Neue Hoffnung für den Hoppengarten | ADHS-Picknick am Aasee | Unbezahlte Werbung: Green Hell Records

Portrait Redakteurin Anna Niere
Mit Anna Niere

Guten Tag,

ich muss ja gestehen, dass ich einige Zeit gebraucht habe, bis mir aufgefallen ist, dass das unauffällige Backsteingebäude am Hoppengarten gar nicht leersteht. Zugegebenermaßen sieht die Umgebung, vor allem im Winter, nicht gerade sehr einladend aus. Was drinsteckt, ist im Gegensatz dazu aber durchaus sehr einladend.

Das in den 1960er-Jahren entstandene Gebäude wurde früher als Schule genutzt. Seit 2001 ist es das Zuhause freier Kunstschaffenden. Das Theater im Pumpenhaus nutzt es als Probenstätte. Der Hoppengarten ist das Zuhause des Jugendtheaters Cactus, aber auch verschiedener Kunstkollektive. Sie teilen sich vier Proberäume sowie Gästezimmer für bis zu 16 Personen.

Auch wenn die Künstler:innen froh sind, den Ort als Probestätte nutzen zu können, gibt es ein großes Problem: Das Haus ist baufällig. „Es kommt an einigen Stellen Wasser durchs Dach, die Fenster sind nicht dicht, die Proberäume lassen sich zum Teil nicht richtig heizen und der Keller stand auch schon mal unter Wasser“, berichtet Manfred Kerklau, Sprecher des Arbeitskreises Hoppengarten der freien Kulturszene-Initiative Monokultur, „es wurde immer nur das nötigste gemacht.“ Er ist mit seinem Theaterlabel „MAKE“ im Hoppengarten seit Beginn dabei.

Schon lange sei die freie Kulturszene in Gesprächen mit der Stadt gewesen – in der Hoffnung, dass diese endlich Mittel für die Sanierung zur Verfügung stelle. „Da hätte schon vor Jahren was passieren sollen“, sagt Kerklau. 2022 wurde das Sanierungskonzept im Rat vorgestellt. Jetzt gibt es wieder einen Hoffnungsschimmer: In der Ratssitzung im Dezember soll über den Errichtungsbeschluss für den Hoppengarten abgestimmt werden.

Wenn der Plan eine Mehrheit findet, werden alle Gebäude saniert. Eine neue Probebühne, die fünfte, mit über 310 Quadratmetern, soll entstehen. Die Ateliers werden von 590 auf etwa 680 Quadratmeter erweitert inklusive eines neuen Gemeinschaftsateliers, um Austausch und Kooperation zu fördern.

Außerdem soll eine Kita mit Platz für zwei Gruppen entstehen. Neu ist die allerdings nicht – die Kita haust schon seit 2021 in Containern hinter dem Gebäude des alten Heerde-Kollegs. Die Projektkosten belaufen sich auf mehr als 17 Millionen Euro. Die Stadt soll mit rund 12 Millionen den Großteil der Kosten zahlen.

Für die freie Kulturszene ist der Plan eine große Erleichterung, wie Kerklau berichtet. Er sei zufrieden mit den Maßnahmen und hofft, dass sie auch so umgesetzt werden. Losgehen soll es aber erst im Herbst 2025. Kerklau glaubt das allerdings erst beim ersten Spatenstich: „Die Sanierung wurde, aufgrund von bürokratischen Hürden, immer wieder herausgezögert.“

Zudem gebe es auch noch eine Menge offener Fragen. Allen voran: Wo gehen die Kunstschaffenden während der Bauphase hin? Eine Alternative habe die Stadt bisher nicht vorgeschlagen. Zwei Jahre soll der Umbau dauern. Ungeklärt sei, wie lange die Künstler:innen ihre Ateliers nicht nutzen können.

Ideen für die Nutzung nach dem Ausbau habe die freie Kulturszene schon. Es soll eine spartenübergreifende Produktionsstätte für viele Künstler:innen werden. „Wir wollen unsere Räume mit dem Umbau mehr öffnen und zum Beispiel auch einen Ort zum gemeinsamen Arbeiten integrieren“, sagt Kerklau, der zugleich auch künstlerischer Leiter von „MAKE“ ist.

