Arzt begleitet. Und heute hat sich ein junger Mann gemeldet, weil sich ein Freund von ihm die Nase gebrochen hat.
Was war passiert?
Hingefallen, ein Alltagsunfall.
Wie kam der Mann auf dich?
Ich hatte ihm schon einmal geholfen. Aber normalerweise läuft das über eine Anwendung in der App Telegram, über die Geflüchtete nach ehrenamtlichen Dolmetschern suchen können. Diese Software wird von mehreren hundert Menschen aus der Ukraine genutzt, die jetzt in Münster leben.
Wie bist du auf diese Anwendung gestoßen?
Ich habe sie nicht gefunden, ich wurde von ihr gefunden. Ich bekam irgendwann eine Einladung. Das hatte möglicherweise damit zu tun, dass ich mich bei der Stadt als Freiwilliger gemeldet hatte. Vielleicht hat irgendwer die Nummer weitergegeben. Falls es von der Stadt kam, war es aber eine sinnvolle Aushebelung des Datenschutzes. Also es war mir in diesem Fall recht.
In welchen Situationen helft ihr denn?
Mittlerweile machen wir so einiges. Wir schreiben Briefe an Behörden. Wir dolmetschen bei der Wohnungssuche. Aber zuerst ging es vor allem darum, geflüchteten Menschen bei Arztbesuchen zu helfen.
Wie ist das, wenn man einen Menschen kennenlernt und dann gleich eine so persönliche Situation miteinander erlebt?
Die Menschen selbst müssen nur am Anfang eine Hürde überwinden. Wo es angebracht ist, führe ich vorher eine Art Meta-Gespräch, wo ich auch sage: Mir ist klar, dass es für Sie eine unangenehme Situation ist. Aber für die Leute ist die Alternative, mit einer ernsthaften Erkrankung zum Arzt zu gehen und sich da dann nur mit dem Google-Translator oder einem anderen Übersetzungsprogramm verständigen zu können. Das ist natürlich schlimmer, als wenn ich daneben sitze.
Und wie erlebst du diese Situationen?
Es ist teilweise schon hart, wenn man kurz nach dem Kennenlernen in Gesprächen sitzt, in denen der Arzt im Extremfall sagt: Sie haben nur noch wenige Monate zu leben. Aber ich habe Strategien entwickelt, mit denen ich mich als Mensch da ein wenig rausnehmen kann. Ich sehe mich in diesen Situationen als eine Art technisches Hilfsgerät oder als Medium, sozusagen als fleischgewordener Google-Translator. Aber immer gelingt das auch nicht, weil man doch einen persönlichen Kontakt aufbaut. Manchmal geht man ja hinterher mit den Menschen noch einen Kaffee trinken.
Worüber sprecht ihr dann?
Wir reden oft über die Situation im Heimatland. Also darüber, was in der Heimatstadt der Person los ist, was die Verwandten und Freunde machen, die zurückgeblieben sind. Viele kommen aus Gebieten, die teilweise nonstop beschossen werden oder sogar unter Besatzung stehen. Die meisten aus dem Osten des Landes. Und dann geht es auch um viele Themen, die ich von meiner eigenen Migrationsgeschichte kenne. Um das Ankommen in Deutschland, um „die Deutschen“ und die Vor- und Nachteile hier.
Was sind denn die Vor- und Nachteile von Deutschland?
Die Vorteile sind natürlich die Ordnung und dass die Menschen hier relativ gesetzestreu sind. Auch das Gesundheitssystem ist ein ganz großer Bonus. Aus deutscher Perspektive, in die ich mich mal hineinnehme, sagen wir natürlich: Schrecklich, unser Gesundheitssystem geht den Bach runter. Aber aus einer gesamteuropäischen Perspektive stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern ziemlich gut da.
Und die Nachteile?
Ein großer Nachteil ist die schleppende Digitalisierung. Da ist man in den Ländern Mittel- und Osteuropas, also auch in der Ukraine, deutlich weiter. Und da ist man dann schwer irritiert darüber, dass manche kleine Angelegenheit in einem so reichen und ansonsten progressiven Land einen wochenlangen Briefwechsel erfordert, bis alles geklärt ist. Das ist für die Leute schon irritierend, wenn sie es gewohnt waren, jedes Problem mit einem Klick auf dem Smartphone zu lösen. Dazu kommt die deutsche Amtssprache, aber das ist ein anderes Thema.
