Fluchtfahrzeug: Rollator | Interview: „Wir wollten dieses große Haifischbecken Musikindustrie einmal kräftig umrühren“ | Hansaflotte-Lastenräder

Porträt von Svenja Stühmeier
Mit Svenja Stühmeier

Guten Tag,

kennen Sie den Begriff „Fringsen“? Vielleicht war es das, was eine 75-Jährige am Mittwochabend in einem Supermarkt in Münster versucht hat. Die Stadt Köln beschreibt „Fringsen“ jedenfalls so: „Man begeht Mundraub, um sich das Überleben zu sichern.“ Zurückführen lässt sich das auf den Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings. Der, oder vielmehr seine Silvesteransprache von 1946, ist in Erinnerung geblieben.

Darin hat er gesagt: Es ist okay, wenn Menschen, die sich in einer schlimmen Notlage befinden, nehmen, was sie zum Leben brauchen – ohne dafür zu bezahlen. Im eisigen Nachkriegswinter waren das insbesondere Kohle und Lebensmittel.

Moment, das klingt doch nicht ganz unbekannt. Im vergangenen Winter haben wir viel über enorme Heizkosten und zu kalte Wohnungen gesprochen. Dass Lebensmittel viel teurer werden, merken alle seit Monaten.

Und manche leider ganz besonders stark. Immer mehr Menschen gehen zu den Tafeln, die immer weniger Lebensmittel anbieten können. Einige in Nordrhein-Westfalen haben Aufnahmestopp oder -begrenzungen eingeführt. Und abgesehen davon sind insbesondere Frauen von Altersarmut betroffen.

Warten auf die Polizei, warten auf die Strafanzeige

So, und nun ist da eine ältere Frau, die in einem Supermarkt an der Westhoffstraße in Kinderhaus Tiefkühllebensmittel in ihren Rollator packt und versucht, damit abzuhauen. Das hat laut Polizei nicht funktioniert, denn Mitarbeiter:innen und Kund:innen haben sich ihr in den Weg gestellt. Die Frau hat versucht, sie beiseite zu stoßen, ebenfalls erfolglos. Sie hat also im Laden auf die Polizei gewartet. Die verkündet wiederum, dass sie jetzt mit einer Strafanzeige rechnen kann.

Wir wissen über den Fall nur das, was in der Polizeimeldung steht. Ob die Frau einen Grund für den Diebstahlversuch genannt hat und welcher das war, teilt die Polizei nicht mit. Aber ein paar Gedanken noch dazu: In einen Rollator passen keine Unmengen an Tiefkühlkartons. Die Menschen, die in meinem Umfeld einen Rollator benutzen, sind damit nur in der Öffentlichkeit unterwegs, wenn es wirklich nicht anders geht. Und sie gehen ziemlich sicher nicht davon aus, dass sie Supermarktmitarbeitende aus dem Weg schaffen könnten, wenn die sich ihnen in den Weg stellen.

Die anderen Kund:innen, die sie aufhalten könnten, natürlich auch nicht. Überhaupt, eine seltsame Reaktion, oder? Ist es eine starke Prinzipientreue gegenüber dem Gebot „Du sollst nicht stehlen“, die sie dazu bewegt hat? Wollten sie ein bisschen Hausmeister:in spielen? Grundsätzlich ist es ja auch ganz richtig, dass Leute die Supermärkte nicht ausplündern, sondern an der Kasse bezahlen. Manche können das aber wirklich nicht.

Und wer bezahlt, ist am Ende auch irgendwie egal, oder? Die, die etwas Geld übrig haben, können ja zum Beispiel mal lesen, wie das mit dem Spenden für die Tafel geht. Oder anbieten, die Rechnung zu übernehmen, wenn sie mitbekommen, dass eine Person Essen in ihrem Rollator versteckt. (sst)