Klar ist aber: Der Hoppengarten bleibt eine reine Arbeitsstätte und wird auch in Zukunft kein Veranstaltungsort für Auftritte – dafür sei schließlich das Theater im Pumpenhaus da. (ani)

Kurz und Klein

+++ In der Linken-Ratsfraktion dreht sich das Personalkarussell: Ortrud Philipp und Sprecher Ulrich Thoden legen mit dem Ablauf des heutigen Tages ihre Mandate nieder, Katharina Geuking bleibt als einziges Mitglied der Fraktion erhalten. Knapp ein Jahr vor der Kommunalwahl im September wolle man den Weg freimachen für neue Gesichter, heißt es. Zuvor habe es jedoch substanzielle politische und persönliche Differenzen in der Linken gegeben. Laut Wahlliste können die ehemaligen Ratsmitglieder Heiko Wischnewski und Fatma Kirgil in den Rat nachrücken. (sfo)

+++ Dem Musikfachlichen Begleitgremium – also das Gremium, das den Musik-Campus musikfachlich begleitet – scheint so langsam die Geduld auszugehen. In einer Stellungnahme schreibt das Gremium in fettgedruckten Buchstaben: „In der zeitnahen Auslobung des städtebaulich-freiräumlichen Wettbewerbs sehen wir die einzige Möglichkeit zu einer schnellen Realisierung der unstrittigen Raumbedarfe.“ Das ist eine vornehme Formulierung für: Macht jetzt hinne und baut endlich, was gebaut werden kann. Das Musikfachliche Begleitgremium kann sich laut der Mitteilung auch mit einem zeitversetzten Bau der einzelnen Bestandteile des Musik-Campus arrangieren. Hauptsache, es passiert mal was. Unerlässlich für das Projekt sei die Konzerthalle: Darauf zu verzichten, ergebe keinen Sinn, denn dann würde man dem Publikum die Teilhabe am Musik-Campus verwehren. Zudem übt das Gremium Kritik an der Kommunalpolitik. In dem Statement steht: „Inzwischen ist die Öffentliche Beschlussvorlage (V/0243/2024) bereits zweimal von der Tagesordnung der Ratssitzungen genommen worden.“ Verantwortlich für diese Entscheidung war übrigens jedes Mal der Oberbürgermeister (RUMS-Brief). (sfo)

+++ Auf der Königsstraße staut es sich immer wieder – vor allem am Marktsamstag. Jetzt will die Stadt Münster laut einem Bericht der Westfälischen Nachrichten handeln. Ab März soll es eine klare Ansage geben: Wenn das Arkaden-Parkhaus voll ist, bleibt die Zufahrt gesperrt. Wie soll das geregelt werden? Mit einer LED-Tafel am Marienplatz, direkt am Anfang der Königsstraße. Anwohnende und Lieferverkehr dürfen trotzdem passieren. In den ersten sechs Wochen nach Start der neuen Regelung soll zusätzlich ein Verkehrshelfer vor Ort sein. Seine Aufgabe: Autofahrer informieren, zur Umkehr auffordern und auf Alternativen hinweisen. Weitere LED-Tafeln an den „Hauptstraßen“ – Moltkestraße, Hammer Straße, Hafenstraße und Von-Vincke-Straße – zeigen frühzeitig, wenn das Parkhaus dicht ist. Die Grünen sehen die neuen Zufahrtsregeln als wichtigen Schritt gegen den Parkhaus-Stau, fordern eine konsequente Durchsetzung und sehen klimafreundliche Alternativen wie Fahrrad oder Bus als bessere Lösungen. Von Seiten der Bezirksvertretung gibt es allerdings auch Skepsis: Was passiert mit den umgeleiteten Autos? Vor allem an der Ecke Verspoel/Klosterstraße könnten neue Staus entstehen. Testen will die Stadt es trotzdem und mietet dafür erst einmal nur die LED-Tafeln – das sei günstiger. (ani)