Du bist vor knapp 30 Jahren selbst mit deinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Wie kam es dazu?
Ich stamme aus einer jüdisch-ukrainischen Familie in Odessa. Meine Eltern haben sich wie viele andere auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entschlossen, das Land zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Und dann sind wir mit dem Bus nach Baden-Württemberg umgezogen.
Wie war das für dich, als Kind in ein Land zu kommen, in dem man die Sprache nicht versteht?
Ich war damals neun Jahre alt und kam in die dritte Klasse einer Grundschule, aber nicht in eine reguläre Klasse, sondern zunächst in eine Fördergruppe. Das war allerdings keine gute Idee.
Warum nicht?
Ich sollte dort Deutsch lernen. Aber dafür sind diese Klassen überhaupt nicht förderlich. Denn wer sitzt dort? Andere Kinder aus dem eigenen Heimatland, die die eigene Muttersprache sprechen und nicht Deutsch.
Wie hast du die Sprache dann gelernt?
Meine Mutter ist eine durchsetzungsstarke Frau. Sie hat nach drei Monaten erwirkt, dass ich in eine reguläre Klasse kam und die dritte Klasse wiederholen durfte. Nach weiteren drei Monaten konnte die Sprache schon ganz ordentlich verstehen und sprechen, zwar noch mit einem sehr beschränkten Vokabular und mit einigen Fehlerchen. Aber ab da wurde es besser, und in der vierten Klasse war ich dann schon gut genug, um das Gymnasium zu besuchen.
Erkennst du manchmal Parallelen zu Erfahrungen, die deine Familie gemacht hat?
Freiwillige Immigration und unfreiwillige Fluchterfahrung sind kategorisch völlig unterschiedliche Dinge. Deswegen mag ich das nicht vergleichen. Aber mir fällt tatsächlich auf, dass es beispielsweise das Problem mit den Förderklassen auch heute noch gibt.
Heute unterrichtest du in Münster selbst geflüchtete Menschen.
Ja, die Flüchtlingshilfe Münster-Ost hat einen ehrenamtlichen Deutsch-Kurs für Geflüchtete organisiert, die noch länger auf einen Platz in einem „richtigen“ Integrationskurs warten. Der Kurs findet an drei Nachmittagen statt. Eltern können auch ihre Kinder mitnehmen, die in der Zeit betreut werden.
Wie läuft der Unterricht in deinen Kursen?
Keine von den Lehrenden hat davor Sprachkurse für geflüchtete Erwachsene gegeben, daher war das alles am Anfang eher behelfsmäßig organisiert. Wir haben erstmal Alltagssituationen durchgespielt und die hierfür wichtigen Vokabeln gelernt. Nach bald einem Jahr sind wir nun deutlich professioneller geworden. Die aktuelle Gruppe, die seit Anfang des Jahres bei uns ist, wollen wir zumindest auf das Sprachniveau A1 bringen, also auf ein Niveau, auf dem man einfache Sätze versteht und verwenden kann. So bereiten wir sie auf die Integrationskurse vor. Dort läuft der Unterricht in einem relativ atemberaubenden Tempo. Komplett auf Deutsch. Ein anderer Punkt ist die soziale und psychologische Komponente: Wir wollen den Menschen auch einen Treffpunkt geben, ein paar fixe Termine in der Woche.
Also einen strukturierten Alltag.
Genau. Für die Geflüchteten ist Leerlauf nach der Flucht ja oft ein Problem. Der Krieg reißt sie aus ihrem Arbeitsleben, aus ihrem Alltag, danach folgt meist noch eine traumatische Fluchterfahrung. Die Menschen landen in Deutschland in irgendeiner Notunterkunft. Und dann sitzen sie Tage und Wochen da und haben eigentlich nichts zu tun außer Amtsgängen und der Dauergrübelei über den Krieg. Das ist ja für einen gesunden, erwachsenen Menschen kein Zustand. Wir wollten den Menschen also auch helfen, ihre sozialen und menschlichen Bedürfnisse zu decken.
Und wie finden die Menschen zu euch?
Ganz klassisch über Aushänge in den Notunterkünften. Beim letzten Mal habe ich einfach eine Anzeige in einem Telegram-Kanal veröffentlicht: „Wir haben noch Platz. Wir suchen 15 Leute. Bitte meldet euch.“ Das geht dann meistens auch sehr schnell, weil die Menschen schnellstmöglich die Sprache lernen wollen, um sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden und Perspektiven zu haben.