Kurz und Klein

+++ Die Stadtwerke haben Probleme mit den Jahresabrechnungen: Zehntausende Kund:innen warteten noch, die Abschläge pausierten, schreiben die Westfälischen Nachrichten. Grund sei die technische Umsetzung der Energiepreisbremse, vor allem bei komplizierteren Verträgen wie zum Beispiel Hoch- und Niedertarifen, sagt uns Stadtwerke-Sprecherin Lisa Schmees. Und weil das System mit der Jahresabrechnung normalerweise einen neuen Abschlagsplan verschicke, würden die Abschläge im Moment ausgesetzt. Diese verteile das Unternehmen dann auf die restlichen Abschläge. Wann die Rechnungen verschickt werden, konnte Lisa Schmees nicht sagen. Auch in vielen anderen Städten warten Stadtwerke-Kund:innen auf ihre Jahresabrechnungen, darunter München, Osnabrück und Essen. (ast)

+++ Die Unternehmen Google und Apple sind wieder mit Kameras auf Münsters Straßen unterwegs. Laut der Stadt macht Apple ab heute bis Ende August neue Aufnahmen für seinen Dienst „Look Around“, und Google fotografiert noch bis Oktober für „Street View“. Dafür schicken die Unternehmen Fahrzeuge und Mitarbeitende mit Kameras los. Sollte eine Kamera Sie oder Ihr Auto erwischen, keine Sorge, die Unternehmen müssen Ihr Gesicht oder Ihr Nummernschild verpixeln. Wenn Ihnen das nicht ausreicht, können Sie sich, Ihr Haus oder Ihr Auto komplett verpixeln lassen: einfach bei Google dieses Formular ausfüllen und an Apple eine E-Mail senden. Einen Mustertext liefert die Verbraucherzentrale. Falls es Sie jetzt sogar in andere Städte ziehen sollte, finden Sie hier die geplanten Routen von Google und hier von Apple. So viel vorab: Viele Ausweichmöglichkeiten bleiben nicht übrig. (ast)

+++ Ab Montag sind die Weseler Straße, die Roxeler Straße und die Schmeddingstraße nachts zwischen 20 und 5 Uhr wegen Bauarbeiten teilweise gesperrt. Die Sperrungen betreffen nur Autos und bestimmte Abschnitte, Umleitungen sind eingerichtet. Wer dort wohnt, kommt zwischenzeitlich nur zu Fuß oder mit dem Rad zum eigenen Grundstück. Die gute Nachricht: Ab dem 22. Juli ist alles fertig. Genauere Infos gibt die Stadt hier. (rhe)

+++ Wir hatten es vor einer Woche in der Ein-Satz-Zentrale schon angerissen: Seit Freitag kann man bei den Stadtwerken das 29-Euro-Ticket für den Bus- und Bahnverkehr in Münster vorbestellen. Damit will das Ratsbündnis aus Grünen, SPD und Volt bekanntlich die Verkehrswende ankurbeln. Nur: Klappt das noch? Denn wie die Koalitionsparteien in der Vergangenheit immer wieder betont haben, sollen die Autofahrenden künftig höhere Anwohnerparkgebühren zahlen und so den öffentlichen Nahverkehr stärker mitfinanzieren. Aber seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts steht die geplante Erhöhung auf der Kippe (RUMS-Brief). Falls Sie sich jetzt wie wir fragen, ob ein mögliches Aus der erhöhten Anwohnerparkpreise auch das 29-Euro-Ticket gefährden könnte, kommt hier die Entwarnung aus dem Presseamt: Zwischen dem neuen Stadtverkehrsticket und dem Anwohnerparken bestehe „nicht grundsätzlich“ ein Zusammenhang, heißt es in der Antwortmail. Der Rat hatte vergangenes Jahr nämlich beschlossen, das 29-Euro-Ticket „im Wesentlichen“ mit Einsparungen bei der Fahrbahninstandsetzung zu finanzieren. (sfo)

Johanna Bauhus vom Label „Ladies & Ladys“

Interview mit Johanna Bauhus

„Wir wollten dieses große Haifischbecken Musikindustrie einmal kräftig umrühren“

2016 hat die Musikerin Johanna Knoblauch ihrer Freundin Johanna Bauhus erzählt, dass sie auf Tour neben ihrer Bandkollegin keine andere Frau auf der Bühne gesehen hat. Auch nicht in der Technik oder in anderen Positionen. Irgendwie war dann klar: Sie gründen einfach selbst ein Label. Eines, das insbesondere marginalisierte Künstler:innen aufbaut und vertritt. Zusammen mit Paula Schumm haben sie dann „Ladies & Ladys Label. Das erste offiziell sexistische* Musiklabel der Welt“ gegründet. Svenja Stühmeier hat mit Johanna Bauhus über Sexismus im Musikbusiness, Wohlfühlen auf Festivals und Veranstaltungen in Münster gesprochen.