+++ Gute Nachrichten: Die Abfallgebühren steigen nächstes Jahr nicht – zum vierten Mal in Folge. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt im kommenden Jahr pro Kopf weiterhin 5,80 Euro pro Monat (RUMS-Brief). Das teilt die Stadt mit. Die Prognose sehe allerdings schlechter aus: 2026 könnten die Gebühren für den Abfall wieder steigen – um knapp 64 Cent pro Monat, da allgemeine Kostensteigerungen für Material, Personal und Betriebskosten nicht mehr komplett aufgefangen werden können. Endgültig ist das allerdings noch nicht, denn der Rat muss im Dezember noch über die Gebühren abstimmen. Hinzu kommt, dass es immer mehr Probleme mit illegalen Müllablagerungen in der Stadt gibt, heißt es in der Zeitung. Für die Entsorgung fallen bei der Stadt hohe Extrakosten an. Was aber schon feststeht: Die Straßenreinigung wird teurer. Ein Beispiel: Für die wöchentliche Fahrbahn- und Gehwegreinigung in einer Anliegerstraße fallen pro Frontmeter 6,60 Euro im Jahr an – 54 Cent mehr als bisher. Der Grund: Die Überschüsse aus den Vorjahren, die bislang zur Dämpfung genutzt wurden, seien aufgebraucht. (ani)

+++ In dieser Woche hat Russland die Ukraine mit 145 Drohnen angegriffen, so viele wie noch nie im bisherigen Krieg. Auch in Münsters Partnerstadt Winnyzja soll es laut Postings in den sozialen Medien zu Explosionen gekommen sein. Medienberichte, die diese Information bestätigen, konnten wir allerdings nicht finden. So oder so muss sich Winnyzja gerade auf den dritten Kriegswinter vorbereiten. In der zentralukrainischen Stadt ist ein humanitäres Hilfszentrum entstanden, an dem sich auch das Deutsche Rote Kreuz beteiligt (RUMS-Brief). Der „Rotary Club Münster“ hat gestern mitgeteilt, ein Blutspendefahrzeug nach Winnyzja zu schicken, damit dort Blutspenden für Kriegsverletzte ermöglicht werden. Wenn Sie helfen möchten, können Sie dem Arbeitersamariterbund Geld spenden. Die Hilfsorganisation sammelt im Auftrag der Stadt Münster Spenden für Winnyzja. (sfo)

+++ Wenn Sie Sparkassenkund:in sind, dann hoffen wir mal, Sie haben zu Hause genug Bargeld gebunkert oder Sie besitzen eine Kreditkarte. Am Wochenende kommen Sie mit der EC-Karte jedenfalls nicht weit. Der Grund: Die Sparkasse Münsterland-Ost stellt gerade alle technischen Systeme um, weil sie mit der Sparkasse Beckum-Wadersloh fusioniert. Mit der Folge, dass Sie bis Sonntagnachmittag kein Geld abheben und auch nicht mit der EC-Karte zahlen können. Kontoauszüge drucken, Online-Banking, die Sparkassen-App – vergessen Sie’s. Die Website hat es inzwischen auch schon erwischt, deshalb verlinken wir Ihnen ausnahmsweise den Instagram-Kanal der Sparkasse Münsterland-Ost, auf dem alle Infos nachzulesen sind. (sfo)

„Es ist keine Krankheit, es ist die Art, wie mein Kopf funktioniert“

Chaos im Kopf: So sieht der Alltag mit ADHS aus. Viele Betroffene werden allerdings erst im Erwachsenenalter diagnostiziert und müssen dann monatelang auf einen Therapieplatz warten. Anna Niere hat ein „ADHS-Picknick“ am Aasee besucht.

An einem Sonntagnachmittag Mitte September sitzen etwa 15 Personen auf Picknickdecken am Wewerka-Pavillon am Aasee. Nicht einfach nur so – es gibt einen Anlass: Die Erwachsenen treffen sich zum „ADHS-Picknick“.

Das ist eine Art Stammtisch von Betroffenen, die sich regelmäßig treffen und austauschen. Der Bedarf scheint da zu sein. Es ist das zweite Treffen der Gruppe. Organisatorin ist die Heilpraktikerin Britta Humberg – sie erzählt, dass auch beim ersten Picknick im Sommer bereits rund 20 Personen da waren.

Den Erwachsenen tut der Austausch gut. Sie erzählen, wie sie sich oft im Alltag nicht verstanden fühlen. Es schwingt auch eine Menge Frustration mit: Das ewig lange Warten auf einen Therapieplatz in Münster, die richtige Medikamenteneinstellung und die eigene Akzeptanz.

Beim Picknick ist auch der 25-jährige Noah dabei. Der Münsteraner tauscht sich mit anderen über Alltagssituationen aus: „Wie schafft ihr das, zu Terminen pünktlich zu kommen?“ – „Ich suche mir meistens schon Tage vorher die Busverbindungen raus und plane immer ein, 15 Minuten früher da zu sein. Dann bin ich meistens genau pünktlich“, antwortet jemand. Andere haben schon längst aufgegeben, zu versprechen, pünktlich zu sein.