Wie vielen der Geflüchteten, die du kennst, ist es denn schon gelungen, in Münster eine Wohnung zu finden?
Von allen, die ich bislang getroffen habe, haben nur drei eine gefunden. Die Situation ist ja überall in Deutschland problematisch. Auch als meine Freundin und ich mit einem deutschen Pass und einem normalen Gehalt vor bald zwei Jahren in Münster eine Wohnung suchten, war das sehr schwierig und hat Monate gedauert. Die meisten Geflüchteten, die ich kenne, leben weiter in Notunterkünften. Und das ist teilweise wirklich absurd.
Wieso?
Meine diesbezügliche „Lieblingsgeschichte“ ist die von einer vierköpfigen Familie, Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Sohn und Tochter sind so um die zehn Jahre alt. Sie alle leben seit zehn Monaten in einem einzigen Zimmer. Eine Wohnung können sie nicht finden, weil der Staat vorgibt: Wenn man zu viert ist und Kinder verschiedenen Geschlechts hat, dann muss die Wohnung über 90 Quadratmeter verfügen und über vier Zimmer, damit die Kinder und Eltern jeweils ein eigenes Zimmer haben und es ein Wohnzimmer gibt. Das sind die staatlichen Vorgaben.
Aber so eine Wohnung findet man nicht.
Richtig. Wie man sich denken kann: Von dem Geld, das man vom Jobcenter zugeteilt bekommt, kann man sich so eine Wohnung für gewöhnlich nicht leisten. Diese Menschen haben sich jetzt schon zig Wohnungen angeschaut, aber sie haben keine bekommen. Und das Absurde daran ist, dass man um das Wohl dieser Familie so besorgt ist, dass man einerseits sagt: Die müssen alle eigene Zimmer haben. Aber dass diese Kinder jetzt seit einem knappen Jahr mit ihren Eltern zusammen in einem Zimmer ohne eigenes Bad leben, das stört niemanden.
Und wie ist es mit Arbeit?
Na ja, wie das in Deutschland eben so ist. Eine niederschwellige Arbeit, wo man ein bisschen was verdient, ist unattraktiv. Wenn du vom Jobcenter Geld bekommst und über 100 Euro verdienst, wird ein beträchtlicher Teil des Geldes abgezogen. Also wenn du 200 Euro verdienst, sind 80 Prozent gleich wieder weg. Wenn du 600 Euro bekommst, kriegst du am Ende nur 200 Euro raus. Und es ist klar, dass die meisten Leute, die noch keine Sprachkenntnisse haben, am Anfang auch nicht so anspruchsvolle Jobs machen können. Sie können als Reinigungskräfte arbeiten, in der Küche aushelfen, obwohl sie sehr häufig für viel bessere Jobs ausgebildet wurden oder gar Hochschulabschlüsse haben. Doch der Staat macht auch solche Arbeit nicht gerade attraktiv. Aber das ist ja ein uraltes Problem.
Wenn du Menschen zum Arzt begleitest oder Sprachkurse gibst, passiert das alles in deiner Freizeit. Du beschäftigst dich als Slawist an der Uni Münster aber auch beruflich mit der Region, in der jetzt Krieg herrscht. Hilft dir das dabei, das alles etwas besser zu verstehen?
Es gibt in der Wahrnehmung ja verschiedene Ebenen. Einerseits die Rationale, die bei mir durch die professionelle Beschäftigung ganz gut angefüttert ist. Und auf dieser Ebene bin ich nicht besonders überrascht gewesen, denn das war immer eine reale Gefahr. In Deutschland vergisst man ja oft, dass der Krieg in der Ukraine seit 2014 läuft. Im vergangenen Jahr hat er sich im Grunde nur radikal ausgeweitet und extreme Formen angenommen. Und auch das kam nicht aus dem Nichts. In den Fachcommunitys, die sich mit Mittel- und Osteuropa beschäftigen, war man in großen Teilen zwar wie alle geschockt, aber nicht in dem Sinne überrascht, dass das jetzt aus heiterem Himmel kam. Da macht man sich über das Putin-Regime schon seit Jahren keine Illusionen mehr. Auf der rein emotionalen Ebene bekommt man das trotzdem alles nicht zusammen.
Hast du noch Familie oder Verwandte in Odessa?