Warum hast du ein sexistisches Label mitgegründet, wenn du doch gegen Sexismus in der Musikbranche ankämpfen willst?

Alle Labels sind sexistisch, aber keins ist das offiziell. Jedenfalls haben wir die Musikbranche im Jahr unserer Gründung so wahrgenommen. Wir nennen uns einfach das erste offiziell sexistische Musiklabel der Welt, und dann kann man drüber nachdenken, ob wir das wirklich sind oder nicht. Damit bekommt das Thema jedes Mal Aufmerksamkeit.

Warum ist es wichtig, dass es euer Label gibt?

Es gab kein Label und auch keine anderen Strukturen, die auf dem Schirm hatten, dass es ein Ungleichgewicht gibt in der Musikindustrie. Sonst hätten wir uns auch anderen angeschlossen. In Deutschland waren wir also ab Stunde Null dabei, oder vielleicht sogar ein bisschen davor. Ab 2016 haben sich dann die ganzen Netzwerke entwickelt, zum Beispiel „Music Women* Germany“, damals noch „MusicHHWomen*“. Wir wollten dieses große Haifischbecken Musikindustrie einmal kräftig umrühren und jetzt ist es schön zu sehen, dass das Thema Einzug hält in den Mainstream.

Wie genau äußert sich dieses Ungleichgewicht?

Wenn man sich zum Beispiel die Line-ups der großen Festivals anguckt, dann liegt die Quote der Menschen, die nicht weiß und männlich sind, solide im einstelligen Bereich. Ich habe dann recherchiert, ob es andere Künstler:innen einfach nicht gibt. Aber ganz ehrlich, wir haben jeden Tag Bewerbungen fürs Label. Es gibt also genug, die werden aber nicht präsentiert. Und dann kann man davon ausgehen, dass das an der Struktur liegt. Dass Türen für sie nicht so einfach aufgehen und dass sie mehr davon durchlaufen müssen, bis sie mal irgendwo gesehen werden. Viele werden außerdem behandelt, als seien sie inkompetent. Und im Musikgeschäft ist der Gender Pay Gap nochmal größer als im Durchschnitt.

Wie setzt ihr euch als Label dafür ein, dass sich etwas verändert?

Ein Label ist sowohl die Steigleiter als auch das Schutzschild für die Künstler:innen. Und wenn wir diesen Kampf gegen Benachteiligung führen, können wir das auch stellvertretend für unsere Künstler:innen machen. Wir wollen versuchen, diese Erfahrungen von ihnen abzuhalten. Und wir wollen ihnen das Handwerkszeug geben, um zu erkennen, wenn sie benachteiligt werden, ihnen den Rücken stärken und zeigen, was sie dagegen tun können.

Wir sind jetzt so lange dabei, dass wir ihnen zum Beispiel sagen können: Es ist nicht okay, wenn dir Tontechniker sagen, wie du zu klingen hast. Oder: Veranstalter:innen haben was davon, wenn du bei ihnen auftrittst. Eine Limo oder ein Kasten Bier entsprechen nicht dem monetären Wert deines Auftritts. Wenn du als Label irgendwo anrufst, wirst du außerdem gleich professioneller wahrgenommen als einzelne Künstler:innen. Wir halten dann im Zweifel die Hand vor unsere Künstler:innen und gehen bei Ausbeutung nicht mit.

Welche Künstler:innen vertretet ihr?