„Es fühlt sich an, als ob ich tausend Dinge gleichzeitig im Kopf hätte, aber trotzdem nichts geregelt bekomme“ – so beschreibt Noah seinen Alltag. Aufgaben, die für andere Menschen eine Kleinigkeit sind, sind für den 25-jährigen Münsteraner eine Herausforderung: den Wecker ausstellen, Arzttermine vereinbaren, Anrufe erledigen. „Ständig erinnern mich die Dinge, die ich tun muss, daran, dass ich sie immer noch nicht gemacht habe.

Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und impulsives Handeln

Das summiert sich zu einem unsichtbaren Berg aus Aufgaben, der einfach nicht kleiner wird“, sagt er. Die Erinnerungs-App und Kalendereinträge in seinem Handy sind bis oben hin gefüllt: Einträge, die er immer wieder nach hinten verschiebt – selbst wenn es nur kleine Aufgaben sind.

ADHS wird oft als „Kinderkrankheit“ abgetan. Das Bundesministerium für Gesundheit schätzt, dass etwa 2 bis 6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen an der Störung leiden. Anzeichen seien Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und impulsives Handeln.

Wie ADHS entsteht, ist noch immer unklar. Als Grundlage vermuten Forschende Veränderungen im Gehirn, der Einfluss von Umweltfaktoren, sowie Komplikationen in der Schwangerschaft und genetische Voraussetzungen.

Der kleine, hibbelige Junge, der sich nicht konzentrieren kann und kaum stillsitzt – das ist das Klischee. Bei Mädchen wird es deutlich seltener erkannt. Die Mädchen mit ADHS seien laut einer Studie des Robert-Koch-Institut eher in sich gekehrt und ruhiger. Das mache es schwieriger, die Störung zu erkennen: „Bei Mädchen könnte die Störung deutlich unterdiagnostiziert sein“, heißt es in der Studie.

Bei den erwachsenen Betroffenen sieht die Sache wieder anders aus: Meist wird die Hyperaktivität geringer, die mangelnde Aufmerksamkeit bleibt aber. Laut dem ADHS-Infoportal der Uniklinik Köln haben 4,7 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ADHS – das sind etwa 3,3 Millionen Erwachsene.

Für Erwachsene wie Noah bedeutet ADHS ein Leben zwischen Überforderung und dem verzweifelten Versuch, Struktur in den Alltag zu bringen. Sein Gehirn steht nie still. Noah erhielt seine Diagnose erst mit Mitte zwanzig – kein seltenes Szenario, wie in den Gesprächen mit der ADHS-Spezialambulanz der Uniklinik Münster deutlich wird.

Warum ADHS häufig spät erkannt wird

Bernhard Baune leitet die Spezialambulanz und sagt: „Bei Frauen oder introvertierten Betroffenen zeigt sich ADHS häufig als ‚verträumte‘ Variante, ohne dass es zu störenden Verhaltensweisen kommt“, sagt er. Das sei auch ein Grund, warum ADHS oft erst spät erkannt und diagnostiziert wird. Der Facharzt und seine Kolleg:innen haben sich schon seit vielen Jahren auf die Diagnostik spezialisiert, die in der Spezialambulanz vergleichsweise umfangreich ist.

Anders als in vielen Praxen, in denen ADHS-Diagnosen oft nach einem kurzen Gespräch gestellt werden, durchlaufen Betroffene am Uniklinikum in Münster ein Verfahren mit Tests und Interviews, das oft Wochen dauert. „Wir wollen vermeiden, dass Patient:innen Medikamente ohne klare Diagnose erhalten, da die Risiken sonst überwiegen können,“ sagt Baune.

Bei Noah selbst fiel die Störung in der Schulzeit nicht auf. Im Nachhinein macht es für ihn aber einiges verständlich: Die Hausaufgaben zu erledigen, fiel ihm schwer. Meist machte er sie auf den letzten Drücker im Bus zur Schule oder schrieb ab. Erwachsene sagten ihm, er könne das doch, müsse sich nur mehr anstrengen und gaben ihm das Gefühl, nie genug zu leisten. Ein Dauerzustand, der für ihn kein Ende in Aussicht gab.