Nein, vielleicht Cousins dritten Grades, zu denen ich keinen Kontakt habe. Ich kenne dort aber noch Menschen. Freunde, Weggefährten, auch Freunde meiner Eltern, mit denen ich aufgewachsen bin. Und natürlich gibt es im ganzen Land Bekannte und Kollegen. Oder Angehörige und Freunde von Ukrainern, die ich erst hier kennengelernt habe.
Wie hast du den russischen Angriff vor einem Jahr erlebt?
Am allerersten Kriegstag sind ja auch in Odessa ein paar Raketen gelandet. Das ging nicht in meinen Kopf. Das war für mich wie ein Film oder Computerspiel, wie ein fiktionales Werk. Von einem Tag auf den anderen sieht man, dass in der Stadt, in der man zur Welt gekommen ist, Krieg herrscht. Natürlich habe ich den absoluten Luxus, hier in Sicherheit zu leben und mich auch mal für eine Weile ausklinken zu können. Dennoch musste ich das erstmal verarbeiten.
Wie hast du das gemacht?
Das war eine lange Krisenzeit, ein vollkommener Ausnahmezustand. Ich habe jedes kleine Fitzelchen auf den Social-Media-Kanälen und auf Nachrichtenseiten aufgesogen. Ich habe alles minutiös verfolgt. Ich wusste in dieser Zeit genau, wo in der Ukraine ein Stückchen Metall vom Himmel gefallen ist. Ich wusste, wo welche Fronten verlaufen und was im Detail dort gerade passiert.
Warum wolltest du das alles wissen?
Diese Detail-Obsession ist wahrscheinlich ein psychologischer Schutzmechanismus. Man gewinnt dadurch eine ziemlich unsinnige Illusion von Kontrolle und meint, dass man es durch den vermeintlichen Überblick irgendwie im Griff hat. In dem Moment kann man ja sonst auch nichts machen. Man kann nur dasitzen und warten.
Wie lange hat diese Phase gedauert?
Bis ich mich wieder berappelt habe und akzeptiert habe, dass das passiert ist, sind ungefähr zwei Wochen vergangen. Nach zwei Monaten war ich wieder ganz funktionsfähig. Der Medienkonsum nahm ab, umgekehrt proportional dazu wuchs der Anteil der Zeit, die ich mit Geflüchteten verbracht habe.
Hat der 24. Februar, der Tag des russischen Angriffs, für dich eine besondere Bedeutung?
Es ist ein besonderer Tag, weil er für uns alle eine Zäsur ist. In erster Linie selbstverständlich für die Ukraine, für die es ein kollektives Trauma ist, dann für Europa und wahrscheinlich für die ganze Welt. Ich denke, im Nachgang wird der Tag so eingeordnet wie der Beginn der beiden Weltkriege, die Auflösung der Sowjetunion oder der 11. September.
Zwischen Münster und Osnabrück hat heute eine Menschenkette stattgefunden. Darüber ist vorher viel diskutiert worden. Was hältst du von den Aufrufen zum Frieden?
Mir fällt auf, dass diese Aufrufe oft eine gewisse antiamerikanische und russlandfreundliche Schlagseite haben und meinem Eindruck nach bestenfalls naiv sind. Die Beteiligten tun so, als hätte man es hier mit zwei Kriegsparteien auf Augenhöhe zu tun, die über einen Zankapfel streiten und sich nur hinsetzen müssten und dann wäre alles vorbei. Damit relativieren sie häufig die russische Kriegsschuld und nivellieren das Verhältnis von Opfer und Täter. Und das ist zynisch. Es gibt so etwas ja selten, aber hier ist es ganz klar: Es gibt eine Opferseite, die angegriffen wurde, und einen klaren Angreifer, der einen terroristischen Krieg mit genozidalen Zügen führt und tagtäglich Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung begeht. Jeder ernsthafte Pazifismus muss sich gegen den Angreifer wenden. Wenn Putin sich entscheiden würde, von heute auf morgen die Truppen zurückzuziehen, dann wäre der Krieg vorbei. Wenn die Ukraine die Waffen niederlegt, gibt es das Land im eigentlichen Sinne nicht mehr. Und es ist ja nicht so, dass nicht verhandelt würde.
Was genau meinst du?