Wir haben in der Tat viele, viele Stunden darüber nachgedacht, für wen wir da sein wollen und für wen nicht, und wie wir das nach außen kommunizieren. Wir haben dann festgelegt, dass wir die Diskriminierung diskriminieren und dass es bei uns keinen Griff in die Hose geben wird. Wir sind für alle Menschen, die es scheiße finden, dass es ein Ungleichgewicht in der Musikindustrie gibt und die was dagegen tun wollen. Das kann jeder Mensch sein, unabhängig von Geschlecht oder Geschlechtsidentität.

Warum wollen die nicht mit anderen Labels zusammenarbeiten?

Sie haben Lust, in einem Label zu sein, hinter dessen Werten sie stehen. Wenn man sich die großen Labels anguckt, hat jedes eine:n Problem-Künstler:in. Bei Universal war es jetzt zum Beispiel Rammstein. Sie finanzieren aber gleichzeitig die kleineren Künstler:innen.

Wie finanziert ihr euch dann, ganz ohne Problem-Künstler:in?

Ich kann nicht nachvollziehen, warum die so groß geworden sind und so viel Geld einspielen, aber sie tun es halt. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Helene Fischer, die es in diesen Mainstream geschafft hat. Wenn wir jetzt den Weg ebnen, dass unsere Künstler:innen auf die großen Bühnen kommen, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in die Rotation von Radiostationen kommen. In dem Moment ändert sich quasi der Mainstream, und du verdienst plötzlich mit den coolen Sachen Geld.

Und dann könnte man wieder die nächste Generation cooler Artists finanzieren. Aber wenn du so fragst, haben wir ein krasses finanzielles Problem. Seit Jahren suche ich schon nach der Lösung, weil ich nicht glauben kann, dass man mit unserer Arbeit einfach kein Geld verdient. Um ein Album zu veröffentlichen, brauchst du locker zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Das schaffen wir mit Förderungen. Für uns bleibt am Ende des Tages aber nichts übrig. Das ist super schade, denn wir können so nicht weiterwachsen.

Ihr arbeitet also ehrenamtlich?

Ja. Ich habe viele Jahre nicht angestellt gearbeitet und auch eine Zeit lang Hartz IV bezogen. Ich habe meine ganze Kraft in dieses Label gesteckt, unter sehr prekären Umständen. Dann habe ich vor ungefähr anderthalb Jahren wieder eine Teilzeitstelle angenommen, um meine Miete zu sichern. Das zerreißt natürlich mein Herz, weil ich eigentlich super gerne nur im Label arbeiten würde, aber das geht finanziell nicht.

Wie schafft ihr es, trotzdem so viel Energie in „Ladies & Ladys“ zu stecken?

Das ist viel Idealismus, die Idee, was für eine bessere Welt zu machen. Und es geht auch immer ein bisschen voran. Als wir fast am Ende waren mit unserer Kraft, kam diese Auszeichnung von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilot:innen. Da haben wir gedacht, jetzt haben wir Zugriff auf die krassen Player. Mit der Auszeichnung kann es ja sein, dass wir attraktiv sind für Investor:innen, die am Ende des Tages das Geld nicht wiedersehen wollen. Die einfach Bock haben, Mucke mit auszusuchen, zum Beispiel, weil sie irgendwie auch kacke finden, was in den Top 100 ist. Danach suchen wir gerade.

Die Auszeichnung habt ihr unter anderem erhalten, weil ihr 2022 in Münster das Cock am Ring-Festival veranstaltet habt. Damit wolltet ihr den großen Festivals einen Denkzettel verpassen und erreichen, dass sie möglichst schnell diversere Line-ups aufstellen. Warum sind gerade Line-ups so wichtig?

Diversität muss überall stattfinden und sich nicht nur auf die Dimension Gender beschränken. Aber wenn du quasi in dem Team, das die Luftballons aufhängt, 90 Prozent Frauen hast, naja, herzlichen Glückwunsch. Was ist mit deiner Führungsetage? Diversität muss durch alles durchgehen, und sich natürlich auch im Line-up widerspiegeln, weil das die größte Strahlkraft nach außen hat. Ich kann Festivals nicht ernst nehmen, die sagen, wir sind doch so divers, deren größte Leuchtreklame aber komplette Homogenität ausstrahlt.