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„Ich wusste gar nicht, warum ich ständig hinterherhinke und warum ich Sachen immer wieder vergesse oder nicht mitbekomme. Ich habe die ganze Zeit gedacht, ich sei einfach nur zu faul oder zu dumm“, erinnert er sich. „Das hat sich wie ein Dauerlauf angefühlt, bei dem ich immer wieder ins Stolpern geraten bin.“ Mit 19 hat er die Schule abgebrochen – ein Jahr vor dem Abitur am Ratsgymnasium. Der Druck war zu groß.

Die ADHS-Diagnose wurde Noah zufällig gestellt – im Rahmen einer Therapie zur Geschlechtsangleichung. Biologisch gesehen wurde Noah als Frau geboren, er selbst identifiziert sich aber als Mann und möchte deshalb geschlechtsangleichende Medikamente nehmen – eine Prozedur, die in Deutschland zwingend von Therapeut:innen begleitet werden muss.

Sein Therapeut bemerkte im Laufe der Sitzungen Anzeichen für ADHS: Schwierigkeiten, Aufgaben zu planen und durchzuführen, anhaltendes Aufschieben und hoher Stress, wenn er versuchte, Struktur in seinen Alltag zu bringen. Nach einigen Gesprächen und Tests stellte der Therapeut schließlich die Verdachtsdiagnose, die sich später bestätigte. Für Noah war das eine Erleichterung: Endlich gab es eine Erklärung für seine jahrzehntelangen Schwierigkeiten, die er zuvor oft als eigenes Versagen interpretiert hatte.

Unsichtbare Symptome und soziale Stigmata

Noah schildert, wie die Erwartungen seiner Umgebung sein Verhalten und seine Selbstwahrnehmung beeinflusst haben: „Man denkt, man müsste alles hinbekommen, weil alle einem sagen, dass man das ja kann.“ Doch der Alltag bleibt ein ständiger Balanceakt. Er beschreibt, wie er den sogenannten Hyperfokus nutzt, um bei seiner Arbeit als Verkäufer im Einzelhandel voranzukommen: „Ich brauche ein gewisses Level an Stress, um funktionieren zu können. Wenn ich mich langweile, mache ich alles langsamer, um mir die Arbeit so lange wie möglich hinzuziehen.“

Der Hyperfokus ist ein ADHS-spezifisches Phänomen, bei dem Betroffene sich unter extremem Zeitdruck stark auf eine Aufgabe konzentrieren. Dabei vergessen sie schnell alles andere um sich herum und sind in einer Art Tunnel. Das macht sie deutlich leistungsfähiger – aber eben auch vergesslicher gegenüber allem anderen. Dann kommen manchmal auch Grundbedürfnisse zu kurz, zum Beispiel: auf Toilette gehen.

Die Heilpraktikerin Britta Humberg bringt eine weitere Perspektive ein: Sie will kein Verhalten korrigieren, sondern ihre Patient:innen durch Achtsamkeit und Präsenz unterstützen. „Wir arbeiten daran, sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen anzufreunden, anstatt gegen sie zu kämpfen“, beschreibt Humberg ihren Ansatz. Sie hat eine Praxis in Münster, nicht weit entfernt von der Uniklinik. Was ihr hilft: Sie hat selbst ADHS und kann sich dadurch leichter in die Lebenswelten ihrer Patient:innen reindenken.

Durch ihre Akzeptanz- und Commitment-Therapie sollen Betroffene lernen, ihre Werte und Ziele auch mit den Herausforderungen der ADHS umzusetzen – nicht indem sie ihre Gedanken umkonditionieren, sondern indem sie lernen, trotz innerer Widerstände Schritte in die richtige Richtung zu machen.

Fehlende Behandlungsangebote und lange Wartezeiten

Trotz der steigenden Aufmerksamkeit für ADHS im Erwachsenenalter bleibt die Behandlungssituation in Münster angespannt. In der Spezialambulanz Münster erklärt Baune, dass die Wartezeiten auf eine Diagnose und medikamentöse Begleitung lang sind – mit einem Jahr Wartezeit müsse man schon rechnen. Die Ambulanz stelle nur Diagnosen, biete keine dauerhafte Begleitung. „Obwohl wir in Münster vergleichsweise viele Ressourcen für ADHS-Diagnosen haben, reichen diese nicht aus“, sagt Baune. Deshalb wurde die Warteliste bereits vor einigen Monaten geschlossen. Wann sie wieder geöffnet werden könnte, kann er nicht einschätzen.