Man hat bis zum Kriegsbeginn und selbst danach verhandelt. Auch das Abkommen zum Getreide-Export beispielsweise wurde schon während des Kriegs ausgehandelt. Sonst hätten wir jetzt zusätzlich zum Krieg eine gewaltige Hungerkrise. Und im Hintergrund laufen natürlich auch weiterhin nonstop diplomatische Bemühungen. Die können aber nur fruchten, wenn die Ukraine militärisch in eine starke Verhandlungsposition kommt.
Kann man mit Russland denn überhaupt verhandeln?
Das ist eine weitere Frage, die sich stellt und zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu verneinen wäre. Eine andere ist: Worüber verhandelt man? Es gibt hier eine revisionistische und revanchistische Macht mit einem imperialen Phantomschmerz. Und die möchte – das formulieren Putin, sein Umfeld und seine Propagandisten immer wieder – die Ukraine und die ukrainische Kultur faktisch auslöschen. Wie will man mit so jemandem verhandeln? Und dann: Wer garantiert, dass die Ergebnisse dieser Verhandlungen bindend sind? Man hat es ja mit pathologischen Lügnern zu tun, denen alle Abkommen und Verträge egal sind. Noch am 22. Februar hieß es: Niemand beabsichtigt, in die Ukraine einzumarschieren. Und dann ist es trotzdem passiert.
Was denkst du, wenn du diese Aufrufe zum Frieden liest?
Ich wünsche mir dann, dass die Initiatoren und deren Anhänger sich einmal fragen, warum die Menschen aus der Ukraine bei ihnen nicht mitmarschieren und sich darauf nicht einlassen. Ich habe noch von keinem Ukrainer und keiner Ukrainerin gehört, und ich bin ja mit Hunderten in Kontakt, dass sie so eine Initiative für gut halten. Man sollte sich einfach fragen: Warum setzen diese ganzen Menschen, deren Väter, Brüder, Männer, Söhne, Freunde und Bekannte noch dort sind, nicht auf diese Weise für diesen Frieden ein?
Warum machen sie das nicht?
Für die meisten ist der Krieg die größte Tragödie ihres Lebens. Aber sie wissen auch genau, was ein Frieden mit dem Putin-Regime zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet: in den okkupierten Gebieten Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung, Ermordungen, Filtrations- und Umerziehungslager, Tausende nach Russland verschleppte Kinder, Hinrichtungen von Intellektuellen, Zerstörung der materiellen Kulturgüter, ein Leben unter einer totalitären Willkürherrschaft und die Auslöschung der ukrainischen Staatlichkeit. Das kennt man ja alles von der Krim und aus dem Donbass und natürlich von den zuletzt befreiten Gebieten. Und Putin würde dadurch die Absolution für die zehntausendfachen Verbrechen bekommen, sich in seiner Strategie bestärkt sehen und Kräfte für eine neue Offensive sammeln.
Valentin Peschanskyi ist akademischer Rat am Institut für Slawistik der Uni Münster. Im Moment arbeitet er an seiner Habilitation.
Ende 2021 waren in Münster 448 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit gemeldet. Ende 2022 waren es 3.648, was einer Steigerung von 814 Prozent entspricht. Aktuell sind über 90 Prozent der Ukrainer:innen als Kriegsgeflüchtete registriert.
(Quelle: Stadt Münster/Ausländerzentralregister)
Hier finden Sie alle unsere Infografiken. Sollte Ihnen eine davon besonders gut gefallen, teilen Sie sie gerne!