Ist euer Plan denn aufgegangen?

Das Coole ist, dass Cock am Ring so viel mediale Aufmerksamkeit gebracht hat. Wir waren wirklich in allen Tageszeitungen. Und das hat dazu geführt, dass ich eingeladen wurde auf die Future Of Festivals. Das ist die größte Festivalmesse, die es so gibt. Da habe ich zur Primetime auf einer riesigen Bühne über Cock am Ring reden dürfen, und alle Festivalmacher:innen saßen im Publikum. Auch die neue Produktionsleiterin von Rock am Ring. Wir haben uns unterhalten und ich war ganz aufgeregt. Wir haben ja quasi ein Jahr lang ihr Festival durch den Kakao gezogen. Aber sie sagte auch: Am Ende des Tages ist der größte Geldgeber Eventim. Der hat Zahlen, Daten, Fakten zu Bands, die ziehen. Daraus entstehen dann die Line-ups der nächsten Jahre.

Kannst du dir vorstellen, welche Bands das sind? Nicht die queerfeministischen Bands, die es seit anderthalb Jahren gibt. Solange das so ist und es keine staatliche Reglementierung gibt, keine Quote, kann sich die Produktionsleiterin von Rock am Ring auf den Kopf stellen. Dann wird sich so schnell nichts oder nicht genug ändern. 2023 ist es da aber schon besser gewesen. Da ist jetzt natürlich auch ein Druck, und das ist gut. Mit Cock am Ring hätte ich 2016 nicht so eine Welle gemacht. Die Zeit ist jetzt einfach reif.

Stichwort Zeitgeist: Viele Festivals schreiben sich mittlerweile auf die Fahne, Awareness-Teams zu haben [Ansprechpersonen für Menschen, die zum Beispiel übergriffiges Verhalten oder Diskriminierung erlebt haben]. Mit deiner Agentur entwirfst du Awareness-Konzepte für Veranstaltungen. Warum sind die nötig?

Die Musikindustrie ist komplett hedonistisch. Es geht die ganze Zeit um Spaß. Manche Konzert- oder Festivalbesucher:innen haben den aber nicht, weil andere Grenzen überschritten haben. Der Abend ist dann für den betroffenen Menschen gelaufen, aber der ausübende Mensch bleibt auf der Party.

Andersherum wird allerdings ein Schuh draus. Du musst dafür sorgen, dass der betroffene Mensch Bock hat, zu bleiben, was bedeuten kann, dass der ausübende Mensch geht. Bei Veranstaltungen hat man das Hausrecht. Das heißt, man kann Leute auch dann rausschmeißen, wenn es strafrechtlich nicht relevant ist. Da gilt ja die Unschuldsvermutung.

Was macht ein funktionierendes Konzept aus?

Veranstalter:innen müssen sich erst einmal bewusst machen, dass sie da eine Verantwortung haben. Und dann überlegen, wo sie sie übernehmen sollten. Der erste Schritt ist zu überlegen, was sie schon gegen Diskriminierung tun. Und dann muss man sich die Unternehmensstruktur angucken und wirklich in jeder Ebene Mechanismen einbauen, die erkennen, wenn die Verantwortung, Diskriminierung zu bekämpfen, nicht getragen wird.

Solche Konzepte kann man nicht überstülpen. Die müssen durch allen Ebenen hindurch funktionieren und vor allen Dingen gewollt sein. Auf der Veranstaltung müssen die Menschen dann wissen, an wen sie sich wenden können und dass das auch klappt. Bekannte Bands können ihre Position auch nutzen, indem sie eine Durchsage machen, dass es ein Awareness-Team gibt. Wenn alle dafür verantwortlich sind, dass alle einen guten Abend haben, macht das voll viel aus.

Lehnst du auch Aufträge ab?