Britta Humberg hat diese Situation früh bemerkt und ergänzt ihr therapeutisches Angebot deshalb um Elemente, die besonders hilfreich sind, wenn Wartezeiten lang oder Ressourcen knapp sind. „Ich arbeite mit dem Körper und lasse ADHS-Betroffene ihre persönlichen Werte entdecken – dadurch lernen sie wieder besser, sich selbst zu regulieren und finden zu ihrer natürlichen Intuition zurück“, sagt sie. Das könne sowohl Betroffenen helfen, die Wartezeiten überbrücken müssen oder auf medikamentöse Behandlung verzichten wollen, als auch solchen, die sich ergänzend zu einer medikamentösen Therapie weitere Unterstützung wünschen.

Lernen, die Störung zu akzeptieren

Für Noah ist die Diagnose eine Erleichterung, auch wenn jetzt die nächste Hürde folgt: einen Termin für die Einstellung auf die richtige Medikation vereinbaren. Die Diagnose hilft ihm zu verstehen, dass seine Probleme nicht aus mangelndem Einsatz resultieren, sondern aus einer neurobiologischen Ursache. „Es ist keine Krankheit, es ist die Art, wie mein Kopf funktioniert. Manche Dinge machen ADHS komplizierter, andere vielleicht sogar einfacher,“ sagt er.

Die Akzeptanz seines Zustands, so Humberg, gibt ihm dabei neue Orientierung. „Für viele ist es befreiend, nicht mehr gegen sich selbst kämpfen zu müssen, sondern zu sehen: Auch mit ADHS kann ich ein erfülltes Leben führen,“ betont sie. Das habe auch ihr selbst geholfen: nicht gegen, sondern mit ADHS zu leben.

Noah hat mittlerweile einen Umgang mit der Störung gefunden. Zumindest stresst er sich nicht mehr, seine gesamte To-Do Liste abarbeiten zu müssen. Sein Gehirn steht trotzdem nicht still, seine Hände meistens auch nicht: Dafür er sich ein paar kleine Helfer besorgt. Ein Fidget-Spielzeug stillt die innere Unruhe – zumindest in gewissem Maße. Das ist ein Würfel, an dem man Knöpfe und Schalter drücken kann, Regler drehen. Davon hat er gleich mehrere, die er überallhin mitnimmt: einen Ring und verschiedene Tools am Schlüsselbund. Und er tauscht sich regelmäßig mit anderen Betroffenen aus – ein Umgang, der ihm vermutlich in der Kindheit einiges erspart hätte. (ani)

Klima-Update

+++ Privatpersonen, Vereine und Institutionen können ab sofort 2.000 Euro Förderung für Natur- und Artenschutzprojekte beantragen – sogar ganz unbürokratisch und ohne Eigenanteil. Die sogenannten Umweltschecks des Umweltministeriums werden für bis zu 1.000 Projekte vergeben. Egal ob Biotope anlegen, Insektenlebensräume schaffen oder Naturschutzaktionen organisieren – alles, was der Natur hilft oder Menschen für den Naturschutz begeistert, ist förderfähig. Vorbild seien Projekte wie die Rückkehr von Weißstörchen oder die Wiederansiedlung von Uhu und Lachs. Das Umweltministerium will durch die Förderung noch mehr Menschen motivieren, eigene Projekte zu starten. Wichtig: Der Antrag muss vor Projektbeginn gestellt werden, und die Maßnahmen müssen im laufenden Jahr abgeschlossen sein. Alle Infos gibt’s hier. (ani)

+++ In den Parks und auf den Friedhöfen der Stadt richtet das Umweltamt gerade kleine Burgen aus Holz, Brettern und Laub her, damit Igel darin überwintern können. Für die stacheligen Sympathieträger beginnt nämlich so langsam der Winterschlaf, allerdings sind die Unterschlupfe mittlerweile rar geworden. Generell steht es um den Igel nicht gut: Seit diesem Jahr steht der westeuropäische Igel zum ersten Mal auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion. Das Wildtier des Jahres 2024 gilt damit als „potenziell gefährdet“. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen und auch erfahren möchten, wie Sie selbst Igel unterstützen können, dann besuchen Sie demnächst das Haus der Nachhaltigkeit. Dort stellt der Verein „Pro Igel“ gerade in einer Ausstellung die Bedürfnisse und Eigenarten des Igels vor. Wenn Sie aber gar nicht abwarten können, dann melden Sie sich bei der „Privaten Igelhilfe Münsterland“. Die freut sich immer über Spenden und Päppelstellen. (sfo)