+++ Der Krieg in der Ukraine zerstört nicht nur Menschenleben, sondern auch die Umwelt. Organisationen wie Pax und Greenpeace dokumentieren die Umweltschäden. Dazu gehören Waldbrände, giftige Dämpfe aus Fabriken, brennende Treibstoffdepots, Ölverschmutzungen im Schwarzen Meer und Munition. Letztere enthält unter anderem Schwermetalle, die Boden und Wasser verseuchen. Durch gezielte Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur werden beispielsweise Kraftwerke in Brand gesetzt, die ihre Umgebung mit Öl verseuchen. Wenn ganze Ökosysteme verseucht sind, kommt es schnell zu Krankheiten und Seuchen für Mensch und Tier, sagt Wim Zwijnenburg von der Friedensorganisation Pax. Nach Angaben einer ukrainischen Nichtregierungsorganisation beliefen sich die Umweltschäden im November bereits auf 36 Milliarden Euro. Einige Gebiete werden wahrscheinlich für lange Zeit nicht oder nur schwer bewohnbar sein. (fkr)
+++ Und noch etwas zur Industriestruktur der Ukraine: Im Westen des Landes sind viele Chemieanlagen angesiedelt, im Osten findet vor allem Kohleabbau statt. Allein der Bergbau bringt in dieser Situation viele Probleme mit sich: Seit 2014 legt der Krieg die Arbeit in den Kohlegebieten lahm. Die Folgen: Kohlegruben im Donbass wurden geschlossen und unkontrolliert geflutet. Das Grubenwasser führt zu Bodensenkungen und lässt Straßen und Häuser einstürzen. Kommt es in Kontakt mit dem Grundwasser, verseucht es dieses. Das ist im Abbaugebiet bereits der Fall. Dort werden auch radioaktive Stoffe unterirdisch gelagert. Wie es um diese Lager steht, ist schwer zu sagen. (fkr)
+++ Die Europäische Union stellt mindestens 7 Millionen Euro für die nachhaltige Entwicklung ukrainischer Städte bereit. Als Teil der EU-Phoenix-Initiative hofft die ukrainische Regierung, sich einer EU-Mitgliedschaft anzunähern. Mit dem Geld könnten beim Wiederaufbau energieeffiziente Schulen und Kindergärten geplant werden und ähnliche ukrainische und EU-Städte könnten sich über ihre Erfahrungen im Bereich Energieeffizienz und Klimaneutralität austauschen. (fkr)
+++ Die erste Aktion der Gruppe „Letzte Generation“ in Münster war dann doch recht schnell vorüber: Vergangenen Dienstag hatten neun Klimaaktivist:innen vor, die Warendorfer Straße zu blockieren. Das hat nicht geklappt, denn die Polizei war ebenfalls vor Ort und hat das Vorhaben beendet, bevor es überhaupt starten konnte. Laut den Westfälischen Nachrichten haben die Beamt:innen vor Ort Banner und Kleber abgenommen, die eventuell als Beweismittel herhalten müssen. Denn die Polizei hat nun Anzeige erstattet gegen die, die sie vom Protest abgehalten hat. Der Vorwurf: versuchte Nötigung. Erst einmal sei das aber nicht mehr als ein Anfangsverdacht, heißt es aus der Pressestelle der Polizei, und ein ganz normales Vorgehen. Polizist:innen seien in so einem Fall verpflichtet, Anzeige zu erstatten. Die Prüfung übernimmt nun die Staatsanwaltschaft. Die Gruppierung kündigt indes weitere Aktionen an. Und unter uns: Wenn die Gerichtsverhandlungen dann so wie bei Gruppenmitglied Henning Jeschke ablaufen, wünschen wir uns das vielleicht auch ein bisschen. (sst)
Ende März hatte Johanne Burkhardt für RUMS mit dem Münsteraner Andre Groten gesprochen. Er hat zusammen mit seiner Frau in Kyjiw gelebt und musste zu Beginn des Kriegs flüchten. Hier erzählen wir, wie es für die beiden nach ihrer Flucht weiterging.
Heute Morgen erinnerte Andre Groten sich daran, wie er vor genau einem Jahr geweckt wurde. Von einem Anruf. Seine Schwiegermutter war dran. Sie sagte, es sei Krieg. Und jetzt sind all diese Gefühle aus diesem Moment zurück bei Andre und seiner Frau Mariia. „Es geht uns beiden heute nicht gut“, sagte Andre. Sie beide denken an diesen Tag, der bis heute nicht enden will. So beschreiben viele Menschen aus der Ukraine ihr Gefühl. Und jetzt steht das Datum wieder im Kalender. Am Morgen haben Andre und Mariia gearbeitet, wie immer. Als Mariia vor einem Dreivierteljahr ihren Jahresvertrag unterschrieb, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass noch immer Krieg sein würde, wenn der Vertrag endet. Im Rückblick erscheint das unwahrscheinlich. Doch so ist es jetzt gekommen. Und es ist nicht nur der Krieg, es ist auch die Ungewissheit. Es ist ja nicht klar, ob alles gut ausgehen wird. Vor allem