Ja. Ich wurde zum Beispiel gefragt, ob ich für diese Rammstein-Konzerte in München noch schnell ein Konzept machen würde. Das hätte ich nur gemacht, wenn ich das Hausrecht bekommen hätte. Dann hätte ich als allererstes Till Lindemann vom Platz gestellt, und vielleicht noch andere Leute aus der Band oder der Crew. Das Problem ging in diesem Fall mindestens von einem Menschen aus und der muss weg, weil viele andere sonst keinen entspannten Abend haben können. In diesem Fall hätte das Konzept Rammstein aber wahrscheinlich nicht mehr funktioniert. Man muss da konsequent sein, was vielleicht auch bedeutet: Dann veranstalten wir eben nicht.

Dann haben Veranstalter:innen also wenigstens verstanden, dass so ein Awareness-Konzept gut aussieht?

Dieses Jahr haben quasi alle Festivals bei uns angerufen. Das sagen auch alle anderen Awareness-Agenturen. Aber ich glaube, der Groschen ist noch nicht komplett gefallen. Denn ich finde nicht, dass Awareness-Arbeit ausschließlich das Kümmern um Betroffene ist. Auch wenn das ein ganz wichtiger Part ist, ist es schwierig, Betroffenen sagen zu müssen: Das tut mir mega leid, dass dir das passiert ist, aber außer für dich da zu sein, kann ich nichts für dich tun. Wenn Leute zu dir kommen als Veranstalter:in, dann wollen sie oft auch eine Konsequenz sehen. Sie wollen, dass sich was ändert.

Das waren jetzt die großen Festivals. Wie halten es Veranstalter:innen aus Münster damit?

Die haben nicht angerufen. Ich habe gelesen, dass beim Docklands Festival das Awareness-Team kurzfristig abgesagt hat. Hey, das kann man nicht dazukaufen wie einen Sicherheitsdienst. Ich hätte ein Konzept schreiben können, das fast ohne Personal funktioniert. Aber da hätten wir ein paar Monate vorher mit anfangen müssen. Und beim Vainstream haben die Nova Twins gespielt [zwei Schwarze Musikerinnen, Anm. d. Red.]. Die sind einfach super. Aber wann spielen die? Morgens um elf. Die hätten den Slot abends mit den Donots tauschen können, die hatten den nämlich schon hundert Mal und diese Band unterstützt die aktuellen Veränderungsprozesse ziemlich großartig. Dann hätten die Nova Twins viel Publikum gehabt und die Hütte wäre um elf schon voll gewesen.

Machst du bald mal wieder ein Festival in Münster?

Nee, dieses Jahr nicht. Cock am Ring hat 2022 zehn Monate lang meine ganze Freizeit genommen. Wir sind dann gerade so auf Null gekommen. Zwei Wochen vorher habe ich gedacht, ich müsste vielleicht Privatinsolvenz anmelden. Am Ende haben wir wenigstens nur uns selbst ausgebeutet und allen anderen das Minimum bezahlt. Aber das hat sich so kacke angefühlt, dass ich dieses Jahr nicht noch einmal das Risiko eingehen wollte. Aber falls es Investor:innen gibt, die Bock haben, nächstes Jahr sowas zu machen: Ich konzipiere das Festival sehr gerne! (sst)

Johanna Bauhus hat das Musiklabel „Ladies & Ladys“ mitgegründet. Damit setzt sie sich für mehr Sichtbarkeit von Künstler:innen aus marginalisierten Gruppen ein.
Anonymer Briefkasten

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Grüße aus dem Urlaub

Martin Vodicka hat ein paar Tage an der Schlei verbracht
Martin Vodicka hat ein paar Tage an der Schlei verbracht. Ob Fjord, Förde oder Meeresarm: „Schön ist sie allemal“, schreibt er. Haben Sie auch schon ein paar tolle Urlaubsfotos gemacht? Dann schicken Sie uns gerne welche zu: redaktion@rums.ms!