+++ Dass die „Naturfreunde Münster“ um den ehemaligen Linken-Ratsherrn Rüdiger Sagel nichts von Tiefengeothermie halten, hatten wir Ihnen ja schon erzählt (RUMS-Brief). Jetzt hat die Umweltgruppe ihr eigenes Energiekonzept vorgestellt: Die „Naturfreunde“ fänden es besser, wenn die Stadt auf eine oberflächennahe Geothermie in Kombination mit Solaranlagen setze. Im Sommer könnten die Geothermie und Wärmepumpen dann auch Gebäude kühlen, schreibt die Gruppe in einer E-Mail an RUMS. Die tiefe Geothermie sollte die Stadt lieber hinten anstellen, weil diese Technik aus Sicht der „Naturfreunde“ problembehaftet und wenig erfolgversprechend sei. Das eigene Energiekonzept wollen die „Naturfreunde“ jetzt mit einem Bürgerantrag in die Kommunalpolitik einbringen. (sfo)

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Korrekturen

Im RUMS-Brief am Dienstag haben wir eine Veranstaltung übers Nicht-Wissen im Naturkundemuseum empfohlen und die Meldung mit etwas eigenem Nicht-Wissen angereichert. Das Museum liegt nicht, wie wir schrieben, am Sentmaringer Weg, sondern an der Sentruper Straße. Ein Leser hat uns auf den Fehler aufmerksam gemacht. Wir haben die Meldung korrigiert. (sfo)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Eine neue Flugverbindung bringt seit Kurzem Urlauber:innen von Greven an die klassischen Touri-Orte in Ägypten und auf den Kanarischen Inseln. (Flughafen Münster/Osnabrück)

+++ Der Kulturjournalist Till Briegleb zerreißt in der „Süddeutschen Zeitung“ die aktuelle Otto-Mueller-Ausstellung im LWL-Museum für Kunst und Kultur, die seinem Urteil nach die Kunst des Expressionisten aus „heutiger Wokeness-Perspektive“ einseitig als „aggressiv und feindlich“ bewerte. (Süddeutsche Zeitung)

+++ Am Mittwoch fand eine große Krisenübung statt, bei der das Szenario durchgespielt wurde, das in weiten Teilen der Stadt und im Kreis Steinfurt der Strom ausfällt. (Gemeinsame Pressemitteilung)

+++ Das nordrhein-westfälische Familienministerium hat eine höhere Kindpauschale beschlossen, sodass Münsters Kitas mehr Geld für die Betreuung für Kinder unter drei Jahren bekommen. (Grüne Münster)

+++ Weil die Bauarbeiten im Süden schneller vorangehen als geplant, sind der Kappenberger Damm und die Thierstraße ab Montagnachmittag wieder mit dem Auto befahrbar. (Stadt Münster)

+++ Im Advent gilt am Hauptbahnhof wieder ein Waffenverbot. (Westfälische Nachrichten, RUMS-Brief)

+++ Caritas und Diakonie sammeln bis zum 7. Dezember Spenden für arme Menschen in Münster. (Bistum Münster)

+++ Der Galerist Claus Steinrötter, der seine Galerie nach 57 Jahren schließt, blickt im „Spiegel“ auf sein Arbeitsleben zurück und sagt, er habe am liebsten antifaschistische Kunst ausgestellt. (Spiegel)

+++ Für den Kanalausbau sollen wohl doch weniger Bäume am Prozessionsweg gefällt werden als bislang gedacht. (Westfälische Nachrichten)

Unbezahlte Werbung

Plattenläden gibt es ja gar nicht mehr so viele; ein Laden wie „Green Hell Records“ war aber schon in der Hochphase von Vinyl und CD etwas Besonderes. Seit fast 30 Jahren verkauft Inhaber Frank Kestennus in wechselnden Ladenlokalen in Münster und aktuell an der Winkelstraße verschiedene Tonträger, Merchandise und Konzertkarten. Der Schwerpunkt liegt auf Punk-, Metal- und Rockmusik, im Laden und auch im Online-Shop finden sich aber auch andere Genres und immer kompetente Beratung dazu. Als ich das letzte Mal dort war, stöberte gerade Bela B. von den „Ärzten“ durch die Regale – ein Besuch ist also so oder so ein Erlebnis. (aze)

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne!