ist nicht klar, wie das Ende aussehen wird. Dass man sich an einen Tisch setzt und über den Frieden verhandelt, erscheint unwahrscheinlich, solange Putin die Macht hat. Wie soll man mit jemandem verhandeln, der einen überfallen hat und als Geisel hält? So sehen die meisten Menschen aus der Ukraine es. Daher haben Andre und Mariia heute auch nicht an der Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück teilgenommen, sondern an einer Solidaritätsveranstaltung mit der Ukraine, die ebenfalls in Münster stattfand. „Wir müssen zusehen, dass wir diesen Tag irgendwie rumkriegen“, sagte Andre am Telefon. Ab morgen geht der Krieg ins zweite Jahr. (rhe)
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
+++ Die Frauenstraße ist am Wochenende gesperrt, weil dort gebaut wird. (Stadt Münster)
+++ Nächste Woche ist die Achtermannstraße gesperrt, weil dort Kampfmittel beseitigt werden. (Stadt Münster)
+++ Am Donnerstag hat die Stadt eine Fläche am Bremer Platz eingerichtet, an der sich die sogenannte Drogenszene während des Umbaus aufhalten kann. (Stadt Münster)
+++ Der Pardo-Steeg am Aasee wird saniert und ist erst Ende des Sommers fertig. (Stadt Münster)
+++ Münster bekommt keine Pfandsammelboxen, weil andere Kommunen damit schlechte Erfahrungen wie Scherben und Vandalismus gemacht haben. (Westfälische Nachrichten)
+++ Bischof Felix Genn hat den Verwaltungsdirektor abberufen, ohne dafür einen Grund zu nennen. (Bistum Münster)
+++ Das Bistum Münster sieht in der Essener Missbrauchsstudie keine neuen Erkenntnisse zu Münsters Bischof Felix Genn. (Kirche und Leben)
+++ Die Stadt will noch bis Mitte nächster Woche das Grundstück des Kinderhauser Müllsammlers aufräumen und ihm dafür die Rechnung schicken. (Westfälische Nachrichten)
+++ Die Polizei sucht nach Zeugen, die am Montagabend gesehen haben, wie jemand eine andere Person mit einer Schusswaffe bedroht haben soll. (Polizei Münster)
+++ Die Bundespolizei hat jemanden festgenommen, der zuvor einen Zugbegleiter auf einem Bahnsteig im Hauptbahnhof mit einem Messer bedroht haben soll. (Bundespolizei NRW)
+++ Der gebürtige Iraner Fari Hadipour hält in einem ausrangierten Linienbus auf dem Schlossplatz eine Dauermahnwache zur Unterstützung der Protestbewegung im Iran ab. (WDR)
+++ Ein Gedicht des Poetry-Slammers Marian Heuser aus Münster ist doch glatt in einem Schulbuch für Neuntklässler:innen gelandet. (WDR)
+++ In Hiltrup findet am Montag eine Infoveranstaltung zur beantragten Umbenennung der Heideggerstraße statt, in der es um die Nähe des Philosophen Martin Heidegger zum Nationalsozialismus gehen wird. (Stadt Münster)
+++ Eine Frau hat bei der Polizei eine Vergewaltigung am frühen Sonntagmorgen gemeldet, diese sucht nun Zeugen. (Polizei Münster)
Gegenüber vom Schlosstheater befindet sich ein Stück Kultur. Kioskkultur, um genau zu sein. Der X-Viertel-Kiosk im kleinen Büdchen bietet eine große Auswahl an Getränken, Sitzgelegenheiten je nach Gusto im Schatten oder in der Sonne und die Möglichkeit, einen netten Plausch mit den Betreibern zu halten. Und sonntags bekommt man dort auch das Nötigste für den alltäglichen Bedarf.
Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!
Heute haben Fabian Cohrs, Sebastian Fobbe und Ralf Heimann für Sie ein paar schöne Veranstaltungstipps herausgesucht.
+++ Noch auf der Suche nach einem Abendprogramm? Heute bietet die Theaterbühne im Kreativhaus einen Einblick in die Welt des Narzissmus und Geltungsdrangs. Alles ganz locker und humoristisch in Kabarettform, versteht sich. Sie erwarten Erzählungen aus Alltagssituationen und der Berufswelt, vorgetragen von Regina Schrott und Christoph Hilger. Karten für das um 20 Uhr startende „Narzarett“ gibt es noch hier.
+++ Bei ihrem ersten Abendsalon im Kreativ-Haus am Mittwoch wollen Katha und Lea, Psychologin und Betriebswirtin (Nachnamen stehen nicht in der Ankündigung), sich mit Frauen in Münsters Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen. Dabei geht es auch um eine wissenschaftliche Erkenntnis: Wenn Teams, die nicht nur aus Menschen eines einzigen Geschlechts bestehen, Entscheidungen treffen, fallen diese oft anders aus. Zu Gast ist Lucienne Bangura-Nottbeck. Sie wird über weibliches Empowerment sprechen. Noch ein paar Tickets und weitere Informationen gibt es hier.