Korrekturen

+++ In einer Meldung im RUMS-Brief am Dienstag haben wir geschrieben, dass Grundschullehrer:innen weniger verdienen als die am Gymnasium und dort einen veralteten Beitrag verlinkt. Richtig ist: Noch verdienen Grundschullehrer:innen weniger als die am Gymnasium. Ende Mai hat der Landtag allerdings beschlossen, dass Lehrkräfte der Primarstufe und Sekundarstufe I künftig nach A 13 bezahlt werden. Die Anpassung findet in fünf Schritten bis 2026 statt. Damit gehören sie dann der gleichen Besoldungsgruppe an wie Gymnasiallehrer:innen. Wir haben das korrigiert. (sst)

+++ Die Stadt hat in ihrem neuen Postrad keine faltbare Sackgasse, sondern eine faltbare Sackkarre deponiert. Das haben wir am Dienstag falsch aufgeschrieben und nach Hinweisen von Ihnen korrigiert. (sst)

Anzeige Grüne Inseln Kinderhaus
„Grüne Inseln für Kinderhaus“ sucht Verstärkung

Seit zehn Jahren pflegen wir die Beete auf den Kreisverkehren in unserem Stadtteil und bekommen dafür viel Lob und Dank von unseren Mitmenschen. Dabei freuen wir uns über tatkräftige Mitarbeit. Wir treffen uns donnerstags von 10 bis 11 Uhr zur Arbeit an den Beeten und sind an den gelben Westen gut zu erkennen.

Interesse? Schreiben Sie uns gerne!

 

 

Klima-Update

+++ Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren sind über 130 Menschen gestorben, zwölf von ihnen in einem Heim für Menschen mit Behinderungen. Eine knapp 40 Minuten lange Doku des Onlinemagazins „Andererseits“ beschäftigt sich mit der Frage: Hätte man das verhindern können? (rhe)

+++ Die Stadt Münster gibt bei einem zweistündigen Themenabend Tipps dazu, was man gegen die Sommerhitze machen kann, ohne den Energieverbrauch zu erhöhen. (rhe)

+++ Die Bundesregierung hat das Klimaanpassungsgesetz verabschiedet, um auf Klimawandelfolgen wie Hitze, Hochwasser und Starkregen besser vorbereitet zu sein. Das Gesetz sieht vor, dass jede Gemeinde und jeder Landkreis ein „integriertes Klimaanpassungskonzept“ entwickeln muss. Umgesetzt hat das bislang nur etwa ein Viertel der Kommunen, unter anderem Münster. Einen Hitzeaktionsplan hat die Stadt allerdings noch nicht, genau wie etwa 85 Prozent aller deutschen Kommunen. Die „Zeit“ gibt einen Überblick dazu, wie Kommunen in Deutschland auf Hitze, Hochwasser und Starkregen vorbereitet sind. (rhe)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Der verdächtige Fund an der Achtermannstraße war doch kein Blindgänger. (Stadt Münster)

+++ Wegen Arbeiten an Wasser- und Gasleitungen am Koldering wird es ab Montag drei bis vier Wochen lang an der Kreuzung zur Weseler Straße eng. (Stadtnetze Münster I)

+++ In den ersten sechs Monaten des Jahres sind in Münster mehr Photovoltaikanlagen installiert worden als im kompletten vergangenen Jahr. (Stadtnetze Münster II)

+++ Mit der vor zwei Jahren beschlossenen Modernisierung des Sportparks Sentruper Höhe wird es wohl frühestens übernächstes Jahr etwas. (Westfälische Nachrichten)

+++ Der Abriss eines Bunkers an der Emsstraße dauert länger als geplant, weil das Fundament stärker ist, als man gedacht hätte. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Naturfreunde fordern eine parteiübergreifende Vereinbarung, um die Verkehrswende durchzusetzen und ein Konzept für den Verkehr in der Altstadt. (Naturfreunde, nicht online)

+++ Johannes Sabel wird neuer Direktor der Akademie im Franz-Hitze-Haus und damit Nachfolger von Antonius Kerkhoff, der in den Ruhestand geht. (Bistum Münster)

+++ Jana Bregulla hat in ihrer Dissertation untersucht, wie Zahnärzt:innen, dabei helfen können, häusliche Gewalt zu identifizieren, indem sie auf Gesichtsverletzungen achten. (Uni Münster)

+++ Die Staatsanwalt hat den 21-Jährigen, der im März einen 31-jährigen Mann auf dem Send mit einem Messer getötet haben soll, wegen Mordes angeklagt. (Staatsanwaltschaft Münster)