Drinnen und Draußen

Annalena Zernott hat sich für Sie umgehört und kann Ihnen diese Veranstaltungen in den nächsten Tagen empfehlen:

+++ Unter dem Motto „Opus 10“ findet am Samstag und Sonntag die zehnte Ausgabe des „Mensch Musik Festivals“ der Musikhochschule statt. Kostenlose Eintrittskarten zu den insgesamt zehn Konzerten werden an jedem Festivaltag – Sie ahnen es – ab 10 Uhr im Foyer der Musikhochschule ausgegeben. Das vollständige Programm finden Sie hier. Hier können Sie die Konzerte im Live-Stream verfolgen.

+++ Ganz in der Nähe der Musikhochschule, im Haus der Nachhaltigkeit, startet am Samstag die bis zum 20. Dezember dauernde Tausch- und Verschenk-Börse für Weihnachtsschmuck und -deko. Diesen Samstag können Sie von 10 bis 14 Uhr dort fündig oder Ihren Schmuck loswerden. Alle weiteren Termine und mehr Infos finden Sie hier.

+++ Der Verein Pro Filia setzt sich seit 15 Jahren gegen die Versklavung und Ausbeutung nepalesischer Frauen und Mädchen ein. Das tut er, indem er beispielsweise Schutzhäuser für ehemals Verschleppte finanziert oder vor Ort informiert, damit es gar nicht erst zur Verschleppung kommt. Am kommenden Sonntag versteigern die „Zucchini Sistaz“ im Auftrag des Vereins Werke von insgesamt 36 Künstler:innen. Hier können Sie schon einmal nachschauen, ob etwas für Sie dabei ist. Das Ganze findet statt von 11 bis 14 Uhr in der Münster School of Design.

+++ Wie fühlt es sich an, als Patient:in auf der Palliativstation zu liegen, also schwer krank zu sein, und zu wissen, dass das Leben eher früher als später vorbei ist? Dieser Frage widmet sich die 4D-Performance „Zwischenwelt“ im Planetarium. Am Sonntagabend findet die letzte von drei Vorstellungen statt. Karten zum Preis von 15 Euro (12 Euro ermäßigt) bekommen Sie hier.

Am Sonntag schreibt Ihnen ein neuer Kolumnist zum ersten Mal. Und am Dienstag bekommen Sie wieder Post von uns. Haben Sie ein schönes Wochenende.

Herzliche Grüße
Anna Niere

Mitarbeit: Sebastian Fobbe (sfo), Annalena Zernott (aze) – das bedeutet: Die einzelnen Texte im RUMS-Brief sind von der Person geschrieben, deren Kürzel am Ende steht.
Lektorat: Maria Schubarth

PS

Im Stadion laut mitgrölen, ist wohl für die meisten Preußen-Fans ein fester Bestandteil – sonst würde wahrscheinlich etwas fehlen? Bisher haben sich da vor allem „Preußen“ von den Donots oder „Fußball-Sinfonie“ von Götz Alsmann angeboten. Seit gut einem Monat gibt es jetzt eine neue Hymne – beziehungsweise einen Anwärter darauf: „Adlerträger“ vom Pegelprinz. Der Song hat es in den iTunes-Charts direkt auf Platz 43 geschafft. Die große Frage ist jetzt natürlich: Welchen Song grölen Sie am liebsten im Stadion? In der Story auf unserem Instagram-Kanal läuft für die nächsten 24 Stunden eine Abstimmung über den Lieblingssong der Preußen-Fans. Lassen Sie uns doch wissen, was Ihr Favorit ist.

PPS

Wir bleiben noch kurz musikalisch, lassen den Fußball aber für einen Moment weg. Wie kaum eine andere Band werden die Donots mit Münster in Verbindung gebracht. Dabei begann die Bandgeschichte vor 30 Jahren gar nicht hier, sondern im Jugendkulturzentrum „Scheune“ in Ibbenbüren. Der „Radio Bob“-Moderator Benni Zinke hat die fünf Musiker dort besucht und einen Interviewpodcast aufgenommen, der zum Bandjubiläum die vergangenen drei Jahrzehnte Revue passieren lässt. Die Aufnahmen finden Sie hier.

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