+++ Bei bestem Sonntagswetter bietet sich ein Ausflug in die Natur an. Und falls Sie es abenteuerlich mögen, dürfen Sie den Ausflug auch „Münsterland-Safari“ nennen: In der Hohen Ward führt Udo Wellerdieck Sie am Sonntag durch Hiltrup. Name der Safari: „Auf den Spuren der Schweine“. Im Zentrum steht das Leben der Wildschweine hier in der Region. Weitere Informationen und Daten zur Anmeldung finden Sie hier.
+++ Ab heute zeigt die Galerie Ostendorff eine Ausstellung von Pablo Picasso. Sie ist eine Hommage zu seinem 50. Todestag. Zu sehen sind über hundert Werke des Künstlers. Die Vernissage hat heute um 17 Uhr begonnen, die „Hommage à Picasso“ können Sie noch bis zum 18. März besuchen.
+++ Der Frühling kommt, damit wird auch das Fahrradfahren wieder attraktiver. Wer seine oder ihre Leeze auf Vordermann bringen möchte, das allerdings nicht alleine machen möchte, kann am Samstag ab 12 Uhr zum Cuba in der Achtermannstraße kommen. Werkzeug und Hilfe zur Selbsthilfe werden gestellt, eine Anmeldung ist nicht nötig. Mehr Informationen bekommen Sie hier.
+++ Till Lindemann und seine Bandkollegen sollen sich ja „ordentlich beömmelt“ haben, als sie von dieser Partyreihe hörten: „Strammsein“ findet Samstagnacht wieder in der Sputnikhalle statt. Zwar gibt es keine Livemusik, aber zwei DJs, die das Publikum ab 23 Uhr mit Rammstein und anderer Musik aus dem lauteren Gitarrenspektrum unterhalten. Wer mitgeschleppt wurde und das eigentlich eher anstrengend findet (oder einfach gerne Pfeffi mag), bekommt Shots umsonst am DJ-Pult. Die Abendkasse kostet 8 Euro, mehr Informationen finden Sie hier.
+++ Die Ukrainerin Aleksandra überlebte die Hungersnot Holodomor, wurde von den Nazis nach Deutschland verschleppt und fing nach dem Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden ein neues Leben an. Ihre Enkelin, die Autorin Lisa Weeda, hat 2021 ihre bewegende Familiengeschichte aufgeschrieben und als Roman veröffentlicht. Heute, am Jahrestag des Ukrainekriegs, erscheint „Aleksandra“ in deutscher Sprache. Am 13. März wird Birgit Erdmann, die Übersetzerin des Romans, im Haus der Niederlande zu Gast sein und bei einer Leserunde des Literaturmagazins „Tralalit“ mit RUMS-Lektorin Lisa Mensing über das Buch diskutieren. Wenn Sie an der Veranstaltung teilnehmen möchten, können Sie sich per Mail anmelden. Die Teilnehmenden sollten das Buch vorab (zumindest in Teilen) gelesen haben.
Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Haben Sie ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße
Svenja Stühmeier
Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Ralf Heimann (rhe), Jan Große Nobis (jgn), Frieda Krukenkamp (fkr), Fabian Cohrs (fco)
Lektorat: Antonia Strotmann
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PS
Falls Sie zufällig studieren und nebenbei Bier brauen, hier ein Freizeittipp für Sie: Beim „Students‘ Beer Award“ können Sie sich mit anderen Brauer:innen messen und bestenfalls als Sieger:in aus dem Wettbewerb gehen. Was Sie dafür tun müssen? Naja, Bier brauen halt. Und zwar entweder deutsches Pils, Irish Stout, American Pale Ale oder ein kreatives „Winterbier“. Anmelden können Sie sich bis zum 17. Juli auf der Internetseite, Einsendeschluss für Ihr Bier ist am 31. Juli. Damit unterstützen Sie übrigens die Ausbildung einiger Studierender an der FH, denn das Ganze ist in einem Oecotrophologie-Seminar zum Eventmanagement entstanden. Wer es dann im Oktober aufs Treppchen schafft, gewinnt Pokale, Urkunden und Braumaterial. (sst)
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