+++ Die Behörden haben im vergangenen Jahr deutlich mehr Gewalt gegen Kinder registriert als im Jahr zuvor. (Antenne Münster)

+++ Stand-Up-Paddling auf dem Aasee ist verboten. (Stadt Münster)

Unbezahlte Werbung

Manchmal braucht man einfach ein Auto. Oder? Testen Sie doch mal ein Lastenrad. Bei der Hansaflotte, beheimatet im gleichnamigen Viertel, können Sie kostenlos oder gegen Spende verschiedene Räder und Lastenanhänger ausleihen. Sie müssen sich vorher nur anmelden und einen kurzen Crashkurs besuchen. Das Konzept funktioniert inzwischen seit über einem Jahr und arbeitet ohne Gewinnabsicht. Schauen Sie doch mal auf der Webseite vorbei, vielleicht ist das ja was für den nächsten Baumarktbesuch.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Heute hat Fabian Cohrs ein paar schöne Veranstaltungstipps aufgeschrieben:

+++ Das „Goenndir-Kollektiv“ stellt dieses Wochenende im Localhost bei uns gegenüber vom Theater aus. Heute Abend ab 19 Uhr geht es mit einem DJ-Set los. Samstag und Sonntag können Sie zwischen 14 und 23 Uhr die Ausstellung inklusive Klanginstallationen und Konzerte besuchen. Der Eintritt ist frei.

+++ Sie werden es vermutlich schon gesehen haben, es ist wieder Send. Gestern hat er mit dem Familientag begonnen, die letzte Chance auf einen Besuch haben Sie am Montag. Neben den üblichen Attraktionen ist heute Abend bei Einbruch der Dunkelheit ein Feuerwerk zu sehen, vermutlich gegen 22:30 Uhr.

+++ Vor einigen Wochen habe ich Ihnen einen Spaziergang über den Waldfriedhof Lauheide empfohlen, der mal als schönster Friedhof Deutschlands ausgezeichnet wurde. Diesen Sonntag gibt das Amt für Grünflächen eine Führung über das Gelände, bei der Sie frische Luft schnappen und was über den Friedhof lernen können. Eine Anmeldung ist nicht nötig, los geht es um 15 Uhr. Die Führung dauert etwa zwei Stunden, weitere Infos gibt es hier.

+++ Heute Abend ist langer Freitag im LWL-Museum für Kunst und Kultur. Hier gibt es von 18 bis 24 Uhr freien Eintritt in die Sammlung und die aktuelle Ausstellung „Sommer der Moderne“. Außerdem gibt es heute Workshops und abends spielt ein DJ. Das Programm finden Sie hier.

+++ Und falls Sie nichts auf den Tanzflächen der Stadt verpassen wollen: Die Nachtbürgermeister:innen Münsters teilen auf ihrer Instagram-Seite jede Woche eine Übersicht dazu, was am Hawerkamp und in der Clubszene los ist.

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen erholsame Tage am Wochenende.

Herzliche Grüße
Svenja Stühmeier

Mitarbeit: Fabian Cohrs (fco), Ralf Heimann (rhe), Antonia Strotmann (ast), Elija Winter (ewi)
Lektorat: Antonia Strotmann

PS

An dieser Stelle ist eine rührselige Floskel mal erlaubt, finde ich. Also, los geht’s: Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Asbirg Naranjo ist Filmemacherin aus Münster und hat aus ihren Erlebnissen mit ihrem älter werdenden Nachbarn einen Kurzfilm gemacht. Titel: „Der Nachbar“. Der ist jetzt in zwei Kategorien bei der Long Island International Film Expo nominiert, und zwar als „Bester internationaler Film“ und als „Beste Geschichte“. Mit einem Crowdfunding hat die Regisseurin das nötige Kleingeld für die Reise zum Event nach New York gesammelt. Los geht es am 19. Juli. Und es scheint gerade gut zu laufen bei Asbirg Naranjo: Die Filmstiftung NRW fördert laut WDR ihr nächstes Projekt, den ersten Spielfilm.

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